Zeitenwende – Wenn die Menschheit überleben will, muss sie den Kapitalismus überwinden

Zeitenwende – Wenn die Menschheit überleben will, muss sie den Kapitalismus überwinden

Gerd Gräf


EUR 25,90
EUR 20,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 658
ISBN: 978-3-99131-891-0
Erscheinungsdatum: 09.03.2023
Komplexe Abhandlung über den Kapitalismus und warum dieser überwunden werden muss, wenn die Menschheit eine Chance haben will, zu „überleben“. Dargelegt in einer Kombination aus historischer Recherche und persönlichen Überlegungen.
0 Prolog


0.1 Vorwort

Es war mein Plan, zu meinem 80. Geburtstag meine berufliche Tätigkeit zu beenden und dieses Buch zu Ende zu schreiben, das ich bereits vor 20 Jahren begonnen hatte, eine Idee, die mich seit jungen Jahren begleitet. Es kam anders. Die Coronapandemie beendete im März 2020 abrupt meine berufliche Tätigkeit. Ich versuchte aus der Ferne meine Betriebe immer noch zu beraten, bis mir bewusst wurde, es gibt für mich nur noch eine wirklich wichtige Aufgabe: endlich dieses Buch zu Ende zu schreiben.

Mit 80 Lebensjahren blickt man auf die Geschichte eines Menschenlebens zurück, ein Rückblick, den nicht jeder erlebt. Von den 80 Jahren lebte ich 40 Jahre im missglückten kommunistischen Versuch und den Rest der Zeit unter kapitalistischen Verhältnissen – die ersten 4 Jahre in der nationalsozialistischen Spielart.

Zeitenwende – ein Wort vielfacher Verwendung. Wenn z. B. in den USA ein neuer Präsident gewählt wird, wie nach dem tumben George W. Bush und erneut nach dem rüden Donald Trump geschehen, spricht man von einer Zeitenwende. Olaf Scholz, deutscher Bundeskanzler, nannte den Beginn des Eroberungskrieges Putins gegen die Ukraine, bezogen auf Europa, eine Zeitenwende. Wenn in diesem Buch von Zeitenwende die Rede ist, dann ist der Übergang in eine neue gesellschaftliche Ordnung gemeint. Zeitenwenden in der Gesellschaft sind nicht sehr häufig. Die letzte begann vor circa 500 Jahren, mit der Entstehung des Kapitals, die diese gesellschaftliche Ordnung begründete. In dieser Ordnung leben wir noch heute und alle Versuche, sie zu überwinden, sind bislang gescheitert.

Diese unsere kapitalistische Gesellschaft gerät zunehmend in die Kritik. Oft ist von „Spätkapitalismus“ die Rede. Was spät dran ist, bewegt sich also auf sein Ende zu. Muss der Kapitalismus wirklich überwunden werden? Erweist er sich als unfähig, die Herausforderungen, vor denen die Welt heute steht, zukunftsorientiert zu lösen?

Die kapitalistische Gesellschaftsordnung fegte in wenigen Jahrhunderten die bis dahin über Jahrtausende bestehenden sklavenhaltenden und feudalen Ordnungen hinweg. Kein anderer als Karl Marx hat sich mit dem kapitalistischen Phänomen tiefgründiger auseinandergesetzt und seine Bewegungs- und Entwicklungsgesetze aufgedeckt und analysiert. Deshalb werde ich in meinen Ausführungen öfter auf ihn zurückgreifen. Ihn studierte ich schon in meinen jungen Jahren. In den folgenden Jahrzehnten studierte ich viele namhafte Autoren, die sich am gleichen Stoff versuchten. Aber nicht einer reichte annähernd an die Denkkraft von Marx heran. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn man sich mit dem Thema „Kapitalismus“ auseinandersetzt, stets bei Marx anzusetzen und die eigene Gedankenfolge an ihm zu überprüfen.

