Ein anderer Blickwinkel

Ein anderer Blickwinkel

Lebenshilfen für den Alltag

Andreas Krämer


EUR 23,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 154
ISBN: 978-3-99130-278-0
Erscheinungsdatum: 18.09.2023
Wer sich entwickeln will, muss seinen Blickwinkel ändern. Das macht Andreas Krämer in skurrilen, heiteren Kurzgeschichten, die zum Nachdenken anregen
Mein Traum

Einst war ich ein Baum,
ihr glaubt es kaum:
Mit mächtigen Ästen und stolzer Krone,
der größte am Platze, allen zum Hohne –
bis ein Blitz dann traf meinen hohen Stolz
und flammendes Feuer verzehrte mein Holz.

Des Arbeiters Axt, wird bald sie mich fällen?
Oder schließen sich meine Wunden im hellen
Licht milder Sonne?

Oh, welche Wonne:
Sprossende Zweiglein, grünende Blätter
das Leben wird netter!
Werde ich wieder ein Baum?
Ich glaube es kaum!



Abnabelung

In einem Arztzimmer. Der Arzt am Schreibtisch, ihm gegenüber eine nervöse Patientin.
Arzt: „Also, Frau … Bilsky …?“
Patientin: „Von Brizibilsky, bitte sehr, so viel Zeit muß sein!“
Arzt: „Richtig, also, Frau von Brizibilsky, Sie haben soziale Probleme daheim?“
Patientin: „Irgendwie schon, ich glaube, ich werde meinem Sohn Theodor offenbar nicht gerecht. Immer wieder gibt es Ärger. Aber an ihm kann es nicht liegen. Er ist wirklich ein Gottesgeschenk, wie sein Name ja schon sagt.“
Arzt: „Nun, da muß ich Ihnen ein paar peinliche Fragen stellen. Zunächst: Wie alt ist Ihr Sohn, was hat er gelernt und was macht er so?“
Patientin: „Er wird bald 24, hat die Hauptschule und das Gymnasium besucht und studiert zurzeit fleißig Wirtschaftswissenschaft im 16. Semester.“
Arzt: „Also quasi ein sogenannter ‚Ewiger Student‘, wie?“
Patientin: „Nun, wenn man ihn immer wieder in den Prüfungen durchfallen läßt, was soll er da machen? Jetzt hat man ihn vom Studium der Wirtschaftswissenschaft ausgeschlossen.“
Arzt: „Kein Wunder, wenn er sich jetzt vorwiegend für Wirtschaften interessiert, also für Gaststätten und Kneipen.“
Patientin; „Natürlich! Schließlich braucht er nach diesem Prüfungsstreß neue soziale Kontakte, und die bringen leider mein ganzes Haushaltsbudget durcheinander.“
Arzt: „Offenbar unterstützen Sie Ihren bereits erwachsenen Sohn immer noch finanziell?“
Patientin: „Ist doch klar, wie soll er denn allein seinen Wagen unterhalten, den er beruflich und privat braucht, und dann die teuren Freundinnen …“
Arzt: „Hat er denn eine Freundin?“
Patientin: „Ja, sicher, sogar mehrere. Aber Sie wissen ja selbst, wie unbeständig und unzuverlässig die Mädchen heutzutage sind. Immer wieder lassen die ihn sitzen, obwohl er denen allerhand teuren Schmuck gekauft hat.“
Arzt: „Dazu kann ich mich momentan nicht äußern. Da müßte sich Ihr Herr Sohn mal persönlich in meine psychiatrische Praxis bemühen. Wie sieht nun Ihre gemeinsame Arbeit im Haushalt aus? Sie beide leben allein?“
Patientin: „Mein Mann Moritz verließ mich schon vor vielen Jahren. Aber Theodor arbeitet kräftig mit im Haushalt, soweit es seine Zeit zuläßt. Er schreibt für mich die Einkaufszettel und macht tolle Vorschläge für unsere Wohnungseinrichtung, ja, er plant sogar unseren Urlaub ganz allein.“
Arzt: „Das heißt also im Klartext: Ihr Sohn plant … und Sie arbeiten, nicht wahr?“
Patientin: „Ihre Fragen empfinde ich allmählich unverschämt, verehrter Herr Doktor! Sie müßten doch wissen, daß ein Heranwachsender viel Zeit braucht für seine Entwicklung, seine Hobbys, seine Freunde usw. Nein, ich glaube, das Problem besteht in unserer zu kleinen Wohnung. Schließlich möchte ich, ebenso wie Theodor, auch mir mal jemanden einladen. Mit 72 bin ich doch nicht zu alt für einen Freund,
oder?“
Arzt: „Nein, natürlich nicht!“
Patientin: „Sehen Sie! – Und ich kann ihm doch nicht zumuten, in seinem Arbeitszimmer allein herumzuhocken. Darum nutzt er natürlich auch unseren Salon.“
Arzt: „Aber wenn Sie sich mit Ihrem Freund dort aufhalten, stört Ihr Sohn Sie beide doch, oder?“
Patientin: „Ja, wir würden uns bestimmt stören, besonders wenn Theodor fernsehen will und eventuell Besuch hat. Dafür muß dann mein Freund Verständnis haben. Wir verziehen uns in diesen Fällen jedes Mal ins Kabuff.“
Arzt: „Wohin bitte?“
Patientin: „Ins frühere Kinderzimmer weichen wir aus, dort schlafe ich ja sowieso, und da stehen mein Kleiderschrank und mein Schreibtisch.“
Arzt: (fassungslos) „Und warum nutzen Sie nicht das Elternschlafzimmer?“
