Kunstwerk Odaliske

Kunstwerk Odaliske

Ruth al Wazzan


EUR 24,90

Format: 17 x 24 cm
Seitenanzahl: 156
ISBN: 978-3-99003-928-1
Erscheinungsdatum: 27.10.2011
Kaum eine Einrichtung des Orients hat die abendländischen Gemüter so fasziniert wie der Harem. Gerade weil man so wenig Konkretes über dieses geheimnisvolle Reich hinter hohen Mauern wusste, blühte die Vorstellung von ausschweifender Sinnlichkeit. Die in der Malerei des 19. Jahrhunderts als träge, wollüstig und aufreizend dargestellten orientalischen Frauen entsprachen eher den Projektionen der Europäer auf die Welt des Orients, denn der Wirklichkeit. Ruth al Wazzan beleuchtet diesen zauberhaften Ort mit den Augen der Kunsthistorikerin und gibt einzigartige Einblicke in die für uns so fremde Welt.
<strong>VORWORT</strong>

Die Beschäftigung mit dem Thema „Orient“ liegt in meiner Lebensgeschichte: An meinem neunzehnten Geburtstag habe ich mich mit einem Orientalen verlobt, der den größten Teil seiner Kindheit in Europa verbracht hatte, seine Wurzeln aber liegen in Mesopotamien.

Heute ist der europäische Kontinent ein Ort der Fremderfahrung für viele, die aus dem Nahen und Mittleren Osten stammen, geworden. Die Menschen dort hatten eine andere Religion und ihre Kulturzeugnisse schien eine Aura des Wunderbaren zu umgeben. Das 20. Jahrhundert ließ den Strom der Nachrichten schneller fließen und verkürzte die Reisezeiten erheblich. Die kulturelle Dimension des Orients in Europa – diese Durchdringung der beiden Welten – war meiner Erfahrung nach meist von „Bildern“ geprägt. Unser politisches Orientbild ist mittlerweile nach Län­dern differenziert, wandelbar und an aktuelle Ereignisse gebunden. Das ästhetische Orientbild jedoch basiert weiterhin vornehmlich auf überliefer­ten „Bildern“ und Assoziationen, die historische Veränderungen zu über­dauern vermögen und eine eigene Vorstellungswelt konstituieren. Bei Menschen, die mit dem Thema „Orient“ in Berührung kommen, stellen sich allzu oft Unwissen und Unbehagen im Kontakt mit dieser frem­den Welt heraus. Die Menschen formen die Welt, die sie nicht kennen, nach dem Vorbild der Welt, die sie kennen.

Kaum eine Einrichtung des Orients hat die abendländischen Gemüter so fasziniert wie der Harem. Gerade weil man so wenig Konkretes über dieses geheimnisvolle private Reich hinter hohen Mauern wusste, blühte die Vorstellung von ausschweifender Sinnlichkeit. Der Bilderfundus, aus dem wir bis heute unsere Vorstellungen schöpfen, stammt vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert, als die Künstler der Romantik eine starke Sehnsucht nach einer exotischen, in geheimnis­volles Licht getauchten Welt hatten. Die Bebilderung des imaginierten Harems mit Darstellungen von Haremssklavinnen, sogenannten Odalisken, aus dem 19. Jahrhundert ist ins Unterbewusstsein unserer Kultur eingedrungen und fester Bestandteil unserer Vorstellung vom Orient geworden. Um mit Vorurteilen aufzuräumen, ist es notwendig, die kulturgeschichtlichen Hintergründe der Haremisierung der islamischen Frauen zu beleuchten. Die Geschlechtertrennung im islamischen Kulturkreis, die die Frau auf den häuslichen Bereich beschränkt, entspringt der Vorstellung, die Frau be­säße eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

