Oi, der Außerirdische

Oi, der Außerirdische

Oi stürzt ab

Hartmut B. Rücker


EUR 22,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 138
ISBN: 978-3-99048-528-6
Erscheinungsdatum: 22.12.2015
Florentine liebt es, den Sternenhimmel zu betrachten. Eines Tages entdeckt sie einen ungewöhnlichen Lichtstrahl. Dann kracht eine Rakete in ihren Garten … und ein fremdes Wesen steigt heraus. Das ist der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft!
Flo schaut durch das Teleskop

„Und hier siehst du den Jupiter, Flo“, sagt Herr Freimut und deutet auf das dünne Ende seines Teleskops. „Schau einmal durch.“
Flo, das ist Flo Freimut, Herr Freimuts neunjährige Tochter. Eigentlich heißt sie Florentine, doch niemand nennt sie so, höchstens ihre Mutter, wenn sie etwas angestellt hat. Dann ruft sie: „Florentine Freimut, komm doch einmal her!“ Und dann weiß Flo, dass sie aufgeflogen ist.
In der Schule rufen sie alle Flori, selbst die Lehrerin. Und das kam so: Gleich in der ersten Schulstunde in der ersten Klasse hat die Lehrerin alle Kinder bei ihrem Namen aufgerufen, damit sie sich den anderen vorstellen. Auch Flo wurde aufgerufen. „Florentine Freimut, bitte komm nach vorne und erzähle etwas von dir.“
Also ist Flo nach vorne an die Tafel gegangen und hat mit lauter Stimme gesagt: „Mein Name ist Flori!“ Und das haben sich dann alle gemerkt, auch die Lehrerin.
Nur ein Mensch auf der ganzen Welt darf sie Flo nennen, und das ist ihr Vater, Franz Freimut. (Sein Vorname lautet Franziskus, doch auch ihn nennt natürlich niemand so, nebenbei bemerkt.) Den Spitznamen hat sie ihrem Kurzhaarschnitt zu verdanken, den sie trägt, seit sie alt genug war, eine Schere zu bedienen. Frau Freimut hat es nie geschafft, ihr die Schönheit langer Haare einzureden.
Als Flo wie gesagt alt genug war, eine Schere zu halten, hat sie sich die Haare einfach abgeschnitten. Zwar ist dann ein Friseurbesuch notwendig gewesen, doch mit dieser Aktion hat Flo ein weiteres Mal gezeigt, was passt und was nicht.
Herr Freimut arbeitet als Ingenieur in einer großen Motorenfabrik. Doch in seiner Freizeit ist er Astronom und beobachtet Nacht für Nacht den Sternenhimmel. Manchmal, an den Wochenenden, gesellt sich Flo dann zu ihm und darf auch durch die Linse schauen.
So wie heute. Heute hat Herr Freimut das Teleskop Richtung Jupiter gerichtet, und so sieht sich Flo nun einen der neun Planeten des Sonnensystems an.
Halt, ruft sich Flo in Erinnerung. Es sind ja nur noch acht Planeten. Pluto ist ausgeschieden, wurde aus der Familie der Planeten, die rund um die Sonne kreisen, verbannt. Herr Freimut hat seiner Tochter vor kurzem davon erzählt und gleich hinzugefügt: „Damit klappt die Eselsbrücke natürlich nicht mehr, wir brauchen eine neue.“
Die Eselsbrücke kennt Flo, seit sie denken kann.
Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.
Merkur – Venus – Erde – Mars – Jupiter – Saturn – ?Uranus – Neptun – Pluto.
Und nun ist Pluto gestrichen worden. So eine Gemeinheit. Wieso machen die so etwas? (Wer auch immer „die“ sind!) Auch das hat Herr Freimut seiner Tochter erklärt. Doch so ganz hat sie es nicht verstanden.
Aber: Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun? Das heißt ja nichts mehr. Der Satz ist nicht vollständig. Und die Zahl „neun“ stimmt auch nicht mehr.
