Eine philosophische Reise der Selbstfindung

Eine philosophische Reise der Selbstfindung

Über innere und äußere Wege zu einem selbstbestimmten Sein

Jörg Schader


EUR 17,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 204
ISBN: 978-3-99064-753-0
Erscheinungsdatum: 31.01.2020
Jörg Schaders existenzphilosophische Abhandlung über das wahre Selbst sollte es zum Herunterladen als App geben. Eine kleine Anwendung für ein selbstbestimmtes Leben ...
Insularität

Müssen wir es denn immer darauf anlegen, mehr zu besitzen? (…)
Ich hatte auf meinem Schreibtisch drei Kalksteine liegen
und bemerkte zu meinem Entsetzen,
daß sie täglich abgestaubt werden mussten,
während mein geistiges Rüstzeug noch unabgestaubt war.
Entrüstet warf ich sie zum Fenster hinaus.
(Thoreau 2007, 42f)



Selbstverständlich meinen es die Leute gut mit uns. Aber wenn wir immer das tun, was uns unser Umfeld empfiehlt, werden wir immer hin und hergerissen sein, werden wir wie ein Blatt im Winde sein, werden wir ein Spielball der Sorgen und Ängste des Umfelds, der Normalgesellschaft sein.
Es gilt aber, uns vor uns selbst zu verantworten, es gilt, dem eigenen Herzen zu folgen und nicht die Verantwortung abzugeben. Wenn wir Erfolg haben, freuen wir uns über unseren Erfolg, wenn wir scheitern, können wir wahrhaftig daraus lernen.
Es ist ein authentisches Leben, und es ist ein wahrhaftiges Leben - aus der Tiefe des eigenen Seins. So laufen wir nicht Gefahr, einer Midlife Crisis zu erliegen, denn hier folgen wir unserem Herzen und können wahrhaftig unser Sinnbedürfnis stillen. Doch was ist nun mit der nebulösen Begrifflichkeit „Insularität“ gemeint?



