Vom Kohlenpott ins Paradies

Vom Kohlenpott ins Paradies

90, und jetzt?

Bernd Wengmann


EUR 19,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 270
ISBN: 978-3-99146-579-9
Erscheinungsdatum: 08.02.2024
Ich bin ein Allrounder: Ich hätte auch Friseur, Landwirt oder etwas ganz anderes werden können. Im Laufe meines Lebens habe ich schon viele Berufe und Berufungen durchgespielt: so auch als Reisender in allerlei paradiesischen Ländern.
1932–1941


Wenn man 90 Jahre alt ist und in diesem Alter ein Buch schreibt, hat man ein langes Leben mit vielen Epochen und Generationen hinter sich und denkt dabei an die heutige Zeit, jeder kennt sie.

Geboren wurde ich 1932 im Ruhrgebiet, im westlichen Vorort von Dortmund, in Dortmund-Huckarde. Nicht weit weg waren Zechen, in denen Kohle gefördert und Hütten, wo Stahl erzeugt und verarbeitet wurde, also inmitten von Qualm, Gestank, Lärm und einer schon unruhigen Zeit. Diese war nach den 20-ziger Jahren geprägt von Armut, Arbeitslosigkeit, politischen Unruhen und vom Aufkommen des Nationalismus.

Meine Mutter stammte aus einer Bergmannsfamilie, zusammen mit zwei Schwestern und zwei Brüdern, aus Dortmund-Derne. Der Vater meiner Mutter arbeitete auf der Zeche, wie man so sagte. Er arbeitete als Hauer direkt vor der Kohle. Das sind die Männer, die nach der Arbeit aus 600 bis 1000 Meter Tiefe als im Gesicht Schwärzeste aus dem Transportlift aussteigen und damit das Tageslicht wieder erreichen. Der Opa Derne, wie er auch genannt wurde, arbeitete auf einer der vielen Zechen quer durch das Ruhrgebiet. Die Oma Derne, von der es noch viele Kochrezepte gibt, hatte ihr Leben lang mit Haus und Garten zu tun. Ein typisches Bergmannreihenhaus, mit großem Garten, Schweine,- Hühner- und Kaninchenstall, war zu pflegen. Bei Bergleuten speziell, war der größte Teil für den Lebensunterhalt, die Selbstversorgung. Der Schweinestall war Hausbestandteil direkt hinter der Küche. So war der Weg für Abfälle aus der Küche nicht weit, nach heutiger Sicht die Tonne für Küchenabfälle. Das Schwein gehörte sozusagen zur Familie, hatte Familienanschluss.

Vom Hinterausgang aus, der Haupteingang von der Straße her wurde nur bei Besuch benutzt, ging man über den Hühnerhof und die Kaninchenställe in den unendlich langen Garten. Eine Laube zum Ausruhen wurde nur am Sonntag vom Familienbesuch benutzt. Der Nutzgarten war in der Mitte geteilt durch einen langen, schmalen Weg. Jeweils im Frühjahr wurde der Garten frisch umgegraben und links und rechts vom Weg wurden die Kanten, die Furchenkante, als Ersatz einer Einfassung, mit dem Spaten 12 bis15 Zentimeter hoch, fest angeschlagen. So entstand ein Wegabschluss aus Erde, der die ganze Vegetationsperiode fest war. Ein großer Teil des Gartens war für Schweinefutter vorbehalten, das dann für den Winter in den sogenannten Erdmieten vorgehalten wurde. Ansonsten wurde alles angebaut, was man an Gemüse für den Sommer und Winter braucht. Im kühlen Keller des Hauses waren Fässer mit Bohnen und anderem Gemüse. Die Regale waren voll von Gläsern mit Obst und Gemüse.

