Meine Weltsicht

Meine Weltsicht

Winfried Schlotter


EUR 14,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 90
ISBN: 978-3-99038-103-8
Erscheinungsdatum: 22.10.2013

Leseprobe:

Da die Zusammenhänge und Erscheinungsformen aller sinnlichen Wahrnehmungen darauf schließen lassen, dass es eine einheitliche Gesetzmäßigkeit gibt, die allem, was ist, innewohnt, stellt sich uns Menschen, die wir im Bewusstsein unserer Existenz über uns und die Welt nachdenken, die Frage nach dem Wesen dieser Gesetzmäßigkeit.
Zunächst müssen wir anerkennen, dass alles, was ist, für uns nur durch die Informationen, die wir erhalten und die uns in irgendeiner Weise in unserem Gehirn bewusst werden, Existenz annimmt. Daraus folgt, dass alles vom Menschen Wahrgenommene nur ein Abbild der Ursprungsinformationen im menschlichen Gehirn ist. Der Mensch nimmt beispielsweise Farben oder Töne wahr, doch sind diese nur Bewusstseinsinhalte des menschlichen Erkennens bestimmter Informationen, die sich bezüglich ihrer physikalischen Natur in unserem Beispiel als durch die Sinnesorgane Auge bzw. Ohr erfassbare Frequenzen eines elektromagnetischen Quantenstromes bzw. einer akustischen Welle interpretieren lassen. Ein Tier erfährt die gleichen Informationen je nach seiner physischen Beschaffenheit in einer vom menschlichen Erkennen mehr oder weniger stark abweichenden Form. Somit sind alle Erkenntnisse immer nur bruchstückhaft, und es gelangt immer nur ein Teilaspekt der gesamten Wirklichkeit zu unserer Kenntnis. Die Quantenphysik lehrt uns sogar, dass die gleichzeitige Bestimmung von Ort und Impuls eines Elementarpartikels prinzipiell mit einer Unschärfe behaftet ist und somit der exakte Zustand eines Objektes selbst mit den genauesten Messmethoden niemals bestimmt werden kann. Hinzu kommt, dass unsere Begriffswelt meist nur unpräzise das, was sinnlich wahrnehmbar und verstandesmäßig erkennbar ist, umschreibt.
Wenn also alles, was wir wahrnehmen und erkennen, letztlich eine von unserer eigenen Existenzform abhängige subjektive Wirklichkeit ist, wie steht es dann um das wirklich Seiende, die objektive Wirklichkeit? Dass es eine objektive, von unserer eigenen Existenz unabhängige Wirklichkeit geben muss, können wir daraus schließen, dass unsere Sinneswahrnehmungen von Objekten ausgehen, die von anderen Menschen auch dann als existent wahrgenommen werden können, wenn die eigene Wahrnehmung nicht möglich ist, sei es, dass wir selbst noch gar nicht existierten oder unsere Wahrnehmungsfähigkeit unterbrochen ist, was aber nicht dazu führt, dass die betroffenen Objekte nach Wiederherstellung der Wahrnehmungsfähigkeit als solche nicht mehr wahrnehmbar sind. Es sei denn, die Objekte selbst hätten zwischenzeitlich aufgrund objektiver Veränderungen eine neue Existenzform angenommen.
Um uns der objektiven Wirklichkeit zu nähern, müssen wir unsere Beobachtungen im Hinblick auf die offensichtlich allem Sein zugrunde liegende Logik hinterfragen. Der Physiker und Philosoph Werner Heisenberg benutzte für diese allem innewohnende Gesetzmäßigkeit den Begriff „zentrale Ordnung“ (W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze). Diese Gesetzmäßigkeit bestimmt auch das logische Denken des Menschen, das, wie wir wissen, aufgrund dieser Gesetzmäßigkeit in der Lage ist, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Die Wahrheit duldet nämlich in sich keinen Widerspruch. Wäre dem nicht so, so müsste das Gegenteil richtig und damit eine über allem stehende Grundwahrheit sein, womit sich eine solche Behauptung selbst widerlegt.
Nach dem bisher Gesagten haben wir als Menschen zwar nicht die Möglichkeit, das wirklich Seiende objektiv wahrzunehmen oder in vollkommener Weise zu erkennen, wir können aber das subjektiv Erfassbare auf seinen Wahrheitsgehalt, d.h. auf Widerspruchsfreiheit, prüfen und so unser menschliches Wissen über das objektiv Seiende im Sinne von Wahrheit vervollkommnen.
Bei der Suche nach dem Wesen der Gesetzmäßigkeit, die allem Sein zugrunde liegt, stoßen wir also auf den Begriff der Wahrheit. Sie ist wesensgleich mit der Logik der „zentralen Ordnung“. Sie ist, soweit wir dies erkennen können, zeitlich nicht veränderbar, d.h. ihrer Natur nach unwandelbar.

Wenn also alles den Gesetzen der Wahrheit unterworfen ist, woher kommt dann die Unwahrheit, die ja in unüberbrückbarem Widerspruch zur Wahrheit steht? Dass Unwahrheit und damit auch Widerspruch und Zwietracht in der Welt existieren, ist ähnlich evident wie die Wahrheit selbst und zumindest für den logisch denkenden Menschen erkennbar. Bei der Frage nach dem Wesen der Unwahrheit müssen wir feststellen, dass die Unwahrheit als Widerspruch zur Wahrheit existiert. Sie leitet sich ihrem Wesen nach nicht aus der Wahrheit ab, setzt aber die Wahrheit voraus. Demnach ist die Wahrheit ursprünglicher. Sie ist unvereinbar mit der Unwahrheit, lässt aber offensichtlich den Widerspruch zu, nicht in sich selbst, aber in dem, was in Freiheit wandelbar ist. Wir gelangen somit notwendigerweise zum Begriff der Freiheit.

