Einmal Kuba und zurück

Einmal Kuba und zurück

Petra Reinoso


EUR 17,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 278
ISBN: 978-3-99107-728-2
Erscheinungsdatum: 19.08.2021
Mit 16 lernt Petra Raul aus Kuba kennen. Bald entpuppt er sich als gewalttätig und kontrollierend. Trotzdem bekommen sie einen Sohn, heiraten und wandern nach Kuba aus. Dort wartet ein entbehrungsreiches Leben. Petra beschließt, um ihre Freiheit zu kämpfen.
Kapitel 1

Es ist fünf Uhr morgens, heute ist mein erster Tag der Ausbildung, mir graut vor diesem Neuanfang, aber er bringt mich wenigstens meinem Erwachsendasein etwas näher. Ich bin ja kein Frühaufsteher, aber so ist nun mal der Lauf des Lebens eines anständigen Mädchens. So zumindest wollen das meine Eltern, dass sie sagen können, ihre Tochter ist gut erzogen und hat die Schulausbildung erfolgreich beendet. Meine Mutter ist auch schon auf und kocht gerade Tee. Ich öffne die Augen und blicke in die von Neonlicht hell erleuchtete Küche, das Radio brummelt leise vor sich hin und berichtet gerade über das heutige Regenwetter an diesem Tag, dem 1. September des Jahres 1979, und da höre ich auch schon die Stimme meiner Mutter, die mich wieder ermahnt, damit ich meine Geschwindigkeit steigere, da wir auch denselben Arbeitsweg zur selben Zeit haben. „Petra, beeil dich, geh ins Bad, bevor dein Vater aufsteht! Am ersten Tag und dann gleich zu spät kommen …“ „Ja, ich geh ja schon!“
Diese Ausbildung war nicht mein Traumberuf, zu gerne wäre ich Stewardess geworden. Doch eine Ausbildung als Stewardess bekam man in der DDR nur mit guten Beziehungen zu denen, die was zu sagen hatten und mit einer absoluten sauberen Weste. Ich hatte weder gute Kontakte noch eine saubere Weste. Mein Vater ist in der BRD, in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen und er war Leistungsturner. Als er sich im Jahre 1956 bei einem Turn- und Sportfest in meine Mutter aus Leipzig verliebte und sie dann auch heirateten, errichtete man eine Mauer. Die Liebe ließ ihn dann auf der eingemauerten Seite verbleiben und somit war er ein Bürger der DDR. Für ihn gab es kein Zurück mehr in seine Heimat, nicht einmal einen Blick über die Mauer konnte er werfen. Seine Familie war natürlich weiterhin in Frankfurt am Main und somit war er ein Staatsfeind und vielleicht würde er ja mit seiner jetzigen Familie – meine Mutter, meine Schwester Maria und mir – die Seiten wechseln wollen, das jedenfalls wurde ihm stets unterstellt und die Schnüffler taten ihr Übriges, um die ganze Familie im Zaume zu halten. Da war es natürlich ausgeschlossen, dass ich eine Ausbildung zur Stewardess machen konnte. Die Tochter des Staatsfeindes über den Wolken mit unvermeidbaren Zwischenlandungen im westdeutschen Ausland. Ja, ich hätte mich abgesetzt, schließlich kannte ich die Familie meines Vaters und die waren so unglaublich lieb, ich hätte es da überhaupt nicht schwergehabt, irgendwie Fuß zu fassen. Aber dennoch, ich hatte das zum Zeitpunkt des Berufswunsches nicht vor. Ich liebte ja meine Heimat trotz aller Umstände. Ich wollte nur die Welt sehen, warme Länder, kalte Länder, über den Wolken sein, den Duft der Fremde schnuppern, im Flugzeug mal im Cockpit sitzen und Fremdsprachen lernen. Nun, es kam anders und ich begann eine Ausbildung bei der Post.