Ziel des Buches ist es – wie der Titel verspricht – zu prüfen, inwieweit der Kapitalismus noch in der Lage ist, die anstehenden Probleme der Menschheit zu lösen, seine Grenzen sowie die Möglichkeiten und Schritte zu seiner Überwindung aufzuzeigen. Dafür ist es unverzichtbar, das Phänomen „Kapitalismus“ von der Entstehung des Kapitals über all seine Wandlungen bis zur Gegenwart aufzuarbeiten, um seine Bewegungs- und Entwicklungsgesetze zu erfassen, die treibenden Widersprüche auszuleuchten, um schließlich die Konflikte zu erkennen, an denen er scheitern muss und scheitern wird.

Das 20. Jahrhundert endete mit einem Paukenschlag. Das kommunistische Experiment, das die Welt 70 Jahre in Atem gehalten hatte, gab sich selbst auf, trat sang- und klanglos von der Weltbühne ab. Zu Ende gegangen war die jahrzehntelange Konfrontation, die Gefahr des atomaren Infernos, die Gefahr der Vernichtung der Menschheit, der Kalte Krieg, der ungleich mehr Ressourcen verschlungen hatte als jeder heiß geführte. Die Menschheit schien jetzt goldenen Zeiten entgegenzugehen. Frieden, Freiheit und Wohlstand für alle Menschen der Welt sollten nun doch Wirklichkeit werden können – meinten zumindest die Gutgläubigen. Es kam anders. Bald wich die anfängliche Euphorie, besonders im wiedervereinten Deutschland, der Ernüchterung.

Dort, wo der Kapitalismus als Sieger aus dem Kalten Krieg hervorgegangen war, wähnten sich die Menschen auf der richtigen Seite der Geschichte und sahen keinen Grund, über die Gesellschaft, in der sie lebten, kritisch nachzudenken. Die im Kalten Krieg Unterlegenen und hier lebten viele ehrliche Menschen, die an die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaft geglaubt hatten, hatten nach deren Untergang nur noch ihre Wunden zu lecken. Sie hatten wahrhaftige Gründe, über diese staatskommunistische Gesellschaft und ihre Entwicklung nachzudenken und nach den Ursachen ihres Scheiterns zu forschen. Zu denen zähle auch ich.

Die Völker des Ostens, vor allem in den Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion, erfuhren hautnah, was Armut und Elend bedeutet. Die Menschen machten die bittere Erfahrung, dass der Mensch zunächst essen, trinken, sich wärmen, kleiden und behausen muss, bevor er die neu gewonnene Freiheit genießen kann.

Die sogenannte Dritte Welt, deren Entwicklung die nun frei gewordenen Ressourcen, die einst der Kalte Krieg in Anspruch nahm, hätten dienen sollen, erfuhr bald ein Maß an Ausbeutung, Ausplünderung und ökonomischer Unterjochung, was alles Bisherige in ihrer leidvollen Geschichte übertraf. Ihre Verschuldung an die OECD-Staaten wuchs ins Astronomische. Das Nord-Süd-Gefälle baute sich nicht ab, sondern nahm zu.

Noch nie war die Welt so produktiv, damit so reich wie heute und erzeugt dennoch erneut massenhaft Armut – ein Widerspruch, dem das vorliegende Buch auf den Grund gehen will. Die Weltkrise, in die wir immer tiefer geraten, äußert sich in zunehmender Polarisierung von Arm und Reich innerhalb der Gesellschaft wie zwischen Nord und Süd. Sie ist Ausdruck für Freiheitsverlust für immer größere Mehrheiten der Weltbevölkerung. Die unfreie Entwicklung vieler erscheint zunehmend als Bedingung für die freie Entwicklung weniger. Wenn die Notwendigkeiten der Existenzsicherung für Mehrheiten zunehmen, folgt die Gesellschaft nicht mehr dem allgemeinen historischen Trend, sondern beschreitet einen gegenläufigen Weg, was notwendige Reformen signalisiert.