Die Freiheit steht zwar im Widerspruch zur strengen Kausalität, wie wir sie in den Naturgesetzen zunächst als solche wahrnehmen, doch aufgrund genauerer physikalischer Erkenntnisse wissen wir heute, dass diese strenge Kausalität nicht überall gilt, dass im Bereich der Quantenphysik verschiedene mögliche Zustände koexistieren und mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet werden muss und dass sich die Kausalität, wie wir sie aus der klassischen Physik kennen, erst aus der Gesamtwahrscheinlichkeit der Summe vieler Einzelereignisse im Bereich des Elementaren ergibt. Freiheit muss dabei nicht rein zufälliger Natur sein, sondern kann auch Entscheidungsfreiheit bedeuten. Diese Freiheit des Handelns prägt in hohem Maße das subjektive Empfinden des Menschen, der in sich die Möglichkeit spürt, sich zwar nicht unmotiviert und völlig grundlos, aber doch frei zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden zu können. Diese Selbsterfahrung des Menschen wird indes von mehreren Gehirnforschern und auch vielen Psychologen als Selbstillusion bezeichnet, und sie glauben auch Beweise hierfür gefunden zu haben. Dennoch muss entgegengehalten werden, dass Freiheit in irgendeiner Form existieren muss, wenn es in dem, was existenziell den Gesetzen der Wahrheit unterworfen ist, zum Irrtum und Widerspruch gegenüber der Wahrheit kommen kann. Im Übrigen wäre ohne Freiheit jegliche Forderung nach ethischem Handeln Illusion, da in diesem Fall keine realen Handlungsalternativen beständen. Auch jegliche Schuld wäre irreal, da alles Geschehen und Handeln determiniert wäre.

Gehen wir nach dem Gesagten also davon aus, dass es die eine Wahrheit gibt, die unwandelbar und in sich widerspruchsfrei ist, nach deren Gesetzen, soweit sie deterministischer Natur sind, alles Wandelbare im Einklang mit der einen Wahrheit geschieht, dass aber dort, wo Freiheit herrscht, auch die Möglichkeit zur Abkehr und zum Widerspruch gegenüber der Wahrheit besteht. Die Ursache für die Unwahrheit und all ihre Folgen ist somit nicht die Wahrheit selbst, sondern die Abkehr von der Wahrheit, die aufgrund von Freiheit möglich ist.
Alles, was im Einklang mit der Wahrheit geschieht, steht in der Auseinandersetzung mit dem, was falsch und damit im Sinne der Wahrheit von Übel ist. Soweit das Falsche bewusst, frei und willentlich geschieht, sprechen wir vom Bösen. Das Gute ist hingegen das, was im Einklang mit der Wahrheit existiert und geschieht. Während die Begriffe „gut“ und „böse“, so betrachtet, eindeutig und gegeneinander abgrenzbar sind, besteht ansonsten in hohem Maße Begriffsverwirrung. In der Regel wird das als „gut“ erachtet, was den meisten „Nutzen“ bringt, und für „schlecht“ oder „übel“ das, was den meisten „Schaden“ verursacht, wobei „Nutzen“ und „Schaden“ in unterschiedlicher Weise auf die eigene Person, auf Teile des Ganzen oder auf das Ganze bezogen werden. Jeder Mensch hat somit seine eigene Wertvorstellung. Die Folge ist, dass allenthalben Gegensätze und Zwietracht herrschen. Diese Zwietracht ist nicht auf den Menschen beschränkt. Generell strebt alles Lebendige nach Selbsterhaltung, was einerseits die Abwehr der eigenen existenziellen Bedrohung, andererseits aber, wie wir wissen, auch die Nutzung anderer Lebewesen als Nahrungsquelle impliziert, und so kommt es bereits im Bereich der Pflanzen- und Tierwelt zum Widerstreit bis hin zur tödlichen Auseinandersetzung.

