Zahlensprache

Zahlensprache

Versöhnliche Betrachtungen über Gott und die Welt

Monika Maria Martin


EUR 18,90
EUR 15,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 326
ISBN: 978-3-99131-304-5
Erscheinungsdatum: 08.03.2022
Welchen Sinn haben die Existenz der Erde und das Leben des Menschen? Keiner geringeren Frage geht Monika Maria Martin in ihrem Buch nach. Antworten findet sie, indem sie logisches und intuitives Denken kombiniert und Zahlen auf völlig neue Weise versteht.
Vorwort

Dieses Buch geht von der Annahme aus, dass die Erde und das Leben auf ihr eine Ursache und einen Grund haben. Die Frage nach dem Sinn dieser Existenz beschäftigt den philosophischen Menschen und führt ihn immer wieder an die Grenzen des Erfassbaren.
Materie ist nicht selbsterklärend. Wer sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur und den Geheimnissen des Lebens beschäftigt, bekommt keine Antworten darauf, warum und wie sie funktionieren. Er kann lediglich deren Funktionieren beobachten.
Auch das genialste logische Denken ist nicht in der Lage, eine Barriere zu überwinden, hinter der sich ihm grundlegende Erklärungen auftun. Es scheint so, als ob dafür noch eine andere Komponente erforderlich ist, die dieses Denken ergänzt: Intuition.
Tatsächlich sind wichtige Erfindungen und wegweisende Entdeckungen in der Geschichte der Menschheit Kombinationen aus Aktion und Reaktion. Die Aktion besteht darin, dass sich ein Mensch mit maximaler mentaler Anstrengung einem Thema widmet. Diese intensive gedankliche Auseinandersetzung bewirkt eine Reaktion in Form eines Einfalls, durch den sich ganz unvermittelt eine neue Perspektive auftut. Die Antwort auf eine drängende Frage, die Lösung eines anstehenden Problems zeigt sich oft unerwartet, plötzlich und auf überraschende, kreative Weise. Der Begriff Intuition meint eine derartige Eingebung, die unmittelbar das Erahnen von Zusammenhängen oder das Erfassen eines Sachverhalts zur Folge hat.
Das berühmte „Heureka“ des Archimedes ist Symbol für dieses plötzliche „Ich hab’s!“, das in der Wissenschaft Quantensprünge begleitet.
Intuition ist somit ein wesentlicher Faktor für das wissenschaftliche Verständnis der Welt. Sie überbrückt jenen Punkt, den das logische Denken als unüberwindliche Barriere wahrnimmt und stellt die Lösung gerade in solchen Momenten zur Verfügung, in denen sich das Denken entspannt oder mit Dingen des Alltags beschäftigt ist.
Oft bedient sich Intuition einer bildhaften Sprache. Die Geschichte von Newton und dem vom Baum fallenden Apfel ist ein bekanntes Beispiel dafür. In jedem Fall ist Intuition unberechenbar in der Art und Weise ihres Auftretens und entzieht sich allen Kriterien, die sie für ein wissenschaftliches Denken erfassbar oder messbar machen. Daher bleibt ihr eine gebührende Anerkennung als Faktor wissenschaftlicher Arbeit weitgehend verwehrt.
Ein selbstverständlicher, anerkannter Aspekt jeder naturwissenschaftlichen Arbeit ist die Verwendung von Zahlen. Neben ihrer quantitativen Funktion erfüllen sie vor allem in Mathematik und Physik die Aufgabe, Vorgänge darzustellen und nachvollziehbar zu machen, die mit Worten nicht zu beschreiben wären. Über Zahlen erschließen sich in der Naturwissenschaft Bereiche, die an der Grenze des Erfassbaren liegen. Zahlen sind für das Denken des neuzeitlichen Menschen jenes Mittel, mit dem er sich maximal der Barriere annähern kann, die seinem Denken Grenzen setzt. Sie ermöglichen und unterstützen genau jenes mentale Aktivsein, das intuitive Lösungsgedanken als Reaktion zur Folge hat.
Ein Zusammenwirken von Verstand und Intuition auf der Basis von Zahlen scheint also der Weg zu sein, der Antworten auf grundlegende Fragen finden lässt und der es erlaubt, dem Phänomen Leben und seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen.