I

Setzen wir auf gesamtgesellschaftlicher Ebene an, und zwar bei der in der frühen Neuzeit aufgekommenen Literaturgattung der „Utopie“. Egal ob Morus‘ „Utopia“, Campanellas „Sonnenstaat“ oder Bacons „Neu Atlantis“, all diese ideellen Welten, all diese Vorstellungen einer besseren Lebenswirklichkeit fanden sich im Bildnis einer bislang unentdeckten Insel in einem versteckten Winkel eines wie auch immer lautenden, ausufernden Ozeans. Wir schließen daraus, dass es uns selbst in Gedanken schwerfällt, inmitten unseres täglichen Treibens eine andere Realität zu denken. Das Neue bedarf der Abgrenzung vom Alten: Das Alte darf aus Sichtweite geraten, damit ohne Altlasten auf einem tabula rasa das Neue entstehen kann.Wie kann nun an jenem Punkt gehandelt werden? Wie kann das Bestehende, das teilweise dysfunktional Gewachsene nun so modifiziert werden, um die Frage nach dem Sinn, die Frage nach dem eigenen Glück positiver zu beantworten? Hier können nun Schlagwörter und Phrasen wie „Abgrenzung“, die „Fähigkeit, den eigenen Weg zu gehen“ usw. bedient werden, und wenn wir mythologisch argumentieren wollen, können wir - wie im Kapitel zuvor - uns der Geschichte von Orpheus und Eurydike bedienen.
Ganz gleich welche Worte entsprechend dem eigenen Wissens- und Erfahrungsvorrat am treffendsten scheinen, es läuft darauf hinaus, einen individuellen Weg zu beschreiten, häufiger „nein“ zu sagen und inmitten der Unmittelbarkeit von Alltäglichkeit und Geselligkeit ein deutlicheres Bild, eine deutlichere Vorstellung zu entwickeln, was nun zum eigenen Sein passt - und was eben nicht.Vielleicht werden Sie dem einen oder anderen gesellschaftlichen Ereignis fernbleiben, vielleicht reduzieren Sie die Kontakte mit diesen und jenen Personen, da deren Sichtweisen und Lebensstile nicht mehr mit den eigenen d’accord gehen. Vielleicht reduzieren Sie auch Ihr Beschäftigungsverhältnis von 38 auf 25 Stunden, um mehr Zeit für sich selbst zu haben, um sich endlich einem jahrelang herbeigesehnten Herzensprojekt widmen zu können.
Vielleicht reduzieren Sie auch Ihren Fernseh-, Facebook- und/oder WhatsApp-Konsum, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Vielleicht verlautbaren Sie gegenüber Ihrem Umfeld permanente mittwochabendliche und sonntägliche Nichterreichbarkeit, um den Wirren der Informations-, Stress-, Freizeit- und Konsumgesellschaft fernzubleiben. Vielleicht schalten Sie beim Autofahren bewusst für ein paar Minuten das Radio aus, um den eigenen Gedanken, um dem eigenen Herzen Raum zu geben.
Die obige Aufzählung könnte noch über so manche Seite ausgedehnt werden, wir wollen aber folgende Conclusio formulieren: Es gibt vielzählige Möglichkeiten, im eigenen Alltag Insularität herzustellen. Von zentraler Bedeutung sind Bestrebungen, jeden Tag bewusst Situationen einer solchen Qualität herzustellen, um Alltäglichkeit aus innerer Zentriertheit heraus zu leben. Ist das Postulat der Insularität nun eine Aufforderung zum permanenten Alleinsein? Nein! Vielmehr soll die Bedeutung unterstrichen werden, sich selbst treu zu sein. Bewusst zu fühlen, was man nun mit dem Herzen will und was eben nicht, dies gelingt vielen Menschen am ehesten, wenn Zeit zum Sinnieren vorhanden ist, Zeit zum Denken und Fühlen, wie auch immer diese „Me-Time“ aussehen mag. Insularität kann als zeitlich begrenzter Rückzug von 30 oder 60 Minuten pro Tag verstanden werden, um danach umso bewusster, klarer und intensiver in Kontakt mit dem Umfeld treten zu können.
Manche sehnen sich eine ausgedehnte Me-Time herbei und schreiten über Wochen hinweg ihrem Selbst auf den Pilgerwegen dieser Erde entgegen. Andere biwakieren in unseren wunderschönen Alpen, und anderen wiederum genügt es, täglich um den Block zu flanieren. Die Pluralität menschlicher Lebensformen und innerer Konstitutionen macht es an diesem Punkt glücklicherweise unmöglich, ein Patentrezept zu formulieren.
Vielmehr gilt es, zu erfühlen, was wir im Hier und Jetzt, am kommenden Wochenende, im nächsten Urlaub benötigen, um wieder ein Stück in Richtung Leichtigkeit und Authentizität wachsen zu können. Wir haben im Zuge der Erörterung von Schattenidentitäten bereits gelernt, dass wir vieles getan haben, um geliebt zu werden, und wir haben uns auf unsere Erfahrungen berufen, dass diese Bestrebungen stets eine Schwächung des Selbst, stets Enttäuschungen mit sich brachten. Erwarten Sie nun nicht von sich, innerhalb weniger Tage die Transformation zu einem weisen Avatar durchschritten zu haben, der in sämtlichen Belangen über den Dingen steht. Vielmehr gilt es, peu à peu zu lernen, peu à peu das eigene Bewusstsein so zu erweitern, um zu spüren, was Ihnen gut tut und was eben nicht.