Reformagenda ist das Schlagwort unserer Zeit. Alles, was diesbezüglich bislang auf den Weg gebracht wurde, zielte ins Leere, verschärfte die sich abzeichnende Gesellschaftskrise zusätzlich. Ja, die Gesellschaft muss dringend reformiert werden, aber offensichtlich grundlegend anders, als es sich die Eliten im Spektrum von rechts bis links vorstellen.

Alles, was geboten wird, wird unter dem Zauberwort „Freiheit“ firmiert. Inzwischen völlig abgenutzt, wurde der Begriff, welcher den ältesten Traum der Menschheit konzentriert zum Ausdruck bringt und mit dem sie sich auf den Weg in eine freie Gesellschaft machte, die weltweit Freiheit für jeden Menschen garantiert, zur hohlen Phrase, unter der jede einzelne Nation das zum Ausdruck bringt, was ihren partikularen Interessen entspricht. Wähnten sich die Menschen der westlichen Welt bereits fast in der freien Gesellschaft, wandern nunmehr immer größere Gesellschaftsgruppen ab in die Unfreiheit, können für sich keine erfüllte Zukunft mehr erblicken, werden von den Notwendigkeiten niedergedrückt.

Das Buch will Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Menschheit auf ihrem Weg in eine freie Gesellschaft ausleuchten, die objektiven Beweggründe gesellschaftlichen Handelns erhellen. Der Gegenstand meiner Betrachtungen ist also das Weltganze, frei von jeder nationalen Einengung und ohne Vorurteile oder Parteinahme für dieses oder jenes Volk. Angesichts des bestehenden Meinungswirrwarrs scheint das eine schier unlösbare Aufgabe, ein unerhörter Anspruch zu sein, der an Vermessenheit grenzt. Dabei gehöre ich nicht zur Kaste der professionellen Wissenschaftler, die die menschliche Gesellschaft erforschen. Ich studierte Landwirtschaft und Betriebswirtschaft und habe danach länger im Management als in der Wissenschaft gearbeitet. Ein Außenseiter also, kühn genug, sich nach mehrjähriger Vorarbeit auf einem anderen Feld des Denkens zu versuchen.

Mein Interesse an der wissenschaftlichen Betrachtung der Gesellschaft begleitete mich mein gesamtes Leben, aber erst in jüngerer Vergangenheit, nachdem ich mein Berufsleben absolviert hatte, begann ich, mich ausschließlich damit zu befassen.
Die Kritik aus der Phalanx der Professoralen ist mir gewiss. Da ist kein Unterschied zu machen, ob sie von „rechts“ oder von „links“ kommen. Von der Linken, insbesondere von den einstigen Sachwaltern des „Marxismus-Leninismus“, dürfte die heftigere Kritik kommen. Ist bei ihnen doch immer noch der Mythos vorhanden, Gralshüter der objektiven Wahrheit zu sein. Sie verwandelten in jahrzehntelanger Arbeit das geistige Erbe von Marx und Engels in eine spitzfindige Dogmenlehre, vergleichbar der Scholastik im Mittelalter, auf die sich ihr Wissensmonopol begründet wie einst bei den indischen Brahmanen, deren Veden für das Volk ein Buch mit sieben Siegeln blieben. Die Rechte wird mir in bewährter Weise eher mit Ignoranz begegnen. Ich selbst halte die rechte und linke Weltsicht für ein historisches Produkt mit Verfallsdatum, da sich ihr politischer Hintergrund, wenn die freie Gesellschaft gelingen soll, aufheben muss.

