Laufsteg im Tierpark

Laufsteg im Tierpark

Michael Neumann


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 36
ISBN: 978-3-99107-266-9
Erscheinungsdatum: 23.02.2021
Wie vertreiben sich wohl die Tiere des Frankfurter Zoos die Zeit bei schlechtem Wetter? Sie sind zwar alle sehr verschieden, haben aber ein gemeinsames Ziel: Zusammen wollen sie etwas auf die Beine stellen, was allen ewig in Erinnerung bleiben soll.
Das war wieder einer dieser trüben Novembertage. Es regnete zwar nicht, aber die Welt war grau in grau, es war kühl und auch sehr windig. Kein Tag jedenfalls, an dem die Menschen überhaupt nur auf die Idee hätten kommen können, in den Zoo zu gehen. Das wussten natürlich auch die Tiere des Frankfurter Tiergartens und es machte sie sehr traurig. Denn je mehr Besucher sich im Zoo sehen ließen, desto mehr Spaß hatten Elefant, Giraffe, Zebra und Co. Vor allem aber die großen Augen, die die jüngsten Zoobesucher machten, die noch nie in einem Tiergarten gewesen waren, gingen den Zoobewohnern zu Herzen und machte sie richtig froh.

Aber heute hieß es eben Trübsal blasen, was natürlich auch für ziemlich schlechte Stimmung beim gemeinsamen Mittagessen der Tiere im größten Gehege in der Mitte des Zoos sorgte. Dazu muss man wissen, dass die Tiere einmal in der Woche, und zwar immer donnerstags, nicht in ihrem eigenen Gehege gefüttert wurden, sondern eben zusammen mit allen anderen Zoobewohnern. Das solle „zur Stärkung des Betriebsklimas beitragen“, hatte Zoodirektor Manfred Mühsam in einer Tierversammlung gesagt. Offenbar ohne zu wissen, dass sich seine Schützlinge längst bestens untereinander verstanden und das Mittagsmahl sogar gerne auch noch an einem zweiten Wochentag gemeinsam verspeist hätten. Es gab ja schließlich immer etwas Neues aus dem eigenen Gehege zu berichten.

Aber wie gesagt, an diesem dunklen Donnerstag, an dem sich nur eine Handvoll Besucher und darunter nur ganz wenige Kinder im Zoo sehen ließen, wollten eigentlich alle Tieren gleich nach dem Essen zurück in ihr Gehege, um den Rest des Tages zu verschlafen. Was besonders bei Faultier Schnarch auf große Zustimmung stieß. „Ist doch nichts los, machen wir uns ab“, grummelte auch Löwe Fritz. „Am besten, man legt sich an so einem Tag auf die faule Haut“, sagte Elefant Rudi und wollte sich schon auf den Weg machen. „Einen Moment noch“, meldete sich da plötzlich Zebradame Streifchen und fragte, ob nicht vielleicht jemand eine Idee hätte, doch noch etwas aus den trüben Tagen zu machen, von denen es ja leider immer wieder welche gab. Ein paar Minuten herrschte große Schweigen im Gehege, bis sich hoch über den Köpfen der Tiere Giraffe Flecki zu Wort meldete. „Das ist eine gute Idee“, flötete sie mit ihrer Sopran-Stimme. „Wir könnten vielleicht etwas zusammen spielen, Nachlauf oder Verstecken oder so was“, schlug sie vor. „Verstecken wohl eher nicht“, meinte Schimpanse Georg und blickte kopfschüttelnd Fleckis langen Hals hinauf. „Es könnte vielleicht auch jemand ein wenig aus seiner Heimat erzählen, damit wir erfahren, wie es sich in anderen Ländern lebt“, sagte Schildkrötenmann Hermann, der erst vor zwei Jahren in den Zoo gekommen war und einiges aus seinem langen Leben zu berichten hatte. „Mhmhm“, brummelte nun die Schar der Tiere. Grundsätzlich war die Runde wohl mit dem Vorschlag, etwas anderes als nur das Essen in der Gemeinschaft zu unternehmen, einverstanden, es fehlte aber noch die zündende Idee – bis sich Pfau Blaufeder zu Wort meldete. „Was haltet ihr denn davon, wenn wir eine Schönheitskonkurrenz veranstalten?“, fragte er, nicht ohne Eigensinn. Denn er glaubte wohl, dass er, wenn er nur sein Rad schlagen würde, schon so gut wie gewonnen hätte. Aber eitel wie Blaufeder waren mehr oder weniger auch die anderen Tiere und sie achteten auf die eine oder andere Art ebenfalls auf ihr Aussehen, auch um den Zoobesuchern zu gefallen.

