Chaos

Chaos

Marco Fischer


EUR 22,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 82
ISBN: 978-3-99146-486-0
Erscheinungsdatum: 10.01.2024
Die Geschichte eines jungen Mannes, der sein Leben lang mit Angst, Wut und Trauer zu kämpfen hatte und der mit seiner Biografie jedem Menschen da draußen zeigen will, dass es mitten im Chaos auch Licht geben kann.
1 Ein paar Worte zu mir

Es ist nicht leicht, sich irgendwie „kurz“ vorzustellen. Es ist auch nicht leicht, sich in ein paar Worten kurz zu fassen. In meinem Kopf fängt es an zu rattern. Wie stelle ich mich am besten vor? Wie kann ich in kurzen Sätzen ein paar Worte von mir erzählen?
In meinem Kopf ist gerade ein komplettes und völliges Durcheinander. Gebe ich genügend Informationen von mir preis? Ist es zu kurz? Klingt es eventuell arrogant? Unglaubhaft? Oder klingt es zu selbstverliebt? Ist es vielleicht doch eine Art Perfektion? Eine Art Perfektion, damit es gut, ausführlich und informativ klingt? Ich weiß es nicht. Normalerweise reichen mein Name, mein Alter und meine Hobbys doch vollkommen aus. Das kenne ich so noch von der Schule.
Kennt doch im Endeffekt jeder. Ich habe gerade eine komplette Blockade im Kopf. Trotzdem beginne ich mal langsam mit meinen Sätzen.
Ich bin Marco, wurde am 16.03.2000 in Bietigheim-Bissingen geboren. Der Ort liegt ca. fünfundzwanzig Kilometer von Stuttgart entfernt. Ich bin gelernter Kaufmann im Einzelhandel. In meiner freien Zeit mache ich gerne Sport. Am liebsten Fußballspielen, Joggen, ab und zu Krafttraining, Boxen und vieles weitere. Sportlich gesehen mache ich einiges gerne, nur Wintersport und Turnen sind überhaupt nicht mein Ding. Ebenfalls in meiner freien Zeit höre ich sehr gerne Musik. Ohne Musik in den Ohren geht überhaupt nichts bei mir.
Von Deutschrap, Charts, Latin, Rock und Pop ist alles mit dabei. Besonders gerne höre ich den Deutschrapper Kontra K. Reisen in meiner freien Zeit ist auch etwas ganz Großartiges. Ich liebe es, in anderen Städten und Ländern zu sein. Leider hatte ich bis jetzt sehr wenig Möglichkeiten, die Welt weiter zu erkunden. Aktuell ist Kroatien mein Lieblingsreiseziel. Des Weiteren treffe ich mich in meiner freien Zeit mit Freunden. Hier und da nette, lustige und tolle Gespräche führen, sowie schöne Momente zu sammeln. Dazu genüsslich einen Espresso trinken und einfach Aktivitäten nachholen, die jahrelang nur Träume waren. Gleichzeitig auch Aktivitäten für mich neu zu entdecken, auszuprobieren und Spaß zu haben. Genau mein Ding!
Ach ja, das habe ich fast vergessen. Ich liebe Hunde, Kinder, Geschwindigkeit, Adrenalin und habe nebenbei eine Schwäche für Tattoos.
Schon hier in den Sätzen fällt es mir nicht leicht, etwas von mir Preis zu geben. Daher jetzt kurz eine Mini-Zusammenfassung. Papa ist ein stolzer Italiener, Mama Deutsche, ich habe einen fünf Jahre jüngeren wunderbaren Bruder. Wozu ich noch sagen muss, dass ich von Daddys Seite noch zwei Geschwister habe. Und ich habe liebevolle Großeltern. Trotz meiner Lese- und Rechtschreibschwäche habe ich außerdem zwei Schulabschlüsse sowie eine abgeschlossene Berufsausbildung. Natürlich hat oder muss eine Lese- und Rechtschreibschwäche keine großen Auswirkungen auf schulische Leistungen haben.
Dieses Thema wird im Laufe des Buches noch mal aufkommen. Sportlich war ich im Laufe meines Lebens auch schon recht erfolgreich. Das mag jetzt alles vielleicht schön klingen und passt gerade kein Prozent zum Buchtitel. Dennoch war nicht alles leicht, mit Lebensfreude verbunden und schön. Geschweige denn harmonisch wie jetzt. Es liegen Jahre mit schweren Erlebnissen, Niederschlägen und Perspektivlosigkeiten dazwischen. Schon bemerkt, dass ich meinen Nachnamen nicht erwähnt habe?
In meinem Leben gab es sehr viel Trauer, Tränen, Unglaubwürdigkeit, Mobbing, Gewalt und einiges mehr, das ich noch aufzählen könnte. Mal kurz ein paar Sätze zwischendurch. Zum Thema „von sich etwas Preis geben“. Niemand! Aber auch wirklich niemand auf dieser Welt muss von sich alles erzählen oder von sich etwas preisgeben.
Kein Mensch auf dieser Welt ist dazu gezwungen, sein Leben oder was auch immer ins Detail zu erzählen. Heutzutage sehen das viele in der Gesellschaft anders. Viele wollen, dass du am besten alles von dir preisgibst. Alles erzählst. Am besten erzählst du noch das genaue Datum, die genaue Jahreszeit und übertrieben gesagt die genaue Uhrzeit. Wenn Betroffene sich allerdings davon abgrenzen wollen, dann wird das leider oft kritisiert oder man wird gegebenenfalls als Lügner, Erfinder und sogar als Aufmerksamkeitsgestörter verurteilt. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich weiß, wie sich das innerlich anfühlt und auch, wie es hinter dem Rücken Stiche hagelt. Wir in der Gesellschaft müssen lernen zu akzeptieren und müssen lernen zu verstehen. Anstatt immer mehr zu wollen.
Einfach akzeptieren und lernen, dass gewisse Situationen im Leben nicht leicht zu erzählen sind. Jeder von uns möchte doch nur sein begrenztes Leben leben. Denn die Zeit läuft gegen uns alle. Es gibt einige dort draußen, inklusive mir, die wissen, wie hart es sein kann, schwere Ereignisse und Erlebnisse erlebt zu haben und damit leben zu müssen. Gleichzeitig braucht es Zeit und vor allem Vertrauen darüber zu sprechen, sowie im Alltag damit umzugehen. Eine einzige Therapie oder auch kurz vertrauliche Gespräche reichen dazu niemals aus. Ganz im Gegenteil. Es ist ein Lernprozess, damit umzugehen. Ein Lernprozess auf Zeit. Eine Zeit, die einem die Kraft raubt.


