Burk der Neandertaler - Wolfskönigin Ardak

Burk der Neandertaler - Wolfskönigin Ardak

und andere Geschichten

Hans-Jürgen Hennig


EUR 11,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 104
ISBN: 978-3-99131-067-9
Erscheinungsdatum: 11.05.2022
Zurück in die Steinzeit? Für die einen ein Horror, für die anderen ein Traum. Nach einer globalen Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes muss sich eine Handvoll Überlebender mit einfachen Mitteln bewähren und ihren Platz in der Natur wiederfinden.
Ardak, die Wolfskönigin

Erdan begann zu erwachen. Ganz langsam schlich sich der neue Tag in sein Bewusstsein. Zuerst nahm er den Duft von frischem Brot wahr und dann etwas Rauch vom Feuer. Er kniff die Augen zusammen und wollte eigentlich weiterschlafen, aber ein leises Kichern ließ seine Sinne aufmerksam werden.
Er hörte das Feuer knistern und dann, wie Vater und Mutter leise lachten.
Erdan blinzelte zu ihnen hinüber und sah, wie seine Eltern genüsslich ihren Tee tranken und amüsiert zu ihm schauten. Die Mutter hielt sich kichernd die Hand vor den Mund.
Etwas verwundert folgte Erdan ihren Blicken. Als er dann auf sein Schlaffell schaute, brummte er unwirsch und drehte sich ruckartig auf die Seite. Blut schoss ihm in den Kopf, weil die Eltern wohl sahen, dass er gerade einen süßen Traum gehabt hatte.
Da tauchten auch schon die letzten Bilder seines Traumes wieder in seinem Kopf auf; der Wolf und dieses wunderschöne Mädchen. Er versuchte die Bilder festzuhalten, aber je mehr er sich bemühte, desto schneller verflogen sie in einem dichten Nebel.

Die Mutter kicherte immer noch, und als Erdan sich endlich aufsetzte, fragte der Vater mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Hattest du einen sehr schönen Traum?“

Erdan schaute erst verlegen, rieb sich die Augen und brummte leise: „Ja … Dieses Mädchen war wirklich wunderschön. Aber da war auch ein Wolf …“
Im Gedanken an ihre vollen Lippen hielt er inne, schloss die Augen und spürte erneut ihren zarten Kuss, ihren Duft und die Wärme ihres Körpers. Sehnsüchtig wollte er seine Gedanken wieder zurück in den Traum schicken, aber das Räuspern seines Vaters holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Mein Sohn, wollten wir nicht heute Morgen zur Jagd in die Steppe aufbrechen? Du solltest langsam wach werden und einen Happen essen, damit du mir nachher nicht vom Pferd fällst.“

Erdan hatte das Gefühl, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg. „Ich bin ja schon wach, und ich setze mich auch gleich zu euch.“
Flink warf er das Schlaffell zur Seite und huschte hinaus, um sich frisch zu machen.

Einen Augenblick später saß er neben seinen Eltern am Feuer und sog genießerisch den heißen Tee über die Lippen.
Während er noch seinen plötzlich erwachten Hunger stillte, griff sich der Vater seinen Pfeilköcher, zählte kurz die Pfeile und stieß Erdan auffordernd in die Rippen. „Junge, was ist los mit dir, träumst du immer noch?“
Erdan schaute den Vater fragend an und zog die Augenbrauen etwas zusammen. „Nein, ich träume nicht mehr, aber mir gingen gerade die Geschichten durch den Kopf, die Großmutter so oft erzählt hat. Da war eine, die mir immer besonders gut gefallen hat …“

Bevor er weitersprechen konnte, kam aus dem Halbschatten, zwischen den Vorhängen, die Stimme der Großmutter: „Kindchen, ich weiß genau, welche Geschichte das war, die dir so gut gefiel. Ich musste sie dir ja immer und immer wieder erzählen.
Hast du etwa von der Wolfskönigin geträumt?“
Die dicken Vorhänge teilten sich, und die Großmutter kam mit einem verschmitzten Lächeln hervor.
Ihr Gesicht war von hunderten Fältchen durchzogen und zeigte jetzt ein so gütiges Lächeln, dass Erdan nicht anders konnte, als ihre Hand zu ergreifen und sie zu streicheln.
„Ja, Großmutter, ich liebe diese Geschichte, und wenn wir jetzt nicht gleich aufbrechen würden, müsstest du sie mir noch einmal erzählen.
Großmutter, sag, hast du mir etwa in meinen Traum geschaut? Ja, da war ein wunderschönes Mädchen, und es war mir auch zugeneigt, aber da war auch ständig ein Wolf.“
Erdan strich sich nachdenklich über die Stirn. „Es war schon sehr seltsam, wie der Wolf immer dann auftauchte, wenn ich mich dem Mädchen zuwenden wollte. Er wirkte aber nicht ängstlich, sondern eher zutraulich.
Hm, merkwürdig.“