Die Visualisierungen dieser Haremssklavinnen, die sich vornehm­lich auf die Beschreibungen aus den Briefen der Lady Mary Montagu stützen und ansonsten der okzidentalischen Fantasiewelt entspringen, verdichten die Sehnsüchte des männlichen Betrachters. Die „Fremde“ – im mehrfachen Wortsinn – wurde zum Inbegriff erotischen Begehrens. Einen Gegensatz zum „Fremden“ bezeichnet das „Heimische“ – genau diese spiegelbildliche „Zugehörigkeit“ findet sich in der Etymologie von „Odaliske“. Dieser Begriff, in dessen Klang noch heute der Anhauch des Zauberhaft-Verführerischen mitschwingt, kam über das französische Wort odalisque aus dem türkischen Begriff odalik. Das Wortgebilde setzt sich aus oda (Zimmer) mit der Nachsilbe „-lik“ als „etwas zu etwas Gehörigem“ zusammen. Unter diesem „zum Zimmer Gehörigen“ wurde das „Zimmer­mädchen“ verstan­den, welches als „Sklavin der Haremsdame“ fungierte. In einem anderen Verständnis, doch vom wörtlichen Ursprung her damit fast identisch, ist das deutsche „Frauenzimmer“. Diese heute bestenfalls mit einem altbackenen Beigeschmack verbundene Bezeichnung für eine weibliche Person war ursprünglich die Bezeichnung für „Frauengemach“ (spätmittelhochdeutsch: vrouwenzimmer) mit der Gesamtheit der darin wohnenden Personen – alle Hofdamen im Gefolge der Fürstin. Dieser Begriff wurde erst im 17. Jahrhundert auf die einzelne weibliche Person übertragen, und zwar ursprünglich ohne negative Bedeutung, wie im Duden ausdrücklich vermerkt wird. Im unerschöpflichen „Deutschen Wörterbuch“ der Gebrü­der Grimm findet sich unter „Frauenzimmer“ ein Hin­weis, der – dem galanten Zeitalter entsprechend – aus dem Jahr 1738 stammt: Es ist die „Blume des Frauenzimmers“ – flos gynaecei – als Wortbedeutung des persischen Frauennamens Zebdelcaton. Damit schließt sich der Ring zum Begriff „Odaliske“ – vor allem hinsichtlich dessen, was in dieser Arbeit primär in seiner künstlerischen Beschaffen­heit betrachtet werden soll: die dekorative Bedeutung, die in der europäischen Vorstellung im Bezug auf das Genre des „Harems“ und seiner „Odalisken“ ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts tradiert wurde. Aus der Abfolge der Bilder im vorliegenden Werk zeigt sich – nicht nur unter der kunsthistorischen Prämisse –, welch entscheidende Rolle das Elementar-„Schmuckhafte“ in den künstlerisch exemplarischen Darstellungen spielt. Als der zentrale Gesichtspunkt schlechthin wirkt sich dies denn auch in seiner kunsthistorischen Bedeutsamkeit aus: Zusehends zeigt die immer weiter anwachsende rein ornamentale Struktur einen epochalen Stil­wandel malerischer Verselbstständigung an.

In dem so überaus bedeutsamen Werk von Ernst Gombrich über „Ornament und Kunst“ finden sich ungemein anregende Gedanken und beispielhafte Analysen, die dem Untertitel entsprechende Prinzipien der Kunst aufspüren, jedoch nichts, was thematisch der speziellen Komplexi­tät einer bildprägenden „Arabesken“-Struktur entspräche, wie sie hier bei Darstellungen der Odalisken zur Anschauung gebracht werden sollen. Bestimmender dagegen sind andere Untersuchungen, die die ornamentalen Möglichkeiten in der Kunst erörtern: so das Buch von Friedrich Piel über die „Grotteske“ als extremes Interpretationsmodell für die Interdependenz der Kategorie „Ornament“ mit einer sich daraus „bildenden“ Kunstwelt. Solche kategorialen Grenzüberschreitungen bzw. Verselbstständigungen im Bildhaften wie in der „Grotteske“ zeigen sich durchaus vergleichbar, aber eher auf ironisch-heitere Weise im Spiel der Rocaille. Eine absolute Gipfelleistung des ornamentalen Dekors in seinem geradezu erotisch aufreizenden Spiel mit dem Blick zeigt die Amalienburg im Park von Schloss Nymphenburg. Anhand dieser durch und durch ornamental strukturierten Raumschöpfung des bayrischen Rokokos (1734–1737 von Francois Cuvilliés) lässt sich in begründender Weise sogar der Wandel in der höfischen Gesellschaft verfolgen. Die gravitätische Regularität des Barocks wird hier derart „tänzerisch“ gelockert, dass alle „tektonische Kraft im fluktuierenden Reiz des Rahmengitters bis zur Verflüchtigung sublimiert“ wird. Das kapriziöse Wechselspiel des „Bildhaft-Ornamentalen“ im runden Spiegelsaal entzieht sich der Festlegung und schafft eine irreale „Verwandlungswelt“ zur „letztmöglichen Reflexion höfischer Selbstdarstellung“. Wenn man dieses „höfische“ Ambiente mit der orientalischen „Vorstellungswelt“ europäischer Kunstausprägung vertauscht, kann man mutatis mutandis eine ähnlich luxurierende Verselbstständigung bei den Interieur-Darstellungen mit Odalisken beobachten.

