Tiere brauchen ein Zuhause

Tiere brauchen ein Zuhause

Eveline Ziegler


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 80
ISBN: 978-3-99064-909-1
Erscheinungsdatum: 29.10.2020
Von Katzen über Ziegen bis hin zu Spinnen, alle Tiere haben eines gemeinsam - sie brauchen ein Zuhause. Eveline Zieglers Kurzgeschichten über die besten Freunde des Menschen sind für Tierfreunde ab acht Jahren geeignet.
DER BLICK IN DEN HIMMEL
Eine Legende aus Marokko

Vor langer, langer Zeit, als es noch keine Autos gab, lebte in einem fernen Land ein sehr gutmütiger Mann. Er hatte einige Esel, die er sehr liebte und gut behandelte. Der Mann brauchte die Tiere für die Arbeit am Feld. Sie zogen kleine Geräte, mit denen er die Erde umgraben konnte, um Gemüse anzubauen. Dieses verkaufte er in der Stadt am Markt. Mit dem Geld, das er dafür bekam, kaufte der Mann Futter für die Esel, Essen für sich, Kleidung und einige andere Dinge, die er brauchte. All diese Sachen kaufte der Mann auf dem Markt. Er nahm immer drei bis vier Esel mit, damit keines seiner Tiere zu schwer tragen musste. Als Sonia geboren wurde, war ihre Mutter schon alt. Nicht lange danach starb die alte Eselin. Sonia wurde von dem Mann mit der Flasche aufgezogen. Wenn er in die Stadt ging und sie zurückbleiben musste, schaute der kleine Esel ihm traurig hinterher und schrie. Groß war die Freude, wenn er wieder nach Hause kam. Als Sonia älter war, durfte sie mitgehen. Sie musste noch nichts tragen, sie war noch zu jung. Übermütig lief und sprang der kleine Esel neben dem Mann und den anderen Eseln her. Eines Tages wurde aber auch ihr einiges auf den Rücken gepackt. Sonia wollte das nicht. Sie bockte und warf sich auf den Boden, aber es half nichts. Liebevoll klopfte der Mann ihren Hals.
„Sonia, es geht nicht anders, du musst auch wie die anderen arbeiten.“
„IAH, IAH!!!“ Sonia schrie ihren Unmut hinaus.
Die Jahre vergingen. Der Mann war alt geworden. Er musste seine Esel verkaufen. Alle bis auf Sonia. Sie und er, sie gehörten einfach zusammen. Nur einmal im Monat gingen der alte Mann und sein alter Esel noch in die Stadt. Aber eines Tages konnte der Mann auch das nicht mehr tun. Er wurde krank, und als er merkte, dass er bald sterben würde, bat er seinen Nachbarn, Sonia zu übernehmen. Er wollte kein Geld, sondern nur wissen, dass es seinem Esel gut geht. Sonia war auch schon alt und konnte keine schweren Säcke mehr tragen. Der Nachbar versprach ihm, Rücksicht auf den alten Esel zu nehmen, tat es aber nicht. Sonia wurde so viel aufgepackt, dass sie es kaum tragen konnte. Eines Tages stürzte der Esel und blieb liegen. Mit einem Stock schlug der hartherzige Mann auf das Tier ein. Sonia rührte sich nicht, sie spürte die Schläge nicht einmal. Die alte Eselin hatte einen Traum. Sie war im Himmel. Die Nase steckte sie schon hinein. Da hörte sie die Stimme ihres verstorbenen Herrn:
„Sonia! Nicht mehr lange, dann kannst du auch kommen.“
Der Esel öffnete die Augen und stand schwerfällig auf. Das Gepäck war abgeladen und auf jüngere Tiere aufgeteilt worden. Sogar der brutale Mann hatte erkennen müssen, dass das alte Tier nicht mehr so schwer tragen konnte. Er sah den Esel erstaunt an:
„He, was ist mit deiner Nase passiert? Die ist ja schneeweiß.“
Sonia dachte: Ich habe nicht geträumt, meine Nase war schon im Himmel, darum ist sie jetzt weiß. Bald werde ich ganz im Himmel sein. Mit neuer Kraft und voller Freude trabte Sonia weiter in die Stadt.