Noch heute denke ich an die Art von Häusern mit Gärten, wenn wir auf Besuch in Dresden, in der Hellerau sind. Hier wurde um die Jahrhundertwende zum 19-Jahrhundert, durch einen Wettbewerb, von der am Ort anwesenden Möbelindustrie ausgeschrieben, ein ganzer Dorfteil mit verschiedensten Bautypen, vom Reihen-Einfamilienhaus bis zum Stockwerksbau erstellt. Mittelpunkt ist der Marktplatz, alles steht Gott sei Dank unter Denkmalschutz, sodass die Eigenarten ohne Um- und Anbauten erhalten geblieben sind. Viele typische Eigentumssiedlungen gibt es schon allein durch den Anbau von Garagen nicht mehr. Viele Siedlungen wurden auch im Ruhrgebiet, meistens von großen Werken, mit verschiedenen Bau-Modellen in den 30-ziger -Jahren gebaut.

In einer solchen Siedlung wohnten wir. Geboren wurde ich im eigentlichen Dorfgebiet, in einem Geschäftshaus. Das Haus steht heute noch, inklusive der Bäckerei, die es auch noch gibt. Die Erinnerung an diesem Aufenthalt ist ein Bild, wo ich zu Weihnachten eine Trommel bekommen habe. Die Erinnerungen waren mehr das neue Haus. Die Besichtigung im Kinderwagen auf der Baustelle sollte mein erster Baustellenbesuch vor meiner Berufskarriere gewesen sein. Die Siedlung erbauten mehrere Bauträger, oft von der Industrie selbst. Es gab Einfamilienhäuser, Doppeleinfamilienhäuser und auch Werkshäuser als Doppelhäuser mit zwei Stockwerken. Alle Häuser waren erschlossen durch eine Straße, die gerade und im großen Bogen verlief. Verkehr war wenig, Autos hatten nur wenige, weshalb die Garagen auch erst später dazu gebaut wurden.

Jeder hatte aber einen großen Garten, der zur Straße hin durch eine Ligusterhecke begrenzt war. Vor jedem Haus stand ein Sauerkirschen – Hochstamm, der ebenfalls die Zeit charakterisierte. Nur Fruchtbäume wurden als Bäume gepflanzt. Als Kinder hatten wir natürlich Platz, um das Fahrrad und unsere Kugellager -Transportkisten zu bewegen. Kleinere Plätze waren aus Asche, Bälle hatten wir keine. Wir spielten mit dem Rundholz, was wir einfach selbst bastelten. Das Spielzeug, Durchmesser eineinhalb bis zwei Zentimeter von einem Ast, 12 bis15 Zentimeter lang, an beiden Enden angespitzt, war durch Schlagen der Spitze mit einem Stock, zu einem Ziel zu befördern. Wettrennen fanden in unserer Straße mit dem Fahrrad statt und endeten nicht immer glücklich. Ich war mit meinem kleinen Bruder, vorne auf der Stange unterwegs, als wir auf den einzigen Gegenstand einer Insel-eine Lampe -voll hineinfuhren. Die Blessuren, mein Bruder mit einem Riss der Haut quer zur Stirn und meine Wunde, Aufriss der rechten Augenbraue, verlangten nach einem Arzt. Die Andenken haben wir heute noch. Im Winter, wenn es gefroren war, fuhren wir Schlittschuh auf dem alten Löschteich am Gut Wischlingen. Das ältere Modell mussten wir an den Schuhen befestigen, na ja, es war eine wackelige Angelegenheit.

Wir als Familie waren aber auch viel bei den Großeltern des Vaters. Der Opa war ein stattlicher Mann mit Schnauz, war Chef der Elektroabteilung, 800 bis 1000 Mitarbeiter. Schon seine Gestalt schaffte Respekt. Die Großeltern wohnten nah bei der Zeche, am anderen Ende unseres Wohnorts. Ich erinnere mich, dass wir dort auch einige Zeit wohnten, weil nämlich die Beerdigung meines jüngsten Bruders, der jung, ich glaube mit einem halben Jahr, an der damals geläufigen Krankheit Diphtherie, gestorben ist. Es war die Zeit, wo Penicillin zwar entdeckt, aber erst 1941 ernsthaft für die amerikanischen Soldaten, ohne wie üblich mit mehrjährigen Probezeiten, produziert wurde.