Die Großmutter legte ihre Hand auf die seine. „Es war kein gewöhnlicher Wolf, sondern eine Wölfin. Es war die Wolfskönigin, die Prinzessin Ardak.“
Erdan las der Großmutter gebannt jedes Wort von den Lippen. Sprach sie über seinen Traum?

„Weil sie zu stolz war, einen einfachen Jäger zu heiraten, wurde sie in eine Wölfin verwandelt, und nur ein einfacher Jäger kann sie wieder von diesem Fluch erlösen.“

Erdan runzelte die Stirn. „Wie kann denn ein einfacher Jäger so ein Mädchen erlösen? Wie soll er ihr denn all das geben, was eine Prinzessin braucht?“

„Erdan, du bist doch kein Dummkopf!“ Die Großmutter zog ihn am Ärmel näher zu sich heran. „Du hast doch alles, was ein junger Mann braucht. Du hast einen wachen Geist, kräftige Arme, ein heißes Herz, Eltern, die dich lieben, einen Platz am Feuer, wo du immer willkommen bist, und einen Vater, der dich alles lehrt … Ach ja, und bald auch ein Schwesterchen.“
Erdans Blick flog überrascht zu seinen Eltern, und er sah, wie sie ihn wissend anlachten.

„Diese Wölfin, das Mädchen Ardak, wird dich erkennen, wenn du sie wirklich begehrst“, fuhr die Großmutter fort. „Wenn sie dich im Traum besucht hat, wird sie dich erwählt haben. Sie wird zu dir sprechen …“ Die Großmutter überlegte einen Moment. „Du musst ihr danach dreimal folgen, bevor sie dein wird.“

Umit ritt mit geschlossenen Augen, atmete tief und genüsslich die Frühlingsluft ein. Kurz hinter ihm ritt sein Sohn und hielt ebenfalls die Augen geschlossenen, aber, wie Umit vermutete, hatte er hierfür andere Gründe, als den Frühling zu genießen, denn auf seinem Gesicht sah er deutlich diesen träumerischen Ausdruck. Es war das gleiche Lächeln wie heute früh, als der Sohn von seinem süßen Traum erzählte.
Umit lächelte; er kannte ja seinen Sohn.
„Erdan, ich glaube, wir haben Glück und es wird ein wunderschöner Tag werden, und sieh die Blüten, der Frühling zeigt sich bereits.“

Erdan blinzelte etwas und trieb sein Pferd an, um zum Vater aufzuschließen. „Ja, es ist ein wunderschöner Tag, aber ich muss immer an Großmutters Worte denken. Wie soll ich mich da auf unsere Jagd konzentrieren? Laufend höre ich einen Wolf heulen …“

„Mein Junge, vielleicht hast du weder geträumt noch dich geirrt, denn einen Moment lang glaubte auch ich, einen Wolf heulen zu hören.“

