Fotojournalismus im Wandel der Zeit

Fotojournalismus im Wandel der Zeit

Uwe Stark


EUR 15,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 54
ISBN: 978-3-95840-727-5
Erscheinungsdatum: 05.12.2018
Die Geschichte des Fotojournalismus ist fast so alt wie die Fotografie selbst, sie reicht von den Anfängen der Daguerreotypie bis ins digitale Zeitalter. Ob Kriegsberichterstattung oder Boulevardmedien: Die Arbeit des Bildjournalisten ist eine Entdeckung wert.
Einleitung


Seit es die Fotografie gibt, wird versucht, damit auf die eine oder andere Weise Geld zu verdienen. Wie kaum ein anderer Beruf ist der Beruf des Fotojournalisten dabei einem stetigen Wandel unterworfen – und das nicht immer zum Vorteil derjenigen, die ihn ausüben.
Woran liegt das? Ausschlaggebend dafür ist zum einen natürlich die technische Entwicklung, die den Fotojournalisten immer von zwei Seiten trifft: Neben der Weiterentwicklung der Kameras und des Entwicklungsprozesses im Allgemeinen, ist der Fotojournalist auch immer von den technischen Veränderungen in der Medienwelt – seinem Auftrag- bzw. Arbeitgeber – betroffen. Noch 2006 schrieb Julian J. Rossig in seinem Buch „Fotojournalismus“:

„… Für den normalen Redaktionsalltag, in dem vor allem Geschwindigkeit zählt, werden Sie sich vermutlich gegen eine analoge und für eine digitale Kamera entscheiden. Generell empfiehlt es sich, im Laufe des Produktionsprozesses ‚Medien-Sprünge‘ möglichst zu vermeiden. Sollte Ihre Redaktion noch mit Dias arbeiten, sind Sie mit einer 35-mm-Kamera besser bedient als mit einem Digitalmodell, dessen Fotos erst wieder geprintet werden müssen …“

Ein Hinweis, der – nur zehn Jahre später – bereits überholt ist, denn heute gibt es wohl kaum noch ein Medienunternehmen, das mit analoger Fotografie arbeitet.
Zum anderen wirkt sich aber auch der gesellschaftliche und politische Wandel seiner Umwelt auf den (Foto-)Journalisten aus: Im Zeitalter des Internets mit seinem „unendlichen“ Gedächtnis spielt der Persönlichkeitsschutz fotografierter Personen eine ebenso große Rolle wie die „political correctness“ beim Umgang mit Personen des öffentlichen Lebens – Faktoren, die vor dem Eintritt ins digitale Zeitalter einen ganz anderen Stellenwert besaßen. Dies hat sich nicht zuletzt auch auf die Rechtsprechung ausgewirkt.
Den Einfluss all dieser Faktoren darzustellen ist Ziel der Arbeit. Allerdings macht die Komplexität des Themas eine Raffung notwendig, sollen Umfang und Zeitaufwand nicht den vorgegebenen Rahmen sprengen.



A: Definition und Differenzierung

Wer oder was ist denn nun aber ein Fotojournalist? Dazu braucht es zunächst einmal eine Definition des Journalismus an sich:
Ein Journalist beobachtet – als Nichtbeteiligter! – verschiedenste Themengebiete und berichtet darüber in einem Medium aktuell, themenbezogen und faktisch korrekt. Um formell als Journalist angesehen zu werden, muss er entweder mehr als die Hälfte seines Einkommens aus diesem Beruf erzielen oder mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit mit journalistischer Tätigkeit verbringen.
Für den Fotojournalisten gelten dieselben Voraussetzungen, mit dem Zusatz, dass er seine journalistischen Arbeiten auf dem Weg der Fotografie transportiert.
Im Unterschied zum Public-Relations- oder Werbefotografen tut er dies im Sinne einer objektiven Berichterstattung und unbeeinflusst von den Interessen der fotografierten Personen, Objekte, Veranstaltungen oder Institutionen.
So weit die Theorie – zur Praxis verweise ich auf den Abschnitt „Gedanken zum Berufsbild des Fotojournalisten“.
Und was bedeutet diese Definition nun für die Praxis? Ein guter Fotojournalist verfolgt mit seinem Foto immer zwei Ziele. Nehmen wir als Beispiel einen Autounfall, verursacht durch einen betrunkenen Fahrer. Mit dem Bild des total zerstörten Fahrzeugs, der Rettungskräfte und sekundären Folgen wie Stau, Umweltschäden etc. dokumentiert er den Unfall. Gleichzeitig transportiert das Bild eine Botschaft: „Das kann passieren, wenn man betrunken am Steuer sitzt!“
Auch der Werbefotograf tut das – aber mit dem Unterschied, dass er alles tut, um das Produkt seines Auftraggebers gut aussehen zu lassen. So wird in der Produktfotografie durchaus mit Tricks gearbeitet, sowohl am Set als auch später am Computer. Ähnliches gilt für den PR-Fotografen, der Porträtfotos für die Werbebroschüre seines Auftraggebers herstellt. Der entscheidende Unterschied im Journalismus ist die Objektivität und die unverfälschte Realität. Umfangreiche Nachbearbeitungen oder gar gestellte Aufnahmen sind für den Fotojournalisten – in der Regel – tabu.