Das Haus meines Opas Wilhelm, väterlicher Seite, war auch ein typisches Haus mit Garten und Stall für Hühner und Schweine. Für Kartoffelanbau war zu wenig Platz, hier hieß es beim Bauern Kartoffeln auflesen, die dann mit Pferd und Wagen transportiert und in den Keller versorgt wurden. Die Kartoffeln, drei Sorten, waren natürlich auch für das Schwein im Stall. Es war immer ein Familientreffen, wenn das Schwein von einem Störmetzger geschlachtet wurde. Ich könnte noch jeden Vorgang erklären und belasse es mit dem Hinweis, dass viel gekochtes heißes Wasser für das Entfernen der Wolle von der Haut, so nannte man die Haare vom Schwein, gebraucht wurde. Das Schwein hing den ganzen Tag im Hof an der Leiter, damit das Fleisch ausblutete. Am Abend begann die Verarbeitung und das erste Essen war gebratener Panners, der aus Blut, Mehl und Speck gekocht und in Schüsseln aufbewahrt wurde. Davon geschnittene Stücke, so eineinhalb Zentimeter dick, wurden dann in der Pfanne gebraten, ein Lieblingsessen von mir. Es wurden Würste und frisch zu verarbeitendes Fleisch in der Verwandtschaft verteilt. Kühlschränke gab es damals noch nicht. Dafür gab es im Keller eine Truhe mit Deckel, wo das Fleisch gesalzt, eingelagert wurde. Diese Methode wurde bereits in der frühen Seefahrt angewendet. Zu dem gepökelten Fleisch gehörte natürlich auch durchwachsener- und fetter Speck.

Bei Familientreffen wurden oft „Scheiben“ gemacht. Diese bestanden aus rohen Kartoffeln, in Scheiben oder wie Pommes Frites geschnitten. In die Gusspfanne, die Größe wurde je nach Personenzahl ausgewählt, kam in kleinen Stücken fetter Speck, auf den ganzen Pfannenboden verteilt. Hinzu kamen Salz und alles wurde mit einer Tasse Wasser übergossen. Einen Deckel drauf und nach circa 2o-Minuten stand die Pfanne mitten auf dem Tisch, wo sich dann jeder an den würzigen, mit goldbrauner Kruste versehenen Kartoffeln, bediente. Das Gericht wird bei uns heute noch mit Vergnügen gekocht.

Die Familie vom Opa Wengmann hatte fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Buben. Der Großvater, ein stattlicher, Respekt einflößender Mann, hatte eine sehr zärtliche Frau, die leider sehr viel krank war.

Von unserem neuen Haus aus startete ich 1938 in die Schulzeit. Wir wohnten auf der Grenze von zwei Ortsteilen, sodass ich in Dortmund-Rahm zur Schule ging. Die Schule hat alle Angriffe überlebt und steht unverändert heute noch. Zur Schule ging man über freies Land durch ein Landwirtschaftsgebiet mit dazugehörigen Bauernhöfen. Heute ist dieses Gebiet überbaut von Verkehrsachsen und Siedlungen, nur die Bahnschranke gibt es noch. Es war doch schöner zur Jugendzeit. Die Bauernhöfe hatten auch am Rand stehende Flieder und die blühten meistens zur rechten Zeit, an Muttertag.

Unser Lehrer war durch eine Hasenscharte gut zu erkennen. Heute könnte man die gut operieren, aber früher waren das Veränderungen am Menschen, die man auch ohne Verschönerung akzeptierte.