Die folgenden Ausführungen sind das Ergebnis konzentrierter mentaler Arbeit, die sich von Intuition leiten ließ. Durch sie erschließt sich die Welt der Zahlen auf eine ganz neue Weise. Diese Perspektive ist außergewöhnlich und stellt das gewohnte Denken vor eine große Herausforderung. Es tut sich dadurch aber ein Blick hinter die Kulissen auf, der auch für den Verstand logisch und plausibel ist. Insgesamt wird so ein Gesamtkomplex erhellt, der dem Menschen als denkendem, fühlendem, philosophischem und religiösem Wesen entspricht.
Traditionelle Denkweisen in all diesen Disziplinen mögen sich dadurch teilweise in Frage stellen. Was vielleicht als Provokation empfunden wird, ist nicht als solche gemeint, sondern als Anreiz für ein erweitertes Verständnis.
Es wird in den folgenden Kapiteln auf der Basis von Zahlen auf etwas Bezug genommen, das im religiösen Sinn dem Begriff Gott entspricht. Damit treffen Bereiche aufeinander, die unvereinbar scheinen mögen, die sich aus der gewohnten Sichtweise sogar widersprechen. Bibel und Mathematik auf einen Nenner zu bringen, mag wie die Quadratur des Kreises erscheinen und genau das ist es auch. Denken und Empfinden, Wissen und Glauben – was sich als Gegensatz darstellt, ermöglicht nur zusammen einen Blick in gemeinsame Hintergründe.
Auf Begriffe, die im traditionellen Sinn mit religiösen Vorstellungen belegt sind, wird in den Ausführungen so gut es geht verzichtet, um Missverständnisse oder Ablehnung zu vermeiden. Wird doch darauf Bezug genommen, so sind sie in einem umfassenden Sinn gemeint. Die Wortwahl ist insgesamt klar und sachlich gehalten und versucht auf diese Weise, einer objektiven und neutralen Darstellung gerecht zu werden.
Grundsätzlich wird Sprache als verbale Kommunikation verstanden und ist die Basis für zwischenmenschlichen Informationsaustausch. Mitteilungen werden in Worte gefasst und erreichen so das Gegenüber. Einfache ebenso wie sehr komplexe Zusammenhänge werden mit Hilfe des geschriebenen oder gesprochenen Wortes dargestellt und zum Ausdruck gebracht. Ob der so transportierte Inhalt aber auch wirklich verstanden wird, wie er gemeint war, hängt von einigen Faktoren ab. Unter anderem sind die persönliche Lebenserfahrung des Empfängers, sein Kulturkreis, die Zeitepoche, in der er lebt, und sein Weltbild ausschlaggebend. Worte sind manchmal vieldeutig und dadurch Quelle von Missverständnissen.
Zahlen sind generell präzise und werden eindeutig wahrgenommen. Unabhängig von Ort und Zeit weiß der Mensch, wie viel 7 ist oder 8, er erkennt zwischen 3 und 1 eine Differenz. Zahlen sind zwar eindeutig, haben aber im gewohnten Verständnis nur eine quantitative Aussage. Darauf beschränken sie sich aber nicht wirklich, sie beinhalten auch eine erzählende Komponente.
Sämtliche Schriften des Alten Testaments und darüber hinausgehende Überlieferungen im Judentum wurden in Alt-Hebräisch verfasst. Diese Sprache besteht aus Buchstaben, die gleichzeitig Zahlen sind. Jedem Zeichen, d. h. jedem Konsonanten in dieser Sprache, ist ein Zahlenwert zugeordnet. Zeichen in Kombination mit Zahlen beschreiben gemeinsam etwas, das über die Buchstaben allein nicht zum Ausdruck kommt. Das Zählen ist ein Teil des Er-zählens, die Zahl Bestandteil des Wortes.
Auch in anderen Sprachen zeigt sich dieser Zusammenhang, nicht nur in der deutschen, die mit der hebräischen verwandt ist. So steckt auch im italienischen „raccontare“ = „erzählen“ das Wort „contare“ = „zählen“, dasselbe gilt im Englischen für „recount“ bzw. „count“.
Sprachen selbst geben damit indirekt Hinweise auf einen vorhandenen Bezug zu Zahlen, der dem heutigen Denken aber völlig fremd und weitgehend unbekannt ist.
Die Bücher des Alten Testaments sind also in einer Sprache verfasst, die aus beidem besteht, aus Buchstaben und Zahlen oder besser gesagt aus Zeichen, die beides sind. Die schriftlichen Wurzeln dieser Aufzeichnungen reichen Jahrtausende zurück und gehören zu den ältesten Dokumenten in der Geschichte der Menschheit.