B: Geschichtliches

Die Geschichte des Fotojournalismus ist fast so alt wie die Fotografie selbst und immer sehr eng mit deren technischer Entwicklung verknüpft. Von dem Moment an, als die ersten Fotogeräte halbwegs transportabel wurden, begann das fotografische Genre, das man als Fotojournalismus bezeichnen kann. In den ersten Jahrzehnten lieferten Fotografen Bilder zur Illustration von Artikelinhalten. Das Umsetzen von Fotografien zu Holz- oder Kupferschnitten, die anschließend gedruckt werden konnten, war sowohl kompliziert als auch langwierig und teuer. Erst mit fortschreitender Entwicklung von Kamera und Drucktechnik wurde daraus das Berufsbild des Fotojournalisten, wie wir es heute kennen.


Als es mit der Erfindung der Daguerreotypie ab 1839 möglich wurde, die Umwelt in Bildern für die Nachwelt festzuhalten, begann man wenig später nicht einfach „nur“ Bilder zu machen, sondern man experimentierte auch damit, das Zeitgeschehen in Bildern zu dokumentieren. Das Zeitungswesen war bereits weit entwickelt und hatte einen stetig wachsenden Leserkreis. Illustrationen zu Artikeln wurden von Zeichnern entworfen und auf Holz- oder Kupferschnitten umgesetzt und so in Druck gegeben.
In Frankreich gab es mit dem Unternehmen Havas bereits die erste Nachrichtenagentur, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg AFP, die heute drittgrößte Nachrichtenagentur der Welt, hervorging. Etwa um die gleiche Zeit wurden die ersten Bildmagazine gegründet, so z.?B. die „Illustrated London News“. In Deutschland wurde 1843 als erstes bebildertes Magazin „Die illustrierte Zeitung“ (später „Leipziger Illustrierte“) gestartet, die sich ?bis 1944 hielt.
Alle diese Projekte waren große Erfolge. Bilder belebten die eintönigen Blätter und ließen das Publikum an dem Geschehen – oft an weit entfernten Orten – teilhaben.
Die Fotografie eröffnete völlig neue Möglichkeiten, und so dauerte es nicht sehr lange, bis findige Männer den Bedarf erkannten und nach Möglichkeiten suchten, damit Geld zu verdienen.
Als erste dokumentarische Fotos gelten heute die Aufnahmen von Hermann Biow und Carl F. Stelzner nach dem verheerenden Großbrand in Hamburg 1842.
Ein Ereignis weltgeschichtlicher Bedeutung begründete die zeitweise Vormachtstellung der USA zu Beginn der Fotoära in sowohl fototechnischer als auch fotohandwerklicher Hinsicht: Der amerikanische Sezessionskrieg (1861/65).
Noch im selben Jahr, in dem Daguerre sein Verfahren der französischen Öffentlichkeit präsentiert hatte, brachten amerikanische Zeitungen Veröffentlichungen darüber, inklusive detaillierter Beschreibungen des Verfahrens. In kürzester Zeit verbreiteten sich die Informationen, und technikinteressierte Männer begannen, eigene Kameras zu entwickeln und sich die notwendigen Labore zu bauen. Im Mexikanisch-Amerikanischen ?Krieg (1847) entstanden die vermutlich ersten Kriegsfotografien der Geschichte. Eine wahre Bilderflut jedoch löste der Amerikanische Bürgerkrieg aus. Auf beiden Seiten begleiteten Fotografen die kriegführenden Truppen, und sowohl in den Nord- wie in den Südstaaten waren in der Etappe Fotografen unterwegs. Da waren einerseits zunächst die Porträtfotografen, die Bilder der Soldaten für deren Familien machten und – in der Etappe – Bilder der Familien für die Soldaten.
Aber die die Truppen begleitenden Fotografen dokumentierten auch das ganze Grauen des Krieges, als die Militärdoktrin der offenen Feldschlacht des 17. und 18. Jahrhunderts erstmals auf die moderne Waffentechnik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prallte.