Das Schulleben war bestimmt mit der Schultafel und den Kreidestift dazu. Hiermit wurde geschrieben, gerechnet und gemalt. Wir lernten die deutsche Kurrentschrift, die schon Goethe praktizierte. Aber auch die Tafel wechselte: Es gab Tinte im Tintenfass und die Feder dazu, samt Putzlumpen und Löschblatt. Als Verbesserung gab es dann den Bleistift und natürlich Radiergummi. Wenn ich an diese Anfänge in der Schule denke, kommt mir hinsichtlich der Entwicklung zwangsläufig, die immer wieder neue Ausstattung unseres Büros in 40 Jahren in den Sinn.
Unsere Abwechselungen im Familienleben von Vater, Mutter, meinen vier Jahre jüngeren Bruder und mir, bestanden meistens am Sonntag im Besuch der Verwandtschaft. Alle 14-Tage fuhren wir mit der Straßenbahn zur Oma Derne, obwohl es auch einen Opa gab. Der wurde, warum auch immer, nie genannt. Angekommen, war übrigens auch die ganze Verwandtschaft von Mutter, das war so Tradition. Als Kind hatte ich das gern, zumal ich der älteste Enkel war und gern auf Tante Lillys Schoss saß. Ich war gern bei Oma Derne, auch öfters in den Ferien. Sonntags am Abend wollte ich immer dableiben. Mutters Geschwister waren auch mit ihrem Anhang da, sodass es eine große Tischrunde gab. Tante Hetti, Mutters Schwester, war wie die Oma Derne, die Kleinste. Sie heiratete Onkel Heinz von Huckarde. Scheinbar waren in der Zeit die Angebote für Beziehungen und für das Zusammenkommen von Partnerschaften entscheidend. Tante Toni, Mutters dritte Schwester, zog es zum höchsten Berg des Sauerlands, nach Winterberg, wo sie später auch heiratete. Sie leitete dort eine Jugendherberge, zu der es mich in späteren Jahren wegen dem Skifahren gelegentlich hinzog. Onkel Heinz, der ältere Bruder, war Berufssoldat. Mit der-Uniform und Größe zollten wir ihm großen Respekt. Da wäre noch Paul, der Jüngste, ein Spätankommender, den ich eigentlich nur in Militäruniform vor mir sehe. Er heiratete erst nach dem Krieg und übernahm später das Haus von Oma Derne.

Opa Wilhelm erreichte man ohne Straßenbahn. Busse? Zu Fuß ging es, bis ich das erste Fahrrad bekam. Dies war auch wichtig für die häusliche, familiäre Versorgung. Gab es doch in einem anderen Garten Essbares, wie Rhabarber, den es bei uns nicht gab, oder beim Opa besser war.

Bei Opa Wilhelm traf man sich eher sporadisch oder zusammen bei besonderen Anlässen. Die Verwandtschaft, außer Tante Maria, die in Essen mit ihrer Familie lebte, wohnte in Huckarde. Große Umzüge gab es zu der Zeit nicht. Man ging im gleichen Ort aus, lernte sich da kennen, heiratete und blieb dort.
So auch die Tante Christine, Vaters älteste Schwester. Sie war Schneiderin, bei der die ganze Verwandtschaft Kunde war. Ich erinnere mich an einen blauen Mantel, der mitten im Krieg aus einer gefärbten Wolldecke von Tante Christine für mich genäht wurde.

Tante Lisbeth, die zweitälteste Schwester vom Vater, hatte mit ihrem Mann zusammen einen kleinen Quartierlebensmittelladen. Onkel Heini hatte ein Dreirad-Lieferwagen, und ich durfte öfters mit zum Großmarkt, um Obst und Gemüse zu kaufen. Ich sehe heute noch den Laden mit einer Gewichtswaage, Dreieck-Tüten für Mehl, Zucker ectc. Nichts war eingepackt.

Onkel Wilhelm, der jüngste Sohn, war Schneider. Ich sehe ihn in Erinnerung immer auf dem Schneidertisch sitzen. Er arbeitete aber nur, wenn das Geld alle war. Er liebte den örtlichen Ausgang, und scheinbar gab es von ihm den Satz: „Lass es ne Kuh kosten.“

Es bleibt noch mein Vater Bernhard, der auch auf der Zeche Hansa als Leiter des Lehrlingswesens arbeitete. Auf der Zeche arbeiteten 10000 bis 12000 Leute, davon 300 bis – 400 Lehrlinge. Es gab alle handwerklichen und kaufmännischen Berufe. Auch eigene Schulen, wie Berufsschulen und Ausbildungen für Ingenieure gab es. Gesamthaft wurde in drei Schichten gearbeitet.

