Florian der "Auserwählte"

Florian der "Auserwählte"

Ara Ventura


EUR 14,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 124
ISBN: 978-3-95840-780-0
Erscheinungsdatum: 26.11.2018
Der 14-jährige Florian reist in die Vergangenheit an verschiedene Orte, besteht dort gefährliche Abenteuer und entdeckt, dass er besondere Fähigkeiten besitzt. Er ist ein „Auserwählter“. Mit diesen Fähigkeiten aber sinnvoll umzugehen, muss er aber erst lernen.
Wir zogen los in ein Museum. Ihr haltet mich jetzt sicher für bekloppt. Ein Museum!
Vorher wäre ich nie auf die Idee gekommen, freiwillig in ein Museum zu gehen, aber ich habe es nicht bereut. Was er mir erzählte und zeigte, war fantastisch.

Die halbe Stadt war durch ein unterirdisches Tunnelsystem verbunden. Bereits Ende des Mittelalters wurden diese Gänge, die zuerst nur die Burg mit dem Umland verbanden, gebaut, um bei Belagerungen die Bewohner in Sicherheit zu bringen und heimlich Nahrung und nötige Güter in die Stadt rein zu schaffen. Sie führten bis weit außerhalb der Stadtmauern, von denen heute fast nichts mehr übrig ist.
Auch im 2. Weltkrieg hatte dieses System einigen Verfolgten zur Flucht verholfen, aber man hat es nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Er zeigte mir die alten Pläne, die im Museum in einer verstaubten Ecke aufbewahrt wurden, und erzählte Geschichten aus seiner Jugendzeit und seinen Studien über die Vorkommnisse in der Geschichte von Holstenburg. Ich hörte ihm begeistert zu und vergaß dabei die Zeit vollkommen. Beinahe hätte ich verpasst, Mama an der Stadtverwaltung abzuholen, und Professor Goldstein war auch ganz überrascht, als er auf die Uhr sah. Wir hatten tatsächlich die Zeit vergessen.
„Das müssen wir wiederholen“, meinte er. „Ich weiß noch so viele Geschichten. Vorausgesetzt, das interessiert dich.“
„Au ja, gleich morgen!“, bat ich ihn. Aber Professor Goldstein schüttelte sein Faltenhaupt. „Erst in einer Woche, leider. Zuerst muss ich ins Krankenhaus zu einer Untersuchung. Da sollte ich heute schon um 4 Uhr hinkommen. Jetzt ist es 5. Aber egal, auf einen alten Mann kann man ja warten!“

Oh je, erst in einer Woche. Ich wünschte ihm alles Gute und versprach, in einer Woche wieder im Museum auf ihn zu warten, Mittwoch um 14 Uhr.
Wir gaben uns die Hand, sahen uns verschwörerisch an und jeder ging in eine andere Richtung davon.
Abends durfte ich aussuchen, was wir spielten, Mama, Papa und ich. Ich entschied mich für Monopoly. Wir hatten noch ein altes, zerfleddertes Spiel von meinen Eltern. Mit Tolly konnte man so was noch nicht spielen. Das war ein guter Ferientag.



3


Die Unterwelt

Die Gedanken an dieses Tunnelsystem ließen mich nicht mehr los. Wie man da wohl reinkam? Ob es überhaupt noch existierte oder längst zugeschüttet worden war. Und wenn es noch da war, ob die Gänge sicher waren oder einzubrechen drohten? Ich wollte der Sache nachgehen und ging alleine zum Museum, doch aus den alten Karten wurde ich nicht schlau. Über Eingänge war da nichts zu finden.
Der Mann, der im Museum Aufsicht führte, ließ mich keinen Augenblick aus den Augen und wollte unbedingt wissen, was ich da so suchte. „Professor Goldstein hat mir von dem unterirdischen Tunnelsystem unter Holstenburg erzählt. Ist das nicht toll? Da könnte man doch heute noch viel über die Geschichte der Stadt herausfinden. Ich würde zu gerne mal da runter“, gab ich zu, nachdem er mich so zwingend mit seinen kleinen Augen fixiert hatte.
„Lass das bloß sein, schlag dir das aus dem Kopf. Selbst wenn die Gänge noch existieren, hat man sicher alle Zugänge verschlossen oder zugeschüttet. Sonst würden Lausebengel wie du ständig verschwinden und nie wieder auftauchen“, meinte er sehr streng. Dann packte er die Karten einfach in einen alten Schrank am Ende des Ganges, schüttelte mit dem Kopf und schloss zweimal ab.