ALFONS IM GLÜCK

Vor sieben oder acht Jahren wurde Alfons auf einem Bauernhof geboren. Wie alle jungen Kitze hatte er einen großen Bewegungsdrang. Doch der Stall war sehr klein. Außerdem gab es noch andere Kitze und Ziegen sowie deren Mütter in dem Stall. Aus diesem Grund wurden die älteren Kitze und Ziegen angebunden. Bei Alfons hatte sich die Natur nicht entscheiden können, ob er ein Ziegenbock oder eine Ziege werden sollte, deshalb wollte die Bäuerin ihn verkaufen. Doch niemand wollte ihn. Tag und Nacht stand er im Stall. Er war so kurz angebunden, dass er sich nicht mal zum Schlafen hinlegen konnte. So verbrachte er Monat für Monat, Jahr für Jahr. In diesem Stall waren auch Enten und Hasen. Sogar ein Pferd stand in einer Box. Erst nach dem Tod des Pferdes, als schon Verwesungsgestank bis zu den Nachbarn durchdrang und sie störte, wurde das Tierdrama entdeckt.
Es war doch noch so viel Mitgefühl für die armen Wesen vorhanden, dass sie nicht an den Fleischhauer verkauft, sondern in der Zeitung inseriert wurden. Eine Frau, die einen Gnadenhof hatte, sah die Anzeige. Nach einem kurzen Anruf war man sich einig. Die zwei Ziegen und ihre Kitze sollten freigekauft werden. Als die Frau aber das Ausmaß der Tiertragödie sah, entschloss sie sich dazu, alle Tiere zu kaufen. Sie sollten ein artgerechtes Zuhause bekommen, einen großen Stall mit Auslauf. Es wurde überlegt, wie die Tiere zu transportieren waren. Die Frau hatte nur ein Auto mit Heckklappe. Die Rücksitze wurden umgeklappt und wegen der Verschmutzung mit einer Folie ausgelegt, dann wurden die kleinen Ziegen reingehoben. Die Ziegenmütter meckerten und schrien nach ihren Kindern. Erst als sie auch im Auto waren, wurden sie ruhig. Alfons, ein weißer, und Romeo, ein gescheckter Bock, mussten noch zurückbleiben.
Verzweifelt rief Alfons: „Mäh! Mäh! Schon wieder bleibe ich zurück!“ Tränen rannen ihm über das weiße Fell. Er riss an seinem Strick, doch der spannte über dem Hals, so dass Alfons keine Luft mehr bekam.
„Wer weiß, wo die hinkommen“, tröstete Romeo den verzweifelten Alfons. Er wollte den Kopf zu ihm drehen, aber der Strick war zu kurz.
„Mäh! Mäh!“, schrie nun auch Romeo. In seiner Stimme waren Trauer und Schmerz zu hören.
Doch welche Freude! Ein paar Tage später war die Frau wieder hier. Das erste Mal nach Jahren wurden die Böcke losgebunden. Romeo stürmte aus dem Stall, sah das Auto und sprang hinein.
Nur weg, dachte er, bevor sie es sich überlegt. Mäh! Mäh!
Alfons konnte kaum gehen. Er hatte ja nur gestanden, und das jahrelang. Im Auto legte er sich sofort hin. Das erste Mal nach Jahren!!
Nachdem auch die Enten im Kofferraum untergebracht worden waren, ging die Fahrt los.
Alfons genoss es. Er konnte liegen, das war das Schönste für ihn. Romeo aber war neugierig. Er blickte zum Fenster hinaus. Der Mann, der hinter ihnen fuhr, schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Ein Ziegenbock schaute aus dem Autofenster. „Mäh! Mäh!“, schrie er aus dem Wagen. „Wir fahren in ein besseres Leben.“ Und er knabberte an den Haaren seiner Retterin. Als nach der Ankunft die Türe vom Auto geöffnet wurde, sprang Romeo hinaus und rannte Richtung Stall, wo er die Ziegen meckern hörte. Alfons brauchte eine Weile, bis er aufstehen und aus dem Auto klettern konnte. Auf der Wiese blieb er stehen, er hob den Kopf und blickte in den Himmel, dann schnupperte er an der Wiese und den Blumen. Ganz langsam ging er zum Stall. Der Bock wollte jede Minute genießen. Dort wurde ihm wie auch Romeo der Strick vom Hals geschnitten. Sie würden nie wieder angehängt werden, sie konnten sich bewegen oder niederlegen, wie sie wollten. Die Tiere waren glücklich. Doch es gab noch eine Steigerung. Nachdem die Wiese mit einem Weidezaun gesichert worden war, durften sie aus dem Stall. Die Böcke und Ziegen rannten auf der Wiese herum, boxten einander, tobten und sprangen umher.
Dass man das Gras auch essen kann, merkten sie erst nach ein paar Tagen. Alfons war wie immer der Letzte. Er braucht für alles länger. Das kommt von seiner langen Gefangenschaft. Jetzt aber hat er es geschafft. Er springt und läuft mit den anderen. Manches Mal, wenn der weiße Ziegenbock in den Himmel blickt, kann man ein glückliches Lächeln erkennen!