Mein erster Tag war gar nicht so schlimm, viel musste ich nicht machen, wie das eben so üblich ist am ersten Tag. Nur so organisatorisches Zeug, was man so alles braucht in der nächsten Zeit und so. Ich hatte mich auch gleich mit den neuen Mädchen angefreundet. Dabei hatte ich nie Probleme. Ich war sehr kontaktfreudig und es waren wirklich einige sympathische Mädels dabei.
Geschafft, die erste Woche war rum: endlich Wochenende. Anna, meine Freundin, kam vorbei und wir verabredeten uns für den Abend zur Disco. Meine Eltern mochten sie nicht, weil sie schon 19 Jahre alt war und auch schon ihr eigenes Leben führte. „Hey Petra, kennst du die neue Disco im nächsten Stadtteil? Ich war letzte Woche dort, die Musik ist sehr gut und samstags geht es bis 00:30 Uhr und tolle Jungs gibt es da auch noch.“ „Nein, kenne ich nicht, aber ich werde sie heute kennenlernen. Wann wollen wir los? Oje, was soll ich anziehen? Ach ja, ich weiß, meine neue rote Hose, nur was dazu? Ich will nicht aussehen wie eine 14-Jährige, sonst muss ich wieder meinen Ausweis zeigen.“ „Kein Problem, komm vorher zu mir, ich leih dir meine schwarze Bluse, die macht was her und schminken kannst du dich auch bei mir.“ „Okay, also bis dann, bin um sieben bei dir.“ Was für eine Freude, der Abend war gerettet! Jetzt noch meine Eltern fragen. „Ach, wäre ich doch schon 18 Jahre, da müsste ich nicht fragen und große Erklärungen abgeben und ich müsste auch keine sekundengenaue Zeit über meine Rückkehr angeben, die ich dann ohnehin nicht einhalte. Egal, dann bekomme ich eben meine Bestrafung von meinem Vater und muss wieder viel Prügel einstecken, Hauptsache der Abend war gut.“
Zum ersten Mal war ich in so einer Diskothek in welcher die Lichter nicht schon 21:00 Uhr ausgingen, nein, besser gesagt, angingen. Die Musik war wirklich sehr gut. Es liefen die Smokies, die Rubettes, Suzi Quatro, Santana – endlich konnten wir mal zu unserer Lieblingsmusik tanzen, die wir sonst nur heimlich auf Radio Luxemburg hörten. Anna und ich waren ein sehr gutes Team beim Tanzen, sie übernahm immer die Führung und auf diese konnte ich mich wirklich verlassen. Da wir dabei stets viel Platz brauchten, wir tanzten Foxtrott, was der Hit war, zogen wir auch die ungeteilte Aufmerksam auf uns. Ohne dass ich damals wusste, sollte dieser Abend über mein weiteres Leben entscheiden. Es waren unerwartet viele Leute da. Was jedoch sehr ungewöhnlich war, war, dass sehr viele junge Kubaner da waren. Sie sahen wirklich gut aus, so knackig, so rassig und die braunen Augen und was für schöne und dunkle Haare sie hatten. Sie hatten einen Blick, der alles zum Schmelzen brachte, zum Verlieben. Sie sahen aus, als hätten sie auch gleich die Sonne Kubas mitgebracht: voller Fröhlichkeit mit einem strahlenden Lächeln. Die pure unbeschwerte Lebensfreude voll Temperament und Rhythmus. Sie waren irgendwie ständig in Bewegung zur Musik – egal ob sie saßen oder standen. Schnell nahmen wir den Blickkontakt auf und mein Blick blieb bei ihm hängen. Ich konnte gar nicht mehr wegschauen, diese schöne braune Haut und die dunklen Locken. Seine Ausstrahlung faszinierte mich wie Magie. Viel Zeit ließ er nicht verstreichen. Er kam direkt auf mich zu.