Enttäuscht verließ ich das Museum. Da musste ich wohl oder übel auf Professor Goldstein warten. Solange blieben mir nur die eigenen Nachforschungen.
Ich streifte durch die Hänge am Brotberg und hielt Ausschau nach möglichen Einstiegsöffnungen. Oben auf den Brotberg waren schließlich die Überreste der alten Burg. Das, was man sich davon noch anschauen konnte, war verschlossen und wurde nur zu offiziellen Führungen geöffnet.
8 € für Erwachsene und 4 € für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre kostete der Beitrag zu den Führungen, die in der Sommerzeit sonntags um 10 Uhr angeboten wurden, Anmeldung im Stadtarchiv.

Aha, da musste Mama ja mehr drüber wissen oder zumindest in Erfahrung bringen können, denn sie war ja auch noch nicht so lange in Holstenburg.
Bei meiner Suche nach den Zugängen zu den Tunneln unter der Burg blieb ich aber erfolglos. Sie mussten verdammt gut getarnt sein und ich gab nach 2 Tagen auf. Auch weil es schon wieder anfing zu regnen.
Das mit dem Regen tat meinen Eltern sehr leid, aber sie konnten mir da auch nicht groß helfen. Mama versprach, sich um eine Führung durch die Burg zu kümmern. Von den Gängen erzählte ich ihr erst mal nichts, sonst hätte sie sicher einen Aufstand gemacht.
Auch Papa machte sich Gedanken, wie ich mir die Zeit vertreiben könnte.
„Irgendwo muss noch mein altes Nintendo sein“, sagte Papa. „Das braucht nur neue Batterien. Damit habe ich mir wochenlang die Zeit vertrieben, als ich im Krankenhaus lag nach dem Unfall. Such das doch mal. Vielleicht in den Kisten in der Kammer oder im Keller. Da stehen doch auch noch ein paar Kisten rum!“
Ich wühlte also in allen Kisten in der Kammer und was fand ich? Nur ollen Kram von Mama und Papa, aber nichts, was ich brauchen konnte.
Im Keller sah es zuerst nicht anders aus, bis ich ganz hinten eine Kiste mit dem Nintendo, einem Kassettenrekorder und ein paar alte Kassetten von Papa fand. Fünf Freunde, Drei??? und viele andere. Auch Schallplatten, kleine und große, waren in der Kiste, jede Menge. Nur hatten wir keinen Schallplattenspieler mehr. Das waren bestimmt richtig wertvolle Sachen.
Papa wusste bestimmt nicht mehr, dass er so was besaß.
Als ich ihm später davon erzählte, meinte er, dass das alles höchstens auf dem Flohmarkt was bringen würde. Schade!

Dann sah ich mich noch ein bisschen im Keller um. Da war ich eigentlich noch nicht gewesen, nur vorne an der Treppe, wo die Gartensachen untergebracht waren.
Ganz hinten war eine Holztüre, die bestimmt noch keinem aufgefallen war, denn sie war in einer Nische und so verwittert wie das Mauerwerk hier unten. Natürlich war sie verschlossen und es gab keinen Schlüssel dazu. Aber ich wusste aus Filmen, dass man nur auf dem Türbalken oder unter einem Topf neben der Tür nachforschen musste. Ich tastete also um die Tür herum, egal ob da Spinnweben waren oder der Staub der Jahrhunderte. Dass ich tatsächlich was finden würde, habe ich nicht geglaubt, aber da war ein ziemlich großes, schweres, rostiges Ding in einer Ritze über dem Türbalken. Ich puhlte es heraus, ein Schlüssel, der auch noch in das Schloss passte. Mit aller Kraft versuchte ich den Schlüssel zu drehen, aber die ganze Angelegenheit schien so stark eingerostet zu sein, dass ich befürchtete, den Schlüssel abzubrechen.
Ölen, das würde was bringen! Die Fahrräder hatten wir in einem Schuppen hinterm Haus. Da war auch das bisschen Werkzeug, das wir besaßen. Papa war nämlich kein großartiger Handwerker. Er sagte immer: „Ich habe zwei linke Hände. Für so was gibt es Fachleute!“ Und Mama war immer verärgert, denn es war ihr klar, dass man dann ewig darauf warten konnte, bis eine kleine Reparatur durchgeführt wurde. Das war schon immer so und seit wir umgezogen waren, konnten wir uns auch keinen Handwerker leisten. Also musste sie wieder ran, weil sie sich alles zutraute und meistens tatsächlich Erfolg hatte. Sie glaubte, Papa wolle sich nur vor der Arbeit drücken. Selbst den kleinsten Nagel musste Mama in die Wand schlagen, denn Papa schaffte es, jeden Nagel krumm zu hämmern.
Ich fand schnell die kleine Dose mit Fahrradöl und war mir sicher, dass das helfen würde.
Ich kann euch sagen, ich habe ganz schön viel Arbeit gehabt, bis es geklappt hat mit dem Schlüssel. Dass ich hier etwas Verbotenes oder Unrechtes tun würde, kam mir gar nicht in den Sinn.
Ich ölte und drehte und auf einmal hat sich der Schlüssel drehen lassen und die Tür ließ sich öffnen. Sie quietschte laut in den Angeln und scharrte knirschend über den Kellerboden.