Nach dem oben Gesagten stellt sich die Frage: Was ist hier gut oder schlecht, was richtig oder falsch? Was lässt sich auf die eine unteilbare Wahrheit zurückführen und was steht im Widerspruch zu ihr?
Unterstellen wir bei dieser Überlegung für einen Moment, dass es keine Freiheit gibt. Dann kann es auch keinen echten Widerspruch in der genannten Auseinandersetzung geben. Dann lässt sich alles, was geschieht, aus den Gesetzen der Wahrheit ableiten: Folglich geschieht alles im Einklang mit ihr, unabhängig davon, ob wir es als „gut“ oder „schlecht“ empfinden. Die Zwietracht zwischen den Individuen ist dann kein wirklicher (objektiver) Gegensatz. Soweit es Leid, Tod und Verderben gibt, stehen diese nicht im Widerspruch zu den Gesetzen der Wahrheit. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum wir uns gegen das vermeintliche „Übel“ wehren, wenn doch alles im Einklang mit der Wahrheit geschieht. Steht unser eigenes (subjektives) Verhalten dann nicht im Widerspruch zur Wahrheit?
Wir könnten nun auf den Gedanken kommen, dass es im Bereich des Unbelebten sowie in der Pflanzen- und Tierwelt noch keine Freiheit und somit auch keinen Dissens innerhalb der bestehenden Ordnung geben kann, dass Freiheit und damit die Möglichkeit zum Widerspruch erst mit dem Auftreten des Menschen beginnen.
Wir erinnern uns jedoch daran, dass gemäß unseren heutigen physikalischen Erkenntnissen schon in der unbelebten Natur mit Unbestimmtheit, d.h. mit Freiheit, gerechnet werden muss.
Zudem deutet alles darauf hin, dass auch bei den höher entwickelten Tieren ähnlich wie beim Menschen die Bedrohung und Zerstörung der eigenen Existenz als „zu bekämpfendes Übel“ empfunden wird. Dies aber lässt darauf schließen, dass auch hier zumindest ein subjektiver Widerspruch besteht.
Zu allen Zeiten haben Menschen sich mit den aufgezeigten Problemen auseinandergesetzt. Es gibt keine Religion, die das Widersprüchliche in der Welt nicht anerkennt und daraus nicht Konsequenzen für das eigene ethische Handeln ableitet. Auch die meisten Philosophen und Denker anerkennen zumindest die menschliche Freiheit und die daraus ableitbare Verantwortung des Menschen für das rechte Tun.
Soweit es Weltanschauungen gibt, die jegliche Freiheit verneinen und alles, was geschieht, als streng determiniert betrachten, erübrigt sich eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesen, da ja jede hiervon abweichende Auffassung als ebenfalls determiniert betrachtet werden müsste. Dies dürfte aber nach den strengen Gesetzen einer in sich widerspruchsfreien, d.h. auf der einen, unteilbaren Wahrheit beruhenden Logik nicht zu Widersprüchen führen. Sollten aber diese eine unteilbare Wahrheit und die auf ihr beruhenden, in sich widerspruchsfreien Gesetze der Logik so nicht existieren, wäre auch alles menschliche Suchen nach Wahrheit fragwürdig, da die sichere Unterscheidbarkeit zwischen dem, was wahr oder falsch ist, dann nicht mehr gegeben wäre.
So halten wir an der Erkenntnis fest, dass es die eine unteilbare Wahrheit gibt, welche in sich keinen Widerspruch duldet, dass aber in dem, was wandelbar ist, obwohl existenziell den Gesetzen der Wahrheit unterworfen, Freiheit und damit auch die Möglichkeit zur Abkehr von der Wahrheit und zum Widerspruch gegeben ist.
Die Wahrheit selbst ist demnach nicht identisch mit den Dingen, die der zeitlichen Veränderung unterliegen und, soweit sie über Freiheit verfügen, auch die Möglichkeit der Abkehr von der Wahrheit in sich tragen. Im Gegensatz zu den Dingen ist die Wahrheit rein geistiger Natur. Sie ist für uns Menschen auch nur in dem Maße erkennbar, wie wir die geistige Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis besitzen. Das Dinghafte, obwohl existenziell den Gesetzen der Logik und damit der Wahrheit unterworfen, ist nicht die Wahrheit selbst, sondern leitet sich offensichtlich aus der Wahrheit ab. Aufgrund seiner Gesetzmäßigkeit und Wandelbarkeit besitzt es die Fähigkeit, immer neue komplexere Formen zu bilden bis hin zum Menschen, der sogar in der Lage ist, über den Ursprung seiner eigenen Existenz zu reflektieren.

Welche Gründe sprechen nun dafür, ausgehend von den bisherigen Einsichten, noch einen Schritt weiterzugehen und das, was wir als die eine unteilbare Wahrheit erkannt haben, in Beziehung zu bringen mit dem Gottesbegriff, dem wir in den Religionen, zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber doch als der einen, letzten schöpferischen Instanz begegnen? Was hat die Atheistin und Wahrheitssucherin Edith Stein bewogen, überzeugte Christin zu werden und zu sagen: „Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott“?
Allein mithilfe unserer verstandesmäßigen Erkenntnis, ohne den weitergehenden Schritt des Glaubens, wird uns der Zugang zu einer solchen persönlichen Gottesbeziehung vermutlich für immer verschlossen bleiben. Aber es sprechen doch wichtige Gründe dafür, dass die letzte schöpferische Instanz mehr ist als ein „blindes Naturgesetz“.
Da ist die Frage: Muss die Entwicklung alles Kreatürlichen bis hin zum Menschen mit all seinen Fähigkeiten nicht „vorgedacht“ sein? Und wenn all das, was wir als existenziell erfahren, in der letzten schöpferischen Instanz „vorgedacht“ ist, müsste diese Instanz dann nicht zumindest schon die Idee von all dem in sich selbst besitzen?
Diese Vorstellung, die auch Platon vertrat, ist durchaus im Einklang mit der Theologie, der Lehre von Gott. Wenn nämlich diese Vorstellung richtig ist, was wir nicht beweisen, aber glauben können, ist der Schritt zu einem persönlichen Gottesbild nicht mehr weit.
Man muss sich aber davor hüten, ein solches Gottesbild zu vermenschlichen. Nicht von ungefähr ist es im Judentum und im Islam verboten, sich ein Bild von Gott zu machen. Zu Recht hatten die frühen Verkünder eines einzigen Schöpfergottes erkannt, dass der Glaube an die Götter ihrer Nachbarvölker ein Irrglaube war. Diese Götter waren „überirdische Wesen mit menschlichen Eigenschaften“, weit davon entfernt, der erkennbaren Wahrheit von einer allem Sein zugrunde liegenden, weit über jedes menschliche Maß hinausgehenden, einheitlichen höheren Vernunft gerecht zu werden. Aber auch der Monotheist unterliegt der Gefahr, sein Gottesbild nicht an der erkennbaren Wahrheit auszurichten, sondern allzu menschlichen Vorstellungen anzupassen, während der Buddhismus in seiner Lehre vom Kreislauf der Dinge weitgehend die Einsicht vermissen lässt, dass es eine allem zugrunde liegende, zielgerichtet schöpferische Instanz geben muss.

