Ein Rollstuhl auf Reisen

Ein Rollstuhl auf Reisen

Südamerika aus einem anderen Blickwinkel

Sven Koch


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 158
ISBN: 978-3-99048-038-0
Erscheinungsdatum: 10.12.2015
Eine Reise durch Südamerika - und ein Manifest dafür, was möglich ist, wenn man sich nicht von äußeren Umständen entmutigen lässt. Denn Sven Koch ist querschnittsgelähmt, doch das hält ihn und seine Freundin Joanna nicht von ihrem großen Abenteuer ab!
Liebe Leser,

die meisten von Ihnen kenne ich zwar nicht persönlich, aber erlauben Sie, dass ich Sie duze? Danke für das Verständnis!
Wenn ich euch mit meinen Zeilen begeistern kann, dann werden wir einige Seiten miteinander verbringen. Ich hoffe, dass sich jeder bis zum Schluss unterhalten fühlt.
Zuerst will ich mich kurz vorstellen.
Ich wurde 1973 in Löbau/Sa. geboren, ging täglich den üblichen Weg zum Kindergarten in meinem Heimatort Melaune, später dann zur Grundschule in das Nachbardorf Buchholz und zu guter Letzt in die Oberschule nach Weißenberg.
Zehn Jahre Schulbankdrücken waren genug. Es folgte eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker im Waggonbau in Görlitz. Unmittelbar nach Beendigung hatte ich einen schweren Verkehrsunfall mit meiner 250er ETZ. Ich landete mit einer Querschnittlähmung im Rollstuhl.
So wurde mein Leben von heute auf morgen gehörig umgekrempelt, jedoch nicht eingestellt.
Wie kam ich nun oder wer brachte mich auf die Idee, ein Buch über Südamerika zu schreiben? Dazu muss ein wenig ausgeholt werden. Die Hauptschuld an meinem Fernweh trägt mein älterer Bruder René. 1999 lenkte ihn seine Reiselust erstmals für längere Zeit nach Afrika. Gemeinsam mit Freunden startete er in Addis Abeba. Die Ostseite des Kontinents entlang ging es zwölf Wochen bis Sambia und danach einmal quer bis nach Kapstadt, wo der treue Weggefährte, das Mercedes G-Modell, eingestellt wurde. Fasziniert von den Erzählungen seiner Eindrücke, ließ ich mich zu einer „Anschluss“-Reise 2001 überreden. Schon beim Verlassen des Flugzeuges am Cape Town International Airport spürte ich eine gewisse Vorfreude auf das, was uns die kommenden fünf Wochen erwarten würde. Ursprüngliche Dörfer in Lesotho, Mosambik oder auch Swasiland hatten es mir am meisten angetan. Vom „Afrikavirus“ gepackt, stand für mich schnell fest, dass das nicht der letzte Urlaub auf fremden Kontinenten sein sollte, zumal uns/mir der Rollstuhl bei keiner der Unternehmungen hinderlich erschien.
Weitere Reisen, immer mit dem eigenen Auto und in kleineren Gruppen, in Nord- und Westafrika folgten. Länder wie Libyen, Algerien, Marokko, Gambia, Senegal, Mauretanien oder Tunesien haben für mich durch die orientalische Atmosphäre noch heute eine enorme Anziehungskraft.
Aufgrund der politischen Entwicklung der letzten Jahre in Ägypten und im Sudan und der damit verbundenen unruhigen Lage verbleibt mein Plan „Ostafrika“ weiterhin in der Schublade. Quasi als Ausweichurlaub brachte ein Freund Südamerika ins Gespräch und in mein engeres Blickfeld.
2011 lernte ich Joanna kennen, begeisterte sie bald schon von meiner Idee, mit mir nach Übersee zu fahren und für längere Zeit die Haustür hinter uns abzuschließen. Sie kündigte ihren Job als Hebamme in Neuss. Wir konnten starten.
Am 6. Februar 2012 gab ich meinen Mercedes Sprinter Iglhaut in Hamburg als Frachtgut auf.
Ohne Rückflugticket und ohne nennenswerte Spanischkenntnisse flogen wir Anfang März nach Buenos Aires. Ein neues Abenteuer begann … und gleich vorneweg: Wir wurden nicht enttäuscht.
Die zwanglose Lebensart, die Freiheit in diesen unvorstellbaren Weiten mit der oft unberührten Natur war für uns beide überwältigend. Irgendwie hatten wir beide das Gefühl, noch nicht genug gesehen zu haben.
Nach fünf Monaten Argentinien, Chile und Bolivien und jeder Menge verschiedenster Überlegungen einigten wir uns deshalb, diesem Abenteuer eine Fortsetzung folgen zu lassen.
Die einzige Möglichkeit, das Auto für längstens ein Jahr problemlos unterzustellen, bot Uruguay. So fuhren wir aus dem tiefsten Regenwald „zurück“ an den Rio de la Plata. Nach 175 Tagen stiegen wir in den Flieger nach Hause.
Im August 2013 beendeten wir die Urlaubspause.
Von Colonia del Sacramento in Uruguay führte uns unser Glück durch Argentinien, Paraguay, Brasilien, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien.
Das Schreiben von Rundmails wurde für mich zu einer Art Rückschau. So konnte ich die Ereignisse noch einmal aufarbeiten, in Worte verpacken und die Daheimgebliebenen an unseren Taten teilhaben lassen.