2 Warum Chaos?

Chaos = Durcheinander, kein Durchblick, etc.
Eigentlich ist das Wort „Chaos“ ein sehr bekanntes Wort. Es lässt sich in zahlreiche Ereignisse und Situationen einordnen. Dennoch habe ich einige Beispiele parat:

„Momentan ist die Situation auf der Arbeit ein komplettes Chaos.“
„Zurzeit sind die Baustellen in vielen Gebieten ein Chaos.“
„Die Deutsche Bahn ist heute wieder ein totales Chaos.“

Keine Sorge, es geht im Buch weder um Baustellen noch um die Deutsche Bahn. Hier geht es um meine persönlichen Gefühle, Emotionen, Gedanken, Entscheidungen und Taten. Ein Chaos, das meinen Kopf und meine Handlungen jahrelang kontrolliert hat. Ein Chaos, das mich stark gemacht hat, aber mich auch sehr schwach gemacht hat. Ein Chaos, das mir hier und da den Weg zeigte, aber das mir auch die geschlossenen Türen in einer Zelle ins Gesicht hielt und mich gequält hat. Wie im Gefängnis, bloß ohne jegliche Straftaten. Ein Chaos eben.


3 Trauer und Tränen

Ich werde traurig, wenn ich scheitere.
Ich werde traurig, wenn ich mir etwas vorgenommen habe und das dann nicht umsetzen kann.
Ich werde traurig, wenn ich mir Mühe gebe, aber daraus nichts wird.
Ich werde traurig, wenn ich meine Leistung und mein Können nicht abrufen kann.
Ich werde traurig, wenn ich spontan Freunden absage aus Scham.
Ich werde traurig, wenn mir nichts zugetraut wird.
Ich werde traurig, wenn ich ohne jegliche Absicht einen Fehler mache.
Ich werde traurig, wenn ich in Fressattacken verfalle.
Ich werde traurig, wenn ich am Telefon nicht „nett“ behandelt werde.