„Hallo, schöne Tänzerin, ich bin Raul, tanzen wir den nächsten Tanz zusammen?“ Wie er das sagte mit seinem Akzent, das klang so hinreißend und diese Augen, sein strahlendes Lächeln mit seinen wunderschönen Zähnen, die aussahen wie Südseeperlen, schon da war es um mich geschehen. „Ja, gern und ich heiße Petra“, sagte ich schüchtern. Es war natürlich äußerst schwierig, bei der diskoüblich lauten Musik eine Unterhaltung während des Tanzens zu führen, aber dafür konnten wir uns riechen und anfühlen – und das war ohnehin mehr als jedes gesprochene Wort. Er fühlte sich so männlich an. Auf die Musik konnte ich gar nicht mehr hören, so sehr war ich in Gedanken. Ein richtiger Mann, der so viel Wärme ausstrahlte und mich regelrecht dazu einlud, ihn sofort zu küssen. Wenn ich auch ansonsten ein ziemlich loses Mundwerk hatte, aber in Sachen Jungs war ich schüchtern und unerfahren. Wir verbrachten den Abend nun gemeinsam und wenn wir nicht gerade tanzten, gesellten wir uns zu seinen Landsleuten, wo wir zusammen Havanna Club mit Cola tranken. Es stellte sich heraus, dass er mit seinen Kollegen seit drei Monaten in der DDR ist, um eine vierjährige Ausbildung zum Mechaniker zu machen. In Kuba wurde dieser Beruf sehr gebraucht, es gab jedoch dafür keine Ausbildungsmöglichkeiten und die DDR hatte ein Abkommen mit Cuba, das erlaubte, sie in unseren einheimischen Unternehmen auszubilden.
Der Abend neigte sich dem Ende zu und unsere Wege mussten sich vorerst wieder trennen. Wir standen bereits draußen. Er küsste mich nun das erste Mal zum Abschied. Warme, weiche Lippen ruhten auf meinen und es dauerte eine Ewigkeit. Dieser Kuss sollte doch nie enden. Meine Güte war das toll und dieser angenehme Geruch, diese Wärme, ich hätte ihn am liebsten nie mehr losgelassen. „Wo wohnst du?“, fragte er. Da ja kaum jemand Telefon in der DDR hatte, gab ich ihm meine Adresse und sagte. „Besser wir treffen uns wo anders, da ich sonst ganz sicher mit meinen Eltern Ärger bekomme, wo wohnst du denn?“ Er gab mir seine Adresse, er wohnte in einem Wohnheim zusammen mit seinen Kollegen. „Kann ich dich morgen treffen?“ „Ja, gern“, sagte ich und wir verabredeten einen Treffpunkt für den nächsten Nachmittag. Es war schon sehr spät bereits ein Uhr, viel zu spät und der Ärger mit meinem Vater war mir jetzt schon sicher. Aber das war nun auch nicht mehr zu ändern, in meinem Kopf war jetzt nur Raul und dafür nahm ich den Ärger gerne Kauf. „Komm Petra wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir die letzte Straßenbahn und die nächste fährt erst vier Uhr morgens!“ Wir hatten Glück, aber dennoch lag noch eine halbe Stunde Fahrweg vor uns.
