Sophia – Der göttliche Mensch

Sophia – Der göttliche Mensch

Ein Weg der seelischen Integration

Johannes Slacik


EUR 24,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 216
ISBN: 978-3-903861-32-9
Erscheinungsdatum: 29.04.2021
Auf sein Herz zu hören und sein Selbst zu leben klingt für die meisten als der Sinn des Lebens. Die Umsetzung ist aber einfacher gesagt, als getan. Johannes Slacik zeigt uns religionsphilosophisch fundiert auf, wie das geht.
PROLOG

Das Wissen über die seelische (Rück-)Integration des Menschen war in der Antike schon zur Gänze vorhanden. Umso verwunderlicher ist es, dass wir tausende Jahre später noch immer uns selbst suchen und den Sinn des Lebens hinterfragen. Über Philosophie, Religion sowie das Leben und seine Phänomene zu reflektieren, hatte immer bereits eine anziehende Wirkung auf mich. Auf meinem Weg zur Selbsterkenntnis und zu einem befreiten selbstbestimmten Leben fand ich alte Schriften und Weisheiten, inklusive Evangelien und Glaubenssysteme, welche bereits vor tausenden von Jahren genau diese Erkenntnisse aufzeigten, die ich bewusst und unbewusst suchte. In diesem Buch konnte ich jene zusammentragen, vereinheitlichen und als Modell und praktische Anleitung für den modernen Menschen zur Verfügung stellen. Als Weg der seelischen Integration.
Um über die Seele und die Erlösung der Seele schreiben zu können, bedarf es einiges an Hintergrundwissen, viel Reflexion und eigener Erkenntnisse. Jeder Mensch erlebt seine Seele und seinen Seelenzustand anders. Umso wichtiger wird die Auseinandersetzung mit altem Wissen und neuem sowie persönlichen Erkenntnissen, um allgemein gültige Aussagen bezüglich der persönlichen seelischen Integration und des Weges der Selbsterkenntnis treffen zu können.
Die Reise zur eigenen Seele ist spannend und zugleich erholsam. Sie ist inspirierend und erkenntnisreich, aber sie ist auch mühsam und manchmal sogar zehrend. Die seelische Integration ist heutzutage nur durch eine gewisse Konsequenz und Beharrlichkeit zu erreichen, denn die Muster und Glaubenssätze, die wir in unserer Kultur von Kindheit an aufnehmen, stehen teils hartnäckig einem glücklichen und erlösten Leben im Weg. Manchmal oder öfters steht man sich auch selbst im Weg. Veränderung kostet viel Kraft und Nerven und der Wille zur Veränderung muss groß sein, um es schließlich schaffen zu können.
Dieses Buch namens „SOPHIA – Der göttliche Mensch“ (sophia =
griechisch für Weisheit) präsentiert einen Weg der persönlichen Veränderung hin zur seelischen Integration, um schließlich als „ganzheitlicher Mensch“ leben zu können. Es werden darin Erkenntnisse und Weisheiten zusammengetragen, die helfen sollen, dieses Wissen für den persönlichen Zugang zur Seele zu interpretieren und damit die eigene Seele zu erkennen. Es führt uns durch eine religionsphilosophische Reise zu Weisheiten, welche bis heute ihre Wirkung nicht verloren haben. Es gelingt in diesem Buch, diese Gemeinsamkeiten erkenntnistheoretisch aus der theosophischen und anthroposophischen Sicht, welche beide das Ganzheitliche, Übersinnliche oder Göttliche im Menschen in gegenströmiger Richtung erkunden, zu vereinheitlichen und dabei Wissen aufzubauen. Theosophisch werden Erkenntnisse strukturiert sowie verständlich aufgezeigt und sind daher verallgemeinerbar. Anthroposophisch werden subjektive Erkenntnisse individuell erlebt, reflektiert und Bewusstsein des eigenen höheren Selbst kann erlangt werden. Als Resultat dieser religionsphilosophischen Weltanschauung und Vereinheitlichung wird das Anthropos Modell vorgestellt werden, welches die Dynamik des ganzheitlichen oder göttlichen Menschen visualisiert. Durch ein Erklärungsmodell der griechischen Archetypen kann aus der Fülle der Erkenntnisse und aus alten orientalischen Weisheiten auch eine praktische Anleitung für den modernen Menschen aufgezeigt werden. Somit kann Ihnen dieses Buch behilflich sein, liebe Leserin und lieber Leser, das eigene Selbst durch eine seelische Integration zu erkennen.
Aufgrund der Summe an Erkenntnissen aus alten Weisheiten und meiner vielen Reflexionen und Gespräche über persönliche Verhaltensphänomene, Glaubenssätze und Muster war es mir möglich, in einem Lichtblick den Sinn des Lebens zu erkennen und auch zu realisieren, wie wir diesen für uns individuell auch tatsächlich noch in diesem Leben finden und leben können. Ich fand meinen Sinn des Lebens und dieses Buch half mir einmal mehr dabei, die Reise zu mir, zu meinem Selbst und der seelischen Integration zu verstehen und anzugehen. Mögen diese Erkenntnisse auch Ihnen helfen und Ihren ganz persönlichen Weg zu Ihrem Selbst unterstützen.
Johannes Slacik