Die Reaktion der Leser überzeugte mich: Ich beschloss, als Basis für dieses Buch meine E-Mails zu nehmen. Das Ergebnis liegt nun vor euch, ein munterer Mix aus ihnen, nachträglich eingefügten Anmerkungen und skurrilen Zugaben, meist als Foto.
Aber genug der Vorrede.
Es geht los.





„Der Sinn des Reisens besteht darin, unsere Phantasien durch
die Wirklichkeit zu korrigieren. Statt uns die Welt vorzustellen,
wie sie sein könnte, sehen wir sie, wie sie ist“

(Samuel Johnson)



Gesendet: Mittwoch, 21. März 2012, 04:50
Betreff: Ankunft BA (Teil I)
19. März 2012

So, liebe Zuhausegebliebenen, nun ein erster kleiner Bericht unseres Südamerika-Abstechers … klein deshalb, weil es bisher noch nicht viel zu berichten gibt.
Unsere 31-Stunden-Anreise (7. bis 8. März) war zwar ermüdend, jedoch durch den Nachtflug (Madrid–Buenos Aires/B.A.) akzeptabel und hoffentlich Früchte tragend. Sehr annehmbar sind die vorherrschenden Temperaturen: Nachts sinkt das Thermometer nicht unter 18 Grad, tagsüber pendelt es zwischen
25 und 30 Grad. Bisher gab es nur bei der Ankunft einen kurzen, ergiebigen Schauer und montags regnete es bis mittags. Sonst scheint zu 90 Prozent die Sonne.