In Zeitungen veröffentlicht wurden davon (vermutlich) nicht sehr viele. Das Problem der technischen Umsetzung wurde bereits erläutert. Außerdem war der Transport der fotografischen Platten heikel und die Entfernungen zu potenziellen Abnehmern oft groß. Dazu hatten auch die Regierungen beider Seiten kein Interesse daran, durch die Veröffentlichung Dutzender verstümmelter Toter und Verletzter ihre Rekrutierungsbemühungen zu untergraben.
Die überlieferten Aufnahmen aus dieser Zeit zeigen aber den Wahnsinn des Krieges in derselben Eindringlichkeit wie die späteren Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg:
Die weiten Strecken und die – relativ – mobilen Armeen zwangen die begleitenden Fotografen ebenfalls zu einer gewissen Mobilität. Sehr schnell kommt es zum „Bau“ beweglicher Fotolabore, um die notwendige sofortige Entwicklung der Platten sicherzustellen.
In der Folge nahmen Aufnahmen zeitgeschichtlicher Ereignisse – vor allem kriegerischer – weiter zu, entsprangen aber meist der Initiative der jeweiligen Fotografen und weniger einem organisierten Vorgehen der Zeitungsverleger. Aufnahmen wurden von diesen je nach vorhandenem Angebot angekauft und waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nur noch bedingt aktuell.
Mit der Erfindung des Films durch George Eastman und der darauf basierenden Kodakbox-Kamera 1889 kam der technologische Sprung, der die Voraussetzung für den Fotojournalismus im heutigen Sinne war: Die Kameras wurden kleiner und mobiler, und – getreu dem Kodak-Motto „You push the button, we do the rest!“ – entfiel auch das Mitführen des Labors für die Fixierung der Platten.
Das Jahr 1898 brachte eine ganz andere Art von „Fortschritt“: Zwei Hamburger Fotografen schrieben juristische Geschichte, als sie in das Sterbezimmer des ehemaligen Reichskanzlers Bismarck eindrangen und Fotos des wenige Stunden zuvor Verstorbenen machten. Der Sohn des verstorbenen Politikers bemühte alle seine Verbindungen, um eine Veröffentlichung der Bilder des gebrechlichen alten Mannes zu verhindern. Dies war aber nach der damaligen Rechtslage nur über Umwege zu bewerkstelligen. Die beiden Fotografen (Wilhelm Wilcke und Max Priester) wurden wegen Hausfriedensbruch zu Gefängnisstrafen verurteilt, die Fotoplatten beschlagnahmt. Als Folge davon wurde das bis heute gültige „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photografie“ (kurz: KUG) erlassen.
Aus Sicht der Fotografen waren die Voraussetzungen für einen modernen Fotojournalismus nun gegeben. Wer hinterherhinkte, waren die Verleger. Zwar gab es bereits seit 1873 das Halbton-Druckverfahren, das 1882 durch Georg Meisenbachs Autotypie-Druckraster perfektioniert wurde. Doch es dauerte noch fast weitere zwanzig Jahre, bevor die Verleger auf das neue Verfahren umstellten. Dann allerdings war die Entwicklung nicht mehr zu bremsen. 1889 wurde in New York mit dem „Bain News Service“ eine der ersten Bildagenturen aus der Taufe gehoben. Etliche weitere folgten in kurzer Zeit.
Den nächsten großen Fortschritt brachte die Bildübertragung mittels Telegrafie. 1904 benötigte der deutsche Physiker und Mathematiker Prof.?Arthur Korn 44 Minuten für die Übertragung eines Fotos von München nach Nürnberg. Bereits 1906 wurde eine Entfernung von 1800 Kilometern überbrückt.
Über die vorhandenen Überseekabel wurde der globale Fotojournalismus praktisch über Nacht zur Realität.