Die Thora ist für die jüdische Religion der wichtigste Teil dieser Schriften. Sie ist im Wesentlichen identisch mit den 5 Büchern Mose im Alten Testament des Christentums. Auch der Koran wurzelt in der Thora, sodass sie eine gemeinsame Grundlage bildet für das Verständnis dieser großen Weltreligionen. Es stellt sich als Tatsache dar, dass die weltumspannenden Glaubensgemeinschaften Judentum, Christentum und Islam in einer gemeinsamen Sprache wurzeln, die Wort und Zahl zugleich ist.
Grundlage aller 3 Weltreligionen sind somit dieselben uralten Texte. Diese Texte bestehen aus Wörtern, die gleichzeitig Zahlenkombinationen sind. In der traditionellen Lesart wird dieser Doppelcharakter nicht berücksichtigt, weil das Wissen über die Aussagekraft der Zahlen fehlt. Es ist aber anzunehmen, dass sich wesentliche Informationen und damit die eigentlichen Inhalte dieser Überlieferungen durch Einbeziehung der Zahlen erschließen. Denn der Doppelcharakter der hebräischen Zeichen hat wohl seinen Grund.
Aus Buchstaben geformte Wörter sind ganz selbstverständlich die Basis menschlicher Kommunikation. Gesprochene Laute und ihnen zugeordnete Schriftzeichen sind Merkmale aller Sprachen, die über die Zeitepochen hinweg in verschiedenen Kulturkreisen entstanden sind. Innerhalb einer kreativen Vielfalt an Verständigungsformen gibt es für jeden einzelnen Menschen eine ihm vertraute Muttersprache. Er hat sie als Kind erlernt und mit ihrer Hilfe bewältigt er seinen Alltag. Jede Sprache ist für eine bestimmte Gruppe von Menschen Muttersprache, sodass in Summe jede Mitteilungsform, die Wörter und Laute verwendet, als Muttersprache bezeichnet werden kann.
Leben und Überleben auf der Erde wäre nicht möglich ohne verbalen Austausch. Schon das Kleinkind lernt, seine Bedürfnisse zu artikulieren und verwendet einfache Grundbegriffe, um Hunger, Durst oder Schmerz zum Ausdruck zu bringen. Für den erwachsenen Menschen ist es eine Selbstverständlichkeit, sich mitzuteilen und andere wissen zu lassen, was er braucht. Laute und Wörter haben in diesem Sinn lebenserhaltende = mütterliche Funktion und teilen diese Eigenschaft mit „Mutter Erde“. Insgesamt ist Muttersprache, die Sprache der Laute und Buchstaben, auf das irdische Leben des Menschen bezogen.
Wenn religiöse Schriften sich einer Mitteilungsform bedienen, die Zahl und Buchstabe in einem ist, liegt die Vermutung nahe, dass Zahlen über jenen Bereich berichten, das über das irdische Leben des Menschen hinausgeht. Diese Vermutung trägt eine Forderung in sich. Sie fordert auf, zu akzeptieren, dass Zahlen eine Aussage machen und dass Kombinationen von Zahlen ebenso wie aus Buchstaben geformte Wörter etwas zum Ausdruck bringen können und es auch tun. Es gilt anzuerkennen, dass Zahlen eine Sprache sprechen und etwas äußern, das über ihre bekannte quantitative Funktion hinausgeht.
In ihrer qualitativen Funktion als Informationsträger erzählen sie in diesen alten Texten über einen Bereich jenseits des Irdischen. Sie erlauben einen Einblick in Prinzipien, die unabhängig von der Welt der Materie existieren. Somit kann als eigentliche, wesentliche Funktion von Zahlen ihre Fähigkeit bezeichnet werden, eine immaterielle Ebene, eine im religiösen Sinn geistige Sphäre für das menschliche Denken zu erschließen. Sie eröffnen die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erfassen, die im Hintergrund alles Erscheinende verursachen.
Einem hintergründig wirkenden Geistigen, das physisches Leben zeugt, wird nach uralter mythologischer Tradition der männliche Aspekt zugeordnet und damit die Rolle des Vaters. Es entspricht auch christlicher Ausdrucksweise, dieses Ursächliche und Göttliche „Vater“ zu nennen. Dieser Vateraspekt bildet das Pendant zum Mutteraspekt des Irdischen und steht für das Jenseitige, Absolute und Nicht-Irdische. Zahlen erzählen über diesen väterlichen, erzeugenden, absoluten Bereich. Ihre Sprache ist daher „Vatersprache“.