Dennoch muss hier auf die Schwierigkeiten des Unterfangens eingegangen werden. Wir leben in einer Zeit der Wissensexplosion auf allen Gebieten, das Wissen zur Gesellschaft nicht ausgenommen. Die unüberschaubare Breite an Informationen, die auf uns einstürmt, erfordert Spezialisierung der wissenschaftlichen Gegenstände, wenn Bedeutendes geleistet werden soll. Wissenschaftler, die das Spektrum der Erkenntnisse zur Gesellschaft als Ganzes überschauen, gehören der Vergangenheit an, von einer Gesamtschau der Wissensentwicklung über Natur und Gesellschaft ganz zu schweigen. Mir dessen bewusst seiend, wählte ich ein anderes Herangehen. Ich traf eine Auswahl historisch und aktuell bedeutender Schriften, die sich mit der Gesellschaft, in der wir leben, ihrer Geschichte, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft, befassen, unterzog sie meiner Kritik, um Wesentliches darin aufzuspüren, was meine eigene Weltsicht formte.

Bei meinen Überlegungen nutze ich das Wissen, das von vielen zusammengetragen wurde, die sich im Rahmen spezialisierter wissenschaftlicher Gegenstände in eingeschränkte Themen intensiv hineindachten und gründlich recherchierten. Vielfach ziehe ich aus dem vorwiegend auf induktivem Wege gewonnenen Wissen andere Schlüsse. Oft sind es nur die vermittelten Daten und Fakten, die ich übernehme, aber oft anders interpretiere.

Besonders schwierig war es mit den historischen Wissenschaften. Mein Großvater (1874 geboren) vererbte mir Geschichtswerke, die im letzten deutschen Kaiserreich geschrieben worden waren. Mein Vater hinterließ mir ein vierbändiges Geschichtswerk, welches im Nationalsozialismus geschrieben wurde. In der DDR erwarb ich Geschichtswerke mit staatssozialistischer Prägung und schließlich nach der Wende von 1989 Werke zur deutschen, europäischen und Weltgeschichte, die BRD-Historiker verfasst hatten.

Im Ergebnis dieser Studien nahm ich zur Kenntnis, dass alle professionellen Historiker im Geist der Zeit schrieben, in der sie lebten, sei es aus Überzeugung, Anpassung oder Karrieregründen. Deshalb musste ich einen anderen Weg einschlagen, um zu einer objektiven Geschichtsbetrachtung zu gelangen.

Wissenszuwachs entspringt stets aus vorhandenem Wissen, und das ist der weit größere Teil. Mit Blick auf die Leserschaft, die ich ansprechen möchte, werde ich in diesem Buch in gedrängter Form eine Übersicht über das Wissen geben, auf dem mein Erkenntnisgang aufbaut.

Diese Leserschaft ist breit. Ich wende mich nicht an die Wissenschaft, sondern an den heute solide gebildeten Bürger. Der Weg für alle Menschen in die freie Gesellschaft wird gelingen, wenn gesellschaftliche Mehrheiten fähig und bereit sind, über das von den Medien breit vermittelte, oft seichte, wenig anspruchsvolle Wissen hinauszudenken.

Mein Ehrgeiz ist befriedigt, wenn es mir gelingt, in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unserer Zeit eine andere Sichtweise einzubringen, die geeignet ist, die Diskussion zu intensivieren. Ich wende mich an alle, die das Auf und Ab der kapitalistischen Gesellschaft im letzten Jahrhundert kritisch verfolgten – an die, die sich im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg bereits in der freien Gesellschaft wähnten, wie auch an jene im Osten, die einen anderen Weg gingen und glaubten, der historischen Wahrheit ein Stück näher zu sein. Mein besonderes Interesse gilt dabei dem Weg, den China in den letzten 50 Jahren ging, vermittelt er doch Einsichten, die sich grundlegend von denen der westlichen Welt und den Ländern unterscheiden, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Kapitalismus zurückkehrten.

