Validation als Lebensphilosophie

Validation als Lebensphilosophie

Ein Lehrbuch um sich selbst und Menschen mit Demenz besser zu verstehen

Wilfried Feurstein


EUR 17,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 256
ISBN: 978-3-99107-684-1
Erscheinungsdatum: 31.08.2021

Leseprobe:

Validation
als Lebensphilosophie – Ein Lehrbuch
Andelsbuch/Vlbg.

Zeichnungen: Elisabeth Feurstein
Fotos: Ludwig Berchtold

© 2011
Jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist gesetzlich verboten. Alle Rechte, auch die Übertragung in fremde Sprachen, liegen beim Verleger.
Verfasser: Wilfried Feurstein, Andelsbuch/Vlbg. 2021

Dieses Buch ist vom Autor mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Der Autor kann jedoch auf keinerlei Weise für die im Buch angeführten Informationen garantieren. Weder der Autor noch der Verleger haften für jeglichen eventuellen Schaden an Personen, Tieren oder Gegenständen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.


Vorwort

Als vislos (ohne Orientierung), a bitzle vorlora (ein wenig verloren), a bitzle vorgeassle (ein wenig vergesslich), a bitzle vortrüllot (ein wenig durcheinander) oder a bitzle schrullig (ein wenig sonderbar, merkwürdig) wurden in meiner Jugend die Menschen mit der Diagnose Demenz bezeichnet. Keiner hatte damals ein besonderes Problem mit dieser als normal geltenden Eigenart des Alters. Nach einem langen, arbeitsamen und oft entbehrungsreichen Leben erschien es als selbstverständlich, dass mit dem Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit auch die geistigen Kräfte schwinden. Aufgehoben im Familienverband gestand man den Eltern und Großeltern das Bedürfnis nach Rückzug – mit etwas Abstand am lebhaften Treiben im Alltag teilzuhaben – zu, bis sie sich im langsam fortschreitenden dementierenden Prozess irgendwann ganz verloren hatten.
Laut des ersten österreichischen Demenzberichts gibt es derzeit rund 130.000 Demenzkranke in der Republik. Bis 2050 soll sich die Anzahl verdoppeln und den Betreuungs- und Pflegebedarf weiter erhöhen (Vgl. Österreichischer Demenzbericht 2014). Gleichzeitig tappen die Wissenschaftler seit Jahren im Dunkeln und haben das Versprechen, ein wirksames Medikament gegen Demenz zu erfinden, bislang nicht erfüllt.
Die wachsende Zahl, das fehlende medizinische Heilmittel und die Angst der potenziell Leidtragenden, im Alter anderen hilflos ausgeliefert zu sein, stellen die Altenpflege vor große Herausforderungen. Einige Forscher nahmen Methoden, die in den Kommunikationstheorien entwickelt wurden und die sich in verschiedenen psychosozialen Praxisfeldern bereits bewährt haben, auf und übertrugen sie auf die Altenpflege, speziell auf die Arbeit mit dementierenden Menschen.

