Glück nach Maß

Glück nach Maß

Die wahren Geschichten der Bräute

Anna Ugryumova


EUR 14,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 82
ISBN: 978-3-99131-386-1
Erscheinungsdatum: 08.03.2023
Anna hat wohl einen der glücklichsten Jobs der Welt. Als Inhaberin einer Brautmoden-Boutique designt sie das wichtigste Kleid im Leben der meisten Frauen. Doch auch bei dieser Arbeit gibt es Höhen und Tiefen, die so manchen Ansatz zum Nachdenken geben.
Mein Name ist Anna, ich bin Brautmodendesignerin. 15 Jahre lang habe ich Bräuten bei der Auswahl ihres wichtigsten Kleides geholfen.
Ich habe nie meine Brautkleider nur als Kleider gesehen. In meinen Kollektionen konnte und kann man die Reflexion jeder einzelnen Frau spüren. Ich las einfach die Aura der Frauen ab, die meine magische Oase betraten. Jede Kundin, jede Braut hat mich bei meiner Arbeit inspiriert.
Stellen Sie sich vor: Schwebende, schwerelose Wolken aus feinstem Seidenchiffon, Georgette, Crêpe de Chine und Organza, Taft und Satin; Elfenbein, Puder, Creme und andere zarte Farbtöne … das Schimmern von glitzernden Steinen und das edle Strahlen von exotischen Blumen auf den Spitzen … Die Variationen der Kombinationen sind unendlich wie das Universum. Mein Atelier war eine wahre Oase aus Seide und Spitzen. Viele träumten davon, hierher zu kommen. Ich erinnere mich daran, wie junge Mädchen fast jeden Tag ihre Nasen gegen die Schaufenster drückten, um sich zumindest durch das Glas wie eine echte Prinzessin zu fühlen. Einige Frauen haben mir erzählt, dass sie gerne die Kleider anprobieren würden, ohne überhaupt zu heiraten. Ich kann sie verstehen. Ein Hochzeitskleid ist magisch, ein Märchen, es raubt einem den Atem.
Nur jetzt begreife ich, dass es meine Mission war, eine Brücke zwischen allen Emotionen und dem Handwerk zu sein.
Ich habe meinen Mitarbeitern und Kollegen immer gesagt: „Wir machen keine Kleider, wir erschaffen Gefühle. Wir kreieren Emotionen.“ Meinen Bräuten gab ich oft den Tipp bei der Suche nach einem Brautkleid nicht die Kleider miteinander zu vergleichen, von der Ausschnittform oder den Details der Stoffe her. Sie sollen vielmehr auf ihre Gefühle achten, auf alle Facetten der Emotionen, die zum Vorschein kommen, wenn sie das Kleid tragen.
Im Laufe der Arbeit im Atelier habe ich fast 3000 Bräute verheiratet. Ich erinnere mich an alle ihre Gesichter, ihr Lächeln, ihre Tränen des Glücks. Mit der Zeit wurde mir die untrennbare, tiefe Verbindung zwischen den Emotionen meiner Bräute und der physischen Materie in Form von Seide bewusst.
Kilometer Stoff, unzählige Steine und Bänder und immer wieder Lächeln und Glückstränen. So wurde mein Leben gemessen. Ich bin allen meinen Bräuten sehr dankbar für ihr Vertrauen und ihre Gefühle. Mein Atelier bewahrt die Magie jedes Augenblicks der Auswahl eines Kleides. Vielen Dank an jede von Ihnen für diese ungemein kraftvolle, weibliche Energie, die mir bei jeder Hochzeitskollektion als Muse diente.
Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, ein Buch über meine Erfahrung in einem Brautmoden-Atelier zu schreiben. Ich habe nie versucht, alle Geschichten zu notieren, um diese in Erinnerung zu behalten. Ich war in jeder einzelnen Geschichte eine stille Beobachterin und zugleich Mitspielerin. Ich war ein Teil jeder einzelnen Geschichte, jeder einzelnen Frau, die auf diese Art und Weise in mein Leben getreten ist.