Hebräische Schriftzeichen sind so betrachtet beides, mütterlich und väterlich, irdisch und nicht-irdisch. Die Existenz einer Zahlensprache zu akzeptieren, bedeutet anzuerkennen, dass eine nicht-irdische Ebene existiert, die alles hervorbringt und somit auch alles Hervorgebrachte ist. Der irdische Mensch erlebt sich als Teil dieses Hervorgebrachten. Zahlen vermitteln ihm ein Verständnis jener Instanz, die alles hervorbringt und lassen den logischen Schluss zu, dass auch der Mensch aus einer väterlichen und einer mütterlichen Komponente besteht, dass er selbst irdischer und gleichzeitig nicht-irdischer Natur ist.
Die „Vatersprache der Zahlen“ in Verbindung mit der „Muttersprache der Wörter“ befähigt den Menschen, eine Ganzheit zu verstehen, die er auch selbst ist. Die Betrachtung alter Überlieferungen unter Einbeziehung der Zahlen eröffnet den Zugang zu Kernaussagen dieser Texte. Gleichzeitig erschließt sich durch sie der Sinn menschlicher Existenz. Diese Behauptung mag gewagt erscheinen. Inhalt und Zweck der folgenden Ausführungen ist es, diese Behauptung nachvollziehbar zu belegen.
In der „Vatersprache“ sind Zahlen Informationsträger und bringen nicht eine Quantität, sondern eine Qualität zum Ausdruck. Ihre qualitative Aussage eröffnet Einblicke in Grundlegendes und Ursächliches. Diese Aussagekraft der Zahlen ist ganz unabhängig vom gewohnten Umgang mit ihnen und hat nichts zu tun mit ihrer bekannten, vertrauten Verwendung für Berechnungen und Mengenangaben.
Sich mit der Sprache der Zahlen vertraut zu machen, ist mit dem Lernen einer Fremdsprache vergleichbar. Das Denken ist immer wieder herausgefordert, sich neu zu fokussieren, wird dafür aber mit einer sehr außergewöhnlichen und befriedigenden Perspektive belohnt.
Um diese Perspektive auf eine tragfähige Basis zu stellen, wendet sich der Blick vorerst zurück in die Vergangenheit und beschäftigt sich mit den Anfängen menschlicher Bewusstheit.


1. Kapitel
Bewusstsein, Mythen, Altes Wissen

Der Psychologe und Philosoph Erich Neumann galt als der bedeutendste Schüler von C. G. Jung, hat sich intensiv mit der Ursprungsgeschichte des Bewusstseins beschäftigt und dazu ein Buch mit gleichnamigem Titel verfasst. Auch in seinem Buch „Die große Mutter“ geht er auf grundlegende Zusammenhänge zwischen Unbewusstem und sich daraus entwickelndem Bewusstsein ein. Die folgenden Informationen darüber basieren auf diesem Buch.
Neumann informiert darüber, dass die Menschheit zu Beginn ihrer Entwicklung über eine Art Einheitsbewusstsein verfügte und eingebunden war in ein kollektives Sein. Uroboros, das Bild der sich in den Schwanz beißenden Kreisschlange ist das Symbol für diese kosmische Einheit, die alles Gegensätzliche in sich vereint. Diese Kreisschlange stellt ein großes Rundes dar, in dem sämtliche Elemente des Erlebens miteinander vermischt enthalten sind. Neumann sagt: „Uroboros steht für die Ungeschiedenheit des Chaos, ist der Urarchetyp des Unbewussten und Undifferenzierten und symbolisiert auch die miteinander vereinigten Ur-Eltern, aus denen sich später die Figuren des Großen Vaters und der Großen Mutter herauslösen.“
Erst allmählich entwickelte der Mensch als Einzelwesen ein individuelles Bewusstsein, spaltete sich ab von dieser Einheit und verlor damit auch mehr und mehr den Zugang zum unbewussten gemeinsamen Erleben und Wahrhaben. Nun trugen mündliche Überlieferungen urzeitliches Wissen wortgetreu von Generation zu Generation weiter. Die zugrunde liegende Gemeinsamkeit mythischer Überlieferungen zeigt sich in Archetypen und Bildern, die einander weltweit ähneln.