1 Einleitung

Der Mensch weiß mehr, als er versteht.
Alfred Adler

Bevor eine seelische Integration thematisiert werden kann, müssen wir zuerst definieren, was denn die Seele ist oder was zumindest darunter verstanden wird. Viele Religionen und Philosophien geben Erklärungen und Definitionen ab und neben unterschiedlichen Anhaltspunkten (wie zum Beispiel Alfred Adlers Zugang, der die Seele als Geist versus Körper verankert, oder Freud, der in der Seele das Über-Ich erkennt, oder Platon, der der Seele ganz im Sinne von Sokrates Unsterblichkeit zuspricht) gibt es auch Gemeinsamkeiten. Die Seele ist der Ur-Sprung unseres Selbst, frei nach Platons Philosophie, den Lehren von Jesus Christus und C. G. Jungs Erkenntnissen. Das „Selbst“, wie C. G. Jung es formulierte, ist gleichgestellt mit dem Begriff der Seele, wie er in diesem Buch verwendet wird. Die Seele oder Anima ist demnach etwas Übersinnliches, Unfassbares, dennoch Begreifbares, Unterbewusstes und ist im Kern das Selbst, aus welchem wir geboren wurden. Hier deutet der Begriff auf etwas Übernatürliches, ewig Existierendes hin, das fern allem Körperlichen liegt und dementsprechend mit Physischem nicht verwechselt werden darf. Manche Autoren wie zum Beispiel die Psychologen Alfred Adler, C. G. Jung, Theodore Flournoy, aber auch Goethe oder Nietzsche schreiben der Seele bzw. dem seelischen Zustand „Gottähnlichkeit“ zu. Manche Evangelien wie zum Beispiel das Evangelium nach Thomas (3)
oder nach Lukas (17:21) weisen ebenso auf „das Göttliche in dir“ hin. In diesem Sinne sind auch fernöstliche Weisheiten wie der Buddhismus und im Besonderen der Taoismus offen für diese Göttlichkeit in einem selber – im Selbst.
Wenn wir uns nun mit dem Selbst – unserer Seele – befassen, dann kommt unweigerlich die Frage auf, was denn der Sinn unseres Daseins ist, was denn die Seele will, sprich das Selbst, welches hier auf Erden in uns verkörperlicht ist, und wie wir dem Anspruch der seelischen Integration letztendlich Genüge leisten können, um glücklich zu sein. Wie können wir in unserem Alltag uns selbst treu sein und trotz Schwierigkeiten und Herausforderungen des Alltags uns selbst verwirklichen? Unser Selbst zu verwirklichen bedeutet, unsere Seele zu verwirklichen – unserer Seele Ausdruck zu geben.
Viele der alten Schriften, Weisheiten und Überlegungen haben sich schon genau mit diesem Kernthema des Menschen befasst. So zielen auch die Weisheiten von Jesus Christus, übertragen durch die Evangelien seiner Apostel, darauf ab, ein glückliches Leben zu leben. Und er gab uns auch die Anleitungen mit, wie dies zu schaffen wäre. Leider hat die Kirche mit ihrem ausgeprägten und jahrtausendelangen Machtanspruch viel von den Texten und den damals bereits existierenden Weisheiten der Gesellschaft weggenommen. Wissen wurde systematisch in publizierten Schriften, wie auch der Bibel, gekürzt, einbehalten und sogar komplett gelöscht. Viele Texte wurden verbrannt und eine Bewahrung der Texte wurde teils sogar mit dem Scheiterhaufen bestraft. Wissen ist Macht und die Politik und manche Religionsoberhäupter, wie alle geschichtlichen Päpste oder Agakhane im Islam, wissen das und reagieren bereits seit dem Altertum darauf.
Die Summe der alten Weisheiten verschwand und übrig blieben Texte mit halber Aussagekraft und halben Wahrheiten. Daraus kann keiner schlau werden, geschweige denn sein Leben verbessern. Es gab manche Propheten und Spirituelle, welche diese Texte und die darin versteckten Weisheiten nicht brauchten, um auf selbiges Wissen mit ähnlichen Resultaten zu stoßen, wie zum Beispiel Marguerite Porete, Franz von Assisi oder Teresa von Ávila. Manche der geschichtlichen Figuren wurden von der Inquisition am Scheiterhaufen verbrannt, manche versteckten sich und lebten und lehrten im Geheimen. Denn das Lehren war für diese Menschen wichtig. Wer solch allumfassende Weisheiten erfasst und begriffen hat, der muss lehren und seinen Beitrag geben, um die Welt zu erlösen, so die Hoffnung. Wenn wir alle Eins sein und zusammengehören sollten, dann muss der Weise die Unwissenden unterrichten, um für das Gemeinwohl aller und damit wieder für sich selbst zu sorgen. Das läge im Gesetz der Selbsterhaltung und abstrakter formuliert in der Liebe der Seele.