Patientin: „Das geht doch nicht! Dort hat Theodor sein großes Bett, seinen Arbeitsplatz mit Computer und daneben gleich auch sein Badezimmer.“
Arzt: „Wie praktisch für ihn, das muß ich sagen, auch im Hinblick auf eventuellen Besuch Ihres Herrn Sohnes! Dürfen Sie und Ihr Freund auch das Bad benutzen?“
Patientin: „Ich bin flexibel, nun, wir haben das schon mal riskiert, aber natürlich nur, als Theodor über Nacht weg war. Schließlich müssen wir ja friedlich miteinander auskommen.“
Arzt: Aber haben Sie überhaupt noch irgendwelche Rechte in Ihrer eigenen Wohnung?“
Patientin: „Jetzt werden Ihre Fragen schon wieder peinlich. Theodor braucht ja sowieso mehr Raum, da er noch seine Kröte und seine Katze versorgen muß.“
Arzt: „Sagten Sie ‚muß‘, oder sind dies nur seine Privatvergnügen?“
Patientin: „Wenn Sie wüßten, wie der Junge damals unter unserer Scheidung gelitten hat,
verstünden Sie, daß er diese Tiere als Partner braucht, und würden nicht wieder solche peinliche Fragen stellen.“
Arzt: „Und Ihr Theodor versorgt natürlich seine Tiere selbst?“
Patientin: „Da ist er zuverlässig. Natürlich springe ich ein, wenn er verhindert oder außer Haus ist. Schließlich hat er mir auch schon mal ein Süppchen gekocht, und wenn er Zeit hat, putzt er mir gegen Trinkgeld sogar die Treppe! Er ist ein Prachtkerl, mein Theodor.“
Arzt: „Haben Sie damals Ihrem Sohn dieses große Auto gekauft?“
Patientin: „Das hat er sich doch so sehr gewünscht, und er braucht doch das Fahrzeug ständig.“
Arzt: „Haben Sie bei diesem großen Wagen auch den Kostenaufwand bedacht, wie Anschaffung, Reparaturen, Versicherung und Sprit?“
Patientin: „Theodor meinte …“
Arzt: (unterbricht, laut) „Danke! Das genügt mir! (Pause) Dürfen Sie denn damit fahren?“
Patientin: „Er fährt ihn allein, ich darf mich aber an den Versicherungskosten und auch an den Benzinkosten beteiligen, wenn er mich gelegentlich mitnimmt.“
Arzt: (listig) „Mir scheint, Sie haben sich da einen sehr cleveren … Moment mal.“
(Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelt, der Arzt hebt ab und spricht:)
Arzt: „Ja, Kurt? – Herbert hier. Die Schule ist schon aus? Prima, da kannst du ja zum Supermarkt fahren und einkaufen. Zettel liegt auf der Kommode. Aber setze bitte vorher die Kartoffeln auf, ja? Was hast du geschrieben? Eine Zwei in Mathe? Prima, das gibt wieder einen kleinen Beitrag für dein Sparbuch. Und noch mehr kriegst du, wenn du nach den Schulaufgaben den Flur tapezierst. Dein Zimmerchen ist ja prima geworden –, Deine Freundin? Ja, meinetwegen, kannst du mitbringen, sie kann dir ja bei der Arbeit helfen. Aber um zehn Uhr ist Sense! Okay?“
Arzt: (zum Patienten gewandt) „Entschuldigung, das war mein Sohn Moritz Auch ich bin alleinerziehend, da gibt es natürlich mancherlei zu organisieren. Nun wieder zu Ihnen.
Sie sprachen von Ihrem Haushaltsbudget. Ich verstehe jetzt, wieso das in Unordnung gerät. Was steuert Ihr Herr Sohn denn so an Haushaltsgeld bei?“
Patientin: (genervt). „Schon wieder so eine peinliche Frage! Ich habe Ihnen doch aufgezählt, was mein fleißiger Junge alles macht und wie er mir hilft, so gut er kann. Das bißchen, was er sich dazuverdient, das braucht er – weiß Gott – selbst als Taschengeld, und das reicht bei weitem nicht! Sehen Sie, die jungen Leute von heute wollen doch was haben vom Leben, mal fein ausgehen und richtig weit verreisen, auch mit Freunden oder Freundinnen.“
Patientin: (steht auf und spricht immer erregter und lauter) „Muß man denen nicht helfen?“
Nun steht auch der Arzt auf.
Arzt: „Ja sicher, denen muß man helfen. Und Ihrem Herrn Sohnemann würde ich auch helfen, der könnte was erleben! Aber vorerst werde ich Ihnen helfen, und zwar bei Ihrer Abnabelung.“ Die Patientin guckt etwas ungläubig.
„Das verstehen Sie nicht?“ – „Dachte ich mir. Ich empfehle Ihnen ein betreutes Wohnen.“
Patientin:„Kommt nicht in Frage, wer soll denn meinen Sohn versorgen und seine Tiere?“
Arzt: (spricht betont deutlich und langsam)
„Ich empfehle Ihnen diese Hilfe, da ich Sie für nicht erziehungsfähig erachte.“
Die Patientin will fliehen, da kommen auf zwei Helfer herein, die sie festhalten.
Arzt: „Keine Sorge, es gibt Gott sei Dank ein behütetes Wohnen für Sie und Ihren Sohn.
Und Sie werden mir noch dankbar sein, wenn Theodor, das ‚Gottesgeschenk‘, endlich abgenabelt ist! Die Patientin wendet sich ans Publikum, während sie abgeführt wird:
„Das hat man davon, wenn man sich mit einem Arzt einläßt!“