„Wir sollten, wie es in der Tierokratie üblich ist, über den Vorschlag von Blaufeder abstimmen“, meldete sich Löwe Fritz zu Wort. Gesagt, getan, und die Mehrheit für den Vorschlag war überwältigend. Nur Krokodil Gunter und Hyäne Heinz enthielten sich der Stimme, wohl weil sie sich keine Siegchancen ausrechneten. Beide versprachen aber, dennoch mitzumachen, zum Beispiel in einer Jury. Ausschließen aus der Gemeinschaft wollten sie sich nämlich keinesfalls. Wie hätte das denn auch ausgesehen?

„Wie jede große Veranstaltung muss natürlich auch eine Schönheitskonkurrenz sehr gewissenhaft vorbereitet werden“, gab Schleiereule Huhu, der große Klugheit nachgesagt wurde, zu bedenken. „Zum Beispiel muss eine Jury gebildet werden, die dann die Entscheidung zu treffen hat, wer die Konkurrenz gewinnt.“ „Und wir brauchen natürlich einen schmucken Pokal, den uns vielleicht Direktor Mühsam besorgen könnte“, sagte Nilpferddame Nelly und zeigte lächelnd ihre riesigen Zähne.

„Bis nächsten Donnerstag sollten wir uns schon mal Gedanken über die Gestaltung der Schönheitskonkurrenz machen, und ich werde Direktor Mühsam fragen, ob wir mit der Unterstützung der Zooleitung und der Wärter und Pfleger rechnen können“, meldete sich Löwe Fritz zu Wort, der ungefragt in die Rolle des Cheforganisators geschlüpft war. Aber wozu darf man sich schließlich auch sonst „König der Tiere“ nennen, wenn man nichts zu sagen hat.

Der Beschluss war gefasst, aber viele Fragen waren noch offen. Zum Beispiel, wie die Schönheitskonkurrenz überhaupt ablaufen sollte, ob die Besucher des Zoos zum Ereignis eingeladen werden sollten, was ja eine tolle Werbung für den Tierpark wäre. Und natürlich mussten die Frankfurter Zeitungen und das Fernsehen verständigt werden.

Um all diese Fragen zu klären, so wurde es beschlossen, sollte die Tierbelegschaft eine Woche Zeit haben, um dann am nächsten Donnerstag den Ablauf des Wettbewerbs festzulegen. Natürlich sollten Fritz und Co. die Zeit auch schon dazu nutzen, sich zu überlegen, wie sie beim Wettbewerb auftreten könnten und inwieweit sie die Hilfe der Wärter benötigen würden. Am kommenden Donnerstag würde Löwe Fritz auch darüber informieren, inwieweit Direktor Mühsam und seine Mitarbeiter den Teilnehmern der Konkurrenz bei der Vorbereitung helfen würden. Nach diesem Treffen hätten die Teilnehmer dann eine Woche Zeit, um sich auf das Ereignis vorzubereiten, sprich, sich hübsch zu machen. So der geplante Ablauf des Ereignisses. Schon auf dem Weg zurück ins eigene Gehege überlegten sich einige der Zoobewohner, wie sie die Jury am großen Tag von sich überzeugen könnten.

Weil die Zoobewohner dem nächsten Donnerstag voller Neugier entgegenfieberten, schien die Woche gar nicht enden zu wollen. Dann aber war es soweit, das gemeinsame Essen war von den Tierpflegern und Wärtern wie üblich vorbereitet worden, doch statt sich wie üblich auf Knochen, Fleisch, Fisch und Gemüse zu stürzen, schienen die Tiere heute zunächst gar keinen so großen Hunger zu haben. Vielmehr hingen sie an den Lippen von Löwe Fritz, denn der berichtete, was das Gespräch mit Rektor Mühsam ergeben hatte. „Also erst einmal das Wichtigste“, begann Fritz. „Unser lieber Direktor hat unserer Idee vom Schönheitswettbewerb nicht nur zugestimmt, sondern er fand sie sogar total super. Und er hat zugesagt, dass die Mitarbeiter des Zoos allen Teilnehmern bei den Vorbereitungen helfen würden. Wenn jemand seinen Auftritt mit etwas Musik untermalen wollte, sollte das auch möglich gemacht werden.“