Einleitung

Naomi Feil entwickelte infolge der Unzufriedenheit der Betreuer aber auch der betreuten desorientierten älteren Menschen zwischen 1963 und 1980 die Validations-Methode. Validation kommt vom Lateinischen validare und heißt stark machen, kräftigen, gültig sein. Mit Hilfe dieses Verfahrens soll bei alten, desorientierten Menschen das Selbstwertgefühl gestärkt und die Würde wiederhergestellt werden. Stress soll reduziert und das gelebte Leben mit all den unausgetragenen Konflikten aus der Vergangenheit angenommen werden können, damit der ältere Mensch einen glücklicheren Lebensabend verbringen kann.
Mit dem Leitsatz Verwirrt nicht die Verwirrten konzipierte
Erwin Böhm in den 1970er und 1980er Jahren das Psychobiografische Pflegemodell. Die reaktivierende Pflege beschreibt er als ein Reanimationsprogramm, bei dem alte, weit zurückliegende, aus der Kindheit stammende emotionale Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis geholt werden, um sie in die gegenwärtige, von Demenz bestimmte Zeit zu übertragen.
Dieses Pflegemodell soll beide, den Pflegenden und den dementierenden Menschen, miteinbeziehen. Als Ziele seiner Theorie nennt Böhm
- die Reaktivierung positiver Erinnerungsbilder bei Klienten mit Destruktionstrieb und Rückzugstendenz
- die Symptomlinderung ohne Einsatz von Psychopharmaka
- die Erhöhung des Selbstwertgefühls
- die Verbesserung der Pflegequalität durch seelische Pflege
- eine deutliche Erhöhung der Arbeitszufriedenheit der Pflegemitarbeiter, die zu einer Senkung der Krankenstände führt.
Zwischen 1987 und 1995 entwickelte Tom Kittwood zur Veränderung der Pflegekultur die Methode der personenzentrierten Pflege, nachdem seine Nachbarin mit einer diagnostizierten Demenz in ein Pflegeheim musste und innerhalb von wenigen Monaten einen katastrophalen Rückgang aller physischen und psychischen Kompetenzen erlitt und starb.
Mit dem Evaluationsinstrument Dementia Care Mapping (DCM) gelingt es Kittwood, den Pflegeauftrag der Versorgung und der Fürsorge in der gerontologischen Pflege – speziell bezogen auf Demente – zu bewerten. Das Ziel besteht darin, einen Überblick über die geleistete Arbeit der Pflegenden zu erstellen, um dann das daraus folgende Wohlbefinden sowie die Zufriedenheit der Menschen, die unter Demenz leiden, zu evaluieren.
Das Wichtigste für Kittwood ist aber, dass die Betroffenen durch die Gestaltung des Ambientes sowie durch die therapeutischen Maßnahmen Person bleiben können und als solche behandelt werden.
Die mäeutische didaktische Methode von Cora van der Kooij entstand in den Jahren 1982 bis 1985. Der Begriff mäeutisch bedeutet befreiend, erlösend, nicht zuletzt im Sinne einer Entbindung (eine „Hebammenkunst für Pflegetalente“ wie Cora van der Kooij es umschrieben hat). Mäeutik ist eine Weiterentwicklung der Validationsmethode von Feil. In dieser Erweiterung beschreibt Van der Kooij die Fähigkeit, authentisch und kreativ zu beobachten, zu reagieren, wenn nötig, zu handeln und dieses Verhalten anschließend in Worte zu fassen und zu begründen. In diesem Sinne tauscht ein mäeutisch arbeitendes Team immer wieder Erfahrungen aus und stellt sich Fragen wie: „Was bedeutet das Verhalten eines Bewohners, woher kommt es, was braucht er, wie können wir Kontakt oder sogar eine Beziehung herstellen? Wer hatte schon einmal guten Kontakt?“
Diese inzwischen anerkannten und funktionierenden Pflegemethoden sind als psychosoziale Begegnungsformen geeignet, um Menschen mit Demenz einen würdevollen Lebensabend zu ermöglichen.

Welches ist nun die beste Methode für die Begleitung von Menschen mit Demenz?
Es ist die, die am meisten dein Herz erfüllt, die, in der du dich wohl fühlst. Wenn du das, was du tust, mit Begeisterung, Freude und Einsatz machst, ist der Gewinn schon vorprogrammiert.
Ob du dich nun für die hier beschriebene Lebensphilosophie oder für eine andere Form der Begleitung von Menschen entscheidest – ich wünsche dir alles Gute und viel Freude in deiner Arbeit.