Vorhang



Meine Schranken

Heut’ zittert mein Herz,
tapfer trag’ ich den Schmerz;
doch wie lange?
Mir wird bange.

Wie lange schon hab’ ich mein Leben verströmt,
wie oft schon wurde von dir ich verwöhnt!
Was hab’ ich nicht alles mit Dir erlebt!
Wie oft hat mit uns beiden die Erde gebebt,
als wir genossen das höchste Glück;
doch dieses kehrt leider gewiß nicht zurück!

Mehr kann es nicht geben
in meinem Leben.
Bei Dir war es schön,
und nun muß ich geh’n.

Doch du sollst auch morgen
noch sein ohne Sorgen.
Dafür will ich sorgen,
das wirst Du schon sehn!

Du brachst meine Schranken,
ich hab’ nichts bereut.
Dafür will ich Dir danken
­– noch heut’!



Alles nur Spaß!

„Na, wie war die Reise nach Riva?“ Marga, die Frau aus Deutschland, hat die Telefonzelle am Luganer See angewählt und lauscht Andys Stimme. „Moment mal, ich muß die Tür richtig schließen, der Fön brüllt zu laut – und das bei blauem Himmel und Sonnenschein! – Doch … ja“, setzt jetzt Andy am anderen Ende der Leitung fort, „… und alles macht Spaß hier!“ – „Sieh an! – Und worin besteht dein Spaß denn so?“, forscht die Frau.
Da braucht Andy nicht lange zu überlegen. „Alles hier macht Spaß: die warme Sonne, die herrliche Landschaft mit den lieblichen Tälern, die aufgetürmten Berge mit den trotzigen Burgen, der blau-grüne See, auch der wilde Wind und natürlich besonders die liebenswerten Leute hier“ –
„Fein, daß du so schnell Kontakt gefunden hast!“ – Nun wird die Frauenstimme spitzer: „Sag mal, liebst du mich denn eigentlich noch?“ – Da braucht der Mann eine Pause, denn auf eine solche Frage ist er nicht vorbereitet. „Aber natürlich liebe ich dich … noch!“ – Vielleicht kam das „Noch“ zu deutlich rüber, oder die Sprechpause war etwas zu lang, jedenfalls ist die Stimmung zwischen den Liebenden dahin. Prompt kommt die Retourkutsche der Frau, die nun, wenn auch nur so zum Spaß, dem Andy mal auf den Busch klopfen will. Sie flötet: „Auch ich komme hier gut zurecht, wenn wir auch seit Tagen diesen fiesen Regen haben. Aber Petra gibt morgen eine Party, zu der interessante Typen erscheinen werden. Ich bin gespannt, ich wollte sowieso mal meine Gedanken neu ordnen. Danach werden die Karten neu gemischt. Wenn du zurück bist, frage einfach bei Petra nach, die wird wissen, wo ich zu finden bin. Also, mach’s gut! – Tschüß“ – Eingehängt! Ihr letztes Wort klingt zwar süß wie immer, hat aber für ihn einen bitteren Beigeschmack. Kann er ahnen, daß seine Freundin ihn immer noch innig liebt und ihn ein bißchen eifersüchtig machen will, daß also alles nur Spaß ist? Aber in den vergangenen Tagen und Wochen war er zu oft allein, zuletzt gar fühlte er sich einsam. Und so sagt sich seine Seele voll Wehmut: „Hab ich mir doch denken können! Ich ziehe hier meine Kur durch – natürlich ohne Kurschatten, und was wird Marga tun?“ Er verläßt entschlossen die Telefonzelle und geht schnurstracks in die Osteria gegenüber. Auch sonst unternimmt er noch so einiges, um Kontakte mit den netten Menschen zu knüpfen; schließlich ist die Welt groß und das mediterrane Tessin lebensfroh und aufgeschlossen für Menschen, die bereit sind, sich zu öffnen …