„Hoffentlich hat das keiner gehört“, dachte ich mir, denn mir wurde in dem Moment bewusst, dass das, was dahinter lag, nicht mehr zu unserem Keller gehörte.
Auf der anderen Seite war es nicht ganz so finster wie in unserem Keller, wo ich nur mit Hilfe der Taschenlampe am Türschloss arbeiten konnte.

Durch ein schmales, völlig verdrecktes Kellerfenster fiel ein bisschen Licht auf ein Regal voller Gläser und Flaschen, in denen Kräuter eingelegt waren. Das musste der Keller von Tante Melodie sein. Na ja, so spannend war es dann also nicht. Es war jedenfalls nicht der Eingang zum Tunnelsystem.
Ich wollte schon wieder zurück in unseren Keller, als mein Blick auf eins der Marmeladengläser ganz am Ende des Regals fiel. Es zog mich magisch an. Ein schimmerndes Etikett mit einer seltsamen Aufschrift in Goldbuchstaben, die sich zu bewegen schienen, „AUREUM AETERNUM“ stand drauf und ich konnte nicht widerstehen. Vorsichtig nahm ich es in die Hand, drehte den Verschluss auf und roch an dem Gelee.
Es duftete köstlich, ich steckte nur ganz leicht den kleinen Finger hinein, um ein bisschen zu probieren. Ein Gefühl ging durch meinen Mund, meinen Bauch, meinen ganzen Körper, das ich nicht beschreiben kann: Wärme, Glück, unbändige Freude.
Ich schraubte das Glas vorsichtig wieder zu und konnte es gerade noch sicher ins Regal zurückstellen, als es losging.
Wie ein Feuerwerk dröhnte es in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, ich werde hochgerissen in einen Strudel, der mich einem gleißenden Licht immer näherbrachte. Am Ende des Strudels konnte ich endlich wieder Luft holen. Mit einem heftigen Ruck war die Aufwärtsbewegung plötzlich zu Ende.
Alle Knochen taten mir weh, die Lunge schmerzte beim Atmen und mir war schwindelig. Wo war ich denn hier gelandet?
Der kleine Wald, in dem ich auf einmal auf dem warmen Boden lag, war umringt von Wiesen mit vielen Blumen, um die die Bienen nur so summten. Eigentlich ein schöner, friedlicher Ort.

Nur ganz weit in der Ferne glaubte ich eine aufsteigende Rauchfahne zu erkennen.
Was jetzt? Wie war ich hierhergekommen? Und, was noch dringender war, wie kann ich wieder zurück? Ich war doch keine Alice im Wunderland!
Hier warten auf das, was jetzt passierte, schien mir blöd. Auch wenn es vielleicht sinnvoll wäre, am selben Platz zu bleiben, um die Rückkehr nicht zu vermasseln. Ich musste etwas unternehmen. Wie konnte ich zurück in mein normales Leben? Ich musste aus diesem Albtraum raus.

Bis zu dem Ort in der Ferne wäre ich sicher stundenlang unterwegs.
Mensch, was hatte ich da nur angestellt? Hatte das was mit dem Gelee zu tun?
Ich drehte mich im Kreis, aber außer Wald und Wiesen, so weit das Auge reichte, war nichts zu sehen.
Auf einmal hatte ich einen furchtbaren Gestank in der Nase. Doch bevor ich erkennen konnte, woher er kam, wurde es finster. Ich hatte ein scheußlich stinkendes Zeug über dem Kopf und Krallen hielten mich am ganzen Körper fest. Es half nichts, dass ich versuchte um mich zu treten oder die Griffe anzuwenden, die ich im Judo gelernt hatte. Es gab nichts zu greifen.
Je mehr ich mich wehrte, umso mehr drückte man mir die Luft ab und ich glaubte ohnmächtig zu werden.