1
Altern und Gesellschaft

„Alle wollen es werden, aber keiner will es sein: alt.“
Gustav Knuth1

Das Alter ist nicht nur ein medizinisches und ein sozial-psychologisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem. Welchen Wert aber das Alter(n) für unsere Gesellschaft haben könnte, zeigt sich in der folgenden Geschichte:

Eine Elefantengeschichte aus Afrika
In einen großen Safariwildpark in Südafrika kamen jedes Jahr Tausende von Besuchern aus aller Welt, die mit dem Jeep durch das Reservat fuhren, um die Tiere im Alltag zu beobachten. Das Tourismusbüro erhielt viel Lob und Anerkennung für die natürliche, tiergerechte und dennoch ungefährliche Aufmachung. Eines Tages kam ein reicher Mann zu dem Tourismuschef und wünschte sich Elefanten im Reservat. Er sagte, dass er viel Geld bezahlen würde und dafür auch Elefanten sehen wolle. Die Einheimischen im Tourismusbüro hielten Rat und beschlossen, einen jungen Elefanten aus dem Norden zu holen. Mit großer Freude über den guten Erwerb reisten sie mit dem Elefanten an und setzten ihn mitten im Reservat aus. Schon nach zwei Tagen trafen die ersten Klagen ein. Der Elefant griff die Safaritouristen an und rannte mit voller Wucht in die Jeeps, bis diese seitlich kippten. Er entwurzelte Bäume und jagte andere Tiere. Die Beschwerden wurden immer mehr und größer. Der Tourismuschef wusste sich keinen Rat, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Kein Tierpfleger konnte ihm eine Erklärung für dieses eigenartige Verhalten geben. So wurde der Ältestenrat einberufen, um über die Vorkommnisse zu sprechen und eine Lösung zu finden. Nach langen Gesprächen stand der älteste der Männer auf und sagte: „Dem Elefanten fehlt ein Ältester. Holt einen alten Elefanten und bringt ihn in den Park, dann wird sich der Junge beruhigen.“ Nachdem der alte Mann das empfohlen hatte, wurde ein alter Elefant aus dem Norden organisiert und im Safaripark ausgesetzt. Es war wieder absolute Ruhe im Reservat. Der Alte wirkt durch sein Dasein.
Unsere weisen alten Menschen haben keinen Platz mehr in der Gesellschaft. Wer will noch die Ratschläge von ihnen hören? Und wer will noch altern beim Altwerden? Was fehlt unseren Jungen, die alles auf den Kopf stellen? Was fehlt den alten Menschen, die sich in die Demenz flüchten?
Unsere (Groß-)Väter und (Groß-)Mütter verkörpern die heimische Tradition, sie bewahren sie für die nächste Generation und schaffen mit all ihren Erfahrungen einen Raum, in dem sich die Kinder und Kindeskinder entwickeln können. Den Jungen fällt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, das Wissen und die Überlieferung der Geschichte zu erhalten und zu erneuern. Beide sind füreinander unerlässlich. Denn ohne die Erneuerung würde die Tradition aussterben und ohne die Tradition bliebe das Neue haltlos. Dadurch sind die Alten und die Jungen gefordert, zu überlegen, was zu tun ist, damit das Generationenverhältnis für die Gesellschaft und die Zivilisation nützlich sein kann. Ob es sich dabei um die Verantwortung gegenüber den eigenen Eltern/Kindern handelt oder – wie in der professionellen Pflege – gegenüber fremden Alten, ist nicht mehr von Bedeutung. Die Funktion der professionellen Altenpflege zeigt sich – ethisch gesehen – im Generationenvertrag, das heißt, die Betreuung für jene Menschen zu übernehmen, die selbst nicht mehr imstande sind, sich aus eigener Kraft zu versorgen.