II

Lassen Sie uns noch über Bedeutungen des Wortes „gut“ sinnieren und lassen Sie uns den Beispielen „Trinken“ und „Essen“ zuwenden: Einige Jahre habe auch ich dem Genuss diverser schottischer Single Malts gefrönt, habe den Konsum zelebriert, wie auch das rauchige, zartbittere Brennen in meinem Rachen und Gaumenbereich, die sich ausbreitende innere, gewohlsame Wärme, die sich alsbald einstellende Heiterkeit und Gelassenheit. Es war eine herrliche Möglichkeit, dem Alltag zu entgleiten, ein sehr angenehmer Weg, meinem rotierenden Geist eine Auszeit zu gönnen.
Ich weiß nicht mehr genau, wann es war, ich glaube im Jahr 2011, da merkte ich, wie ich bereits nach dem Nippen eines Ardbergs oder Lagavulins schwermütig wurde, Leichtigkeit und Lebenslust entglitten mir. Nach wie vor mundeten mir die edlen Tropfen, und dennoch musste ich erkennen, dass mir sämtliche alkoholischen Getränke zwar gut schmeckten, aber nicht gut taten.
Auch heute noch muss ich mich ab und an behaupten. Ich solle nicht so „blöd tun“, ein kleiner Schluck oder ein kleines Bier würde mich schon nicht umbringen. Wenigstens zum Anstoßen solle ich ein Gläschen kippen. Ich mache mir stets einen Spaß daraus, betrachte dieses Spiel, betrachte, wie so manche Mühen unternommen werden, um mich zur gemeinsamen Zeche zu verleiten. Der Nutzen überwiegt jedoch! Ich bin mir selbst treu, folge meinem inneren Empfinden und verliere mich nicht in der Suche nach Liebe und Anerkennung im Außen. Vor allem merke ich durch mein Anderssein recht rasch, mit welchen Menschen ich kompatibel bin und mit welchen eben nicht - meine Abstinenz, ein unmittelbarer Prüfstein für die Toleranz des Gegenübers.
Lassen Sie uns noch ein weiteres Beispiel ansprechen, jenes der Völlerei. So viele unter uns schwelgen in Gaumenfreuden, die von Sachertorte, Steak oder salzigem „Knabberspaß“ bereitet werden. Das Lustzentrum in unserem Gehirn fordert in der Regel mehr und mehr, im Zuge eines besonderen Anlasses wird man zudem von außen gedrängt, doch noch ein Stück nachzunehmen und die Nachspeise nicht zu verschmähen. Als Resultat eines vorzüglichen Mahls stellt sich somit alsbald kein freudvolles, zufriedenes Sättigungsgefühl ein, sondern vielmehr Ekel, Sodbrennen und der Wunsch nach einem Kräuterschnaps.
Man kann es mit dem gut Schmeckenden übertreiben, und somit bleiben als Erinnerungen digestive Unbekömmlichkeiten eines an und für sich gelungenen Festmahls. Auch hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen „gut schmecken“ und sich selbst etwas „Gutes tun“ - Lustempfinden, Unachtsamkeit gegenüber den Signalen des Leibes, normalgesellschaftliche Konventionen, unser Selbsterhaltungs- und Selbstzerstörungstrieb, sie alle rittern um die oftmals halb bewusste Dominanz in unserem Sein, um unser Verhalten steuern zu können.
Alkohol und Völlerei eignen sich als plastische Beispiele, wir wissen häufig genau, wenn wir ein Steak oder ein Stück Seitan zu viel gegessen haben. Betreffend die Menge der gekippten Biere oder der konsumierten Achterl Wein ist besagter Person häufig klar, auch wenn am Folgetag die Anzahl nicht mehr genau eruierbar ist, dass dem zu viel war. Viele Grenzüberschreitungen, viele Abgleiche von „Gut-Sein“, „jemandem etwas Gutes tun“ sind jedoch schwieriger zu analysieren und zu differenzieren.
Häufig erwähnen Coachees mir gegenüber, „zu gut“ zu sein. Sie seien zu gut, um mit dem Vorgesetzten zu sprechen, da sie seit Monaten unbezahlt Überstunden machen, sie seien zu gut, um dem Lebensgefährten, der Ehepartnerin jene sozialen Tatsachen zu unterbreiten, durch die Unmut entsteht, sie seien zu gut, um sich endlich gegenüber ihren Eltern, ihrem Vermieter usw. zu behaupten.
Dieses „zu gut“ ist kein Spross einer überschäumenden, lebensbejahenden Grundhaltung, es weist vielmehr auf ungenügenden Mut, auf ungenügende Abgrenzungsfähigkeit, auf einen zu gering ausgeprägten Selbstwert hin. Dieses Zu-gut-Sein bedeutet in realitas, sich selbst klein zu machen, heißt, sich selbst ein Joch aufzuerlegen, um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Diese Art und Weise der Lebensführung widerspricht dem Credo der Selbstliebe, aktiven Bestrebungen nach Erfüllung und Sinn, dem Wunsch nach Leichtigkeit usw. Mit einer solchen Einstellung, einer solchen Persönlichkeits- und Wesensstruktur werden Wünsche, Sehnsüchte und Visionen so lange aufgeschoben, bis sie immer seltener und seltener als fahle Gestalten infantil anmutender Träume in die Gedanken des Hier und Jetzt einströmen.
Das eigene Scheitern bzw. das Nichtunternehmen des Versuchs und somit die Angst vor dem Scheitern werden verschleiert. Ausreden wie „Ich hatte einfach nie die Chance dazu“, „Die Arbeit und die allgemeine wirtschaftliche Lage haben es einfach nie zugelassen“, „Mein Garten und der Haushalt brauchen einfach so viel Zeit“, „Ich muss mit meinem Job zufrieden sein, den Leuten in Afrika geht es viel schlechter“ usw. werden vorgeschoben. Die eigene Feigheit, die eigene Unfähigkeit, ins Tun zu kommen, werden transzendiert. Scheinkausalitäten äußerer widriger Umstände werden konstruiert, um vor sich selbst und anderen die Nichterfüllung eigener Träume zu rechtfertigen.
Ein solcher Zugang zum Leben ist bequem, da Kausalitäten immer im Außen gesucht werden, doch je vehementer jene konstruierten Zusammenhänge in die Konstitution der eigenen Identität einbezogen werden, desto schwerer wird es, doch noch den eigenen Träumen zu folgen. Jene Menschen wundern sich häufig, weshalb sie über so wenig Lebensfreude, weshalb sie über so wenig Tatendrang verfügen und weshalb sich ihr Gemüt zusehends depressiver gestaltet.