Es war schon später Nachmittag und die Sonne stand nur noch zwei Handbreit über dem Horizont, als in der unendlichen Grasweite Büsche und in einiger Entfernung ein mächtiger Baum auftauchten.Vater und Sohn näherten sich dem Fluss.
Umit hielt auf den einzigen, aber riesigen Baum zu, der nur einen Steinwurf entfernt vom Fluss stand, und deutete seinem Sohn an, dass sie hier rasten würden.
Der Vater saß ab, breitete die Arme aus und rief erleichtert: „Erdan, lass uns hier übernachten. Wir haben zwar noch kein Wild erlegt, aber es war trotzdem ein sehr schöner Tag. Der Frühlingswind war wie ein milder Hauch und richtig angenehm, nicht mehr so schneidend wie noch vor Kurzem.
Morgen haben wir bestimmt mehr Glück. Wir werden dem Fluss ein Stück folgen und treffen dort irgendwo ganz sicher auf lohnendes Wild. Ich weiß schon, wo wir suchen müssen.“
Erdan nickte nur und meinte: „Ja, ich kann mir vorstellen, wo du hinwillst.“
Er ging ein paar Schritte in Richtung Fluss.
Geblendet von der tiefstehenden Sonne, hielt Erdan die Hand über die Augen und suchte das Flussufer nach einer guten Stelle zum Wasserschöpfen und zum Tränken der Pferde ab.
Ganz anders als in der trockenen Steppe roch die Luft hier nach Wasser. Erdan glaubte schon den Fluss zu schmecken und schmatzte mit den Lippen.
Ein Stückchen weiter, dort, wo das sandige Ufer begann, stutzte er. Eine frische Wolfsspur schlängelte sich auf dem feuchten Sand entlang. Die Abdrücke waren noch so scharf, als ob der Wolf gerade erst vorbeigelaufen wäre.
Erdan reckte den Hals und schaute sich um.
Kopfschüttelnd ging er zurück zum Baum, wo der Vater schon die Pferde abgesattelt hatte.
„Ein Wolf muss erst vor kurzer Zeit hier am Fluss entlanggelaufen sein.“ Erdan zeigte mit der Hand hinunter zum Ufer.
„Nicht nur hier, auch weiter oben haben wir mehrmals eine Wolfsfährte gekreuzt“, erwiderte der Vater.
Er klopfte seinem Sohn leicht auf die Schulter und begann ein Feuer zu entfachen.

Erdan führte die Pferde hinunter zum Fluss. Ein Pferd links und eines rechts an der Hand, ging er mit leicht gesenktem Kopf und ließ seine Gedanken wieder zurück in den Traum gleiten.
Als er mit den Pferden wieder den Rastplatz erreichte, brannte das Feuer bereits munter und der Vater hatte ihr Abendessen auf einem Tuch ausgebreitet.
Erdan band beiden Pferden die Beine locker zusammen, damit sie nicht so weit wegliefen und setzte sich zum Vater.
Es gab Brot, Trockenfleisch, Äpfel und etwas Käse.
Als Erdan es sich bequem gemacht hatte und zu essen begann, griff der Vater nach dem Pfeilköcher seines Sohnes. Er zog einen Pfeil heraus und musterte ihn prüfend im Schein der Flamme.
„Junge, du machst ja hervorragende Pfeile. Alle Achtung, die sind wirklich besser als meine.“
Er nickte Erdan anerkennend zu und fragte scherzhaft: „Wer hat dir denn das beigebracht, solche Pfeile zu machen?“
Erdan lächelte zurück. „Wie Großmutter schon sagte, bin ich reich und habe einen Vater, der mich alles lehrt.
Danke, Vater. Wenn meine Pfeile jetzt besser sind als deine, kannst du sie gerne haben.“
Umit fuhr immer noch prüfend mit einem Finger über die Befiederung des Pfeils, als er sich ruckartig umdrehte und bedeutungsvoll den Finger auf dem Mund legte.
Erdan verstand sofort und musterte die Umgebung. Was hatte Vaters Aufmerksamkeit erweckt?
„Ich bin sicher, der Wolf schleicht hier herum“, flüsterte der Vater. „Ich habe eben seine Schritte gehört und ihn auch ganz kurz, einem Schatten gleich, dort im Nebel gesehen.“