Im Hinblick auf den Ansatz eines erkennenden Sehens, mit dem hier in einer „ornamental“ nachspürenden und beschreibenden Betracht­ungs­weise eine lediglich punktuell zergliedernde, rein positivistisch „feststellende“ Betrachtungsweise überwunden (bzw. unterlaufen!) werden soll, sei schließlich noch an die Anfänge der Gestaltpsychologie erinnert. Diese wurde bekanntlich von Christian Freiherr von Ehrenfels begründet („Über Gestaltqualitäten“, 1890), von Max Wertheimer und anderen unter Maßgabe des „Bewegungssehens“ fortgeführt. Mit nachdrücklichem Hinweis auf diese Schule (Wolfgang Köhler, Kurt Koffka) hat Hans Sedlmayr in seinem programmatischen Aufsatz „Gestaltetes Sehen“ (in: Belvedere 1925) die Wandstrukturen der Fassade und des Innenraumes von Francesco Borrominis S. Carlo alle quattro fontane untersucht. „Gestaltetes Sehen“ folgt dabei einer elastischen Doppelstruktur ver­schiedener räumlicher, konkav-konvexer Entfaltungen. So kategorial andersartig das Objekt der Betrachtung – die architektonische Wandstruktur gegenüber der „odaliskischen“ Bildarabeske – ist, so ist doch das Fluktuierende als Prinzip solchen „Gestaltens“ eine im Wortsinn evidente Gemeinsamkeit. Die tiefer gehende Betrachtung dieser Odalisken-Bilder erfährt somit bei den künstlerisch eindringlichsten Schöpfungen ihre ikonologisch-sinnliche Schlüssigkeit in einem Seh- und Erlebniszusammenhang voll „ornamentaler“ Bewegtheit.

<strong>EINLEITENDES</strong>

Dem Orient – einer so oft bestaunten fernen Welt – galt vielfach und zu jeder Zeit großes Interesse, sei es, um sich daran staunend, sei es, um sich daran schaudernd zu ergötzen. Die Motive hierzu waren vielfältig.

Die Bedeutung der islamischen Welt für Europa ab dem 15. Jahrhundert war nicht so sehr von einer direkten kulturellen Beeinflussung gekennzeichnet. Das Osmanische Reich, das Europa seit der Eroberung Konstantinopels 1453 bedrohte, konsolidierte das kaiserlich-habs­burg­ische Machtgefüge gegenüber Frankreich. Die Verklärung des Orients zu einer exotischen Traumwelt konnte vielmehr erst beginnen, als die Gefährdung durch das Osmanische Reich nach der erfolglosen zweiten Belagerung Wiens (1683) kontinuierlich zurückgedrängt worden war, also die von dort ausgehende Gefahr immer mehr schwand. Diese Form der „Aneignung“ eines fantastischen Orients kulminierte in der Malerei der „Orientalisten“ des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der Europa begann, sein Kolonialreich bis an die Mittelmeerküste Nordafrikas auszudehnen. So wie Alexander der Große, der das griechische Reich mit dem persischen zu verbinden trachtete, eine Verschmelzung des Orients mit dem Okzident anstrebte, so hat sich auch Napoleon, als er auf dem Flaggschiff L’Orient mit seiner Flotte nach Ägypten (1799) segelte, als „Weltenherrscher“ verstanden. Die ihn begleitenden Wissenschaftler erschlossen für Europa die Welt des alten Ägypten.
Die Orientmalerei nahm in der napoleonischen Ära ihren Aufschwung und erreichte ihren ersten Höhepunkt in der französischen Romantik und im Spätklassizismus. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sie ihre lang andauernde europäische Blüte. Bei der Orientmalerei handelt es sich um eine Gattung der Malerei, die über eine bestimmte Bildthematik verfügt. Wie schon der Begriff nahelegt, ist es der „Orient“ als geografisch-kulturelles Gebilde, der den Stoff zu Historien­bildern, Genreszenen, Porträts, Architekturdarstellungen und Land­schaften lieferte. Es scheint gewiss angebracht, den „Orient“ beziehungsweise das im deutschen Sprachgebrauch übliche „Morgenland“ geografisch zu umreißen, um sich ihm zu nähern. Unter diesem Begriff wurden die islamischen Länder des Mittelmeerraumes und Mittelasiens verstanden, also die Levante mit Syrien und Palästina, ebenso wie Griechenland, die Balkan­länder und die Krim; selbstverständlich auch die Türkei und Ägypten, die arabische Halbinsel, Mesopotamien und Persien; weiters der Maghreb mit Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko und sogar das einst maurische Spanien – alles in allem die gesamte arabische, türkische und persische Sphäre.