Das Zeitalter der Aufklärung hat neue Wege gesucht, um mithilfe der menschlichen Vernunft dem Ziel der Wahrheitsfindung näher zu kommen. Insbesondere die Naturwissenschaften haben dabei bis in unsere Gegenwart erhebliche Fortschritte erzielt. Sie haben aber auch zum ersten Mal die prinzipielle Unmöglichkeit nachgewiesen, mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden die ganze Wahrheit zu erkennen. So stecken wir in einem Dilemma. Einerseits wissen wir, dass es eine objektive Wirklichkeit und somit auch eine Wahrheit gibt und dass alles, was dieser Wahrheit widerspricht, zu Dissens und damit zu Unheil führt, andererseits aber müssen wir einsehen, dass unsere menschliche Vernunft nicht ausreicht, um die volle Wahrheit zu erkennen.
Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen? Sollen wir uns auf das beschränken, was wir als in sich widerspruchsfrei erkennen können? Die mathematisch-naturwissenschaftliche Vorgehensweise hält sich weitgehend an diese strenge Vorgabe und sie war damit bisher auf ihrem Wissenschaftsgebiet in hohem Maße erfolgreich. Leider reicht diese Wissenschaftsmethode aber nicht aus, um Antworten auf all die Fragen geben zu können, die unser Dasein, Denken und Handeln bestimmen.

So kommt es, dass wir Menschen über das rational Erkennbare hinaus nach Antworten suchen, welche die Möglichkeit des Irrtums nicht ausschließen. Dies gilt vor allem für die Frage nach dem rechten Tun. Hier lässt uns die mathematisch-naturwissenschaftliche Denkungsart gänzlich im Stich. Sie beschäftigt sich nicht mit dem, was sein soll, sondern mit dem, was ist, was war und was aufgrund von Gesetzmäßigkeiten sein wird. Was sein soll, ist eine Angelegenheit der Ethik und hiermit verwandter Sachgebiete. So gelangen wir wieder zu der Eingangsbetrachtung, dass es aufgrund der unterschiedlichen Weltsichten der Menschen die verschiedensten Wertvorstellungen gibt, wobei vermutlich diejenigen vorherrschend sind, die das persönliche Wohlergehen und das der zugehörigen sozialen Gruppe zum Maßstab nehmen, wobei eine solche Wertordnung sich meist nur so weit am Gemeinwohl orientiert, wie dies Rückwirkungen auf das persönliche Wohlergehen und das der eigenen Gruppe hat. Demgegenüber ist die Auffassung, dass sich unser Tun daran orientieren sollte, was dem Ganzen dient, eher eine Minderheitsposition. Dennoch ist diese Position die einzige, die hoffen lässt, dass die Gegensätze und Widersprüche in der Welt überwunden werden können. Die Wahrheit, die keinen inneren Widerspruch duldet, ist nämlich ihrer Natur nach, was das Wandelbare anbelangt, nur dann uneingeschränkt im Einklang mit diesem, wenn auch alles Wandelbare sich miteinander im Einklang befindet.
So gesehen ist die Wahrheitssuche mehr als eine Erkenntnisfrage. Durch die Suche nach dem, was in Wahrheit sein soll, erhält sie eine ethische Dimension. Edith Stein gelangte bei ihrer Wahrheitssuche über die Philosophie zur Religion und schließlich zum Christentum. Nicht die christlichen Konventionen waren es, die sie überzeugten. Religiöse Konventionen kannte sie von ihrer jüdischen Herkunft. Es war die Suche nach dem wahrhaft Guten, das ihr vor allem in Christus und in denen begegnete, die Christus in Wahrheit nachfolgten. Es war der gläubige Schritt von der verstandesmäßigen Erkenntnis des Wahren und Guten hin zu einer persönlichen Gottesbeziehung. Was wir Edith Stein zubilligen, müssen wir natürlich auch denen zugestehen, die zu anderen Überzeugungen gelangen. Wenn wir Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für ethisches Handeln anerkennen – die reine Erkenntniswissenschaft führt uns, wie gezeigt, nicht zur abschließenden Beantwortung der Fragen nach dem, was wirklich ist, und schon gar nicht zur Antwort auf die Frage, was sein soll –, müssen wir auch die Glaubensfreiheit als Teil des persönlichen Entscheidungsprozesses akzeptieren, obwohl wir wissen, dass es keine verschiedenen Wahrheiten geben kann und widersprüchliche Auffassungen von dem, was ist und sein soll, auf Widersprüche gegenüber der einen Wahrheit schließen lassen. Die Forderung nach Glaubensfreiheit und Toleranz heißt allerdings nicht, dass man den Irrtum, soweit er als solcher erkennbar ist, und dessen Folgen billigen muss. Dem Irrtum muss die Wahrheit entgegengesetzt werden. Dies gilt auch für den eigenen Irrtum; d.h., jede persönliche Überzeugung muss sich immer wieder der Überprüfung durch die erkennbare Wahrheit stellen, wobei vor allem deren ethische Dimension nicht außer Acht gelassen werden darf. Eine Überzeugung, die es zum Beispiel für richtig hält, allein das Wohlergehen der eigenen Person oder eigenen Gruppe zum Maßstab des rechten Handelns zu machen, ist als falsch widerlegbar, da im Sinne eines allumfassenden Wahrheitskonsenses, d.h. im Sinne von Widerspruchsfreiheit, das alleinige persönliche Wohlergehen oder das der eigenen Gruppe kein Wertmaßstab für das Wohl des Ganzen und damit kein Weg zur Überwindung der Gegensätze sein kann. Denn, wie schon gesagt, hilft nur das ganzheitliche Streben nach dem Einklang mit der Wahrheit, Widersprüche und Gegensätze zu überwinden.