Die Geschichte überliefert uns Erkenntnisse und Weisheiten, welche Anleitung sind und helfen, den persönlichen Zugang zur Seele zu interpretieren und damit die Seele wiederzuerkennen. Insofern „Wiederzuerkennen“, weil wir vor der Geburt und auch noch als Baby Eins mit unserer Seele sind und sich diese Verbindung, laut neurologischen und psychologischen Erkenntnissen, ab einem gewissen Ich-Bewusstseinsgrad innerhalb der ersten sechs bis 15 Monate im Normalfall löst, damit wir bewusst mit unseren Sinnen leben können. Ohne Trennung von der Seele wird ein Leben im irdischen Bewusstsein nicht möglich. Denn im Raum der Seele ist alles Eins und alles ewig und miteinander verbunden. Dort gibt es nur das, was C. G. Jung und andere Psychologen seiner Zeit als kollektives Unbewusstes beschrieben. Das bedeutet, dass sich die Seele, unsere Seele, unser Selbst, in diesem Zustand zwar unendlich wohlfühlt, aber sich nicht ausdrücken und de facto nicht leben kann. Der Rückfluss zur Seele ist aber ebenso entscheidend wie die Trennung von dieser. Es gibt zwei Möglichkeiten: 1) durch den Tod kehren wir zurück in unseren Urzustand und eine Rückverbindung ist möglich. 2) Durch eine Bewusstseinserhöhung, welche wir durch viel Reflexion, Meditation, Disziplin und natürlich Bewusstsein erreichen und womit wir unseren Urzustand der Seele erkennen können, wird eine Rückverbindung möglich. Denn nur durch diese Rückverbindung sind wir imstande zu erkennen, wer wir wirklich sind und was wir hier auf Erden erleben bzw. tun sollen. Doch das bedeutet eine Bewusstseinsveränderung in unserem Leben. Jesus sagte: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Jn 3:3).
Das Glück auf Erden liegt sozusagen in unserem Selbst, in unserer Seele … und den Zugang dafür haben nur wir selber … in uns.
Die religionsphilosophische Reise, die den Rahmen für dieses Buch legt, beschreibt den Weg der seelischen Integration, einerseits aus Sicht der Theosophie, welche sich als erkenntnistheoretische geistig strukturierte Fundierung dem Okkultismus nähert. Andererseits wird die theosophische Weltanschauung um die deutlich jüngere anthroposophische Perspektive erweitert, um den ganzheitlichen, sprich göttlichen Menschen theoretisch und praktisch erfassen zu können. Die gesammelten Erkenntnisse und persönlichen Erlebnisse, welche in diesem Buch geschildert werden, helfen letztendlich, die theoretische Heranleitung praxisnah und für die heutige Lebensgestaltung umsetzbar aufzuzeigen und zu beschreiben.
Aus altgriechischer theosophischer Sicht legte die antike Interpretierung des Wortes Anthropos, das Mensch bedeutet, bereits zugrunde, dass dieser „in den Höhen des Lebens seinen Ursprung suche“. Der zu den Höhen Blickende ist hier zugleich die Definition des Menschen. Um diesen nach Höherem strebenden Menschen zu beschreiben und zu erkennen, gibt es die Theosophie (theo = griechisch für Gott und sophie = Weisheit), also Weisheit Gottes oder göttliche Weisheit, welche erklären soll, woher der Mensch kommt und wohin der Mensch geht. Ungleich dem Okkultismus, welcher außerhalb des physischen Leibes die Transzendenz des Menschen mitsamt seinen okkulten Erlebnissen erklärt (siehe Schamanismus oder Hellseherei, Esoterik im Allgemeinen et cetera), zeigt die Theosophie den geistigen Prozess auf, demzufolge der Mensch nach höherem Bewusstsein strebt und bewusst über sich hinausgehen muss, um sein Wesen zu erkennen. Dies ist eine andere Erkenntnisart als die okkulte praktische Herangehensweise. Die Theosophie gibt aber vor allem durch ihre Strukturmöglichkeit die Chance, den Weg hin zu einem höheren göttlichen Menschen zu beschreiben, im Vergleich zum Okkultismus, welcher den Menschen in die Lage versetzen kann, Dinge zu sehen, zu hören oder zu spüren, um die Urgründe unseres Daseins zu erleben, die mit gewöhnlichem Bewusstsein nicht fassbar sind. Der Okkultismus hat daher keine Struktur und Erklärungsmuster oder -potentiale, sondern kann in seiner Transzendenz nur erlebt und nicht gänzlich beschrieben werden.