Nach der menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Katastrophe des Ersten Weltkriegs – der fotojournalistisch praktisch unbeachtet blieb (Bauernschmitt/Ebert schreiben „unterbelichtet“) – und dem Ende der Inflation bekamen der Journalismus und der Fotojournalismus aus der Weimarer Republik neue, wegweisende Impulse:
Egon Erwin Kisch hob mit seinem epischen Stil den Schriftjournalismus auf literarisches Niveau, und mit Dr.?Erich Salomon mutierte der Fotograf vom Gehilfen des schreibenden Journalisten zum eigenständigen Bildjournalisten.
Erich Salomon wurde am 28. April 1886 in Berlin geboren. Nach einem Studium in Maschinenbau studierte er Rechtswissenschaften und promovierte 1913 in Rostock.
Zunächst Börsenmakler, verlor die Familie den größten Teil ihres Vermögens nach dem Krieg durch die Inflation. Mitte der Zwanzigerjahre gründete er ein kleines Taxiunternehmen und beriet während der Fahrt seine Kunden in juristischen Fragen. Seine dazu veröffentlichte Werbeannonce in der „Vossischen Zeitung“ soll der Grund gewesen sein, weshalb der Ullstein-Verlag auf ihn aufmerksam wurde und ihn als Mitarbeiter der Werbeabteilung beschäftigte. Schon nach kurzer Zeit begann er, zusätzlich journalistisch zu arbeiten, und wurde in der kurzen Zeit seiner fotojournalistischen Tätigkeit weltberühmt.
Seine Arbeit mit der relativ kleinen „Ermanox“ und ab 1930 mit der noch handlicheren „Leica“ ermöglichten ihm zusammen mit seinem dezenten, stets der Situation angepassten Auftreten und seiner Diskretion Zugang zu allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ereignissen und Personen. Wegen der strikten Respektierung der Privatsphäre seiner Zielpersonen von Neidern als „Hoffotograf“ verspottet, hatte er gerade deswegen dort Zugang, wo anderen der Weg versperrt blieb. Er selbst prägte für seine Arbeit den Begriff „Bildjournalist“, der bis heute die offizielle Berufsbezeichnung in Deutschland geblieben ist.
Dr.?Erich Salomon, seine Frau Maggy und sein jüngerer Sohn Dirk wurden aufgrund ihrer jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten im KZ ermordet, vermutlich am 7. Juli 1944. Nur seinem älteren Sohn gelang die Flucht nach England.
Zum Andenken an diesen Großen seines Berufs wird seit 1971 von der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) der „Dr.-Erich-Salomon-Preis“ vergeben.
Weitere große Namen aus dieser Ära sind Martin Munkacsi, Felix H. Man und „Umbo“ (Otto Umbehr).
Die Machtergreifung durch die Nazis 1933 beendete die kurze Blütezeit des Fotojournalismus und des freien Journalismus allgemein mit der sogenannten „Gleichschaltung“ der Verlage. Viele Verleger – und auch viele Journalisten – waren jüdischer Abstammung und/oder entschiedene Gegner der Nazis und anderer rechtsgerichteter Gruppierungen, sodass viele enteignet und verfolgt wurden. Nicht wenige, die nicht rechtzeitig flüchten konnten oder wollten, wurden – wie Erich Salomon – interniert und ermordet.
Der Zweite Weltkrieg ist, was die Dokumentation in der Presse angeht, ein Vorgeschmack auf die heutige Situation der Kriegsberichterstattung. Alle am Krieg beteiligten Nationen übten eine mehr oder weniger strenge Zensur aus, und so kann von einer freien Berichterstattung nirgends die Rede sein. Am stärksten war diese Zensur natürlich in den diktatorisch geführten Staaten der Achsenmächte, aber auch auf alliierter Seite in der UdSSR, wo die Propagandakompanien Teil der jeweiligen Teilstreitkräfte und entsprechend militärisch organisiert waren. Die USA und Großbritannien erfanden damals bereits das System des heute noch – oder wieder – üblichen „embedded journalism“, bei dem einzelne Journalisten oder Teams bestimmten Einheiten zugeteilt werden. So hatte man einen gewissen Einfluss darauf, was die „eingebetteten“ Journalisten zu sehen bekamen, und darüber hinaus waren diese verpflichtet, ihre Artikel resp. Fotos vor der Übertragung durch den Presseoffizier ihrer Einheit absegnen zu lassen.

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