Da die Zusammenhänge und Erscheinungsformen aller sinnlichen Wahrnehmungen darauf schließen lassen, dass es eine einheitliche Gesetzmäßigkeit gibt, die allem, was ist, innewohnt, stellt sich uns Menschen, die wir im Bewusstsein unserer Existenz über uns und die Welt nachdenken, die Frage nach dem Wesen dieser Gesetzmäßigkeit.
Zunächst müssen wir anerkennen, dass alles, was ist, für uns nur durch die Informationen, die wir erhalten und die uns in irgendeiner Weise in unserem Gehirn bewusst werden, Existenz annimmt. Daraus folgt, dass alles vom Menschen Wahrgenommene nur ein Abbild der Ursprungsinformationen im menschlichen Gehirn ist. Der Mensch nimmt beispielsweise Farben oder Töne wahr, doch sind diese nur Bewusstseinsinhalte des menschlichen Erkennens bestimmter Informationen, die sich bezüglich ihrer physikalischen Natur in unserem Beispiel als durch die Sinnesorgane Auge bzw. Ohr erfassbare Frequenzen eines elektromagnetischen Quantenstromes bzw. einer akustischen Welle interpretieren lassen. Ein Tier erfährt die gleichen Informationen je nach seiner physischen Beschaffenheit in einer vom menschlichen Erkennen mehr oder weniger stark abweichenden Form. Somit sind alle Erkenntnisse immer nur bruchstückhaft, und es gelangt immer nur ein Teilaspekt der gesamten Wirklichkeit zu unserer Kenntnis. Die Quantenphysik lehrt uns sogar, dass die gleichzeitige Bestimmung von Ort und Impuls eines Elementarpartikels prinzipiell mit einer Unschärfe behaftet ist und somit der exakte Zustand eines Objektes selbst mit den genauesten Messmethoden niemals bestimmt werden kann. Hinzu kommt, dass unsere Begriffswelt meist nur unpräzise das, was sinnlich wahrnehmbar und verstandesmäßig erkennbar ist, umschreibt.
Wenn also alles, was wir wahrnehmen und erkennen, letztlich eine von unserer eigenen Existenzform abhängige subjektive Wirklichkeit ist, wie steht es dann um das wirklich Seiende, die objektive Wirklichkeit? Dass es eine objektive, von unserer eigenen Existenz unabhängige Wirklichkeit geben muss, können wir daraus schließen, dass unsere Sinneswahrnehmungen von Objekten ausgehen, die von anderen Menschen auch dann als existent wahrgenommen werden können, wenn die eigene Wahrnehmung nicht möglich ist, sei es, dass wir selbst noch gar nicht existierten oder unsere Wahrnehmungsfähigkeit unterbrochen ist, was aber nicht dazu führt, dass die betroffenen Objekte nach Wiederherstellung der Wahrnehmungsfähigkeit als solche nicht mehr wahrnehmbar sind. Es sei denn, die Objekte selbst hätten zwischenzeitlich aufgrund objektiver Veränderungen eine neue Existenzform angenommen.
Um uns der objektiven Wirklichkeit zu nähern, müssen wir unsere Beobachtungen im Hinblick auf die offensichtlich allem Sein zugrunde liegende Logik hinterfragen. Der Physiker und Philosoph Werner Heisenberg benutzte für diese allem innewohnende Gesetzmäßigkeit den Begriff „zentrale Ordnung“ (W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze). Diese Gesetzmäßigkeit bestimmt auch das logische Denken des Menschen, das, wie wir wissen, aufgrund dieser Gesetzmäßigkeit in der Lage ist, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Die Wahrheit duldet nämlich in sich keinen Widerspruch. Wäre dem nicht so, so müsste das Gegenteil richtig und damit eine über allem stehende Grundwahrheit sein, womit sich eine solche Behauptung selbst widerlegt.
Nach dem bisher Gesagten haben wir als Menschen zwar nicht die Möglichkeit, das wirklich Seiende objektiv wahrzunehmen oder in vollkommener Weise zu erkennen, wir können aber das subjektiv Erfassbare auf seinen Wahrheitsgehalt, d.h. auf Widerspruchsfreiheit, prüfen und so unser menschliches Wissen über das objektiv Seiende im Sinne von Wahrheit vervollkommnen.
Bei der Suche nach dem Wesen der Gesetzmäßigkeit, die allem Sein zugrunde liegt, stoßen wir also auf den Begriff der Wahrheit. Sie ist wesensgleich mit der Logik der „zentralen Ordnung“. Sie ist, soweit wir dies erkennen können, zeitlich nicht veränderbar, d.h. ihrer Natur nach unwandelbar.

Wenn also alles den Gesetzen der Wahrheit unterworfen ist, woher kommt dann die Unwahrheit, die ja in unüberbrückbarem Widerspruch zur Wahrheit steht? Dass Unwahrheit und damit auch Widerspruch und Zwietracht in der Welt existieren, ist ähnlich evident wie die Wahrheit selbst und zumindest für den logisch denkenden Menschen erkennbar. Bei der Frage nach dem Wesen der Unwahrheit müssen wir feststellen, dass die Unwahrheit als Widerspruch zur Wahrheit existiert. Sie leitet sich ihrem Wesen nach nicht aus der Wahrheit ab, setzt aber die Wahrheit voraus. Demnach ist die Wahrheit ursprünglicher. Sie ist unvereinbar mit der Unwahrheit, lässt aber offensichtlich den Widerspruch zu, nicht in sich selbst, aber in dem, was in Freiheit wandelbar ist. Wir gelangen somit notwendigerweise zum Begriff der Freiheit.