1.1 Psychische Veränderungen im Alter
Je mehr Menschen alt werden, desto mehr nehmen die psychischen Veränderungen zu. In Sozialzentren werden schon mehr als 60 % aller Bewohner als psychisch krank eingestuft. Alte Menschen waren im Leben zahlreichen Belastungen ausgesetzt, die sie mehr oder weniger gut bewältigt haben. Nun kommen im Alter zusätzlich unangenehme Veränderungen auf sie zu: Körperliche, weil der biologische Alterungsprozess fortschreitet, soziale, weil Freunde erkranken oder sterben, und familiäre, weil die Angewiesenheit auf die Kinder von Schuld- und Schamgefühlen begleitet ist. Wie ein Mensch diese Belastungen empfindet und wie er mit ihnen zurechtkommt, ist abhängig von den Bewältigungsstrategien, die er in seinen jungen Jahren gelernt hat. Wer seine physischen und sozialen Verluste nicht verleugnen oder verdrängen musste, sondern sie betrauern konnte, hat auch im hohen Alter mehr psychische Stärke, um die Mängel und Beeinträchtigungen zu verarbeiten. Menschen, die sich selbst akzeptieren, respektieren und wertschätzen, können Veränderungen, die ihnen im Alter nahegehen, leichter bewältigen. (Vgl. Bellinger 2002, S. 9)

1.2 Warum verhalten sich Menschen so?
Die biologisch vorgegebene Grundlage und die Prägung durch die Erziehung bilden zusammen mit den gelernten Copings die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen.
Schon bei der Geburt sind alle menschlichen Fähigkeiten als Potentiale angelegt. Die konkrete Ausformung dieser Anlagen ist die Aufgabe der Erziehung. Das Denken und Tun ist somit weitgehend das Ergebnis der individuellen Geschichte.
Eltern versuchen normalerweise, die Kinder durch ihre Erziehung so gut wie möglich auf das Leben vorzubereiten, sie vor Gefahren zu schützen und ihnen ein angemessenes Verhalten beizubringen. Sie fördern ihre Kinder meist mit bester Absicht so, dass sie fähig sind, sich als Menschen mit individuellen Fähigkeiten in die Gesellschaft zu integrieren.
Spätestens in der Pubertät will das Kind seine eigene Identität entwickeln. Es versucht, seine ihm entsprechende Richtung zu finden, und sich von der elterlichen Autorität zu lösen.
In diesem Prozess des Erwachsenwerdens machen wir die Erfahrung, dass unsere Gefühlseinstellungen und Empfindungen auf weit in die Kindheit zurückreichende Identifikationen mit dem Denken der Eltern gründen und sie mit unserem eigenen, später entstandenen Denken gar nicht so leicht zu vereinbaren sind. Im Gegenteil: Obwohl wir bewusst längst eigene Werte entwickelt haben und diejenigen der Eltern als überholt und altmodisch ansehen, ertappen wir uns dabei, wie leicht wir alten, überwunden geglaubten Denk- und Empfindungsmustern verfallen.

Validation
als Lebensphilosophie – Ein Lehrbuch
Andelsbuch/Vlbg.

Zeichnungen: Elisabeth Feurstein
Fotos: Ludwig Berchtold

© 2011
Jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist gesetzlich verboten. Alle Rechte, auch die Übertragung in fremde Sprachen, liegen beim Verleger.
Verfasser: Wilfried Feurstein, Andelsbuch/Vlbg. 2021

Dieses Buch ist vom Autor mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Der Autor kann jedoch auf keinerlei Weise für die im Buch angeführten Informationen garantieren. Weder der Autor noch der Verleger haften für jeglichen eventuellen Schaden an Personen, Tieren oder Gegenständen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.