III

Wir alle erfinden Ausreden, bedienen uns Ausflüchten, um nicht voll und ganz in die Selbstverantwortung gehen zu müssen. Das Ziel dieser Reisephilosophie der Selbstfindung ist, den Grad an Selbstverblendung zu reduzieren und den Wunsch bzw. Mut zu einer authentischen Lebensweise zu forcieren. Ab und an benötigen wir den einen oder anderen Umweg, da die zu bewältigende Aufgabe nicht bewältigbar scheint, von unserem eigenen Wissens- und Erfahrungsvorrat, durch unsere eigene Selbstwirksamkeitsüberzeugung mit dem Prädikat „unschaffbar“ versehen wird.
So konzentrierte ich mich in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jungen erst mal zumeist auf das Finden eines Hobbys, auf regelmäßige sportliche Betätigung, in der Regel Krafttraining. Die so betreuten Klienten merkten peu à peu, dass die Gewichte bei den jeweiligen Übungen zusehends gesteigert werden konnten: Mentale und körperliche Stärkung stellten sich ein, Selbstwirksamkeitsüberzeugung nahm zu.
Erst als ich den Eindruck hatte, dass dieser und jener Klient wieder Freude, wieder einen positiven Bezug zum eigenen Leben gefunden hatte, erst dann begannen wir mit der Lehrstellensuche bzw. mit dem Berufsfindungsprozess. Zuvor wäre die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns zu hoch gewesen und somit auch der negative Impetus auf das Selbstkonzept, die Psyche, das Selbst der Klienten.
Ein weiteres Beispiel: Personen, die über Jahre hinweg in ihren Partnerschaften unglücklich waren, intensivieren häufig Bewegung und Sport, suchen sich neue Freizeitaktivitäten, erweitern ihr soziales Netzwerk usw. Die Wiederverbindung mit der Partnerin/dem Partner oder die schlussendliche Trennung erweisen sich zumeist als ein abschließendes Momentum eines jahrelangen Prozesses des Selbstzweifels, der Selbstfindung, der Erweiterung eigener Handlungsoptionen.
Das Fundament einer neuen Lebenswirklichkeit gründet sich somit nicht auf den finalen Vollzug der Wiederverbindung oder Trennung, sondern vielmehr auf den zuvor entwickelten und erarbeiteten, inneren und äußeren Ressourcen. So manche Frau beginnt allein zu tanzen, beginnt mit Freundinnen Ausflüge zu unternehmen, so mancher Mann setzt sich neue berufliche Ziele und stellt sich neuen sportlichen Herausforderungen.Ich selbst beschloss im Frühjahr des Jahres 2008 in Vollmondnächten der warmen Monate - zumeist alleine - einen Berg zu besteigen, um mit der archaischen Urkraft des Pilgers in mir in Verbindung zu treten, um aktiv Re-Naturalisierung zu betreiben, um mich vom Treiben der Welt für kurze Zeit zu lösen, um meinem Selbst wieder näherzukommen. Welche Wege beschreiten Sie, welche Methoden wenden Sie an, auf welche Ressourcen greifen Sie zurück, um Klarheit herzustellen, um Zugang zu Ihrer ureigenen Kraftquelle zu finden, um Selbstverblendung entgegenzuwirken und Authentizität zu fördern?