Die Freiheit steht zwar im Widerspruch zur strengen Kausalität, wie wir sie in den Naturgesetzen zunächst als solche wahrnehmen, doch aufgrund genauerer physikalischer Erkenntnisse wissen wir heute, dass diese strenge Kausalität nicht überall gilt, dass im Bereich der Quantenphysik verschiedene mögliche Zustände koexistieren und mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet werden muss und dass sich die Kausalität, wie wir sie aus der klassischen Physik kennen, erst aus der Gesamtwahrscheinlichkeit der Summe vieler Einzelereignisse im Bereich des Elementaren ergibt. Freiheit muss dabei nicht rein zufälliger Natur sein, sondern kann auch Entscheidungsfreiheit bedeuten. Diese Freiheit des Handelns prägt in hohem Maße das subjektive Empfinden des Menschen, der in sich die Möglichkeit spürt, sich zwar nicht unmotiviert und völlig grundlos, aber doch frei zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden zu können. Diese Selbsterfahrung des Menschen wird indes von mehreren Gehirnforschern und auch vielen Psychologen als Selbstillusion bezeichnet, und sie glauben auch Beweise hierfür gefunden zu haben. Dennoch muss entgegengehalten werden, dass Freiheit in irgendeiner Form existieren muss, wenn es in dem, was existenziell den Gesetzen der Wahrheit unterworfen ist, zum Irrtum und Widerspruch gegenüber der Wahrheit kommen kann. Im Übrigen wäre ohne Freiheit jegliche Forderung nach ethischem Handeln Illusion, da in diesem Fall keine realen Handlungsalternativen beständen. Auch jegliche Schuld wäre irreal, da alles Geschehen und Handeln determiniert wäre.

Gehen wir nach dem Gesagten also davon aus, dass es die eine Wahrheit gibt, die unwandelbar und in sich widerspruchsfrei ist, nach deren Gesetzen, soweit sie deterministischer Natur sind, alles Wandelbare im Einklang mit der einen Wahrheit geschieht, dass aber dort, wo Freiheit herrscht, auch die Möglichkeit zur Abkehr und zum Widerspruch gegenüber der Wahrheit besteht. Die Ursache für die Unwahrheit und all ihre Folgen ist somit nicht die Wahrheit selbst, sondern die Abkehr von der Wahrheit, die aufgrund von Freiheit möglich ist.
Alles, was im Einklang mit der Wahrheit geschieht, steht in der Auseinandersetzung mit dem, was falsch und damit im Sinne der Wahrheit von Übel ist. Soweit das Falsche bewusst, frei und willentlich geschieht, sprechen wir vom Bösen. Das Gute ist hingegen das, was im Einklang mit der Wahrheit existiert und geschieht. Während die Begriffe „gut“ und „böse“, so betrachtet, eindeutig und gegeneinander abgrenzbar sind, besteht ansonsten in hohem Maße Begriffsverwirrung. In der Regel wird das als „gut“ erachtet, was den meisten „Nutzen“ bringt, und für „schlecht“ oder „übel“ das, was den meisten „Schaden“ verursacht, wobei „Nutzen“ und „Schaden“ in unterschiedlicher Weise auf die eigene Person, auf Teile des Ganzen oder auf das Ganze bezogen werden. Jeder Mensch hat somit seine eigene Wertvorstellung. Die Folge ist, dass allenthalben Gegensätze und Zwietracht herrschen. Diese Zwietracht ist nicht auf den Menschen beschränkt. Generell strebt alles Lebendige nach Selbsterhaltung, was einerseits die Abwehr der eigenen existenziellen Bedrohung, andererseits aber, wie wir wissen, auch die Nutzung anderer Lebewesen als Nahrungsquelle impliziert, und so kommt es bereits im Bereich der Pflanzen- und Tierwelt zum Widerstreit bis hin zur tödlichen Auseinandersetzung.