Herberge: Unsere erste Herberge ist das Hostel El Firulete in der Maipu. Nicht gerade ein Grandhotel, aber das hatten wir auch nicht erwartet. Zum Hahnenruf gibt es täglich ein sehr überschaubares Buffet. Frühstückt man in der Stoßzeit, fehlt entweder der Kaffee oder die Butter oder die Milch oder das Toastbrot oder als fünftes Element des Morgenglücks die süße Marmelade. Unser Zimmer ist ebenso übersichtlich möbliert. Von den zwei Nachttischleuchten funktioniert sogar eine, zumindest die, die ich repariert habe. Sie sind beide angeschraubt, damit sie nicht umfallen können. Fenster und Türen haben großzügige Spaltmaße. Der Durchzug gewährleistet eine gesunde Vorbeugung gegen Schimmelbildung. Für jemanden, der mit nur einer Socke anreist oder dem eine kaputtgegangen ist, wurde eine Ersatzsocke zusammengekringelt unters Bett gelegt. Es ist also alles in bester Ordnung.
Nach Ankunft war er erste Gang natürlich zum Hafen, um nach meinem Sprinter zu lunschen. Nach einiger Suche mit intensiven Verständigungsproblemen – Na so eine Überraschung – fanden wir das zuständige Zollbüro (EMBA – Estatión mediteran de Buenos Aires). Da erklärte uns ein Englisch sprechender Beamter, dass unser Frachter noch nicht angekommen sei, wir aber uns im Internet über Ankunft, Entladungs- und Abholtermine informieren könnten. Solange in der hier veröffentlichten Liste „unsere Grande America“ nicht erscheine, müssten wir warten. Seither verschiebt sich dieser Termin täglich nach hinten. Vielleicht sind Piraten im Spiel oder Gespielinnen des Kapitäns*. Es ist ja schließlich ein italienisches Schiff. Jedenfalls versuchen wir, uns die Zeit nicht langweilig werden zu lassen.
* Am 13. Januar 2012 rammte das italienische Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der Insel Giglio im Mittelmeer einen Felsen. Zum Zeitpunkt meiner E-Mail waren die Ermittlungen längst noch nicht abgeschlossen. Man vermutete unter anderem, dass sich der Kapitän während der Kollision nicht im Führerstand befand, sondern sich mit seiner Geliebten vergnügte.
Bus & Bahn: Es ist uns bislang nicht gelungen, das diffuse Bus-,
Bahn- und Metrosystem zu durchschauen. Zwar werden wir beide kostenlos mitgenommen, freilich nicht immer dorthin, wo wir eigentlich hin wollten. Nachdem wir den ersten Tag ziemlich orientierungslos umherirrten, richten wir uns seither nach einem übersichtlichen Stadtplan. 113 Buslinien und 6 U-Bahnen durchkreuzen die Stadt. Hinzu kommen die Bahnverbindungen in die Außenbezirke, die wir bisher aber nur zweimal nutzten. Bei den Bussen bekommt man den Eindruck, dass sie miteinander im Wettstreit stehen, welcher Fahrer in einer Schicht die meisten Runden dreht. Kaum sind 20 Meter freie Fahrt, wird das Gaspedal durchgetreten, um wenig später mit quietschenden Bremsen … Wahrscheinlich macht man das, damit die Fahrgäste nicht einschlafen. Unzählige Taxis, die keinen Millimeter preisgeben wollen, verteidigen ihre günstige Ausgangslage ebenso vehement, nachdruckverleihend mit ihrer Hupe. Schön, wenn man wie wir im ersten Stock mit schallundichtem Fenster direkt an einer Kreuzung wohnt. So bekommt man das Heulen der Motoren erste Sahne mit, wohlgemerkt auch nachts.
Aber zurück zu den Bussen … Hat man dann einen Platz im meist übervollen Bus ergattert, gilt es den Kurs im Auge zu behalten. Denn möglicherweise fährt man zwei Ecken weiter bereits in die Gegenrichtung. Zum Aussteigen hat man gefühlte zehn Sekunden Zeit, denn, wie ihr wisst, möchte der Steuermann ja seinen Rundenrekord unterbieten. Trotzdem sind Insassen und Chauffeure sehr freundlich und hilfsbereit uns gegenüber und ebenso untereinander.

Die Stadt: B.A. ist schematisch, schachbrettartig aufgebaut. Nach spätestens zwei Tagen findet man sich in den Straßen zu Fuß ganz gut zurecht. Ein typisches Gesicht sucht man sowohl für die Stadt selbst als auch bei deren Bewohnern vergebens. Das liegt daran, dass Argentinien ein Einwandererland ist. Kaum unterscheidbar sind die verschiedenen Stadtbezirke. Alles erinnert sehr an Spanien und Italien. Vorherrschend und überall annähernd äquivalent ist der Lärm. Außer in der Fußgängerzone muss vor allem ich auf Hundekot und fehlende Gehwegplatten achten. Bestes Vorankommen ist da meist auf der Straße, vorausgesetzt ist das Vertrauen in die Aufmerksamkeit der motorisierten Verkehrsteilnehmer. Bei der momentanen Wärme riecht es ständig nach Sch… und Müll.