„Und“, sagte Anna, „habt ihr euch verabredet? Ich hoffe doch, dass du ihm nicht einen Korb gegeben hast.“ „Ja, haben wir. Wir treffen uns morgen, aber ich weiß noch nicht,wie ich morgen von zu Hause wegkommen soll, da ich heute Nacht sowieso für die nächsten drei Wochen Hausarrest bekomme. Aber irgendwas wird mir schon einfallen und wenn ich abhaue. Ich will Raul unbedingt wiedersehen und wenn ich morgen nicht zum Treffen komme, denkt er doch sicher, dass ich gar kein Treffen möchte und ich hätte das nur so gesagt.“ Plötzlich machte sich in mir Panik breit. Ich war sicher, das, was ich gerade ausgesprochen hatte, würde ganz bestimmt so eintreffen. Dazu kannte ich meinen Vater zu gut. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr heimgegangen, um dann am nächsten Tag auch ganz sicher zu unserer Verabredung gehen zu können. Ich musste Raul unbedingt wiedersehen. „Du wirst dir das doch nicht gefallen lassen, du bist bald 17 Jahre und hast bereits eine Berufsausbildung angefangen, da stehst du doch quasi schon auf eigenen Beinen!“ „Du kennst ja meinen Vater, er verbietet mir doch einfach alles und heute Abend konnte ich auch nur weg, weil ich gesagt habe, die Disco sei um 21 Uhr zu Ende und anschließend komme ich gleich heim. Wenn er wüsste, wo die Disco ist, wäre er doch schon längstens gekommen und hätte mich da rausgeprügelt.“ Meine Gedanken kreisten nun leider nur noch darum, die Realität hatte mich schnell wieder eingeholt. Für mich war klar, es wird das erste und auch das letzte Mal gewesen sein, dass ich in einer Disco war, die länger als bis 21 Uhr geöffnet hat. Mein Vater hatte mir beigebracht, meinen Kopf gesenkt zu halten und gehorsam zu sein, anderenfalls wurde ich bestraft. Erreicht hatte er damit, dass ich rebellisch wurde und im Außen nicht den Kopf gesenkt halten wollte. Ich musste so schnell wie möglich 18 Jahre werden, dann war ich volljährig und konnte machen, was ich wollte. Meine Schwester Maria war bereits in diesem Jahr 18 geworden und einen Monat später hatte sie ihren langjährigen Freund geheiratet und war zu Hause ausgezogen. Ich beneidete sie so sehr darum. Sie wohnte zwei Minuten zu Fuß von uns und ich war sehr oft bei ihr. Das war jedes Mal ein gutes, wenn auch kurzes, Freiheitsgefühl. Wenn ich bei ihr war, ließen mich meine Eltern in Ruhe, weil sie meiner großen Schwester vertrauten. Ich rauchte dann heimlich bei ihr, denn auch das durfte ich natürlich nicht, wir tranken süßen Rotwein dazu und anschließend putzte ich gründlichst die Zähne und ging wieder heim.
„Ich wünsch dir viel Glück und lass dir nicht alles gefallen, sieh einfach zu, dass du deinen Traumprinzen morgen triffst, du musst mir dann unbedingt auch erzählen, wie es war.“ Sie stieg aus und ich musste noch zwei Stationen weiterfahren. Ich wollte nur zu gern die Gedanken verdrängen und versuchte ständig, mir das Bild von Raul ins Gedächtnis zu holen, um das gute Gefühl noch mal zu spüren. Es war ein Auf und Ab in meinem Kopf. Könnte ich doch einfach nur ganz normal mit meinen Eltern reden und ihnen einfach erzählen, wo ich war und was ich erlebte. Nur allzu sehr wünschte ich mir das Verständnis von ihnen und alles wäre viel einfacher und harmonischer und ich hätte so auch nie das Gefühl gehabt, nur endlich von zu Hause zu fliehen, einfach weg – und zwar für immer. Ständig diese Bevormundung, diese sinnlosen Auseinandersetzungen, dieses Misstrauen. Aber wie sollte das auch gehen, wenn doch meine Eltern auch miteinander so umgingen: Ständig stritten sie sich und brüllten sich hässliche Dinge an den Kopf, bis dann mein Vater zu guter Letzt auf meine Mutter einprügelte. Mein ganzes bisheriges Leben mussten wir, meine Schwester und ich, das mit ansehen. Eines wusste ich ganz sicher, wenn ich selbst Kinder hätte, würde ich niemals so zu ihnen sein. Zu Hause angekommen, steckte der Schlüssel von innen in der Wohnungstür, damit mein Vater auch wirklich wach werden musste, wenn ich nach Hause. „Wo kommst du denn so spät her? Von wegen 21 Uhr zu Ende, wo warst du? Das hat Konsequenzen.