Die Theosophie nimmt allerdings diese okkulten Phänomene wahr und spezifiziert, differenziert und strukturiert somit erlangte Erkenntnisse, allerdings spezifisch im jeweiligen kulturellen und sprachlichen Kontext. Und genau in diesem Punkt differenzieren sich unterschiedliche Religionen, weil verschiedenste Kulturen und Sprachen die okkulten Nachrichten und Erkenntnisse unterschiedlich auslegen und beschreiben. Der Ausgangspunkt der Religionsentwicklungen ist also die Theosophie. Das Christentum und der Islam sind in der Interpretation der theosophischen Erkenntnisse allerdings am weitesten differenziert und gehen klar weg von der Theosophie hin zur eigenen dogmatischen Religion. Hier zeigt sich, dass die strukturelle Interpretation der Theosophie im Vergleich zum Okkultismus ihre Grenzen hat. Doch genau an der Stelle der Interpretationen, an der sich die Theosophie in Religionen aufspaltet, kann man die Religionen auch wieder vereinheitlichen und gemeinsame Nenner und erkenntnistheoretische Phänomene zur Bewusstseinserhöhung des Menschen in allgemeingültiger Weise wiederfinden. Dadurch ist die Theosophie für den gesunden Menschenverstand, wenn er sich Mühe gibt, wie Rudolf Steiner schreibt, zu begreifen. Sprich, nicht nur der Okkulte kann verstehen, sondern durch die Abstraktion auch der Theosoph und damit der nicht transzendierte und, im Eigentlichen, gewöhnliche Mensch. Wie Rudolf Steiner treffend schreibt: „Wenn der Okkultismus sich bemüht, zur Theosophie zu werden, wird er das Bestreben haben und es auch in gewissem Sinne erreichen können, zu jedem menschlichen Herzen, zu jeder menschlichen Seele zu sprechen.“ Das ist, liebe LeserInnen, genau der Ansatz, der in diesem Buch erläutert und mit Praxisbeispielen untermauert wird. So kann schließlich aus der Theosophie (mit Fokus auf das Göttliche, Übersinnliche) die Anthroposophie (mit dem Fokus auf menschliches, bewusstes Erleben der übersinnlichen Seelenverfassung des eigenen Selbst) abgeleitet werden. Bei der Anthroposophie (anthrop = griechisch für Mensch; anthropos wird der ganzheitliche Mensch genannt) geht es um den Menschen, der über sich hinauswächst, sein Dasein erkennt und sein Selbst erfüllt leben kann. Die anthroposophische Sichtweise erlaubt schließlich die Subjektivität und damit Individualität eines jeden Menschen auf der Suche nach dem eigenen Selbst und der persönlichen Selbsterkenntnis zu berücksichtigen.
Wenn Sie das Buch noch nicht zugeschlagen haben, dann begleiten Sie mich auf diese religionsphilosophische Reise zum eigenen Selbst und lernen Sie einen möglichen Zugang zu Ihrer Seele kennen. Zudem birgt dieses Buch, nach eingehend theoretischer Rahmenerklärung und Aufarbeitung des Themas, auch eine praktische methodische Anleitung als sogenannte Alchemie der Selbst-Erkenntnis, mitunter auf Basis alter Weisheiten, meiner gesammelten Erkenntnisse und vieler persönlicher Erfahrungen sowie der Erfahrungen meiner Klienten.
Und hier noch ein Lesetipp: Sollten Ihnen die ersten vielen Seiten zu theoretisch vorkommen, dann beginnen Sie doch das Buch mit dem zielführenden Kapitel 6 „Der Weg zur Seele“ oder mit dem Praxis-Kapitel 7 „Gesammelte Erkenntnisse“ und zäumen Sie das Buch sozusagen von hinten auf! Sie können sich dann in einem zweiten Schritt die theoretischen Grundlagen und erkenntnistheoretischen Überlegungen zu Gemüte führen und das Thema somit eventuell leichter verständlich machen.
Zudem habe ich diesem Buch einen roten Literaturfaden hinterlassen, für jene, die sich selbst ein Bild machen und das aufwendige Studium der Religionsphilosophie in Angriff nehmen wollen.