Die Tiere waren begeistert. Elefant Rudi ließ seinen Rüssel zur Trompete werden, Giraffe Flecki stampfte mit den Hufen, Schimpanse Georg klatschte mit seinen großen, haarigen Händen Beifall, und Zebradame Streifchen, die das Ereignis eigentlich auf den Weg gebracht hatte, sagte völlig hin und weg: „Wunderbar, einfach wunderbar!“ Jetzt war wieder Löwe Fritz gefragt, und er gab sich geradeso wie ein Schullehrer. „Was müssen wir als nächstes wissen?“, fragte er in die Runde. Pinguin Paul meldete sich mit klatschenden Flossen und hatte die richtige Antwort parat: „Ist doch klar: Natürlich fragen, wer am Wettbewerb teilnehmen will.“ „Richtig“, lobte Fritz. „Wer also will dabei sein?“ „Ich, auf jeden Fall“, trompetete Elefant Rudi und streckte seinen Rüssel in die Höhe. „Da darf ich nicht fehlen“, meldete sich Schimpanse Georg, der allerdings noch keinen Schimmer davon hatte, wie er sich noch schöner machen sollte. Pinguin Paul, der ja von Natur aus schon mit einem schicken Frack umherlief, war Kandidat Nummer drei. Und alle Köpfe gingen in die Höhe, als Giraffe Flecki ihre Teilnahme mit einem lauten „Ja“ verkündete, was sie dann noch mit dem Zusatz ergänzte, sie habe auch schon eine Idee, wie sie auftreten würde und machte damit die anderen schon mal neugierig.

Nun ließ sich auch Nilpferddame Nelly nicht lange bitten. „Ich habe noch keine Ahnung, was ich machen werde, aber mir wird schon was einfallen“, sagte sie. Als sechster Teilnehmer meldete sich Ideengeber Blaufeder zu Wort, der sich allerdings bei der großen Konkurrenz schon ernsthaft fragte, ob es reichen würde, nur ein Rad zu schlagen. Nummer acht auf der immer länger werdenden Teilnehmerliste war Papagei Quassel, der sich komischerweise bisher noch nicht zu Wort gemeldet hatte, obwohl er doch sonst immer sehr redselig war. „Bin dabei“, krächzte er kurz und knapp.

Und wer fehlte jetzt noch aus der großen Zoogemeinschaft? Löwe Fritz natürlich. „Ich habe zwar sehr viel Arbeit mit der Organisation, lasse es mir aber nicht nehmen, ebenfalls mitzumachen“, sagte er. „Wenn es keine weiteren Interessenten gibt, sollten wir aber die Liste jetzt schließen. Ich zähle, meine Person eingeschlossen, acht Kandidaten und Kandidatinnen“, erklärte Fritz. „Ihr habt jetzt eine Woche Zeit für eure Vorbereitungen, überlegt aber nicht zu lange und redet bald mit den Wärtern, denn ihr werdet sicher ihre Hilfe brauchen. Und eins noch: Was ihr für die Schönheitskonkurrenz plant, soll bis zum Tag des Wettbewerbs streng geheim bleiben“, betonte Fritz. Und das war natürlich wichtig, denn zum einen sollte der Auftritt der Konkurrenten für alle eine große Überraschung sein, zum andern sollte die Jury sich nicht schon frühzeitig eine Meinung bilden können.

Für die Vorbereitung sollten sich die Teilnehmer, soweit es möglich war, am Mittwoch, dem Vortag des Wettbewerbs, in den äußersten Winkel ihres Geheges zurückziehen, verborgen von den Blicken der Konkurrenten und aller anderen Neugierigen. Jetzt aber galt es für die Teilnehmer, wenn sie es nicht schon getan hatten, sich Gedanken über ihren Auftritt am großen Tag zu machen. Einer der ersten, der eine Idee hatte, war Löwe Fritz. Er würde sich von Wärterin Gisela seine wilde Mähne mit Lockenwicklern bändigen lassen. Fritz glaubte nicht, dass er sich lächerlich machen würde, denn Könige mit Locken gab es früher viele, zum Beispiel in Frankreich, wie er wusste. Und wenn der eine oder andere schmunzeln würde, auch nicht schlimm, der Wettbewerb sollte ja auch Spaß machen. Und außerdem: Könige dürfen schließlich alles, basta. Tierpflegerin Gerda dürfte es nicht schwerfallen, die benötigen Lockenwickler aufzutreiben, davon war Fritz überzeugt.

Nicht lange überlegen musste Pinguin Paul. Um seinem perfekten Frack sozusagen die Krone aufzusetzen, würde ein Zylinder seinen Kopf zieren, er würde mit einem schicken Spazierstock auftreten, etwas weniger watscheln als sonst und sich von Tierpflegerin Mona ein kleines schwarzes Bärtchen auf den gelben Schnabel malen lassen. Und natürlich seinen ungeheuren Charme spielen lassen.

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