In den letzten 30 Jahren verbrachte ich als Unternehmensberater viel Zeit in anderen Ländern, davon mindestens, am Stück gerechnet, 10 Jahre in Russland. Ich begegnete sehr vielen Menschen in ihrem Berufsleben und im Alltag. Seitdem das menschliche Genom entschlüsselt ist, wissen wir, dass es keine Rassen gibt, dass das menschliche Genom bei allen auf dieser Erde lebenden Menschen zu mehr als 99 % übereinstimmt. Damit wurde mir bewusst, dass die mentalen Unterschiede zwischen Deutschen, Russen, Briten, Schotten, Kanadiern, Madagassen, Polen, Rumänen, Bulgaren, Ungarn, Tschechen, Slowaken und anderen Völkern, denen ich begegnete, nicht genetisch bedingt sind, sondern sich aus der Geschichte dieser vielen Völker erklären lassen müssen. Deshalb lege ich viel Wert auf die Betrachtung der Geschichte des Kapitalismus, um hier die Ursachen für unterschiedliche Mentalitäten zu erhellen.

Das vorliegende Buch gliederte ich in 3 Teile. Der 1. Teil befasst sich mit dem Entstehen, Werden und der Reife der kapitalistischen Gesellschaft. Der 2. Teil untersucht die bislang erfolgten Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, und ihr Scheitern. Der 3. Teil ist dem Übergang aus der kapitalistischen in die freie Gesellschaft vorbehalten.


0.2 Einleitung


Entwicklung unserer Art

Die überwiegende Zeit der Existenz unserer Art lebten die Menschen in einem Reich der Notwendigkeit. Alle Tage waren damit ausgefüllt, das Überleben zu sichern. Ihr gesamtes Tun war darauf gerichtet, den Aufwand an Zeit zur Existenzsicherung zu verkürzen. Marx vermerkte, in der Ökonomie der Zeit löst sich alle Ökonomie auf. Zeitgewinn ist der Weg in die Freiheit.

Bevor wir uns der Geschichte zuwenden, wo nach meiner Auffassung die Menschen, natürlich ohne sich dessen bewusst zu sein, sich aufmachten, den Weg in die Gesellschaft zu beschreiten, wollen wir uns einleitend, in stark komprimierter Form, in die Geschichte begeben, die an den Gegenstand des Buches heranführt, einzig mit dem Ziel, die immanenten Kräfte zu erhellen, die Zivilisation und Gesellschaft entstehen ließen, mit denen die Grundlagen für eine freie Gesellschaft gelegt wurden. Beginnen wir mit einer knappen Zusammenschau der Entstehung unserer Art, der Zivilisation und der Gesellschaft.

Die Werke zur Geschichte vermitteln detailgetreu eine schier endlose Aneinanderreihung von historischen Ereignissen, Herrschern und Dynastien, Eroberungen, Kriegen und Unterwerfungen, beginnend vor mehreren Jahrtausenden in Asien und im Nahen Osten, dann überspringend auf den europäischen Kontinent sowie schließlich einbeziehend die neu entdeckten Kontinente, Amerika und Australien.

Je reichhaltiger das angehäufte geschichtliche Material, umso schwerer wird es dem einzelnen Betrachter, das aller Geschichte Immanente zu erkennen, welches die Motive menschlichen Handelns erhellt. Die Lektüre geschichtlicher Bewegungen vermittelt nicht selten den Eindruck, dass Verwirrung, Unvernunft, Fanatismus, Wahnsinn, individueller Machtanspruch, Chaos, Egoismus, Neid und Habgier treibende Motive gewesen sein könnten. Ja, man könnte fast meinen, die Menschen standen eher ohnmächtig ihrer eigenen Geschichte gegenüber und dieses durchaus verbreitete Gefühl spüren wir bis in unsere Tage.


Unser Lebensraum

Nach gegenwärtiger Erkenntnis wird mehrheitlich angenommen, unsere Erde sei vor 4 bis 5 Milliarden Jahren, rund 10 Milliarden Jahre nach dem Urknall, mit unserem Sonnensystem entstanden. Ein fast gleich großer Zeitraum wird für ihre Zukunft berechnet. Im größeren Teil dieses Zeitabschnitts sollen hier noch Bedingungen herrschen, die Leben nach unserer biologischen Prägung und unseren Vorstellungen ermöglichen. Vorausgesetzt wird dabei, dass kein kosmischer Unfall unser Sonnensystem vorher auslöscht. Diese Gefahr ist latent und auch nicht langfristig vorhersehbar. Vernachlässigen wir ein solch spekulatives Szenario, so befinden wir uns also in der Mitte der möglichen Erdgeschichte.