Der ganze Mist begleitet mich seit klein auf und es scheint bis heute kein Ende zu geben. Es fing alles mit meinem Stiefvater an. Sein Nachname ist auch mein Nachname. Ich bekomme schon einen Brechreiz, wenn ich meinen Nachnamen lese oder auch nur höre. Gleichzeitig schäme ich mich für meinen Nachnamen. Es steckt einfach nichts Italienisches dahinter und dieser Nachname trägt so viel Wucht an Gewalt mit sich. Bis heute war dafür keine einzige Therapie ausreichend und selbst ein Gerichtsprozess brachte keine Ruhe in mein Leben. Keiner glaubte mir, diese schrecklichen Taten erlebt zu haben. Mal ehrlich … Wer erfindet eine Vergewaltigung? Wer erfindet eine Vergewaltigung, die jahrelang stattgefunden hat?
Wer erfindet eine Vergewaltigung, die im Kindesalter stattgefunden hat? Kann mir das bitte jemand erklären?
Somit ist und bleibt er bis heute unbestraft und auf freien Fuß. Dafür darf ich mit den ganzen Konsequenzen leben, die mir noch einige Probleme bereiten werden, von denen ich jahrelang kein Stück wahrgenommen habe. Soviel zum Thema Fantasiewelt und eine rein erfundene Geschichte. Genau dies war das Urteil des Gerichtsprozesses vor einigen Jahren.
Mein leiblicher Vater hatte davon keine Ahnung, was mir angetan wurde und er weiß es bis heute auch nicht. Mein Vater war in meinem ganzen Leben kein Zentimeter für mich da. Er hat sich lieber mit Alkohol zugeballert, anstatt sich zu erkundigen, wie es seinem eigenen Sohn geht. Jetzt lebt er in Italien und dies bleibt nicht unbegründet. Anstatt für seine Taten gerade zu stehen, versteckt er sich in seinem Loch und kann dabei nicht ehrlich zu sich selbst sein. Natürlich vermisse ich meinen Vater und habe auch entsprechend in den letzten Jahren den Kontakt gesucht. Meine Suche war erfolgreich. Wir haben auch für einige Wochen den Kontakt halten können. Das Verhältnis zwischen uns war ein Auf und Ab. Es gab auch immer mal wieder Wochen und Monate, wo kein Kontakt zwischen mir und meinem Vater stammte. Mittlerweile ist der Kontakt endgültig beendet. Der Kontakt zu meinem Vater hat mir nicht gutgetan. Wir haben über viele Themen geredet, dabei versprach er mir Dinge, die im Nachhinein reine Lügen waren. Schon damals konnte er sein Versprechen nie einhalten.

„Verspreche niemals etwas, wenn du weißt, dass du dein Versprechen nicht einhalten kannst!“