Vorwort

Als vislos (ohne Orientierung), a bitzle vorlora (ein wenig verloren), a bitzle vorgeassle (ein wenig vergesslich), a bitzle vortrüllot (ein wenig durcheinander) oder a bitzle schrullig (ein wenig sonderbar, merkwürdig) wurden in meiner Jugend die Menschen mit der Diagnose Demenz bezeichnet. Keiner hatte damals ein besonderes Problem mit dieser als normal geltenden Eigenart des Alters. Nach einem langen, arbeitsamen und oft entbehrungsreichen Leben erschien es als selbstverständlich, dass mit dem Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit auch die geistigen Kräfte schwinden. Aufgehoben im Familienverband gestand man den Eltern und Großeltern das Bedürfnis nach Rückzug – mit etwas Abstand am lebhaften Treiben im Alltag teilzuhaben – zu, bis sie sich im langsam fortschreitenden dementierenden Prozess irgendwann ganz verloren hatten.
Laut des ersten österreichischen Demenzberichts gibt es derzeit rund 130.000 Demenzkranke in der Republik. Bis 2050 soll sich die Anzahl verdoppeln und den Betreuungs- und Pflegebedarf weiter erhöhen (Vgl. Österreichischer Demenzbericht 2014). Gleichzeitig tappen die Wissenschaftler seit Jahren im Dunkeln und haben das Versprechen, ein wirksames Medikament gegen Demenz zu erfinden, bislang nicht erfüllt.
Die wachsende Zahl, das fehlende medizinische Heilmittel und die Angst der potenziell Leidtragenden, im Alter anderen hilflos ausgeliefert zu sein, stellen die Altenpflege vor große Herausforderungen. Einige Forscher nahmen Methoden, die in den Kommunikationstheorien entwickelt wurden und die sich in verschiedenen psychosozialen Praxisfeldern bereits bewährt haben, auf und übertrugen sie auf die Altenpflege, speziell auf die Arbeit mit dementierenden Menschen.

Einleitung

Naomi Feil entwickelte infolge der Unzufriedenheit der Betreuer aber auch der betreuten desorientierten älteren Menschen zwischen 1963 und 1980 die Validations-Methode. Validation kommt vom Lateinischen validare und heißt stark machen, kräftigen, gültig sein. Mit Hilfe dieses Verfahrens soll bei alten, desorientierten Menschen das Selbstwertgefühl gestärkt und die Würde wiederhergestellt werden. Stress soll reduziert und das gelebte Leben mit all den unausgetragenen Konflikten aus der Vergangenheit angenommen werden können, damit der ältere Mensch einen glücklicheren Lebensabend verbringen kann.
Mit dem Leitsatz Verwirrt nicht die Verwirrten konzipierte
Erwin Böhm in den 1970er und 1980er Jahren das Psychobiografische Pflegemodell. Die reaktivierende Pflege beschreibt er als ein Reanimationsprogramm, bei dem alte, weit zurückliegende, aus der Kindheit stammende emotionale Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis geholt werden, um sie in die gegenwärtige, von Demenz bestimmte Zeit zu übertragen.
Dieses Pflegemodell soll beide, den Pflegenden und den dementierenden Menschen, miteinbeziehen. Als Ziele seiner Theorie nennt Böhm
- die Reaktivierung positiver Erinnerungsbilder bei Klienten mit Destruktionstrieb und Rückzugstendenz
- die Symptomlinderung ohne Einsatz von Psychopharmaka
- die Erhöhung des Selbstwertgefühls
- die Verbesserung der Pflegequalität durch seelische Pflege
- eine deutliche Erhöhung der Arbeitszufriedenheit der Pflegemitarbeiter, die zu einer Senkung der Krankenstände führt.
Zwischen 1987 und 1995 entwickelte Tom Kittwood zur Veränderung der Pflegekultur die Methode der personenzentrierten Pflege, nachdem seine Nachbarin mit einer diagnostizierten Demenz in ein Pflegeheim musste und innerhalb von wenigen Monaten einen katastrophalen Rückgang aller physischen und psychischen Kompetenzen erlitt und starb.
Mit dem Evaluationsinstrument Dementia Care Mapping (DCM) gelingt es Kittwood, den Pflegeauftrag der Versorgung und der Fürsorge in der gerontologischen Pflege – speziell bezogen auf Demente – zu bewerten. Das Ziel besteht darin, einen Überblick über die geleistete Arbeit der Pflegenden zu erstellen, um dann das daraus folgende Wohlbefinden sowie die Zufriedenheit der Menschen, die unter Demenz leiden, zu evaluieren.
Das Wichtigste für Kittwood ist aber, dass die Betroffenen durch die Gestaltung des Ambientes sowie durch die therapeutischen Maßnahmen Person bleiben können und als solche behandelt werden.
Die mäeutische didaktische Methode von Cora van der Kooij entstand in den Jahren 1982 bis 1985. Der Begriff mäeutisch bedeutet befreiend, erlösend, nicht zuletzt im Sinne einer Entbindung (eine „Hebammenkunst für Pflegetalente“ wie Cora van der Kooij es umschrieben hat). Mäeutik ist eine Weiterentwicklung der Validationsmethode von Feil. In dieser Erweiterung beschreibt Van der Kooij die Fähigkeit, authentisch und kreativ zu beobachten, zu reagieren, wenn nötig, zu handeln und dieses Verhalten anschließend in Worte zu fassen und zu begründen. In diesem Sinne tauscht ein mäeutisch arbeitendes Team immer wieder Erfahrungen aus und stellt sich Fragen wie: „Was bedeutet das Verhalten eines Bewohners, woher kommt es, was braucht er, wie können wir Kontakt oder sogar eine Beziehung herstellen? Wer hatte schon einmal guten Kontakt?“
Diese inzwischen anerkannten und funktionierenden Pflegemethoden sind als psychosoziale Begegnungsformen geeignet, um Menschen mit Demenz einen würdevollen Lebensabend zu ermöglichen.