Meine Schulzeit verlief noch normal, immer nur morgens bis 13,00 Uhr. Nachmittags kamen zu den Hausaufgaben Garten-arbeiten, Einkaufen oder Arbeiten im Haushalt. Ich kochte auch schon gern. Zum Essen gab es nicht immer meine Lieblingsspeisen. Milchsuppe mit Haferflocken oder Gries waren nicht schlecht, wenn da nicht immer der Schmand gewesen wäre, diesen Schmand konnte ich nicht ausstehen. Wir hatten viel Obst im Garten für den Sonntagskuchen, aber wenn es nicht reichte, sorgten schwarze Holunderbeeren vom Rand des Friedhofgeländes für Abwechslung. Rahm gab es nicht, dafür wurde Eiweiß, erst kurz vor dem Essen geschlagen.
Als Besonderheit für diese Zeit hatten wir, wenn Ostern nicht zu früh war, im geheizten, mit Glas abgedeckten Mistbeet, frischen Salat. Ja, geheizt wurde mit 30 Zentimeter Pferdemist von den Pferden der Zeche, oder von der Straße. Das Pferd hatte da noch seine Bedeutung als Zugtier in der Landwirtschaft oder des Gewerbes. Auch in der Zeche wurde es unter Tage als Zugtier von Kohlewagen eingesetzt.

Der Ofen in der Küche, zusätzlich auch Heizung, war typisch mit Feuerstelle und Backofen. Geheizt wurde nach dem Anzünden durch Holz, mit Kohle, jeweils transportiert aus dem Keller. Es gab eine Toilette, auch noch für die Einmieter, im ersten Stock. Gebadet wurde jeden Samstag mit auf dem Ofen gewärmtem Wasser in einer Blechwanne, mitten in der Küche. Die Dreckspuren am Wannenrand waren groß, lebten wir doch im Dreck der Industrie, die ohne jegliche Staubfilter arbeitete.
Weiße Wäsche war nicht empfehlenswert und auch das Trocknen an der frischen Luft nicht. Der Industriedreck war überall, auch auf den Flächen, wo wir als Kinder spielten. Vor dem Auslehnen auf einer Fensterbank war das vorherige Putzen nötig. Auch gab der Staub viel Durst, kein Wunder, dass es in Dortmund viele Brauereien gab.

Politisch zeigte sich immer mehr die braune Gefahr. Die Anhängerschaft vermehrte sich, wie auch leider heute wieder. Es gab Krieg, als ich sieben Jahre alt war, In dem Bekanntenkreis wurden Söhne einberufen. Wir als Kinder fanden die Uniform und die Abzeichen schön, den Ernst der Lage erkannten wir nicht. Neu gab es Lebensmittelkarten, ergänzt wurde die Versorgung durch den eigenen Garten, wohl denen, die Vieh und einen Garten hatten.



1941–1949


Mit der Ausbreitung des Krieges stieg auch die Gefahr für die Daheimgebliebenen. Es fielen in den Städten erste Bomben, die Behörden reagierten mit der Organisation einer Mutter-Kind-Landverschickung. Es wurden ländliche Gebiete bis nach Bayern und Süddeutschland ausgesucht, wo man sich sicher fühlen sollte. Jede gefährdete Stadt, speziell im Ruhrgebiet, bemühte sich um Unterkünfte. Auch wir, meine Mutter, mein Bruder Heinz und ich, bekamen einen Ort im Schwarzwald zugewiesen.