DIE SCHWANENMÄDCHEN
Ein Märchen




Es ist schon sehr viele Jahre her, da lebten ein Mann und eine Frau in einem kleinen Dorf. In der Nähe des Dorfes gab es einen Teich, auf dem alle Jahre Schwäne ihre Kreise zogen.
Die Frau wünschte sich von ganzem Herzen ein Kind, aber leider blieb ihr Wunsch unerfüllt. In ihrer Verzweiflung ging sie zu einer alten Frau, die den Ruf hatte, eine Hexe zu sein. Diese Frau bat sie um Hilfe.
„Ich kann dir schon helfen“, sagte die Hexe, „aber solange du lebst, darfst du niemanden davon erzählen.“
„Nein, nein, ganz bestimmt nicht, nur hilf mir bitte!“
„Na gut. Geh in der nächsten Vollmondnacht zum Teich, dorthin, wo die Schwäne brüten. Bitte die Schwäne, dir ein Ei zu geben. Dieses legst du dann ins Bett und deckst es warm zu. In der nächsten Vollmondnacht wirst du dein Kind haben. Aber merke dir eines, solange du lebst, darfst du niemals darüber sprechen.“
Die Frau versprach, alles so zu tun, wie es die Hexe verlangt hatte.
Ungeduldig wartete sie auf die Vollmondnacht. Erst als ihr Mann schlief, schlich die Frau zum Teich.
„Bitte, bitte, liebe Schwäne, gebt mir zwei Eier, ich wünsche mir so sehr ein Kind“, flehte sie.
Die Schwäne sahen die Frau lange an, dann sagten sie:
„Also gut, du sollst deinen Wunsch erfüllt bekommen.“
Überglücklich nahm die Frau zwei Eier und legte sie vorsichtig in den Korb, den sie mitgebracht hatte. Zuhause legte sie die Schwaneneier vorsichtig ins Bett und deckte sie warm zu. Und wirklich, in der nächsten Vollmondnacht schlüpften zwei winzige Mädchen aus der Schale. Die Mädchen hatten beinahe weiße Haare, die wie Schwanenfedern aussahen.
Sie wurden auf die Namen Swana und Swani getauft. Wollte jemand wissen, warum die Mädchen so anders aussahen, lächelte die Frau nur, gab aber keine Antwort.
Die beiden Mädchen waren bald die Lieblinge des Dorfes. Sie spielten mit der Dorfjugend und gingen dann gemeinsam mit ihr zur Schule. Aber am liebsten saßen sie am Ufer des Teiches und schauten den Schwänen zu.
Die Jahre vergingen. Die Mädchen wurden erwachsen. In all der Zeit hatte die Frau kein Wort darüber verloren, woher Swana und Swani kamen oder warum ihre Haare fast so weiß wie Schwanengefieder waren.
Eines Tages geschah es jedoch, die Frau wartete auf die Mädchen, die aber saßen beim Teich und beobachteten wie schon so oft die Schwäne, darüber vergaßen sie die Zeit.
Als Swani und Swana endlich heimkamen, schimpfte die Mutter mit ihnen.
„Statt mir zu helfen, sitzt ihr nur am Teich. Auch wenn ihr aus Schwaneneiern entstanden seid, euer Leben ist jetzt hier!“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, tat es ihr schon leid und sie schlug sich auf den Mund. Swana und Swani sahen ihre Mutter nur ungläubig an, dann drehten sie sich um und liefen zu den Schwänen. Die Mädchen wollten wissen, ob das die Wahrheit war. Lange saßen die Mädchen bei den Schwänen und hörten zu.
Die Frau war ihren Kindern nachgelaufen, konnte aber nicht zu ihnen. Nicht einmal rufen konnte sie die Mädchen. Sie war mit einem Bann geschlagen. Starr stand sie da und konnte nur zusehen. Nach einiger Zeit kamen die Schwäne aus dem Wasser und stellten sich vor die Mädchen. Swana und Swani wurden immer kleiner, bis sie nur noch die Größe von Schwaneneiern hatten, dann kletterten sie auf zwei Schwäne. Die Tiere erhoben sich in die Lüfte und flogen mit den Mädchen davon. Jetzt erst war der Zauber, der die Frau gebannt hatte, gebrochen. Sie lief zum Teich und rief immer wieder die Namen ihrer Kinder.
„Swana, Swani, kommt zurück! Es tut mir so leid! Ich habe euch doch lieb!“
Doch nur der Wind und der Teich hörten die Rufe der verzweifelten Mutter. Tag für Tag, Jahr um Jahr ging die Frau zum Teich. Immer wieder rief sie nach ihren Kindern.
„Swana, Swani! Wo seid ihr? Kommt zurück!“
Doch weder die Schwäne noch die Schwanenmädchen wurden je wieder gesehen.

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Frank Gerhard Kowalew

Leipzig Käthe-Kollwitz-Straße

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