2
Anthroposophie, Evangelien, Glaubenssysteme und die Philosophie

Grundkenntnisse der alten Philosophien und Weisheiten, von welchen viele auch in Evangelien stecken und manche schließlich in ganzheitlichen Glaubenssystemen integriert wurden, sind letztendlich auch in diesem Rahmen unerlässlich, wenn wir uns dieser religionsphilosophischen Reise zur seelischen Integration widmen.
In vielen orientalischen und fernöstlichen Texten wurde bereits eine persönliche Befreiung des irdischen Leidensweges durch Bewusstseinserhöhung erwähnt und epistemologisch bzw. erkenntnistheoretisch bearbeitet. So ist zum Beispiel die Kabbalah eine jüdische bis heute anerkannte esoterische Philosophie, welche als eine in sich geschlossene Theorie sogar eine detaillierte Anleitung gibt, wie man sein – frau ihr – Bewusstsein erhöhen kann, um schließlich das „Göttliche in sich“ zu finden. Die Kabbalah gehört damit zum Kreis der inneren Perspektive, den Pythagoras seinerzeit „esoteros“ nannte. Die Sicht nach innen bedarf seines Erachtens derselben Aufmerksamkeit und Achtsamkeit wie der Kreis und die Sicht nach außen, „exoteros“, welche heutzutage so sehr institutionalisiert und durch Aristoteles gestützt Anwendung in der Wissenschaft und für die meisten im alltäglichen Leben findet. Hier teilt sich bereits das Verständnis von einer fassbaren Sicht nach außen, nämlich allem, was wir wahrnehmen und beobachten können, und einer schwierig fassbaren Sicht nach innen, welche wir kaum beobachten, sondern eher durch Reflexion, Mediation und Übung nur allmählich verstehen können. So vermitteln neben der Kabbalah auch der Buddhismus und Hinduismus in seinen uralten Sanskrits und Upanischaden die Idee, nach innen zu gehen und menschliche, fleischliche Gebundenheit zu überwinden. Im Besonderen bietet der Taoismus ebenso eine offenbar klare Anweisung, wie wir Gelassenheit und Ruhe im Leben finden können, was auch gerne „das Geheimnis der Goldenen Blüte“ genannt wird. Doch sind im esoterischen Kreis auch die Evangelien zuhause und damit nicht nur Teile des Alten Testaments, sondern auch das gänzliche Neue Testament. Pfarrer, Rabbis, Mönche und andere theologisch oder religionswissenschaftlich Gelehrte präsentieren sich und gelten allesamt als Seelsorger. Sie sind Vermittler eines Menschenbildes, welches zu ihrer jeweiligen Religion oder Glaubensrichtung passt, und daher Ansprechpartner für die Reflexionen innerer Erlebnisse. Wie wir von der abgeschiedenen und bescheidenen Welt der Mönche wissen, ist deren Hauptausrichtung neben dem Zusammenleben die meditative Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Göttlichen.