Doch noch immer ist das Morgenland leichter mithilfe der Imagination zu bestimmen als durch ein Studium von Landkarten. Schon das bloße Wort „Orient“ suggeriert eine exotische Ferne, deren Festlegung auf ein reales Gebiet eher ernüchternd wirkt. Es sind bildhafte Vorstellungen, die unser Urteil über diese Landschaften, ihre Bewohner und ihre Kultur oft mehr prägen als konkrete Erfahrungen. Die Fantasie verschiebt die Grenzen und Zeiten hier leicht in den Bereich des Sagenhaft-Wunderbaren und Geheimnisvollen, der durch Formeln wie „Es war einmal“ oder „Sesam öffne dich“ erschlossen wird.

Seit der Antike finden sich Spuren des Orients in der europäischen Literatur, etwa bei Homer (Ilias, Odyssee) oder bei Aischylos (Die Perser). Texte und poetische Stoffe aus dem persischen und arabischen Raum waren im Abendland schon früh verbreitet, teilweise begünstigt durch friedliche oder unfriedliche Kulturkontakte, Handels- und Kreuzzüge. Die eigentliche literarische Entdeckung des Orients wurde in Europa wesentlich durch die erste französische Veröffentlichung der Geschichten von „Tausendundeine Nacht“ im 18. Jahrhundert gefördert – herausge­geben und übersetzt vom Orientalisten Antoine Galland (1646–1715). Für mehr als ein Jahrhundert sollte dies die einzige literarisch anspruchsvolle und sachkundig zusammengestellte Ausgabe dieser Geschichten in Europa bleiben. Sie prägten wesentlich das vorromantische Orientbild, nicht allein in Frankreich, sondern in ganz Europa, wo im 18. Jahrhundert französische Sprache und Zivilisation kulturelle Maßstäbe setzten. Bereits 1705–1708 kam eine anonym publizierte Populärversion auf den englischen Markt und 1711 lag auch eine erste deutschsprachige Fassung vor, die auf die französische Übersetzung zurückging. Aber erst 1823 bzw. 1839–1841 erschienen in Deutschland und England seriöse Ausgaben, die das arabische Original berücksichtigten. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde bei neuen Übertragungen noch auf die französische Version Gallands und nicht auf arabische Ausgaben der vollständigen Fassung aus dem 16. Jahrhundert zurückgegriffen. Schon die Ausgangssituation eines Herrschers, der seine Frauen gewohnheitsgemäß am Morgen nach der Liebesnacht töten lässt, bis er der klugen Scheherazade begegnet, die ihr Leben durch das unablässige Erzählen von Geschichten rettet, bot ein bizarres und exotisches Szenarium. Mit der Rahmenhandlung und den märchenhaften Stoffen schien sich für Europa eine Wunderwelt zu eröffnen, die die Fantasie zahlreicher Schriftsteller- und Leser­generationen anregte.

Auf sehr subtile Weise besang Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) die poetischen Vorbilder des Orients in seinem „West-östlichen Diwan“ (1819). Er unternahm darin den Versuch eines poetischen Dialoges zwischen westlicher und östlicher Kultur über die Zeiten hinweg. Persische und arabische Elemente vermischten sich bei Goethe zu einem Bild von orientalischer Literatur, in dem er eigene Liebeserlebnisse zu poetisieren verstand. In der persischen Literatur eines Hafis fand er eine Ausdrucksform, die Leidenschaft mit Geist im poetischen Spiel verband. Es ist ein elegant-erotisches Maskenspiel – eine Mischung aus Spiel, Ergriffenheit und poetologischer Artistik, worin auch subtil Ironisches schwebt.