Wie um die Worte des Vaters zu bestätigen, erklang ein langgezogenes Heulen ganz in ihrer Nähe aus dem dichten Nebel.
Erdan spürte sofort einen Schauer über den Rücken laufen und blickte um sich, aber in dem Nebel, der vom Fluss aufgestiegen war, konnte man nicht weit sehen. Es waren einzelne Nebelschwaden, die sich langsam vom Fluss in die Steppe bewegten. Die Pferde, die knapp hinter dem Baum standen, waren gerade noch zu erkennen. Aber wie Erdan überrascht feststellte, hatten sie aufgehört zu grasen und hielten ihre Köpfe erhoben. Ihre Ohren waren lauschend aufgestellt.
Mit lautlosen Zeichen machte er seine Beobachtung dem Vater verständlich.
Umit nickte und hielt weiterhin nach allen Seiten Ausschau.
Die Pferde begannen plötzlich unruhig zu tänzelten und drängten näher zum Baum, und dann sah Erdan den Wolf durch den dichten Nebel schleichen. Er zog einen großen Kreis um ihren Lagerplatz.
„Wolf? Wölfin?“, gingen ihm Großmutters Worte durch den Kopf.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, und er merkte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufstellten. Es war ihm, als ob die Luft am Gesicht zu kribbeln begann, und überdeutlich roch er etwas, das er nicht kannte.
Dieser Geruch, Großmutters Worte und diese ganze merkwürdige Situation sagten ihm, dass hier etwas Unwirkliches geschah, und alle seine Sinne waren schlagartig hellwach.
Als er seine Wahrnehmungen dem Vater mitteilen wollte, stelle er erstaunt fest, dass der sich in sein Fell gerollt hatte, auf der Seite lag und bereits schlief.
Erdan riss ungläubig die Augen auf. Wieso schlief der Vater schon? Mit angespannten Sinnen suchte er weiter nach der Wölfin.
Dann hörte er ihre Schritte ganz leise im trockenen Gras. Vorsichtig umkreiste sie den Lagerplatz und kam langsam näher. Nur ab und zu sah er ihre schlanke Gestalt aus dem dichten Nebel auftauchen, um gleich darauf wieder darin zu verschwinden.
Dann waren ihre Schritte plötzlich nicht mehr zu hören, und so sehr Erdan auch sein Gehör anstrengte, nur eine unheimliche Stille war in seinen Ohren.
Es war, als ob die Zeit stillstehen würde; nichts war mehr zu hören, nicht einmal der leiseste Windhauch. Kein Blatt raschelte am Baum, nur der Nebel kroch weiter lautlos in die Steppe.
Dann stutzte er. Ihm wurde plötzlich klar, dass selbst das Kauen der Pferde nicht mehr zu hören war. Er schaute nach ihnen, aber er sah sie völlig entspannt dastehen, so als ob sie schliefen.
Das war alles mehr als seltsam.
Diese Stille und das Prickeln im Gesicht wurden ihm unheimlich, und langsam glitt seine Hand zum Messer am Gürtel. Die Haare unter der Mütze schienen sich aufzurichten, so empfand er diese Unwirklichkeit.
Als er die Anspannung kaum noch aushalten konnte und sich in seiner Kehle ein verhaltenes Stöhnen formte, drangen plötzlich leise, zögernde Schritte an sein Ohr. Seine Blicke gingen in die Richtung dieses kaum wahrnehmbaren Geräuschs, und dann trat ein Schatten hinter dem Baum hervor.
Erdans Hand ließ das Messer los; dort kam kein Feind. Sie war auch keine Wölfin. Sie war …, sie war das Mädchen aus seinem Traum und einfach wunderschön, als sie in den Schein des Feuers trat. Ein unsicher wirkendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Sein Herz schlug bis zum Hals, es raste, und Erdans Mund wurde mit einem Male so trocken, als hätte er den ganzen Tag nichts getrunken.
Jetzt rauschte es auch noch in seinen Ohren, als ob ein kräftiger Wind durch die Zweige des Baumes wehen würde.
Sie stand einfach da, im hellen Schein des Feuers, und lächelte ihm zu.