“ Während er brüllte kamen auch die Schläge. Ich dachte nur, wenn Raul das jetzt wüsste, er wäre sicher entsetzt. Ich hoffte nur, es lohnt, sich das jetzt einzustecken. „Geraucht hast du auch.“ Und auch dafür schon wieder Schläge „Ich will wissen, wo du warst, wo hast du dich rumgetrieben, du Schlampe?“ Ich und eine Schlampe, wo ich doch wirklich anständig war, wäre ich doch nur nicht nach Hause gekommen. Wenn er schon denkt, dass ich eine Schlampe bin, dann sollte ich doch wenigstens meinem Ruf gerecht werden. Am liebsten hätte ich ihm das an den Kopf geworfen, aber das hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt. „Ich war bei Anna und wir haben Monopoly gespielt und ich habe vergessen, auf die Uhr zu schauen“, log ich. „Lüg’ mich nicht an, von wegen vergessen, auf die Uhr zu schauen, und außerdem habe ich dir den Umgang mit ihr verboten. Die nächsten drei Wochen hast du Hausarrest, dass das klar ist.“ Ich war kurz vor einem Anfall vor Entsetzen. „Das ist Freiheitsberaubung“, schrie ich ihn an. „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, wird gemacht, was ich sage.“ Das war sein Lieblingsspruch, dabei wollte ich ja gar nicht meine Füße unter seinen Tisch stellen, ich war ja regerecht dazu gezwungen und das schon seit 16 Jahren, was blieb mir denn anderes übrig. Dann durfte ich abtreten und so ging ich ins Bett. Das Gebrüll, die Prügel lagen nun erst mal hinter mir – das war nun erledigt. Mit der Zeit gewöhnte ich mich auch daran. Immer wieder dachte ich, wie sehr ich doch meine Freundinnen um ihre verständnisvollen Eltern beneidete und dass diese nicht so einer Härte ausgesetzt waren. Sie konnten zu Hause mit ihren Eltern über fast alles reden. Meine Mutter hatte leider auf die Erziehungsmaßnahmen meines Vaters keinen Einfluss und was er einmal aussprach, wurde konsequent durchgezogen. Am nächsten Tag war die übliche Hausarbeit angesagt, na ja an diesem Tag im übertriebenen Maße, da hatte sich mein Vater immer was sehr Zeitintensives ausgedacht, damit ich auch wirklich bereute. Ich bereute aber gar nichts, im Gegenteil. Hausarbeit machte mir nichts aus und außerdem dachte ich nur an Raul. Nur dass mir in keinster Weise einfiel, wie ich denn nun aus dem Hause käme. Ich erfand, dass ich noch zu meiner Freundin müsste, konnte aber keinen glaubwürdigen Grund dafür liefern. Zu meiner Schwester durfte ich auch nicht. Es hieß: „Nein!“. Jeder Versuch war zwecklos. Ich konnte nicht raus und traute mich auch nicht, einfach abzuhauen, ich hatte den Mut nicht und wie hätte ich es auch machen sollen, ich wollte so schnell nicht wieder eine Tracht Prügel einstecken. Es ging einfach nicht. Raul stand jetzt sicher an unserem vereinbarten Treffpunkt und ich saß in meinem Zimmer. Es war zum Verzweifeln. Nur allein der Gedanke daran machte mich fast wahnsinnig. Endlich hatte ich mal eine Gelegenheit, einen Jungen kennenzulernen, und schon sollte ich ihn wieder loswerden. Das war es nun, den werde ich wohl nie wiedersehen. Ganze drei Wochen vergingen und ich durfte absolut keinen Schritt vor die Tür setzen. Nur zur Arbeit oder Berufsschule und auch danach musste ich sofort nach Hause. Alle meine Zeiten waren meinem Vater bekannt. Am wohlsten fühlte ich mich immer, wenn ich in der Arbeit oder in der Schule war. Es gab bei uns nur zwei Jungs in der Klasse, der Rest waren alles Mädchen. Meine Freundin Adele und ich standen uns schnell sehr nahe. Sie hatte sehr liebe Eltern und auch schon einen Freund, mit dem sie in ihrem Elternhaus ein und aus gehen konnte. Ich beneidete sie darum, wir verbrachten viel Zeit miteinander. Das war für mich ein willkommener Ausgleich. Anna konnte ich in den drei Wochen auch nicht treffen. Ich rief sie ab und zu von meiner Arbeitsstelle aus an, da gab es wenigstens ein Telefon, um ihr auch zu berichten, was geschehen war, und von ihr zu erfahren, was es sonst in der Außenwelt Neues gab.