Genau das vermitteln uns auch sämtliche Schriften aus dem Altertum. So zum Beispiel die Anleitung von St. Johannes Klimakos, welcher im 7. Jahrhundert mit der „Leiter zum Paradies“ ein Jahrtausendwerk geschaffen hat, das heute noch gelesen als auch praktiziert und auch in diesem Buch in Kapitel 6.4. näher erläutert wird. Mit den 30 genannten Stufen gibt er eine detaillierte Anleitung zum Aufstieg ins Paradies. Wobei der Aufstieg eine, meines Erachtens nach, nur bedingt korrekte Metapher verbildlicht. Um Göttliches zu empfangen, während wir noch als Mensch verweilen, bedarf es keines Aufstiegs wie zum Beispiel in den Himmel, sondern einer Integration … die hier auf Erden passiert. Im Evangelium nach Thomas lehrte Jesus bereits: „Vielmehr ist das Königreich des Vaters ausgebreitet über die Erde, und Menschen sehen es nicht.“ (Th 113) Was bringt einem die göttliche Erkenntnis, wenn man dann nicht mehr hier, sondern erst auferstanden ist? Es gilt nicht in den Himmel zu kommen, sondern den Himmel auf Erden zu erkennen oder den Himmel in dir, wie Anselm Grün, Benediktinermönch, es anhand der Weisheiten der Wüstenväter beschreibt. Und damit wird eine Integration angesprochen. Wenn wir die Erde und den Himmel als Eins sehen lernen, werden wir auch erkennen, wie schön das Leben ist und dass wir alles selber in der Hand haben, um ein glückliches Leben führen zu können. Nehmen wir kurz die Genesis als Beispiel und erinnern uns, wie Eva gemeinsam mit Adam im Garten Eden, dem einstigen Paradies, in den Apfel der Erkenntnis biss. Gott sagte klar, dass dies verboten sei. Aber Halt. Wenn unsere Seele nicht vom Baum der Erkenntnis essen würde, dann wären wir immer noch im seelischen Zustand und nicht fähig zu leben und uns auszudrücken. Die Geschichte dient als Metapher für den Beginn des Lebens, unseres Seins, so wie wir es kennen, mitsamt der Dualität (also weiblich und männlich). Aber genau diese Erkenntnis war verboten. Welchen Grund könnte es geben, nicht auf Erden inkarniert zu werden, sondern als Seele im Eins zu bleiben? Damit wären wir ewig göttlich, aber vermissen auch die Chance, mit allen Sinnen zu leben. Die Inkarnation der Seele ist absichtlich, evolutionär und unaufhaltsam, denn es ist der Weg der Seele. Insofern ist es fraglich, wieso Gott dies verhindern wollte, anstatt zu unterstützen, selbst wenn es nur eine Metapher ist. Die Integration vom Himmel auf Erden verbildlicht als Metapher mindestens zwei Teile zusammenzuführen, so zum Beispiel das Menschliche mit dem Göttlichen oder anders ausgedrückt das Yin mit dem Yang oder das Weibliche mit dem Männlichen oder den Schatten mit dem Licht. Diese Metaphern sind ja allgemein bekannt, aber dennoch leben wir diese nicht als Integration vom Himmel auf Erden. Sprich, zumeist fehlt noch ein Stück Verständnis, um diesen Gedanken umzusetzen und diese Haltung einzunehmen. Im Sinne der Bewusstseinserhöhung passt das Wort Aufstieg natürlich schon wieder und würde als Metapher genügen.
5 Sterne
26.9.2021, 04:58 - 30.09.2021

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