1. JANINE


Das Telefon klingelte. Die Stimme der Frau in der Leitung klang ruhig und selbstbewusst. Ihre Ruhe überraschte mich. Ich erlebe Bräute meistens aufgeregt und von Emotionen überwältigt.
„Mein Name ist Janine. Ich hätte gern einen Termin in Ihrem Atelier. Ich interessiere mich für ein bestimmtes Kleid.“
„Nun“, sagte ich, „welche Zeit ist für Sie für eine Anprobe günstig? Unter der Woche oder vielleicht am Samstag?“ Ich schlug nach freien Terminen im Kalender nach.
„Ich bin in einer Stunde da“, antwortete die Stimme kompromisslos und legte auf.
Diese Stunde verging fast augenblicklich. Ich hatte kaum Zeit, die Anprobe für eine frühere Kundin rechtzeitig abzuschließen.
Eine schlanke und außergewöhnlich attraktive Frau von ca. 40 Jahren betrat das Atelier. Ihr ganzes Auftreten strahlte Luxus aus. Der berauschende Patschuli-Duft ihres Parfums breitete sich sofort im Raum aus und das anmutige, gemessene Klackern der Absätze schien im Rhythmus ihres Herzens zu klingen. Sie warf beiläufig ihren pastellfarbenen Kaschmirmantel ab. Ich bemerkte, mit welcher Eleganz sie gekleidet war: Eine Seidenbluse und eine enge, kastanienbraune Hose mit perfektem Schnitt unterstrichen ihre schlanken Formen. Vom luxuriösen Look dieser unglaublichen Frau war ich aufrichtig hingerissen. Zweifellos war sie ein echter Diamant, der es wert war, von allen bewundert zu werden.
„Kaffee, Wasser oder Crémant?“, bot ich an.
„Wasser, bitte.“
Als ich zurückkam, stand die wunderschöne Blondine bereits in einem Hochzeitskleid vor dem Spiegel. Normalerweise helfe ich meinen Bräuten immer beim Anziehen des Kleides. Im Fall von Janine lief es anders ab. Eine selbstständige Braut, die genau wusste, was sie nicht nur vom Kleid, sondern auch vom Leben wollte. Meistens nehmen sich Bräute viel Zeit, um „das Kleid“ zu finden. Die Anprobe dauert mindestens eine Stunde und während dieser Zeit werden durchschnittlich zehn Kleider anprobiert. Es kommt oft vor, dass die Entscheidung nach stundenlanger Anprobe doch auf das erste Kleid fällt.
Ich persönlich sah Janine als Femme Fatale, in einem figurbetonten Kleid, mit einem tiefen Dekolleté oder extravaganten Ausschnitten. Doch das Kleid, das sie gewählt hatte, hinterließ mich sprachlos. Es war ein zartes Kleid im Empire-Stil, hochgesetzte Taille, mit einem Satinband unter der Brust, pure Romantik mit weichen Puffärmeln, in feinster Spitze und mit einer mädchenhaften Silhouette.
Janine ließ ihre Haare fallen und war augenblicklich ganz verwandelt. So weich, zart, charmant, verletzlich. Ich war verwirrt.
„Das ist mein Kleid“, sagte sie.
„Wollen Sie nicht noch andere Kleider ausprobieren? Wir haben viele aufregende Modelle in der aktuellen Kollektion!“
„Nein, ich bin gekommen, um dieses Kleid zu kaufen.“
Meine Welt war erschüttert! Eine Braut, die das erste und einzige Kleid wählt, ohne ihre Entscheidung auch nur eine Sekunde lang anzuzweifeln? Unglaublich. Unmöglich.
In der Zwischenzeit rückte das Hochzeitsdatum von Janine immer näher. Jeden Tag wartete ich darauf, dass Janine anrief, um einen Anprobe-Termin zu vereinbaren. Aber sie hatte es überhaupt nicht eilig. Nun, es war offensichtlich, dass diese Braut Charakter hatte. Ich war mit den Anproben und Vorbereitungen von anderen Kunden gut beschäftigt, aber ich hatte die Vorahnung, dass diese selbstbewusste Schönheit wieder genauso unerwartet in meiner Boutique auftauchen würde, wie beim ersten Mal.