Marga aber mag nicht mehr warten. Als sie seit mehreren Tagen keine Nachricht mehr von „ihm“ erhält, ist der Spaß für sie vorbei. Der nächste D-Zug bringt sie ins Tessin und zum erstaunten Andy. Als sie sich fragend gegenüberstehen, bleibt ihr die Entschuldigung im Halse stecken: „Aber Liebling, ich wollte dich doch nur etwas eifersüchtig machen, nur so zum Spaß!“



Als die Liebe die Sprache verlor

Ein Märchen für Erwachsene

Es war einmal ein betagtes Liebespaar. Das lebte schon seit vielen Jahren in einer bescheidenen Blockhütte am Ufer eines großen Sees. Peter und Maura, so hießen die beiden, waren glücklich und zufrieden. Nach der Arbeit musizierten sie gemeinsam auf ihren Flöten und dankten Gott, daß sie sich immer noch lieb hatten, wenn auch nicht mehr in der gleichen Art wie vor den Altersgebrechen ihres Mannes. Aber darüber sprachen sie nicht. Sie redeten kaum miteinander, umarmten sich aber jeden Abend und jeden Morgen und wenn sie wieder miteinander musiziert hatten. Sie waren glücklich.
Eines schönen Tages nun, als Maura gerade drinnen am Herd stand und Peter auf den See hinausblickte, kam ein Kiepenkerl vorüber, der in seinem Korb allerlei Waren feilbot. Auf einen stummen Wink Peters hin setzte sich der Händler neben ihn und versuchte immer wieder ein Verkaufsgespräch in Gang zu bringen. Doch er scheiterte bald an Peters Wortkargheit. Das ärgerte den sonst so erfolgreichen Verkäufer. Während er eine neue Strategie ersann, zog ein feiner Knoblauchduft aus der Hütte. „Ah, deine Frau kocht gerade eine würzige Suppe!“ – Peter nickte. „Und – klappt alles noch gut mit euch beiden?“ – Peter war zwar wortkarg, aber nicht dumm und verstand sofort, was der meinte. Aber auch hier erntete der Händler wieder nur ein stummes, diesmal heftigeres Kopfnicken. Trotzdem gab der Händler nicht auf. Mit einem Seitenblick auf das greise Haupt seines Kunden langte er in seine Tasche und legte ein kleines Kräuterbündel auf den Tisch. „Trink davon einen Tee, bevor du dich zu ihr legst. Du wirst sie wieder wie früher lieben!“ Peter konnte auf einmal reden:
„Nein danke, wir brauchen nichts!“ Doch der Händler zog schon weiter. Das Kräuterbündel lag noch auf dem Tisch. „Eine kostenlose Probe!“ – sagte er und verschwand, obwohl er zu gern von der würzigen Knoblauchsuppe gekostet hätte. „Mit Speck fängt man Mäuse!“, sagte er noch leise. Das konnte Peter jedoch nicht mehr hören. Er war ins Haus gegangen. Das Kräuterbündel hatte er in die Tasche gesteckt. Er liebte seine Frau so sehr, daß er alles begrüßte, was diese Liebe womöglich noch steigern könnte …

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