Es ist traurig. Traurig, dass er für seinen Alkohol gelebt hat und sich wegen seiner Geldschulden versteckt hat. So hart das jetzt auch klingen mag, mein Vater hat sich keine Mühe gemacht, um mich zu sehen, meine Stimme zu hören und in brennenden Situationen mir zu helfen. Ich hätte so viel mit ihm nachholen können. Es versetzt mich in Trauer, wenn Väter mit ihren Söhnen wundervolle Momente miteinander haben. Am Wochenende zu zweit ins Stadion gehen, etwas Handwerkliches bauen oder zusammen eine Runde zocken und nebenbei Pizza inhalieren. Diese Momente hätte ich gerne erlebt, um mich später im Leben glücklich an das zurückerinnern zu können. Das gibt mir ein Gefühl, nichts wert zu sein. Als hätte ich keinen Vater verdient. Als hätte das Leben dies vorausgesehen. Dennoch gebe ich meine Hoffnung noch nicht auf, eines Tages einen Pflegepapa zu bekommen. Ich wünsche mir das so sehr und leider bin ich bis heute ohne jeglichen Erfolg unterwegs.
Jetzt bin ich vom Thema abgewichen, oder?
Für meinen Stiefvater war ich ein Objekt, ein Boxsack und ein lebendiges nichts könnendes Ding. Im Endeffekt = Ein Objekt. Seine Schläge waren Donner. Es waren Schläge, die mich von Kopf bis Fuß auf mich einprasselten. Tränen, die er ignorierte. Schmerzen, die er ignorierte. Schmerzen, die meinen Körper lila, blau und grün färbten. Tage, an denen das Sitzen eine Herausforderung war. Täglich hagelte es Schläge. Seine Hand war wie Beton und der Kochlöffel, den er schwang, war wie ein dicker Felsen, der abbrach und auf meine zarte Haut einschlug. Täglich Bestrafungen für das, was für ihn nicht gut genug war, was ihm nicht gepasst hat, wenn etwas nicht nach seiner Nase lief. Wenn ich versuchte, mich zu wehren, dann war der Ärger groß. Habe ich mit Fehlern vorgelesen, wurde es schmerzhaft. Da es für mich bald in die Schule ging, übten wir schon das Lesen. Nach seinen Vorstellungen hätte ich wie ein Profi lesen müssen. Habe ich nicht an seiner Zigarette gezogen, dann wurde es schmerzhaft. Habe ich mich nicht an seine Regeln gehalten, wurde es ebenfalls schmerzhaft. Habe ich seine Lust nicht gestillt, wurde es schmerzhaft. War ich beim Mittagessen oder Abendessen satt, musste ich so lange sitzen bleiben, bis mein Teller leer war. Ansonsten drohten mir Hausarrest und Fernsehverbot.
Und meine Mama?
Na, sie hatte davon keine Ahnung.
Es sind schlimme Dinge passiert, von denen Mama nichts wissen durfte. Mein Stiefvater drohte mir tief, falls ich nur einen einzigen Mucks Mama erzähle. Würde ich auch nur einen Buchstaben sagen, dann würde er mein Leben noch mehr zur Hölle machen. Also schwieg ich. Ich schwieg jahrelang, bis zum einem Zeitpunkt, wo sich Mama endlich von ihm trennte und sie mir diese Frage stellte: „Hat er dir etwas angetan?“
Auch zu dieser Zeit wusste ich nicht, wie sich die ganzen schlimmen Erfahrungen später auf meine Zukunft auswirken würden. Es waren drei Jahre mit intensiver Gewalt, seine Befriedigung, wenn er Lust hatte, seine niederwertigen Wörter wie: „Was bist du für ein Kind?“, „Du kannst nichts“, „Aus dir wird gar nichts“, „Du übst das so lange, bis du das kannst“ und dabei seinen dreckigen Charakter werden mir wohl nicht viel antun können. Schließlich war ich noch sehr jung und stand noch vor sehr großen Entwicklungen. Aber irgendwie hatte das Leben mit dem Finger immer auf mich gezeigt. Nicht nur mein Stiefvater war voller „Hass?“.
Kann ich es Hass nennen, wenn jemand so mit einem Menschen umgeht?
Ich denke, da hat jeder sein eigenes Wort dafür. Für meinen Teil nenne ich es Hass. Wie konnte ich als ruhige, liebevolle und freundliche Person so viel Müll erleben?
Selbst in der Schule flogen Wörter, Sätze, Gelächter und auch Fäuste in meinem Leben ein. Ich war insgesamt zwölf Jahre in der Schule. Davon waren ca. neun Jahre eine schwierige Zeit für mich. Der Unterricht war jedes Mal eine Qual. Habe ich falsche Antworten gegeben, dann brach die Klasse in Gelächter aus. Vor allem waren das die ersten zwei Schuljahre, in denen mich dieses Gelächter heimsuchte. Im Sportunterricht war das Gelächter ebenfalls ein A und O. Da ich in den ersten zwei Schuljahren nicht besonders körperlich fit war, war einiges schon vorprogrammiert. Zum Glück hat sich das in den Jahren schnell gelegt und es ging auch weiter sportlich bergauf. Zumindest im Sportunterricht hat das Gelächter „schnell“ ein Ende gefunden. Dagegen waren meine schulischen Leistungen eine reine Katastrophe. Ich brach sehr oft in Tränen aus, meist auch ganz heimlich. Eine Lese- und Rechtschreibschwäche kam auch noch dazu. Mathematik? Bloß weg damit. Ich war eine richtige Niete in Mathematik. Um meine Lese- und Rechtschreibschwäche zu verbessern, musste ich für einige Monate in eine andere Schule gehen. Gemischte Gefühle, Unsicherheit und Ängste durchflogen meinen ganzen Körper. Natürlich hat diese kleine Veränderung meine Klasse mitbekommen. Einige machten sich darüber lustig und einige schwiegen still vor sich hin.