„Ich war am Samstag wieder in der Diskothek und ich habe Raul gesehen. Ich habe ihm gesagt, dass dein Vater dich nicht gehen lassen hat, aber er sah nicht so aus als hätte er mir das geglaubt. Schau mal, er ist 22 Jahre, da kommt doch keiner auf die Idee, dass das so ist und vielleicht ist so was in Kuba auch überhaupt nicht üblich.“ Genervt antwortete ich: „Das verstehe ich nicht, wieso sollte ich das denn erfinden, so ein Blödsinn. Warum hast du ihm denn nicht mal gesagt, wo ich arbeite, dann hätte er vielleicht mal dahinkommen können.“ Ich war fassungslos, aber es kam noch schlimmer. „Ich konnte mich gar nicht groß mit ihm unterhalten.“ Wieso denn nicht, das ist doch wohl kein Problem, mal drei vier Sätze mit jemanden zu wechseln.“ „Petra, es sind zwei Wochen vergangen und er hat nichts mehr von dir gehört, er hatte eine andere bei sich, was hätte ich denn tun sollen?“ „Was, eine andere, das glaube ich nicht, ich drehe ihr den Hals um, ich muss unbedingt wieder dorthin, das will ich sehen und dann werden wir ja mal sehen, wer dann neben ihm sitzt. Die andere auf keinen Fall.“ Ich war kurz davor, zu platzen. „Sie sah aber wirklich nicht so aus, als würde man Lust verspüren, sich mit ihr anzulegen. Sie ist sicher auch älter als du und somit ist es für ihn wieder einfacher.“ Ich wurde immer kleinlauter, was sollte ich machen, einfach hingehen, sie packen und dann sagen: Mach Platz den habe ich zuerst kennengelernt? Das gibt’s nur im Film und was sollte dann Raul von mir denken. Irgendwie war ich trotzdem auch sauer auf ihn, aber er konnte ja nichts dafür, schließlich war er ja zu unserer Verabredung gekommen. „Anna, egal wie, aber am Samstag gehen wir wieder zusammen hin.“ „Ja okay, wir treffen uns am besten bei mir, sei 19 Uhr da und jetzt beruhige dich erst mal, aber mach dir nicht zu viel Hoffnung.“ Gut, dann bis Samstag 19 Uhr bei dir.“ Der Tag war für mich gelaufen, ich war traurig und gleichzeitig so wütend auf meinen Vater, dem ich das jetzt zu verdanken hatte. Mir reichte es, ich wollte mir das nicht mehr länger gefallen lassen und mir auch nichts mehr verbieten lassen. Ich war doch kein kleines Kind mehr. Ich würde Samstag gehen. Der Samstag rückte näher und auch ich sollte mal etwas Glück haben. Mein Vater war nicht da, heute war sein Skatabend. Mit meiner Mutter hatte ich kein Problem, sie war nicht so streng, allerdings wollte ich auch ihr nicht sagen, wohin ich wollte, denn sonst hätte es mein Vater aus ihr herausgeprügelt. Um 19 Uhr war ich bei Anna, wir machten uns zusammen fertig, Haare und schminken, und dann zogen wir los. Meine Aufregung stieg mit jeder Minute. „Hoffentlich ist er auch da, ich bin so gespannt.“ „Klar ist er da, das war er ja in den letzten Wochen auch.“ Wir hatten Mühe, überhaupt reinzukommen, da auch diesmal wieder viele Leute da waren. Am Eingang blieb ich erst mal stehen, meine Augen kreisten durch den ganzen Saal. „Siehst du ihn?