Dann wurde ich geschleppt, eine ziemliche Zeit lang und ich hörte ein wildes Gegrunze, als wäre eine Wildschweinrotte zusammengekommen. Mit einem harten Aufprall landete ich schließlich auf einem Misthaufen – so roch es jedenfalls. Als mir das scheußlich stinkige Zeug vom Kopf gezogen wurde, sah ich im düsteren Licht, dass der Haufen, auf dem ich lag, auch wie ein Misthaufen aussah.
Als meine Augen sich an diese Düsternis gewöhnt hatten, sah ich zwei Wesen, die wie Orks aus Herr der Ringe aussahen oder wie zwei Riesengnome. Nicht so groß, vielleicht ein bisschen größer als ich, aber breit und klobig und hässlich. Hinter ihren wulstigen Lippen hatten sie nur Stummelzähne, die beinahe schwarz waren und wie die Jauchegrube stanken, die bei Meyers auf dem Bauernhof war, wo wir mal „Ferien auf dem Bauernhof“ gemacht haben, als ich noch ziemlich klein war.
Meine Beine waren noch immer mit einem dicken Seil zusammengebunden, aber meine Hände waren frei. Ich versuchte unbemerkt an dem Knoten zu ziehen, aber es schien ein aussichtsloses Unterfangen. Glitschig und festgezurrt, da würde nur ein Messer helfen. Aber woher nehmen? Ich tastete im miefigen Stroh um mich herum, um etwas zu finden, was mir helfen konnte. Tatsächlich fand ich einen scharfkantigen Stein, der vielleicht nützlich sein könnte. Ich bugsierte ihn erst mal in meine Hosentasche, denn die Kerle kamen auf mich zu und beäugten mich wie ein Ungeziefer. Sie grunzten wild auf mich ein, aber ich verstand nur Bahnhof. Mir war nur klar, dass sie nicht wussten, was sie mit mir anfangen sollten.

Aber ihr Blick fiel mir zu oft auf den Bratspieß, der in der Mitte der finsteren Behausung über einem schwach glimmenden Feuer hing.

Ihr werdet mich für verrückt halten, aber im Moment war für mich der schwache Duft nach gebratenem Fleisch das einzig Angenehme hier. Doch was da so vor sich hin brutzelte, war nicht zu erkennen.
Wollten sie mich etwa auch braten? Was war ich für sie? Ich versuchte ein Gespräch. Fragte sie auf Englisch und dem bisschen Französisch, das ich im letzten Jahr in der Schule gelernt hatte, wer sie seien, wo ich mich befände, doch die beiden glotzten nur blöd auf mich runter.
Sie zogen sich ans Feuer zurück. Einer zog seinen Fußlappen aus – anders konnte man die Schuhe nicht bezeichnen. Der Geruch brachte mich an den Rand der Ohnmacht. Ich konnte kaum noch atmen und hielt mir verzweifelt die Nase zu. So etwas Ekliges hatte ich noch nie gesehen. Nicht nur die langen, über die Zehen ragenden Nägel waren Furcht erregend. Zwischen den Zehen war eine grünliche Masse, die so unglaublich stank wie uralter, verschimmelter Camembert.
Sie grunzten leise eine Weile miteinander. Sicher ging es um mich und wie sie mit mir umgehen sollten, denn sie warfen immer wieder wüste Blicke in meine Richtung. Schließlich stand einer der beiden auf und kam mit einem Ding wie ein Steinmesser auf mich zu und fuchtelte wild damit vor meinen Augen rum. Dann schnitt er mit einem Ruck meine Fußfessel durch und griff nach meinen Haaren. Er riss mich hoch und schleifte mich in die Mitte des Raumes. Er schubste mich hin und her und die beiden grölten und machten zusammen immer weiter. Ich taumelte zwischen ihnen und versuchte mich auf den Beinen zu halten. Dann fing mich der eine auf und hielt mich fest. Ich fing an zu schreien und schrie, schrie, schrie.
Doch da fühlte ich ein seltsames Saugen an mir, bis ich mich auf einmal aufzulösen schien. Mir wurde schwindelig und ich verlor das Bewusstsein.

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