Zauberer Ribarik

Zauberer Ribarik

Marlies Stocksmeier


EUR 20,90
EUR 12,99

Format: 18 x 27 cm
Seitenanzahl: 66
ISBN: 978-3-95840-471-7
Erscheinungsdatum: 26.11.2019
Die Zauberstifte haben mal wieder Unfug getrieben und die Tiere in Zauberer Ribariks Park ohne zu fragen angemalt. Ribarik muss sich nun eine Strafe für seine bunten Freunde ausdenken und sich nebenbei auch um die Anliegen seiner magischen Mitbewohner kümmern.
Geier Gaby

Der frühe Morgen übermalte gerade den nachtblauen Himmel mit einem Farbentraum von gelben und orange-roten Schleiern, den Vorboten der Sonne, die bald am Horizont aufgehen wollte. Die Stille der Nacht wich allmählich und füllte sich mit dem Gemurmel und Raunen der erwachenden Natur – und mit einem kräftigen Gähnen.
Sie schlief noch fest. Ihr Kopf war tief in den Federn vergraben. Ein schwerer, großer Vogel war sie, nicht mehr jung, aber mit einem ganz großen Herzen. Gabi hieß sie, und sie war eine alte Geier-Frau. Sie hatte in ihrem Leben viele Eier gelegt und ihre Geierkinder genährt und umsorgt, bis sie groß genug waren, um in die Welt hinaus zu fliegen. Nun war sie ganz allein zurückgeblieben. Der Zauberer Ribarik hatte großes Mitgefühl mit ihr wegen ihrer Einsamkeit. Er hatte ihr daher die Oberaufsicht über seinen großen bunten Park mit all den vielen Pflanzen und Tieren, die darinnen lebten, gegeben. Diese Aufgabe erfüllte sie mit aller Sorgfalt und zur vollen Zufriedenheit ihres Herrn und Meisters. Im Laufe der Jahre waren die beiden richtige Freunde geworden und sie durfte sich sogar Dinge erlauben, die der Zauberer Ribarik normalerweise nicht hätte durchgehen lassen. Er konnte ihr eben ganz und gar vertrauen.
Ein leises Beben ging durch ihren Körper. Die braunen Federn glänzten in der frühen Sonne, die gerade über den Hügeln aufleuchtete. Sie zog ihren Kopf hervor und dehnte ihre Flügel so weit wie möglich. Ein paar Mal schlug sie ihre Schwingen auf und ab, damit sich die Federn neu ordnen konnten, plusterte sich noch einmal dick auf, schüttelte alles tüchtig durch und klappte schließlich die Augenlider hoch.
Um ihren langen, nackten Hals hatte sie sich ein mit dem Schnabel weichgeklopftes Palmblatt gewickelt, denn sie litt seit einiger Zeit an Halsweh. Da sie aber eine eitle Vogeldame war, hatte sie genau aufgepasst, dass ihr ganzer Stolz, die glänzend weiße Feder-Halskrause, ja nicht verdeckt wurde. Noch ganz verträumt blickte sie um sich und wunderte sich, dass das Schreien, Krächzen, Piepen, Bellen, Trompeten und Brüllen ganz anders klang als gewöhnlich und sehr rasch immer lauter wurde.

„Gabi, Gabi, wach auf! Schau nur, was mit uns passiert ist!“ Eine Gruppe schwarzer Vögel umflatterte sie. Erschrocken blickte sie diese an, denn sie hatte sie hier bestimmt noch nie gesehen.
„Geier Gabi, erkennst du uns denn nicht? Wir sind doch die bunten Papageien, die immer auf den Palmen gespielt haben. Die Zauberstifte haben uns in der Nacht pechschwarz angemalt. Und wir sind jetzt ganz traurig, weil wir unsere schönen Farben verloren haben!“