Welches ist nun die beste Methode für die Begleitung von Menschen mit Demenz?
Es ist die, die am meisten dein Herz erfüllt, die, in der du dich wohl fühlst. Wenn du das, was du tust, mit Begeisterung, Freude und Einsatz machst, ist der Gewinn schon vorprogrammiert.
Ob du dich nun für die hier beschriebene Lebensphilosophie oder für eine andere Form der Begleitung von Menschen entscheidest – ich wünsche dir alles Gute und viel Freude in deiner Arbeit.

1
Altern und Gesellschaft

„Alle wollen es werden, aber keiner will es sein: alt.“
Gustav Knuth1

Das Alter ist nicht nur ein medizinisches und ein sozial-psychologisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem. Welchen Wert aber das Alter(n) für unsere Gesellschaft haben könnte, zeigt sich in der folgenden Geschichte:

Eine Elefantengeschichte aus Afrika
In einen großen Safariwildpark in Südafrika kamen jedes Jahr Tausende von Besuchern aus aller Welt, die mit dem Jeep durch das Reservat fuhren, um die Tiere im Alltag zu beobachten. Das Tourismusbüro erhielt viel Lob und Anerkennung für die natürliche, tiergerechte und dennoch ungefährliche Aufmachung. Eines Tages kam ein reicher Mann zu dem Tourismuschef und wünschte sich Elefanten im Reservat. Er sagte, dass er viel Geld bezahlen würde und dafür auch Elefanten sehen wolle. Die Einheimischen im Tourismusbüro hielten Rat und beschlossen, einen jungen Elefanten aus dem Norden zu holen. Mit großer Freude über den guten Erwerb reisten sie mit dem Elefanten an und setzten ihn mitten im Reservat aus. Schon nach zwei Tagen trafen die ersten Klagen ein. Der Elefant griff die Safaritouristen an und rannte mit voller Wucht in die Jeeps, bis diese seitlich kippten. Er entwurzelte Bäume und jagte andere Tiere. Die Beschwerden wurden immer mehr und größer. Der Tourismuschef wusste sich keinen Rat, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Kein Tierpfleger konnte ihm eine Erklärung für dieses eigenartige Verhalten geben. So wurde der Ältestenrat einberufen, um über die Vorkommnisse zu sprechen und eine Lösung zu finden. Nach langen Gesprächen stand der älteste der Männer auf und sagte: „Dem Elefanten fehlt ein Ältester. Holt einen alten Elefanten und bringt ihn in den Park, dann wird sich der Junge beruhigen.“ Nachdem der alte Mann das empfohlen hatte, wurde ein alter Elefant aus dem Norden organisiert und im Safaripark ausgesetzt. Es war wieder absolute Ruhe im Reservat. Der Alte wirkt durch sein Dasein.
Unsere weisen alten Menschen haben keinen Platz mehr in der Gesellschaft. Wer will noch die Ratschläge von ihnen hören? Und wer will noch altern beim Altwerden? Was fehlt unseren Jungen, die alles auf den Kopf stellen? Was fehlt den alten Menschen, die sich in die Demenz flüchten?
Unsere (Groß-)Väter und (Groß-)Mütter verkörpern die heimische Tradition, sie bewahren sie für die nächste Generation und schaffen mit all ihren Erfahrungen einen Raum, in dem sich die Kinder und Kindeskinder entwickeln können. Den Jungen fällt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, das Wissen und die Überlieferung der Geschichte zu erhalten und zu erneuern. Beide sind füreinander unerlässlich. Denn ohne die Erneuerung würde die Tradition aussterben und ohne die Tradition bliebe das Neue haltlos. Dadurch sind die Alten und die Jungen gefordert, zu überlegen, was zu tun ist, damit das Generationenverhältnis für die Gesellschaft und die Zivilisation nützlich sein kann. Ob es sich dabei um die Verantwortung gegenüber den eigenen Eltern/Kindern handelt oder – wie in der professionellen Pflege – gegenüber fremden Alten, ist nicht mehr von Bedeutung. Die Funktion der professionellen Altenpflege zeigt sich – ethisch gesehen – im Generationenvertrag, das heißt, die Betreuung für jene Menschen zu übernehmen, die selbst nicht mehr imstande sind, sich aus eigener Kraft zu versorgen.