“ „Nein, ich sehe ihn nicht, verdammt ich habe es doch geahnt, ausgerechnet heute ist er nicht da.“ „Mensch, Petra, es ist doch noch früh, er kann ja immer noch kommen und sollte er doch nicht kommen, dann wirst du uns hoffentlich nicht den ganzen Abend versauen, ich will Spaß haben auch ohne ihn, da musst du eben durch.“ „Ja doch, ich habe mich schließlich nicht umsonst so aufgebrezelt.“ Aber im Innersten dachte ich etwas anderes, ich hatte mich nur aus einem einzigen Grund so aufgebrezelt. Ich hatte meine schulterlangen braunen Haare offen, sie fielen alle in einer Länge und meine blauen Augen strahlten nur so, da ich ordentlich Wimperntusche, die wir üblicherweise mit schwarzer Schuhcreme gestreckt hatten, auf meine langen Wimpern aufgetragen hatte. Meine Augen habe ich meinem Vater zu verdanken und auch meine dunkelbraunen Haare. Tja, wenigstens etwas Positives von ihm. Aber schlussendlich wollte ich auch etwas älter als 16 Jahre aussehen, was aufgrund meiner eher mageren Figur nicht einfach war. Die Musik war gut und wir tanzten auch schon eine Weile – von Raul jedoch immer noch keine Spur. Ich war in schlechter Stimmung, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen. Ich sah auch einige Kubaner, aber Raul war nicht dabei. So ein Mist, ich konnte doch unmöglich die anderen nach ihm fragen, das war mir unangenehm. Ich hoffte aber immer noch, dass er noch käme, außerdem war es ziemlich dunkel und vielleicht hatte ich ihn ja nur noch nicht entdeckt. Das war es, genau. „Komm, wir schauen uns mal bisschen um, wir wollen ja auch schließlich gesehen werden.“ „Da ist sie.“ „Wer?“ „Na die andere, und wenn die da ist, dann ist Raul sicher auch nicht weit.“ „Was, wo?“ „Da hinten an dem großen Tisch.“ Bevor Anna weitersprach, sah ich auch schon Raul gerade an den Tisch herankommen, um sich zu setzen. „Oje, hast du es auch gerade gesehen?“ „Ja, verdammt, diese blöde Kuh und wie sie aussieht, wie ein Mann. Ich denke, ich sehe tausendmal besser aus, was will er denn mit so einer, na gut umso besser für mich, aber was machen wir jetzt?“ „Wir gehen jetzt einfach hin oder nur vorbei, damit er dich sieht.“ „Nein um Himmels willen, das ist ja peinlich.“ „Was willst du denn sonst machen, willst du warten, bis sie ihn wieder vereinnahmt?“ „Na gut, oje mein Herz rast, ich kann das nicht.“
5 Sterne
Einfühlsam und authentisch  - 05.10.2021
Kurt Rose

Sehr einfühlsam und authentisch reflektiert Petra Reinoso in ihrem Roman "Einmal Kuba und zurück" die Lebensweise und Mentalität der Kubaner sowie die furchterregenden Charaktereigenschaften ihres Partners. Das Lesen dieses Buch hat mir einige nachdenkliche Stunden bereitet. Viele ihrer Eindrücke vom Leben der Menschen auf Kuba konnte ich dank mehrerer Reisen nach Kuba vor und nach der Wende nachvollziehen. Einige meiner Erlebnisse auf Kuba erzähle ich in meinem Buch "Schattenspringer auf Kreuzfahrt", das in Kürze auch beim Novum-Verlag erscheinen wird.

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