Zögernd und unsicher kam sein erster Schritt, dann der zweite, da hob sie beide Hände zu einer einladenden Geste und ging ihm einen Schritt entgegen.
Ihr Gesicht, vom lodernden Feuer erhellt, strahlte so bezaubernd, dass Erdans Herz wieder wild zu hämmern begann. Ja, sie war das Mädchen aus seinem Traum, und ihre Hände luden ihn jetzt ein, näher zu kommen.
Ihre Geste löste eine Sehnsucht in ihm aus, die ihn fast überwältigte. Das Verlangen nach ihren Lippen, die ihn schon einmal im Traum geküsst hatten, wuchs.
Als ihn nur noch ein Schritt von ihr trennte, sah er in ihre dunklen Augen, die seinen Blick suchten, und sein Herzschlag beschleunigte sich erneut zu einem dumpfen Hämmern.
Dann spürte er ihre Hände, die ihn sanft heranzogen, und er war zu keiner Reaktion mehr fähig, außer in ihrem Blick zu versinken.

Wie aus weiter Ferne hörte er ihre Stimme und begriff kaum ihren Sinn: „Ich bin Ardak.“
Fast ohne sein Zutun zogen jetzt seine Hände das Mädchen zu sich heran, dann hielt er inne.
Sie löste ihre Hände aus den seinen und berührte sein Gesicht. Ganz langsam zog sie seinen Kopf zu sich heran, bis ihr Atem über seine Lippen ging.
Aus Erdans Kehle drang ein leises Keuchen, als er an der Wange ihre Wärme spürte; und als ihre Lippen auf seinem Mund lagen, war das heftige Ziehen im Bauch wieder da, das er heute früh beim Erwachen verspürt hatte.
Nur noch ein Gedanke beherrschte ihn: „Die Wolfskönigin, Ardak … Sie erlösen?“
Zu keinem anderen Gedanken mehr fähig, ging Erdan, Ardak mitziehend, langsam in die Knie.
Im Schein des Feuers knieten beide, heftig atmend, voreinander. Versunken in ihren Blicken, hielten sie sich bei den Händen.
Erdan schien dieser Moment eine Ewigkeit zu dauern, doch dann spürte er, wie seine Sinne wieder aus der Tiefe erwachten.Schauer um Schauer überliefen ihn, als Ardaks Hände sich langsam unter seine Kleidung schoben.
Die zarte Berührung ihrer Hand auf seinem klopfenden Herzen ließ seine Wangen glühen. Noch nie hatte er so empfunden, und in seinen Ohren klang das leise Singen der Blätter über ihm.
Wie lange dieser Moment dauerte, wusste Erdan nicht, bis ein sachter Windhauch seine Wangen kühlte.
Er war sich ganz sicher, dass er nicht träumte, und holte langsam Luft, um etwas zu sagen, da legte Ardak ihm einen Finger auf den Mund.
„Sprich nicht. Ich sage dir alles, was du wissen musst.
Schon lange suche ich dich und habe oft nachts eure Jurte umkreist.
Du bist der Mann, der den Bann lösen und mein Schicksal wenden kann.
Halte mich … Halte mich noch einen Moment fest, denn ich muss gleich wieder gehen.“
Erdan wollte etwas erwidern, aber sie hielt ihm wieder ihren Finger auf die Lippen, und er küsste ihn zärtlich. Ein Schauer nach dem anderen durchfuhr ihn, und seine Knie zitterten leicht.
„Dreimal musst du meine Spur finden, dreimal musst du mir folgen und dreimal sollst du mich an deinem Feuer halten, so wie jetzt.“
Ihr zarter Kuss besiegelte die letzten Worte: „Dann werde ich dein sein.“
Erdan brauchte fast all seine Kraft, um ihr zu antworten: „Und wenn ich deine Spur in der ganzen Steppe suchen müsste, ich werde dich finden. Ich will dir hundertmal folgen, wenn du es von mir erwartest.“
Ein erneuter Kuss ließ ihn innehalten …
Doch dann riss er die Augen auf, als er sah, wie die Wölfin sich schnell von ihm entfernte.
Er wollte sie halten, aber seine Arme waren wie gelähmt. Mattigkeit sprang ihn regelrecht an, und er schlief schlagartig ein.

Als kleine Schneeflocken seinen Wangen berührten, erwachte Erdan. Blitzschnell richtete er sich auf und blickte erschrocken um sich.
Auf der anderen Seite des heruntergebrannten Feuers sah er seinen Vater noch schlafend liegen.
Da kehrten die geheimnisvolle Nacht und das Mädchen in seine Gedanken zurück. Sein Herz krampfte sich zusammen, und ganz leise flüsterte er: „Ardak, meine Liebste, wo bist du?“
Mit einem Ruck warf er das Fell zur Seite und sprang auf.
Er stutzte, denn direkt vor seinen Füßen begann eine Wolfsspur im frischen Schnee, und Erdan folgte ihr mit den Augen, bis sie sich irgendwo im Gras verlor.
„Es war kein Traum!“, rief er mit klopfendem Herzen freudig aus. „Sie war wirklich hier, hier bei mir! Sie will, dass ich sie finde!“

„Und, willst du sie finden?“, war da plötzlich die verschlafene Stimme seines Vaters zu hören.
„Aber ja, Vater, ich will sie finden. Ja, ich will von ganzem Herzen.“
Erdan kniete sich neben seinem Vater hin.
„Vater, du musst die Jagd alleine fortsetzen, ich muss ihrer Spur folgen.“

Umit richtete sich auf und umarmte seinen Sohn. „Mein Junge, du weißt alles, was du wissen musst, um sie zu finden. Ich wünsche dir, dass deine Sehnsucht ihre Erfüllung findet. Wir werden auf dich warten, jeden Tag, bis du mit ihr an unser Feuer trittst.“


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