Nach dem oben Gesagten stellt sich die Frage: Was ist hier gut oder schlecht, was richtig oder falsch? Was lässt sich auf die eine unteilbare Wahrheit zurückführen und was steht im Widerspruch zu ihr?
Unterstellen wir bei dieser Überlegung für einen Moment, dass es keine Freiheit gibt. Dann kann es auch keinen echten Widerspruch in der genannten Auseinandersetzung geben. Dann lässt sich alles, was geschieht, aus den Gesetzen der Wahrheit ableiten: Folglich geschieht alles im Einklang mit ihr, unabhängig davon, ob wir es als „gut“ oder „schlecht“ empfinden. Die Zwietracht zwischen den Individuen ist dann kein wirklicher (objektiver) Gegensatz. Soweit es Leid, Tod und Verderben gibt, stehen diese nicht im Widerspruch zu den Gesetzen der Wahrheit. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum wir uns gegen das vermeintliche „Übel“ wehren, wenn doch alles im Einklang mit der Wahrheit geschieht. Steht unser eigenes (subjektives) Verhalten dann nicht im Widerspruch zur Wahrheit?
Wir könnten nun auf den Gedanken kommen, dass es im Bereich des Unbelebten sowie in der Pflanzen- und Tierwelt noch keine Freiheit und somit auch keinen Dissens innerhalb der bestehenden Ordnung geben kann, dass Freiheit und damit die Möglichkeit zum Widerspruch erst mit dem Auftreten des Menschen beginnen.
Wir erinnern uns jedoch daran, dass gemäß unseren heutigen physikalischen Erkenntnissen schon in der unbelebten Natur mit Unbestimmtheit, d.h. mit Freiheit, gerechnet werden muss.
Zudem deutet alles darauf hin, dass auch bei den höher entwickelten Tieren ähnlich wie beim Menschen die Bedrohung und Zerstörung der eigenen Existenz als „zu bekämpfendes Übel“ empfunden wird. Dies aber lässt darauf schließen, dass auch hier zumindest ein subjektiver Widerspruch besteht.
Zu allen Zeiten haben Menschen sich mit den aufgezeigten Problemen auseinandergesetzt. Es gibt keine Religion, die das Widersprüchliche in der Welt nicht anerkennt und daraus nicht Konsequenzen für das eigene ethische Handeln ableitet. Auch die meisten Philosophen und Denker anerkennen zumindest die menschliche Freiheit und die daraus ableitbare Verantwortung des Menschen für das rechte Tun.
Soweit es Weltanschauungen gibt, die jegliche Freiheit verneinen und alles, was geschieht, als streng determiniert betrachten, erübrigt sich eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesen, da ja jede hiervon abweichende Auffassung als ebenfalls determiniert betrachtet werden müsste. Dies dürfte aber nach den strengen Gesetzen einer in sich widerspruchsfreien, d.h. auf der einen, unteilbaren Wahrheit beruhenden Logik nicht zu Widersprüchen führen. Sollten aber diese eine unteilbare Wahrheit und die auf ihr beruhenden, in sich widerspruchsfreien Gesetze der Logik so nicht existieren, wäre auch alles menschliche Suchen nach Wahrheit fragwürdig, da die sichere Unterscheidbarkeit zwischen dem, was wahr oder falsch ist, dann nicht mehr gegeben wäre.
So halten wir an der Erkenntnis fest, dass es die eine unteilbare Wahrheit gibt, welche in sich keinen Widerspruch duldet, dass aber in dem, was wandelbar ist, obwohl existenziell den Gesetzen der Wahrheit unterworfen, Freiheit und damit auch die Möglichkeit zur Abkehr von der Wahrheit und zum Widerspruch gegeben ist.
Die Wahrheit selbst ist demnach nicht identisch mit den Dingen, die der zeitlichen Veränderung unterliegen und, soweit sie über Freiheit verfügen, auch die Möglichkeit der Abkehr von der Wahrheit in sich tragen. Im Gegensatz zu den Dingen ist die Wahrheit rein geistiger Natur. Sie ist für uns Menschen auch nur in dem Maße erkennbar, wie wir die geistige Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis besitzen. Das Dinghafte, obwohl existenziell den Gesetzen der Logik und damit der Wahrheit unterworfen, ist nicht die Wahrheit selbst, sondern leitet sich offensichtlich aus der Wahrheit ab. Aufgrund seiner Gesetzmäßigkeit und Wandelbarkeit besitzt es die Fähigkeit, immer neue komplexere Formen zu bilden bis hin zum Menschen, der sogar in der Lage ist, über den Ursprung seiner eigenen Existenz zu reflektieren.

Welche Gründe sprechen nun dafür, ausgehend von den bisherigen Einsichten, noch einen Schritt weiterzugehen und das, was wir als die eine unteilbare Wahrheit erkannt haben, in Beziehung zu bringen mit dem Gottesbegriff, dem wir in den Religionen, zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber doch als der einen, letzten schöpferischen Instanz begegnen? Was hat die Atheistin und Wahrheitssucherin Edith Stein bewogen, überzeugte Christin zu werden und zu sagen: „Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott“?
Allein mithilfe unserer verstandesmäßigen Erkenntnis, ohne den weitergehenden Schritt des Glaubens, wird uns der Zugang zu einer solchen persönlichen Gottesbeziehung vermutlich für immer verschlossen bleiben. Aber es sprechen doch wichtige Gründe dafür, dass die letzte schöpferische Instanz mehr ist als ein „blindes Naturgesetz“.
Da ist die Frage: Muss die Entwicklung alles Kreatürlichen bis hin zum Menschen mit all seinen Fähigkeiten nicht „vorgedacht“ sein? Und wenn all das, was wir als existenziell erfahren, in der letzten schöpferischen Instanz „vorgedacht“ ist, müsste diese Instanz dann nicht zumindest schon die Idee von all dem in sich selbst besitzen?
Diese Vorstellung, die auch Platon vertrat, ist durchaus im Einklang mit der Theologie, der Lehre von Gott. Wenn nämlich diese Vorstellung richtig ist, was wir nicht beweisen, aber glauben können, ist der Schritt zu einem persönlichen Gottesbild nicht mehr weit.
Man muss sich aber davor hüten, ein solches Gottesbild zu vermenschlichen. Nicht von ungefähr ist es im Judentum und im Islam verboten, sich ein Bild von Gott zu machen. Zu Recht hatten die frühen Verkünder eines einzigen Schöpfergottes erkannt, dass der Glaube an die Götter ihrer Nachbarvölker ein Irrglaube war. Diese Götter waren „überirdische Wesen mit menschlichen Eigenschaften“, weit davon entfernt, der erkennbaren Wahrheit von einer allem Sein zugrunde liegenden, weit über jedes menschliche Maß hinausgehenden, einheitlichen höheren Vernunft gerecht zu werden. Aber auch der Monotheist unterliegt der Gefahr, sein Gottesbild nicht an der erkennbaren Wahrheit auszurichten, sondern allzu menschlichen Vorstellungen anzupassen, während der Buddhismus in seiner Lehre vom Kreislauf der Dinge weitgehend die Einsicht vermissen lässt, dass es eine allem zugrunde liegende, zielgerichtet schöpferische Instanz geben muss.

Das Zeitalter der Aufklärung hat neue Wege gesucht, um mithilfe der menschlichen Vernunft dem Ziel der Wahrheitsfindung näher zu kommen. Insbesondere die Naturwissenschaften haben dabei bis in unsere Gegenwart erhebliche Fortschritte erzielt. Sie haben aber auch zum ersten Mal die prinzipielle Unmöglichkeit nachgewiesen, mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden die ganze Wahrheit zu erkennen. So stecken wir in einem Dilemma. Einerseits wissen wir, dass es eine objektive Wirklichkeit und somit auch eine Wahrheit gibt und dass alles, was dieser Wahrheit widerspricht, zu Dissens und damit zu Unheil führt, andererseits aber müssen wir einsehen, dass unsere menschliche Vernunft nicht ausreicht, um die volle Wahrheit zu erkennen.
Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen? Sollen wir uns auf das beschränken, was wir als in sich widerspruchsfrei erkennen können? Die mathematisch-naturwissenschaftliche Vorgehensweise hält sich weitgehend an diese strenge Vorgabe und sie war damit bisher auf ihrem Wissenschaftsgebiet in hohem Maße erfolgreich. Leider reicht diese Wissenschaftsmethode aber nicht aus, um Antworten auf all die Fragen geben zu können, die unser Dasein, Denken und Handeln bestimmen.