Vor circa 3,5 Milliarden Jahren soll Leben entstanden sein. Es brauchte allerdings 2,5 Milliarden Jahre Zeit, um sich zu mehrzelligen Formen zu entwickeln. In einer Milliarde Jahren entstand die gesamte Vielfalt der mehrzelligen Lebensformen bis hin zu den hoch entwickelten Säugetieren. Von hier aus war es nur noch ein „kleiner“ Schritt von 100 Millionen Jahren bis zu uns Menschen.

Nachdem die Erde also bereits 75 % ihrer Zeit bis zur Gegenwart durchwandert hatte, traten mehrzellige Wesen auf, die endlich waren, gleichzeitig aber über die Fähigkeit verfügten, sich fortzupflanzen und so als Spezis die Ewigkeit zu überdauern. Charles Darwin entdeckte die Evolution, die Bewegungs- und Entwicklungsgesetze, die diesen Daseinsformen zugrunde liegen. Es handelt sich um Seinsformen, denen die Entwicklung vom Niederen zum Höheren eigen ist.

Auf hoher Stufe der Evolution sonderte sich also eine Spezis von den Primaten (Herrentieren) ab, die etwas bis dahin Unbekanntes, die Intelligenz besaß, die Hominiden – unsere menschlichen Vorfahren. Sie verfügten, im Unterschied zu allen anderen Arten, erstmals und zunehmend über die Fähigkeit, nicht nur, wie bisher, sich in endloser biologischer Evolution der Natur anzupassen, sondern auch umgekehrt, die Natur sich selbst zu unterwerfen. Diese Wesen traten also erst auf, nachdem die Erde fast 99,9 % ihres bisherigen Weges zurückgelegt hatte. Andererseits besagt uns unsere Rechnung, wenn die Erde der Möglichkeit nach in der Mitte ihrer Lebenszeit steht, dass wir Menschen noch den weit größeren Teil unseres Erdendaseins vor uns haben.

Wenn wir uns vergegenwärtigen, in welcher Weise der Mensch in weit weniger als 1 % der bisherigen Erdgeschichte – man spricht inzwischen vom Anthropozän – diesen Planeten verändert hat, das meiste in den letzten 500 Jahren – einem Wimpernschlag in der Erdgeschichte – fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Menschheit zu solcher Vernunft fähig sein könnte, diese ihre kosmische Heimat noch Jahre, die sich in Milliarden messen, zu bewahren.

Nach irdischem Verständnis ist die intelligente Lebensform die bislang höchste Stufe der Evolution und eventuell ihr kritischstes Stadium. Ob sie überlebensfähig ist, muss sich erst erweisen. Stephan Hawkins vermerkt, dass sich die Bedingungen, die die Entwicklung intelligenter Lebensformen zulassen, sich im unendlichen Weltall mehrfach wiederholt haben könnten und anderenorts viel eher als in unserer Galaxie, da diese in der Geschichte des Kosmos relativ jung ist. Da uns bislang aus dem Weltall noch keine Kunde von anderen intelligenten Wesen erreichte, zieht er u. a. den Schluss, die intelligente Lebensform könnte nicht zu den überlebensfähigen gehören, trage in sich eventuell die Potenz der Selbstvernichtung (Hawkin, 2001) (vgl. S. H., S. 219).

Das könnte ihnen auch gefallen :

Zeitenwende – Wenn die Menschheit überleben will, muss sie den Kapitalismus überwinden

Horst Wilhelmsen

Das langsame Sterben der Erde

Buchbewertung:
*Pflichtfelder