Doch das ist heute nicht so wichtig. Heute konzentrieren sich Herr Freimut und seine Tochter auf den Jupiter, den größten Planeten ihres Sonnensystems. Dieser ist in dieser Nacht besonders gut zu sehen. Er und seine Monde. Man möchte es nicht glauben, aber es gibt 67 davon. Nicht nur einen, wie die Erde ihn hat und der nachts in ihr Zimmer scheint. Natürlich hat sich Flo nicht alle gemerkt, nur die wichtigsten. Europa zum Beispiel, weil sie ja in Europa leben. Kallisto, weil eine Freundin in der Schule so ähnlich heißt (Clarissa) und Io, weil der Name so schön kurz ist.
Und noch etwas hat sich Flo gemerkt. Während die Planeten alle nach römischen Göttern benannt sind, hat man für die Monde des Jupiters Namen aus der griechischen Mythologie verwendet.
„Und wenn du genau hinsiehst, dann kannst du um den Planeten ganz kleine Punkte erkennen“, erklärt Herr Freimut seiner Tochter. „Das sind die Monde. Und der, der dem Jupiter am nächsten ist, das ist Io. Kannst du ihn sehen?“
„Ja“, bestätigt Flo aufgeregt.
Herr Freimut lächelt zufrieden. Er freut sich, dass seine Tochter seine Begeisterung für die Astronomie teilt. Da er die meiste Zeit alleine vor seinem Fernrohr sitzt und in den Nachthimmel starrt, weil Flo natürlich unter der Woche um diese Zeit schon längst in ihrem Bett liegt und schläft, und Frau Freimut sich längst nicht so begeistert für dieses nächtliche Hobby, genießt er jede Minute, die sie neben ihm sitzt, ihn mit Fragen durchlöchert und sein Wissen aufsaugt wie ein Schwamm das Wasser.
Nachthimmel, fällt Flo plötzlich ein. Das ist jetzt die neue Eselsbrücke: Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unseren Nachthimmel. Nachthimmel für Neptun. Anfreunden kann sie sich damit aber noch nicht so wirklich.
„Was ist das für ein Strahl, der da aus Io herausfährt?“, wundert sich Flo plötzlich und reißt ihren Vater aus seinen Gedanken.
„Strahl?“, fragt Herr Freimut zurück.
„Ja, ein Strahl“, antwortet Flo. „So eine Art Lichtstrahl. Wie aus einer Taschenlampe.“
„Zeig mal.“ Herr Freimut nimmt den Platz seiner Tochter ein und blickt durch das Teleskop.
„Ich kann nichts erkennen“, sagt er, nachdem er einige Sekunden konzentriert durch die Linse geschaut hat.
„Aber da war etwas“, beharrt Flo auf ihrer Entdeckung.
„Vielleicht war es eine Lichtspiegelung“, versucht Herr Freimut den Ansatz einer Erklärung. „Das kommt manchmal vor.“ Doch wirklich zufrieden ist er selbst nicht mit dieser Antwort.
„Nein“, versucht es Flo noch einmal. „Das war keine Lichtspiegelung. Da ist etwas aus dem Mond herausgekommen. Ich kann es auch nicht genau erklären. Fast wie eine Feuerwerksrakete, nur ohne das dazugehörige Feuerwerk. Auf alle Fälle ist es jetzt wieder weg“ Flo ist enttäuscht.
„Tut mir leid, Kind“, sagt Herr Freimut. „Was es auch immer war, es ist nicht mehr da.“ Er kann die Enttäuschung seiner Tochter an ihrem Gesicht ablesen. Und er sieht noch etwas. Er sieht, dass sie sieht, dass er ihr nicht glaubt. Ihr eigener Vater.
Dabei möchte er Flo gerne glauben, doch irgendwie kann er es nicht. Er weiß, dass der Mond nichts enthält, was nur im Entferntesten erklären kann, was Flo gesehen zu haben glaubt.
„Außerdem wird es Zeit für dich, ins Bett zu gehen“, versucht Herr Freimut das Thema zu wechseln. „Es ist schon spät.“
Tatsächlich fühlt sich Flo mit einem Mal sehr müde.
„Gute Nacht, Papa“, gähnt Flo, gibt ihrem Vater einen Kuss auf seine Wange und geht in ihr Zimmer. Sie sieht nicht mehr, wie ihr Vater noch einmal durch das Fernrohr schaut, kurz den Kopf schüttelt und sich die Augen reibt, als hätte er auch etwas gesehen, das nicht in seine wissenschaftliche Welt passt.