Und genauso geschah es. Der atemberaubende Duft ihres Parfums breitete sich augenblicklich raumfüllend aus.
„Bis zu Ihrer Hochzeit bleibt nur noch eine Woche!“ Ich blickte sicherheitshalber nochmal in den Kalender, um den Termin zu kontrollieren.
„Das stimmt, aber ich habe es nicht eilig. Ich habe die Zeremonie um einen Monat verschoben!“
Janine strahlte. Ihre Haare fielen in sanften Wellen um ihr schönes Gesicht, ihre Augen funkelten und ein leichtes Lächeln verließ nie ihre Lippen. Sie setzte sich anmutig auf das Sofa und begann ein kaum hörbares Gespräch mit Katrin, der Schwester einer Kundin, die für deren Anprobe mitgekommen war. Ich beendete die Anpassung des Brautkleides für Katrins Schwester und wollte gerade den Damen Kaffee anbieten, als ich plötzlich einen Satz hörte, der mich wie aus einem Traum riss.
„Ich habe nicht nur das Datum der Hochzeit, sondern auch den Bräutigam geändert“, sagte Janine zuversichtlich und lachte fröhlich.
Im Raum wurde es plötzlich sehr still. Einige Sekunden lang traute sich keine von uns, diese ungeschickte Pause zu unterbrechen, da keine verstand, ob das Gesagte ein Scherz war oder nicht. Janine schloss verträumt die Augen, es schien, als würde sie in den schönsten Erinnerungen versinken und ihr Publikum völlig vergessen.
Nach ein paar Augenblicken sagte sie:
„Ich heirate den Mann meines Lebens, er ist meine große Liebe. Wir kennen uns seit über 15 Jahren, aber wir waren die letzten drei Jahre nicht mehr zusammen. Wir haben so viele Höhen und Tiefen gemeinsam erlebt, aber ich sah ihn immer als meinen zukünftigen Ehemann, selbst als wir uns trennten. Ich wollte ihn nur eifersüchtig machen. Ich musste mir eine schöne Hochzeitsgeschichte einfallen lassen. Ich war wie besessen. Ich musste ihn unbedingt dazu bewegen, mich auch als seine zukünftige Frau zu sehen. Ich schrieb Beiträge auf Instagram und Facebook, zeigte die Auswahl eines Hochzeitskleides … Er hat das alles beobachtet. Und es hat funktioniert!“, sagte sie triumphierend.
„Er begann, sich erneut um unsere Beziehung zu bemühen und bald heiraten wir wirklich!“
Janines Geschichte kam mir lange nicht mehr aus dem Kopf. Was bewegt Frauen zu so einer klaren, obwohl oft unbewussten Erkenntnis? Zu sagen: „DAS IST ER, die Liebe meines Lebens. Das Schicksal. Das Universum.“ Werden sie von ihrer Intuition oder vom Herz geführt?
Mir wurde in diesem Moment klar, dass es mit der Wahl des Kleides ist wie mit der Wahl eines Mannes. Manchmal siehst du in einem Kleid wunderschön aus, elegant, großartig, nett, oder gut. Aber nicht wie du selbst. Und dann findest du dein Kleid und du findest dich darin. So ist es wohl auch mit der Liebe. Es kann ein toller, einfühlsamer, wunderbarer Mensch an deiner Seite sein, aber eben nicht dein Mensch. Manchmal kannst du aber gar nicht in Worte fassen, warum du jemanden liebst, nur, dass es genau derjenige ist, mit dem du einfach du selbst sein kannst.
Und dann ist die ewige Suche zu Ende und es braucht keine weiteren „Anproben“ mehr.
Wenn die Seele in einem glücklichen Flug ist, gibt es einfach keinen Platz für Zweifel und lange Gedanken. Es ist auch meine Aufgabe als Künstlerin, meinen Bräuten zu helfen, die Flügel auszubreiten und ihren Träumen nachzufliegen.