Geier Gabi sah sich um. Langsam wurde sie richtig munter und sogleich recht grantig, denn was sie nun erblickte, war wirklich ein Schock für sie. Die große Pythonschlange, mit der sie seit langem gut befreundet war und die auf demselben Baum zwei Äste tiefer wohnte, war grell geringelt und wie eine Faschingsgirlande angemalt. Die Giraffen schimmerten rosa durch die grünen Blätter des Ginkgobaumes. Zwei betagte Elefanten leuchteten in schrillem Zitronengelb, die Nashörner sausten knallrot umher und verfolgten buntkarierte Hyänen. Jedes Tier hatte über Nacht eine „Farbdusche“ abbekommen. Was würde Zauberer Ribarik wohl dazu sagen?
„Mein Gott, wie soll ich ihm das nur beibringen?“, dachte Gabi. „Die Zauberstifte haben in den letzten Wochen derart viel Unsinn getrieben, dass jetzt wirklich die Zeit gekommen ist, sie zur Rede zu stellen und zu bestrafen. Sie haben einfach keinen Respekt vor Zauberer Ribarik und mir“, empörte sie sich im Stillen. „Na, das wird sich aber bald ändern!“
Entschlossen breitete sie ihre Schwingen aus, spreizte gekonnt die sieben Steuerfedern an jedem Flügel und ließ sich von ihrem Ast in die kühle Morgenluft hinuntergleiten. Ein Raunen ging durch die Menge der bunten Tiere. „Gabi kommt, Gabi kommt!“ Sie lächelte in sich hinein, denn sie spürte die Liebe und Achtung der anderen Tiere, die alle gute Freunde von ihr waren. Sie nutzte die ersten Aufwinde und ließ sich zum Schlafzimmerfenster von Ribariks Zauberschloss hinauftragen. Mit ihrem starken Schnabel schob sie geschickt die nur angelehnten Fensterflügel auf und hüpfte in das Zimmer. Ein lautes Schnarchen erfüllte den Raum. Ja, Zauberer Ribarik lag wirklich noch im tiefen Schlaf. Seine Barthaare zitterten leise mit, und immer, wenn er ausatmete, pustete er kleine, weiße Federchen aus seiner Zudecke mit in die Höhe.
Gabi hüpfte auf einem Fuß hin zu seinem Bett und schwang sich mit ausgebreiteten Flügeln hinauf. Leise glucksend und mit einem zärtlichen Gurren strich sie ihm mit ihrem Schnabel über die Wange und kitzelte ihn dann am Ohrläppchen, gerade dort, wo er besonders empfindlich war. Der dicke Ribarik brummelte unverständliches Zeug in seinen Bart und drehte sich ächzend auf die andere Seite.

Gabi gab nicht auf. Sie krächzte ein sanftes Geierlied und zupfte ihn vorsichtig an den Haaren. Immer noch sehr verschlafen öffnete Ribarik endlich die Augen und lächelte Gabi etwas gequält an.
„So früh warst du schon lange nicht mehr bei mir“, sortierte er seine ersten Worte an diesem Tag. „Ist denn etwas passiert?“ Er gähnte kräftig und streckte sich. Mit der linken Hand kraulte er Gabi zwischen den Bauchfedern. Sie gurrte zufrieden, denn sie hatte es wirklich gern, was er da machte.
„Meister Ribarik, sicher ist etwas passiert, warum käme ich denn sonst so früh zu dir? Es ist so: Deine Zauberstifte haben schon wieder etwas ganz Schlimmes angestellt!“
Ribarik richtete sich jetzt mühsam im Bett auf. Die weiße Haarpracht umrahmte sein freundliches, rundes Gesicht. Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und fragte nach:
„Was muss ich da hören?“
„Jawohl, die Zauberstifte haben in der Nacht, als alle Tiere schliefen, deren Haut, Fell oder Federn heimlich bunt angemalt. Jetzt sind alle furchtbar durcheinander. Ich glaube aber, das haben die Stifte vor allem deshalb gemacht, um Tante Tibora mit ihrem übertriebenen Ordnungssinn zu ärgern. Ich kann mir jetzt schon richtig vorstellen, wie wild sie darauf reagieren wird.“
Gabi schüttelte sich vor Vergnügen bei diesem Gedanken. Auch Ribarik hätte beinahe mitgelacht, da hörte man plötzlich von draußen schnell heranstampfende Schritte. Gabi sah Ribarik erschrocken an und raunte ihm zu: „Tibora kommt, oh, oh!“ Und rasch hüpfte sie von seinem Bett herunter, denn auch darauf zu sitzen war bei Tante Tibora streng verboten.

***

Tante Tibora und die Wuscheltiere

Die Tür wurde aufgerissen und eine kleine, dickliche und sehr aufgeregte Frau mit blitzenden Augen und verzerrtem Mund stürmte ins Zimmer.
„Ribarik“, schrie sie, „weißt du schon …?“ Da fiel ihr Blick auf Gabi. „Was machst denn du hier?“, herrschte Tante Tibora sie an. „Wie bist du überhaupt ins Zimmer gekommen? Ich habe doch gestern Abend extra alle Fenster geschlossen, damit gerade du draußen bleibst!“ Mit gerunzelter Stirn blickte sie auf Gabi hinab. Sie wollte und konnte sie einfach nicht leiden, vor allem, seitdem sie wusste, dass Geier Gabi so großen Einfluss auf Ribarik hatte, mehr noch als sie selbst.
„Ich habe die Fenster geöffnet, liebe Tibora. Du weißt doch, dass ich bei geschlossenem Fenster nicht gut schlafen kann!“
Ribarik setzte sich im Bett vollends auf und schob die Bettdecke beiseite, um aufzustehen. Im selben Augenblick purzelten von beiden Seiten des Bettes kleine, wuschelige Tiere hinab, kullerten auf den Boden und verschwanden in Windeseile unter dem Schrank, der Kommode und dem Bett. Die vier Meerschweinchen, zwei kleine Hasen, fünf weiße Mäuse und das bunte Kaninchen hatten es sich am späten Abend wieder einmal miteinander unter der Bettdecke beim Zauberer Ribarik bequem gemacht und er hatte in seinen Zauberträumen wie schon so oft nichts davon bemerkt.
Sie wussten alle, dass Ribarik am Morgen höchstens einmal gutmütig mit dem erhobenen Zeigefinder drohen würde, aber für eine Bestrafung hatte er sie natürlich alle miteinander viel zu lieb. In seinem Bett war es doch so herrlich warm und gemütlich und sie brauchten vor nichts und niemandem Angst zu haben – außer natürlich vor Tante Tibora.