Dieser Ort, damals einige 100-Einwohner, liegt im Breisgau, im Freiamt, heißt Ottoschwanden und ist in der Nähe der Kreisstadt Emmendingen. Der Ort liegt auf einer gesunden Höhe von gut 400-Meter -und ist, das wusste ich damals nicht, der sonnenreichste Ort Deutschlands.

Ottoschwanden, auf einer Hochebene liegend, war ein typisch, Schwarzwälder Bauerndorf, mit einer Hauptstraße und den verstreut liegenden Höfen. Auf einem dieser alleinstehenden Höfe landeten wir und noch eine andere Familie, Frau-P. mit Tochter, aus Dortmund. Der Hof lag in der Nähe eines kleinen Zentrums, dem Freihof mit Hotel, Restaurant und kleineren Geschäften. Unser neuer Hausherr war Herr und Frau B., die auch zwei Söhne, Fritz und Ernst, ein wenig älter, hatten. Dazu gab es den, immer auf der Ofenbank mit langem Bart sitzenden Großvater. Als Helfer gab es eine Magd und ein Pole, der wie viele Polen aus Frankreich geflüchtet war. So kamen sie auch in der Schweiz als Gefangene in Lager und von dort aus zu Arbeits- oder Ausbildungsstätten.

In der Freizeit saß er im Foyer zum Kuhstall und zauberte Ringe aus Kupfermünzen.

Der Bauernhof bestand aus einem Wohnhaus, unten die Küche mit Hofverbindung, das Elternschlafzimmer, eine kleine Stube und der Aufenthaltsraum mit Essplatz und Kachelofen. Im ersten Stock war die Sonntags-Stube, Bleibe, auch von gutem Kirsch, und zwei Schlafzimmer für die zwei Gastfamilien. Bereits zu Beginn war für mich 5:30-Uhr Tagwacht und es zog mich zur Hilfe in den Kuhstall. Die Kleider hatte ich bereits abends schön bereitgelegt, damit das Aufstehen niemand bemerkte. Mutter war mit meiner Hilfe nicht einverstanden, da ich ja anschließend, zusammen mit den Kindern vom Bauernhof, Fritz und Ernst, in die Dorfschule musste.

Auf dem Hof war die Bäuerin den ganzen Tag mit dem Füttern der Schweine und Hühner und dem Kochen beschäftigt. Zusätzlich wurde das Brot im Backofen bei der Schnapsbrennerei an bestimmten Tagen selbst gebacken. Dazu kamen das Herstellen der Butter, Kuchen backen und die Pflege des Gemüsegartens. Auch die selbst gefertigten Pantoffeln aus Stroh und Hanf für alle im Haus, kamen aus ihrer Hand. Ich sehe heute noch einige Reihen Hanf im Feld stehen, heute käme die Polizei. Kein Mensch hat damals ans „Kiffen“ gedacht, wie es heute heißt. Als Essen gab es typisch süddeutsche Küche mit viel Teigwaren, der Kirsch-und Erdbeerkuchen war ähnlich der Schweizer Wähe, eine Wucht. Auf dem Feld gab es in der Pause das schöne Landbrot mit getrocknetem Speck und selbst hergestelltem Most.

Der Bauer selbst saß gerne im Nebengebäude mit Backofen und Brennerei. Hier wurde der Kirsch- und Zwetschgenschnaps gebrannt. Er fand auch Verwendung in der Medizin, als ich mal mit der Mistgabel eine heftige Berührung mit dem Fuß hatte.

Maschinen, außer der Dreschmaschine, gab es auf dem Hof nicht. Als Zugmaschinen dienten die Ochsen, die ich führen durfte, als sie mal wieder einen großen Holzwagen mit Holzrädern, geladen mit gerade geernteten Kartoffeln, den Berg hochziehen mussten. Das Land auf dem Hof war westlich eher eben und Richtung Osten, wo die Kartoffeln angebaut wurden, stark abfallend. Der Viehbestand bestand aus Milchkühen, Rindern, Schweinen und Hühnern, genug auch für die Selbstversorgung.

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