1.1 Psychische Veränderungen im Alter
Je mehr Menschen alt werden, desto mehr nehmen die psychischen Veränderungen zu. In Sozialzentren werden schon mehr als 60 % aller Bewohner als psychisch krank eingestuft. Alte Menschen waren im Leben zahlreichen Belastungen ausgesetzt, die sie mehr oder weniger gut bewältigt haben. Nun kommen im Alter zusätzlich unangenehme Veränderungen auf sie zu: Körperliche, weil der biologische Alterungsprozess fortschreitet, soziale, weil Freunde erkranken oder sterben, und familiäre, weil die Angewiesenheit auf die Kinder von Schuld- und Schamgefühlen begleitet ist. Wie ein Mensch diese Belastungen empfindet und wie er mit ihnen zurechtkommt, ist abhängig von den Bewältigungsstrategien, die er in seinen jungen Jahren gelernt hat. Wer seine physischen und sozialen Verluste nicht verleugnen oder verdrängen musste, sondern sie betrauern konnte, hat auch im hohen Alter mehr psychische Stärke, um die Mängel und Beeinträchtigungen zu verarbeiten. Menschen, die sich selbst akzeptieren, respektieren und wertschätzen, können Veränderungen, die ihnen im Alter nahegehen, leichter bewältigen. (Vgl. Bellinger 2002, S. 9)

1.2 Warum verhalten sich Menschen so?
Die biologisch vorgegebene Grundlage und die Prägung durch die Erziehung bilden zusammen mit den gelernten Copings die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen.
Schon bei der Geburt sind alle menschlichen Fähigkeiten als Potentiale angelegt. Die konkrete Ausformung dieser Anlagen ist die Aufgabe der Erziehung. Das Denken und Tun ist somit weitgehend das Ergebnis der individuellen Geschichte.
Eltern versuchen normalerweise, die Kinder durch ihre Erziehung so gut wie möglich auf das Leben vorzubereiten, sie vor Gefahren zu schützen und ihnen ein angemessenes Verhalten beizubringen. Sie fördern ihre Kinder meist mit bester Absicht so, dass sie fähig sind, sich als Menschen mit individuellen Fähigkeiten in die Gesellschaft zu integrieren.
Spätestens in der Pubertät will das Kind seine eigene Identität entwickeln. Es versucht, seine ihm entsprechende Richtung zu finden, und sich von der elterlichen Autorität zu lösen.
In diesem Prozess des Erwachsenwerdens machen wir die Erfahrung, dass unsere Gefühlseinstellungen und Empfindungen auf weit in die Kindheit zurückreichende Identifikationen mit dem Denken der Eltern gründen und sie mit unserem eigenen, später entstandenen Denken gar nicht so leicht zu vereinbaren sind. Im Gegenteil: Obwohl wir bewusst längst eigene Werte entwickelt haben und diejenigen der Eltern als überholt und altmodisch ansehen, ertappen wir uns dabei, wie leicht wir alten, überwunden geglaubten Denk- und Empfindungsmustern verfallen.
5 Sterne
Validatiin als Lebensphilosophie - 10.06.2022
Lotte