2. KATRIN


Katrin, die Schwester einer Kundin, war unglaublich bewegt von Janines Geschichte. Sie sprang auf und umarmte Janine fest, als ob sie nie wieder loslassen wollte. Sie war offensichtlich von ihrem Glück zutiefst gerührt.
Katrin war ein ganz anderer Frauentyp. Sie war eher klein und hatte schöne, feminine Rundungen. Ihre großen, blonden Locken umrahmten ihr frisches Gesicht und ihre Wangen leuchteten zart rosig.
„Bist du auch verheiratet?“ Janine lächelte und hob leicht fragend die Augenbrauen.
„Bald nicht mehr“, antwortete Katrin verlegen. Sie schien sich etwas in sich zurückzuziehen, ihre Schultern rundeten sich leicht und sie senkte den Kopf.
„Meine Hochzeit war erst vor drei Monaten und jetzt lassen wir uns scheiden“, fuhr sie fort. Katrin schien so abwesend und gleichzeitig verträumt, als ob sie in einer anderen Realität
wäre.
Sie lächelte geheimnisvoll und spielte mit den Falten ihres fließenden Plisseerocks. In ihrer Aufregung ähnelte sie einem kleinen, verschmitzten Mädchen, das gerade einen Unfug angestellt hatte.
„Sechs Monate vor der Hochzeit traf ich den Mann meiner Träume. Mir wurde klar, dass mein Verlobter und ich nicht für immer zusammen sein würden.“

Katrins Satz über ihre bevorstehende Trennung hallte in meinem Kopf wider. Ich konnte mein Erstaunen natürlich nicht zurückhalten, starrte sie an und wartete auf die Fortsetzung der Geschichte. Nach einer kurzen, etwas verlegenen Pause ihrerseits fragte ich dann:
„Katrin, hast du diesen Mann geheiratet, obwohl du wusstest, dass dieser Mann nicht dein Schicksal ist?“ Ich war fassungslos.

„Es war mir von Anfang an klar, dass es nicht für immer ist. Es kam aber eines nach dem anderen, die Hochzeitsvorbereitungen verliefen in vollen Zügen, es war so aufregend … Ich wollte meine Familie und Freunde nicht enttäuschen, alle freuten sich doch so darauf!
Es war mir auch so wichtig, mindestens einmal im Leben ein weißes Kleid zu tragen, von dem ich seit meiner Kindheit geträumt hatte. Und ja, ich habe auch aus Statusgründen geheiratet. Wer weiß, Mädels, ob ich je wieder einen Antrag bekomme? Geschieden zu sein bedeutet mehr Prestige, als niemals verheiratet gewesen zu sein. Oder?“

Ich habe sehr lange über Katrins Worte nachgedacht. Tatsächlich bedient und pflegt die moderne Gesellschaft Klischees. Eine Frau über 40 erscheint wie eine Verliererin, wenn sie noch nie im Standesamt war. Nicht schön genug, nicht klug genug, nicht gut genug … Es stimmt eindeutig etwas nicht mit ihr, wenn niemand sie heiraten will. Und immer wieder kommt die Frage: „Wann ist es denn endlich so weit?“ Egal wie scharf die Antworten sind, das Herz jeder einzelnen Frau zieht sich bei dieser Frage zusammen. Unter einem solchen gesellschaftlichen Druck zu leben ist nicht einfach. Männer hingegen haben nichts zu befürchten. Mit 30, 40, 50 Jahren sind sie trotzdem begehrenswerte Junggesellen. Es ist sogar unbestreitbar ein Bonus, wenn sie keine Vorerfahrungen in einer Ehe und auch keine Unterhaltszahlungen zu leisten haben. Ein James Bond würde nicht so eine magnetische Anziehungskraft haben, wenn er als verheirateter Mann dargestellt worden wäre!
Katrin hatte Recht. In der Tat ist es besser, sich dreimal scheiden zu lassen, als nicht einmal zu heiraten.
Es hat lange gedauert, bis ich diese Idee akzeptiert habe. Alles in mir protestierte dagegen. Wie kann das sein? Jede Frau träumt davon, dass ihre Ehe ein Leben lang hält, aber das Leben selbst ist unvorhersehbar. Ich habe damals überlegt, diese Worte an den Wänden meiner Boutique festhalten. Etwas später ließen die Emotionen nach und ich entschied mich, alles zu lassen, wie es ist.

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