Flo flunkert

„Du flunkerst, Flori!“
Der das sagt, ist Peter. Peter Müller. Peter ist der Nachbarsjunge und geht obendrein noch in Flos Klasse.
Flo mag ihn nicht. Peter ist ein Besserwisser. Egal, was Flo sagt, Peter hat etwas dazu zu sagen. Und zumeist hält er dagegen. Dazu kommt, dass Peters Vater wie Flos Vater Hobbyastronom ist und wie er die Sterne beobachtet. Doch während Herr Freimut es wirklich nur als Hobby betrachtet und schon glücklich ist, wenn er in sein Fernrohr blickt und Flo etwas beibringen kann, ist Doktor Müller besessen davon, eines Tages eine Entdeckung zu machen und berühmt zu werden. Auf das „Doktor“ besteht er im Gegensatz zu Herrn Freimut, der mit seinem akademischen Titel nicht in dem Maße hausieren geht.
„Hobby-Astronom entdeckt unbekannten Planeten“ oder „Doktor Lothar Müller, bekannter Anwalt und in seiner Freizeit Astronom, entschlüsselt die Was-auch-immer“. Doktor Müller kann es förmlich sehen, wie die Fotografen ein Bild nach dem anderen schießen, während er einem Professor von der Sternwarte die Hand schüttelt.
Oder umgekehrt. Es muss eigentlich umgekehrt sein. Der Professor schüttelt ihm die Hand, klopft ihm kollegial auf die Schulter und sagt anerkennend: „Gut gemacht. Wir sind stolz, Sie in unserer illustren Runde begrüßen zu dürfen.“
Natürlich hat Doktor Müller noch keine solche Entdeckung gemacht. Dennoch weiß Doktor Müller alles über Astronomie, einfach alles, während alle anderen nichts wissen.
Und wie der Vater, so der Sohn.
Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Peter Flo kein Wort glaubt, als sie ihm von dem Lichtstrahl erzählt. Eigentlich hat sie das auch nicht vorgehabt. Als sie in der Früh aufgewacht ist, hat sie selbst nicht mehr daran geglaubt, dass sie dieses Phänomen gesehen hat. Doch wie immer hat Peter sie mit seinem Halbwissen und seiner arroganten Art gereizt, so dass sie ihm doch davon erzählt hat.
Und zwar in der Pause nach der ersten Stunde.
„Es war aber so“, pocht Flo auf ihre Entdeckung. „Ich habe es genau gesehen.“
„Wie soll denn das gehen?“ Und schon wieder beginnt Peter alles besser zu wissen.
„Wie soll ein Lichtstrahl vom Io ausgehen? Io ist ein Mond. Ein Mond ist kein Stern, der von sich aus leuchtet. Io kann man darüber hinaus nur in der Nacht sehen – zumindest mit eurem kleinen Etwas, das einem Teleskop ähnelt.“ Dabei tut Peter so, als müsste er selbst über seinen Witz lachen. Doch niemand lacht mit und so stellt er das Grinsen rasch wieder ein. Flo ist nicht die Einzige, der Peter auf die Nerven geht.
„Wo war ich?“, versucht er abzulenken. „Ach ja. Nacht. In der Nacht scheint dafür nicht die Sonne. Keine Sonne, kein Lichtstrahl. Ist doch logisch, oder?“ Leider logisch, muss Flo Peter Recht geben. Wäre sie sich nicht so sicher, dass sie gesehen hat, was sie gesehen hat.
„Und wenn die Sonne scheint, also am Tag, kann man dafür den Mond nicht sehen – außer unseren eigenen natürlich, aber der ist ja auch nah genug, für den braucht man kein Fernrohr“, legt Peter noch nach.
„Wie du siehst“, resümiert er voller Stolz, ähnlich einem Anwalt, „ist es unmöglich, dass du einen Lichtstrahl vom Io gesehen haben kannst. Du hast geträumt. Oder schlimmer, du hast dir das nur ausgedacht. Vielleicht willst du dich interessant machen bei deinen Freunden, Flori.“
Peter verschränkt seine Hände und schaut hämisch lächelnd auf Flo herab, als wollte er sagen: Ich habe gewonnen und du verloren.
Flo will sich aber nicht geschlagen geben. Und da fällt ihr etwas ein, etwas, das sie gestern bereits ihren Vater fragen wollte.
„Und wenn eine Sonneneruption …?“
„Sonneneruption!“, lacht Peter laut auf. „Und was sonst noch? Kleine grüne Männchen? Ein überdimensionales Streichholz? Eine Taschenlampe?“
„Aber …“, will Flo noch einmal ansetzen.
„Nichts aber“, unterbricht Peter Flo erneut. „Am Samstag hat es keine Sonneneruption gegeben.“
„Woher weißt du das?“, fragt Flo.
„Das hätte mein Vater mir gesagt.“
Und damit ist das Thema erledigt. Denn was Peter nicht weiß, kann auch nicht geschehen sein. Außerdem schrillt in diesem Augenblick die Schulglocke und die Pause ist zu Ende. Flo ist wütend und traurig zugleich. Das mit der Sonneneruption hätte doch sein können, denkt sie. In den folgenden Stunden kann sie sich nicht mehr richtig konzentrieren, so aufgewühlt ist sie.

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