Die Menschen: … sind hier unglaublich angenehm, stets gelassen, ruhig und unheimlich freundlich, was man sonst so gar nicht von anderen „typischen“ hektisch-getriebenen, gestressten Großstädtern kennt. Ihre Hilfsbereitschaft ist zwar löblich, nicht immer aber angebracht. Wenn wir beispielsweise zur U-Bahn treppabwärts holpern, ist es nicht günstig, wenn da jemand ungeschickt am Rollstuhl zerrt. Oder aber, als ich gestern verträumt vor einem dieser großen, im Kolonialstil erbauten Häuser stand, wuchteten mich vier Männer, noch ehe ich mich versah, ungefragt nach oben. Mein verdutzter Gesichtsausdruck gab ihnen zu verstehen, dass hier eine Fehlinterpretation vorlag. Seitdem kenne ich die beiden Vokabeln escalera (Treppe) und escalón (Stufe).
Drollig hingegen sind einige Typen. (s. Anhang)
Begebenheit: Am Sonntag brach mir doch tatsächlich die komplette Gabel des linken Vorderrades ab. Was dadurch für eine Rennerei entstand …

Gleich am Montag hatten wir nach einiger Durchfragerei bei vielleicht an die zehn Anlaufpunkte wie Sanitätshäuser, Werkstätten etc. eine Adresse samt Telefonnummer eines angeblichen Unikums heraus gefunden, das alles wieder hinbekommen könne. Leider war der Mann nicht anzutreffen. Sein Nachbar meinte: „Er schläft vermutlich oder hat heute keine Lust.“ Unverrichteter Dinge kehrten wir zum Hostel zurück.
Dienstag probierten wir es nur telefonisch. Es nahm niemand ab. Abends suchte ich deshalb im Internetbranchenführer ein paar weitere Adressen heraus, die mir möglicherweise weiterhelfen könnten. Die waren allerdings alle außerhalb des Stadtzentrums.
Mittwoch probierten wir es noch einmal vor Ort bei dem „Unikum“ … wieder niemand anzutreffen.
Dort hielten wir ein Taxi an und übergaben dem Fahrer den Zettel mit den Adressen. Der rief gleich bei einer Aluminiumschweißerei in San Martín an. Es ging jemand ans Telefon und meinte, wir könnten sogar gleich vorbeikommen. So fuhren wir auf direktem Weg zu der Adresse.
Von außen sah die Schweißerei aus wie ein ganz normales Wohnhaus. Die Familie war äußerst nett. Ich konnte mich mit Joanna in die Küche setzen, und wir wurden durch den circa 30-jährigen Sohn mit Kaffee und Kuchen bedient und unterhalten. Währenddessen reparierte mir sein Vater Mario den Rolli. Nach zwei Stunden Werkeln saß er dann noch kurz bei uns in der Küche.
Beim Abschied wollte er für die Arbeit nicht einmal Geld, hat uns beide zum Bahnhof gebracht und hatte uns, bevor wir richtig aus dem Auto ausgestiegen waren, Fahrscheine gekauft und uns in den Zug gesetzt. Leute gibt’s …

Adios
5 Sterne
Ein Rollstuhl auf Reisen - 06.03.2016
ulrike k.

Super toll geschrieben,für dein erstes Buch,weiter so!!

Das könnte ihnen auch gefallen :

Ein Rollstuhl auf Reisen

Conny Scherrer

Meine chinesische Freundin

Buchbewertung:
*Pflichtfelder