IV

Zuvor warfen wir bereits die Frage nach dem Zwang zum Alleinsein auf. Es finden sich zuhauf Bücher in diversen Verlagsprogrammen über Retreats, übers Aussteigen. Wenn wir an Antonius den Großen denken, der Einsamkeit in der ägyptischen Wüste suchte, oder auch an Henry David Thoreau, der im 19. Jahrhundert Ähnliches in den Wäldern von Massachusetts suchte, so wird uns klar, dass bewusstes Absentieren von den Wirren des tagtäglichen Treibens der Menschen bereits vor der Digitalisierung des Alltags ein Teil menschlicher Erfahrungswelten war. Doch in unseren postmodernen Lebenswelten drängen sich Fragen nach dem Sinn, nach Ruhe, Gelassenheit, Entspannung und Selbstfindung umso dringlicher auf.
Als Gegenpol können wir mit Norbert Elias als Soziologe und mit Johannes Mario Simmel als Autor belletristischer Literatur argumentieren: Erstgenanntem zufolge sei der Mensch sui generis ein soziales Wesen, da wir unsere ersten Lebensjahre nur mithilfe eines schutzgebenden Umfelds überleben können und somit aufgrund dieser Zwischenabhängigkeiten das descartsche Postulat cogito ergo sum (ich denke, also bin ich) ohnehin nur negiert werden kann. Zweitgenannter führt uns lebensnäher vor Augen, dass eben kein Mensch eine Insel ist, dass wir - ausgenommen Personen mit sozialemotionalen Störungen wie Autisten - Nähe brauchen, um einen positiven Lebensbezug entwickeln bzw. behalten zu können.
An dieser Stelle gilt es nun, das Konzept der „Selektion“ in unsere Diskussion einzuführen: nicht die bedingungslose Unmittelbarkeit i. S. beliebiger Sozialkontakte und beliebiger Freizeitaktivitäten, sondern vielmehr bewusstes Auswählen und Sondieren, ein bewusstes Differenzieren zwischen Personen, die uns wahrhaftig gut tun und welche eben nicht, zwischen Personen, welche wir nahe an uns heranlassen oder eben nicht. Wie überall, wo Menschen zueinanderfinden, gibt es Streit, gibt es Konflikte, doch dürfen ebenjene Episoden nicht die Beziehung an sich, nicht die Freundschaft, nicht das Miteinander dominieren.
Personen, die beispielsweise aus einer Opferhaltung heraus agieren, ständig ihr Leid beklagen und das Leben schwarzmalen, ebendiesen Personen dürfen verstärkte Abgrenzungsbemühungen entgegengebracht werden. Anderen wiederum, die im Miteinander das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken, mit welchen ein positiver Selbstbezug wachsen und gedeihen kann, darf und soll Tür und Herz geöffnet werden.Vielleicht haben Sie es bereits beobachtet: Häufig gesellt sich „gleich“ und „gleich“. Eine Erklärung für dieses „Gleich-Sein“ bietet uns das „Resonanzgesetz“. Dies kann nun mithilfe von Spiegelneuronen und/oder auch mithilfe eines metaphysischen Konzepts erläutert werden. Wie dem auch sei, häufig treffen wir auf Menschen, die durch deren Existenz Schatten und Wunden in uns in Resonanz bringen, damit wir gezwungen sind, genau diese Anteile zu schauen.
Die meisten Idealisten und Rationalisten sind sich einig: Unser Geist könne nur das in der Welt erkennen, was selbst in uns wohnt. So wundert es nicht, dass Frauen, die von ihrem Vater geschlagen wurden, oftmals Männer heiraten, die ebenfalls gewalttätig sind. So wundert es nicht, dass Männer, die von Ihren Müttern überfürsorglich und bevormundend erzogen wurden, ebensolche Frauen heiraten.
Durch das Resonanzgesetz erhalten nicht nur Seelenwunden die Chance, sichtbar zu werden, sondern wir begegnen auch Menschen - in der Regel so manche unserer Freunde, aber auch Arbeitskollegen, Nachbarn usw. -, die unter denselben oder ähnlichen Unsicherheiten und emotionalen Wunden leiden, die vor denselben oder ähnlichen Hürden stehen.
Mit einem solchen Gegenüber kann Solidarität entstehen, können Verbundenheit und wechselseitige Bestärkung wachsen. In der Regel handelt es sich hierbei um Dyaden, und so treffen sich ebendiese Zweiergespanne zum Wandern, zum Training oder zum Kaffee. So werden die Tage im Zuge von Wanderungen mit der besten Freundin besonders geschätzt, weil während des Gehens viel Raum und Zeit zum Austausch gegeben ist. So wird das obligatorische Werkstattbier im Zuge einer Männerfreundschaft genossen, bei der auch verletzte Anteile des Selbst gezeigt werden dürfen. Das Prinzip der Insularität gilt also nicht nur für das Individuum allein, sondern auch für nahe freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen und Bindungen. Insularität ist auch im sozialen Raum der „Schwitzhütte“ gegeben, die seit Jahrtausenden existiert und sich gegenwärtig einer Renaissance erfreut. Ebenso entsprechen Selbsterfahrungsgruppen, Einzelsitzungen bei Coaches, Lebens- und Sozialberater*innen und Psychotherapeut*innen der Anforderung einer starken Abgrenzung nach außen und somit des Gewinns von intra- und interpersoneller Sicherheit und Vertrautheit.

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