Lesenswert für alle, die zu diesem Thema etwas wissen wollen. Jeder kann damit betroffen werden. Besonders interessant sind die Begebenheiten, die beschrieben werden.

5 Sterne
Validation als Lebensphilosophie - 20.04.2022
Marion Küng

Ein übersichtliches Buch mit gut nachvollziebarem Inhalt. Der Autor vereint seine langjährigen praktischen Erfahrungen mit seinem fundierten therorischen Wissen. Ich habe Wilfried schon als Leher sehr geschätzt und kann die "Validation als Lebensphilosophie" nur weiterempfehlen.

5 Sterne
Validation mehr als nur eine Lebensphilosophie - 09.04.2022
Roberto Rosani

Das Leben und die Lebenswelt des Menschen für gültig zu erklären. Dies ist eine hohe Kunst im zwischenmenschlichen zusammen kommen.Dieses Buch hilft Menschen mit und ohne demenzieller Veränderungen zu verstehen und auf eine offene und achtungsvolle weise auf diese zu zugehen.Der Autor vermittelt das Werkzeug in eine Welt einzutauchen die voller Respekt und Toleranz gekennzeichnet ist und doch so vielen aufgrund ihrer Geschwindigkeit verwehrt ist. Das Buch wird den Leser auf eine Reise mit sich und anderen mitnehmen. Es regt das persönliche Verständnis an. Das Verständnis seiner eigenen Gewordenheit, seiner eigenen Lebensgeschichte und fördert dadurch auch die persönliche Weiterentwicklung. Es lässt den Menschen als Ganzes sehen mit allen seinen Ressourcen und Eigenschaften die ein jeder mit sich bringt. Dadurch kann ein Zugang zu einer verborgenen Welt der dementierenden Menschen geschaffen werden, ohne dass es das Gegenüber noch einen selbst überfordert. Das Buch ist leicht lesbar und fachlich auf höchstem Niveau. Buber hat einmal gesagt "Am DU zum Ich". Hier gibt der Autor eine gelungene Anleitung dies auch fachlich umzusetzen.Vielen Dank Wilfried für dein Lernfeld an meiner eigenen Persönlichkeit.

5 Sterne
Validation als Lebensphilosophie - 22.09.2021
Maggie Fessler

Dieses Buch war wie ein Geschenk!Zugeflogen im richtigen Moment, während der Demenzerkrankung meines Vaters. Nach dem Lesen dieser Lektüre ergab plötzlich alles einen Sinn. Die Wesens-veränderung, die Vergesslichkeit, die Orientierungslosigkeit.... Alles fügte sich zusammen durch die anschaulichen Erklärungen und Beispiele in diesem wunderbaren Buch. Es ermutigte mich, mich mit meinem Vater auf eine Reise zu begeben, die so voller Abenteuer war, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.Gewachsen aus diesem Abenteuer, ist eine tiefe Zuneigung und Liebe zu meinem Vater, mit großem Vertrauen in das Endgültige. Mein innigster Dank geht an den Autor Wilfried Feurstein!

5 Sterne
Seeehr empfehlenswert! - 19.09.2021
Rosmarie Fink

Dieses Buch über VALIDATION kann ich als wirklich wertvolle, konkret praxis-erprobte HILFE - allen Menschen (Beruflich- wie privat Pflegende!) die mit um ein Gelingenes Miteinander mit Menschen mit Demenz ringen, ans Herz legen!

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