Von ebenfalls erheblichem Einfluss auf die Literaten der Avantgarde und Dekadenz war Théophile Gautier (1811–1872) als Verkünder eines zeitgenössischen Exotismus aus romantischen Wurzeln. Der Dichter und Kritiker, der ursprünglich Maler werden wollte, bewies in zahlreichen literarischen Arbeiten, die orientalische Elemente enthalten, einen Sinn für optische Eindrücke. Die Handlung selbst tritt oft hinter die Schilderungen von Ambiente und Atmosphäre zurück. Die auch bei Gautier zu findende Mischung aus Trivialisierung und Poetisierung gilt als repräsentativ für das Orientbild um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Vorliebe für Monumentales und Dekoratives entsprach dem damaligen europäischen Zeitgeschmack. Der Autor selbst hatte eine Schwäche für die dekadente Aura des Orients und den Typ der dämonisch-verführerischen femme fatale. In der Erzählung „Une nuit de Cléopâtre“ (1845) wird die Titelfigur als buchstäblich männermordende Schönheit beschrieben. In einer Umkehr der Rollen gleicht sie dem willkürlichen Herrscher der Rahmenerzählung aus „Tausendundeine Nacht“. Cleopatra, sagenhaft schön und von exotischer Pracht umgeben, entledigt sich der Jünglinge nach der Liebesnacht.
Der Orient galt auch als wichtiger Bereich für europäische Wirtschaftsaktivitäten, deren spektakulärste Unternehmung der Bau des Suezkanals (1869) war. Aus diesem Anlass gab der Khedive (Vizekönig) von Ägypten bei Giuseppe Verdi eine Oper in Auftrag – sie sollte in ausschließlich ägyptischem Stile sein – „Aida“. Des Weiteren entstanden zwischen Europa und dem Orient neue Bahnverbindungen, die wohl bekannteste war der Orientexpress auf der Strecke Paris–Wien–Konstantinopel (1888).
Eng mit der touristischen Erschließung verknüpft war die Entdeckung und Aneignung des Orients als Kunst- und Sehnsuchts­landschaft, ja als Gegenwelt zur westlichen Zivilisation. Schönheit und Freiheit zu finden, das war wohl der Grundgedanke abendländischer Orientsehnsucht.
Nicht zu vergessen sind die Weltausstellungen und großen Kunstausstellungen in den Metropolen Europas im 19. Jahrhundert, die eine wahre Flut unterschiedlichster Kunst- und Industrieerzeugnisse mit sich brachten.

Eine Verarbeitung orientalischer Impulse mündet bei Jean-Auguste Dominique Ingres’ Odalisken in eine glückliche Synthese aus östlicher und westlicher Kultur. Obwohl Ingres (1780–1867) europäischen Boden nie verlassen hat, setzte er sich aus zeitgeistigem Interesse am Orient intensiv mit persischen Miniaturen, Kostümstichen und Reiseberichten auseinander. Maßgebliche Bedeutung hatte für Ingres die Lektüre der Briefe von Lady Mary Montagu, in denen sie über ihre Einladungen in verschiedene Harems berichtet; es war ein absolutes Privileg einer Frau noch vor ihrem Mann, der von 1716–1718 als Botschafter in Konstanti­nopel akkreditiert war, Zutritt zu einem Harem zu erhalten. Mit der „Großen Odaliske“ von 1814 prägte Ingres den Mythos der sagenumwobenen Haremsdame. Delacroix ist der einzige Maler, von dem bekannt ist, dass ihm auf seiner Marokkoreise im Jahre 1832 Zutritt zu einem Harem gewährt wurde. Resultierend aus diesem Erlebnis malte er zwei Jahre später „Die Frauen von Algier“.

Inwieweit der Gegenstand der Orientmalerei überhaupt mit dem real existierenden Orient übereinstimmt oder vielmehr von dessen Spiegelung im westlichen Auge bestimmt wird – gewissermaßen als Konstrukt westlicher Bedürfnisse und Ängste –, ist eine Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt.

In weiterer Folge erscheint in der Malerei des 19. Jahrhunderts die Odaliske als Bildtyp in Form eines Akts oder Halbakts, ausgestattet mit orientalischen Attributen wie Schmuck, Pfauenfedern und Turban. Meist befindet sie sich in einem Interieur, das gefüllt ist mit orientalischen Requisiten; oft ruht sie auf Kissen oder auf einer Ottomane, häufig mit einem Vorhang im Hintergrund, der verbirgt und zugleich enthüllt. Diese einfachen Elemente werden reich variiert; oft findet man im Vordergrund oder an anderer prominenter Stelle im Bild auch kleine Tischchen, Vasen, Flaschen und die nargileh (Wasserpfeife) sowie andere dekorative Gegenstände.

17.12.2011Kunstwerk Odaliske

Salzburger Nachrichten

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