„So ein Versager.“
„Aus dem wird gar nichts!“

Bei wem macht es Klick?
Hat sich etwa die kleine „Quatsch-Truppe“ spontan Kontakte hergeben lassen, um meinem Stiefvater näher zu kommen?
Also sich heimlich mit meinem Stievater sich getroffen um sich Auszutauschen, was mir wehtut?
Diese Vermutung ist definitiv nicht richtig, denn niemand wusste über meinen Stiefvater Bescheid. In den Monaten, in denen ich in eine andere Schule ging, bemerkte ich hier und da, wie der innerliche Frust mich leicht zerbrach. Beim Lernen machte ich oft Fehler und manche Übungen wurden nicht korrekt erledigt. Das deprimierte mich, ließ mich weinen und die Sätze, die mir mal gesagt worden waren, kontrollierten meinen Kopf. Es war ein Auf und Ab. Ein Auf und Ab meiner Gefühle. Ich war lernwillig und wollte dringend eine Verbesserung meiner Rechtschreibung. Ich wollte es. Ich gab mir jeden Tag Mühe. Passierten dennoch Fehler, schob es mich in die Stille zurück. Das Melden im Unterricht traute ich mir aus Angst auch nicht mehr. Meine Angst war zu groß, um ausgelacht zu werden. Das Selbstvertrauen zu mir selbst habe ich vollkommen verloren. Doch in dieser Klasse, wo alle die Lese- und Rechtschreibschwäche hatten, gab es niemanden, der nur ein einziges Lachen von sich gab. Mobbing? Fehlanzeige. Gab es wirklich nicht. Oft dachte ich darüber nach, ob meine Mitschüler und Mitschülerinnen in ihrer eigenen Klasse auch so fertig gemacht wurden. Gleichzeitig konnte ich aber spüren, dass alle eine Unsicherheit mit sich trugen. Ich war also nicht allein und das fand ich sehr toll. Auch dieses respektvolle Miteinander war immer das, was sich jeder von uns wünscht. Die Lehrerin mochte ich sehr. Irgendwie konnte sie spüren, wie schwer es mir fiel, bei gemeinsamen Aufgaben zu antworten. Oft rief sie mich einfach so auf und gleichzeitig sprach sie mir Mut zu. Mir wurde dabei immer heiß, schlecht und unwohl. Ich war auch panisch, schüchtern und ängstlich. Dennoch schaffte ich es oft, über meinen Schatten zu springen und ihr die richtigen Antworten zu geben. Waren aber doch noch falsche Antworten dabei, dann wurden meine Augen feucht und ich weinte auch mal mitten im Unterricht. Das Selbstvertrauen wurde somit wieder in eine Zelle eingeschlossen. Es machten sich allerdings Verbesserungen sichtbar. Beim Lesen wurde ich immer besser und selbst meine Rechtschreibung war in Ordnung. Ich erinnere mich leider nicht mehr, wie lang ich in dieser Schule war, aber es ging nach den absolvierten Monaten wieder zurück in die alte Klasse und Schule. Mit voller Energie und Motivation ging ich meinen „alten“ Alltag wieder an. Mein Kopf dagegen spielte ein wenig verrückt. Angst und Ungewissheit machten sich breit. Zurecht, denn es hatte sich nichts geändert.

„Mal schauen, ob du jetzt schlauer bist.“

Nette Begrüßung. Beim ersten Sportunterricht wäre ich am liebsten geflüchtet.

„Irgendwie hat er abgenommen. Mal schauen, ob er jetzt auch schneller rennt.“

Das waren verbale Backpfeifen ins Gesicht. Eine tiefe Trauer spürte ich in meinem Körper. Tränen liefen über meine Wangen und ich fühlte mich leer. Oft saß ich irgendwo in einer Ecke und weinte. Die ersten zwei Schuljahre waren nicht schön. Die Lehrer und Lehrerinnen haben mich auch nicht wirklich ernst genommen. Gleichzeitig hatte ich kaum den Mut, etwas zu sagen…
Und Freunde?
Na, ich hatte so gut wie keine Freunde. Ich hatte eine gute Bekanntschaft mit einem Mädchen. Wir waren Nachbarn. Es gab mal ein paar Treffen, bei denen wir spielten, mehr dann auch nicht. In der Ganztagsbetreuung spielte ich so gut nur mit einer Erzieherin oder beschäftigte mich selbst. Selbst Tischkicker spielte ich oft alleine. Yu-Gi-Oh! Karten waren für mich völlig uninteressant, also wurde ich schnell wieder zum Außenseiter. Meine ehemalige allerbeste Freundin sah ich fast jeden Freitag. Wir kannten uns seit der Geburt. Wir waren wie Geschwister. Wir spielten zusammen verschiedene Spiele, hörten ihre Musik-Playlist im Kinderzimmer, bauten Höhlen und vieles weitere. Wir waren sogar zusammen bei DRLG und lernten gemeinsam schwimmen. Einfach unzertrennlich. Doch auch dort gab es schwere Momente für mich. Beim gemeinsamen Essen durfte keiner einen Ton von sich geben, wenn doch jemand das Gespräch suchte, dann wurde es kurz unruhig. Das tut mir gerade echt weh zu schreiben, weil, wenn schon eine Möglichkeit besteht, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, das Abendessen zu genießen und dabei miteinander ins Gespräch zu kommen, aber es anscheinend verboten war, am Tisch zu reden, dann habe ich ehrlich gesagt keine Worte mehr dafür. Schließlich wussten wir ja damals nicht, dass unsere Smartphones heutzutage die Gespräche ersetzen werden.

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