Als die das Gewimmel sah, war sie erst einmal völlig sprachlos. Sie, die immer aufpasste, dass alles sauber blieb und die Bettwäsche regelmäßig gewechselt wurde, musste also schon wieder feststellen, dass ihre Anordnungen offensichtlich nicht ernst genommen wurden. Sie holte tief Luft und begann mit ihrer keifenden Stimme laut zu schimpfen.
„Also das ist doch die Höhe! Was habt ihr hier zu suchen?“ Sie riss die Tür von neuem auf, stampfte mit dem Fuß, dass die Bodendielen ächzten, und schrie mit sich überschlagender Stimme:
„Raus mit euch, ich will euch hier nicht noch einmal sehen!“ Die kleinen Wuscheltiere sausten hinaus, so schnell sie ihre kleinen Beinchen tragen konnten.
Dann wandte sie sich vorwurfsvoll an Ribarik: „Also, weißt du, dass du das erlaubst?“ Und Gabi, die sich sicherheitshalber in eine Zimmerecke zurückgezogen hatte, erntete noch einen giftigen Blick.
„Komm“, sagte Ribarik begütigend, „beruhige dich! Alles ist halb so schlimm.“ Innerlich freute er sich natürlich über das Vertrauen der Tiere und er mochte es eigentlich auch sehr, wenn diese kleinen, weichen, lebendigen Wärmflaschen an ihn gekuschelt waren, wenn er morgens im nachtkalten Zimmer aufwachte. Plötzlich hielt er den Kopf schief, lauschte und sah dann Gabi bedeutungsvoll an.
Ein leises Kratzen und Schaben war zu hören. Gabi blickte im Zimmer umher und entdeckte schließlich unter der Kommode ein kleines, weißes und restlos vollgefuttertes Meerschweinchen, welches vor lauter Schreck und vor allem wegen seines dicken Bäuchleins nicht mehr selbst hervorkrabbeln konnte. Gabi hüpfte auf das Tier zu, griff es sich mit dem Schnabel und setzte es behutsam vor die Tür, wo es sich sofort mit drolligen Bewegungen davonmachte. Tante Tibora hatte zum Glück nichts davon mitbekommen, weil sie durch ihr eigenes Geschrei etwas schwerhörig geworden war und immer noch ununterbrochen und recht unfein herum­-
schimpfte.
„Also, warum ich eigentlich so früh gekommen bin und euch gestört habe“ – sie blickte dabei vielsagend von Ribarik zu Gabi – „die Zauberstifte haben schon wieder großen Unfug getrieben! Ich kann es wirklich bald nicht mehr ertragen. Diese frechen Lümmel ärgern mich, wo sie nur können. Ich will, dass sie jetzt endlich einmal bestraft werden für alles, was sie mir schon angetan haben. Vor lauter Ärger kann ich in der Nacht nicht mehr schlafen!“ Sie klang nun beinahe weinerlich. „Ribarik, weißt du denn überhaupt, was sie schon wieder angestellt haben?“

Ribarik, der inzwischen seinen Morgenrock angezogen hatte, drehte sich zu Tibora um und antwortete besänftigend: „Jaja, ich weiß es, Gabi hat es mir schon erzählt. Ich werde heute mit ihnen sprechen und mir etwas überlegen, wie wir ihre Lust zum Malen in geordneten Bahnen lenken können. Das mit den Tieren geht nun wirklich zu weit. Zumindest hätten sie vorher fragen können.“
Er öffnete die Tür zu seinem Badezimmer und verschwand darin. Gleich darauf hörte man es plantschen. Wie jeden Morgen war er in sein großes Holzfass voll frischem, kühlem Regenwasser gestiegen und gleich mehrmals untergetaucht. Das machte ihn immer ganz schnell munter – und gesund war es ja obendrein.

Tante Tibora zeigte auf das Fenster und blickte dabei wortlos auf Gabi hinunter. Diese verstand sehr wohl, was diese ach so strenge Tante damit sagen wollte, hüpfte aufs Fensterbrett und schwang sich ohne Abschiedsgruß in die blauen Lüfte. Tante Tibora verließ das Zimmer im gleichen Trampelschritt wie zuvor. Sie war nun einmal so und dachte schon seit ihrer Kindheit, es wäre allein ihre Aufgabe, im Schloss und Park für Ordnung zu sorgen, und dass dieses sowieso nur mit lauten Trampelschritten, strengen Worten und übler Schimpferei zu schaffen wäre. Dabei hatte ihr das nie jemand beigebracht.

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