So kommt es, dass wir Menschen über das rational Erkennbare hinaus nach Antworten suchen, welche die Möglichkeit des Irrtums nicht ausschließen. Dies gilt vor allem für die Frage nach dem rechten Tun. Hier lässt uns die mathematisch-naturwissenschaftliche Denkungsart gänzlich im Stich. Sie beschäftigt sich nicht mit dem, was sein soll, sondern mit dem, was ist, was war und was aufgrund von Gesetzmäßigkeiten sein wird. Was sein soll, ist eine Angelegenheit der Ethik und hiermit verwandter Sachgebiete. So gelangen wir wieder zu der Eingangsbetrachtung, dass es aufgrund der unterschiedlichen Weltsichten der Menschen die verschiedensten Wertvorstellungen gibt, wobei vermutlich diejenigen vorherrschend sind, die das persönliche Wohlergehen und das der zugehörigen sozialen Gruppe zum Maßstab nehmen, wobei eine solche Wertordnung sich meist nur so weit am Gemeinwohl orientiert, wie dies Rückwirkungen auf das persönliche Wohlergehen und das der eigenen Gruppe hat. Demgegenüber ist die Auffassung, dass sich unser Tun daran orientieren sollte, was dem Ganzen dient, eher eine Minderheitsposition. Dennoch ist diese Position die einzige, die hoffen lässt, dass die Gegensätze und Widersprüche in der Welt überwunden werden können. Die Wahrheit, die keinen inneren Widerspruch duldet, ist nämlich ihrer Natur nach, was das Wandelbare anbelangt, nur dann uneingeschränkt im Einklang mit diesem, wenn auch alles Wandelbare sich miteinander im Einklang befindet.
So gesehen ist die Wahrheitssuche mehr als eine Erkenntnisfrage. Durch die Suche nach dem, was in Wahrheit sein soll, erhält sie eine ethische Dimension. Edith Stein gelangte bei ihrer Wahrheitssuche über die Philosophie zur Religion und schließlich zum Christentum. Nicht die christlichen Konventionen waren es, die sie überzeugten. Religiöse Konventionen kannte sie von ihrer jüdischen Herkunft. Es war die Suche nach dem wahrhaft Guten, das ihr vor allem in Christus und in denen begegnete, die Christus in Wahrheit nachfolgten. Es war der gläubige Schritt von der verstandesmäßigen Erkenntnis des Wahren und Guten hin zu einer persönlichen Gottesbeziehung. Was wir Edith Stein zubilligen, müssen wir natürlich auch denen zugestehen, die zu anderen Überzeugungen gelangen. Wenn wir Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für ethisches Handeln anerkennen – die reine Erkenntniswissenschaft führt uns, wie gezeigt, nicht zur abschließenden Beantwortung der Fragen nach dem, was wirklich ist, und schon gar nicht zur Antwort auf die Frage, was sein soll –, müssen wir auch die Glaubensfreiheit als Teil des persönlichen Entscheidungsprozesses akzeptieren, obwohl wir wissen, dass es keine verschiedenen Wahrheiten geben kann und widersprüchliche Auffassungen von dem, was ist und sein soll, auf Widersprüche gegenüber der einen Wahrheit schließen lassen. Die Forderung nach Glaubensfreiheit und Toleranz heißt allerdings nicht, dass man den Irrtum, soweit er als solcher erkennbar ist, und dessen Folgen billigen muss. Dem Irrtum muss die Wahrheit entgegengesetzt werden. Dies gilt auch für den eigenen Irrtum; d.h., jede persönliche Überzeugung muss sich immer wieder der Überprüfung durch die erkennbare Wahrheit stellen, wobei vor allem deren ethische Dimension nicht außer Acht gelassen werden darf. Eine Überzeugung, die es zum Beispiel für richtig hält, allein das Wohlergehen der eigenen Person oder eigenen Gruppe zum Maßstab des rechten Handelns zu machen, ist als falsch widerlegbar, da im Sinne eines allumfassenden Wahrheitskonsenses, d.h. im Sinne von Widerspruchsfreiheit, das alleinige persönliche Wohlergehen oder das der eigenen Gruppe kein Wertmaßstab für das Wohl des Ganzen und damit kein Weg zur Überwindung der Gegensätze sein kann. Denn, wie schon gesagt, hilft nur das ganzheitliche Streben nach dem Einklang mit der Wahrheit, Widersprüche und Gegensätze zu überwinden.
5 Sterne
Meine Weltsicht - 16.12.2013
Helmut Stücher

Schade, dass das Buch nicht größer ist. Die Gedankengänge sind fesselnd, die Logik zwingend. Wer die Wahrheit sucht, ist mit dem Autor auf dem richtigen Weg und wird auf den wahren Gott stoßen, der sich nur dem Glaubenden offenbart. Das Jesajaswort trifft hier voll zu: "Ich bin gefunden worden von denen, die mich nicht suchten (Jes.65,1).

Das könnte ihnen auch gefallen :

Meine Weltsicht

Timothée Mercier

Majestätsbeleidigung

Weitere Bücher von diesem Autor

Meine Weltsicht

Winfried Schlotter

My Worldview

Buchbewertung:
*Pflichtfelder