In all diesen Mythen wird versucht etwas zu beschreiben, das mit einer Alltagssprache nicht wirklich auszudrücken ist. Es wird in Bilder gekleidet, die symbolisch zu verstehen sind. Die Aussagen dieser Überlieferungen wörtlich zu nehmen, ist daher im Allgemeinen irreführend. Denn so bunt die geschilderte Bilderwelt auch sein mag, in der wesentlichen Essenz unterscheiden sich diese Erzählungen, die Alte Weisheit über lange Zeiträume hinweg transportieren, weltweit kaum voneinander. Sie beschreiben eine absolute Wirklichkeit, die sowohl transzendent als auch immanent ist, zeitlos überall gültig und deshalb auch hier und jetzt. In allen Völkern und Traditionen kommt darin das Verhältnis einer bekannten zu einer unbekannten Realität zum Ausdruck.
Barbara C. Sproul hat sich als Religionswissenschaftlerin eingehend mit den Schöpfungsmythen der östlichen und westlichen Welt beschäftigt und das Ergebnis dieser Arbeit in 2 Büchern zusammengefasst, die diese Thematik umfassend beschreiben.
Sie hat festgestellt, dass sich die meisten Schöpfungsmythen überall auf der Erde ähneln. Unbeeinflusst von einander beschreiben sie ein ursprüngliches, produktives Chaos, das die Gesamtheit des Seins in einem gleichzeitigen Nicht-Sein umfasst und noch keine Unterschiede in sich enthält. Die Schöpfung ereignet sich, indem sich dieses ungeformte Einheitliche beginnt zu differenzieren. Ab diesem Moment sind sowohl das Chaos als auch das Produkt des Chaos gleichberechtigte Teile einer Wirklichkeit, die aus sich selbst heraus entsteht. Jede tiefgründige Mythologie besteht deshalb auch strikt auf der unverbrüchlichen Einheit von Schöpfer und Schöpfung sowie der gegenseitigen Abhängigkeit von Sein und Nichtsein.
Andere Mythologien sind weniger philosophisch ambitioniert und beginnen mit der einen oder anderen Seite des entstandenen polaren Gegensatzes. Sie behaupten, das Sein war zuerst und kümmern sich nicht darum, woher es kam. Dasselbe gilt auch für die gegenteilige Behauptung, das Nichtsein war zuerst; manche fangen mit der „Henne“ an, manche mit dem „Ei“. In den meisten Schöpfungsmythen sind aber beide von Anfang an da, sowohl Sein als auch Nicht-Sein, sowohl „Henne“ als auch „Ei“.
Diese unerklärliche und eigentlich für den Menschen unfassbare Einheit, die allem zugrunde liegt, wird in allen Religionen als das Absolute, Göttliche und Heilige verehrt. Es bildet die Grundlage der wahrnehmbaren irdischen Wirklichkeit. Die meisten Religionen sehen die Schöpfung eingebettet in einen linearen Zeitfluss und sprechen von einer Erschaffung der Welt. Der Buddhismus betrachtet das Universum als einen pulsierenden Wechsel von Ausdehnen und Zusammenziehen, von Auflösung und Zusammenfügen, von Sein und Nichtsein. Im Grunde sind das nur Betrachtungsweisen aus verschiedenen Perspektiven auf etwas, das immer ist, weil es zeitlos ist. Es ist auch die zentrale Botschaft aller Schöpfungsmythen, dass das Absolute sowohl immanent als auch transzendent besteht. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Überlieferungen zeigt sich im Verständnis des Menschen als physischem Ausdruck dieser Dimension des Heiligen.
Um über das Absolute, den Urgrund allen Seins und Nichtseins berichten zu können, müssen sich Mythen und Religionen der Wörter des Alltags bedienen. Sie sprechen über das Unbekannte in Begriffen des Bekannten, sie beschreiben das Absolute mit Wörtern des Relativen. Das schafft weiten Raum für Interpretation und Missverstehen. Die in den Überlieferungen verwendeten Symbole stammen aus unbekannten Kulturen vergangener Zeiten und sind dem Denken und Erleben des heutigen Menschen daher meist fremd. Er ist dann versucht, die Ausdrucks- und Betrachtungsweise als primitiv abzutun, weil er den Sinn nicht erfassen kann. Aber selbst „primitive“ Naturvölker wie die Dogon in Afrika sind sich der Tatsache bewusst, dass die Sprache zur Beschreibung absoluter Zusammenhänge nur eine symbolische sein kann. Symbol bedeutet in deren Sprache wörtlich übersetzt: „Wort dieser niederen Welt“.

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