The white Curtain

The white Curtain

Sabrina Luger


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 60
ISBN: 978-3-99064-338-9
Erscheinungsdatum: 30.10.2018
Nach jahrelanger Unwissenheit bezüglich ihrer Herkunft und dem Gefühl, etwas stimme nicht in ihrem Leben, ist es plötzlich, als würde ein Vorhang zerreißen, der die Realität verdeckte. Die Erinnerung kommt zurück, aber bringt kaum Erleichterung für Sabrina.
Es ist schon komisch, wie das Leben so schreibt. Das Leben kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern. Bei mir war das so. Es ist ein böses Erwachen für mich. Mir scheint, die Welt kann so grausam oder schön sein. Bei mir war es das Erstere.
Mein ganzes Leben war so, als würde ich im Theater sitzen und jeder spielt mir was vor. Oder als wäre ich gezwungen, gegen meinen Willen in einem Film mitzuspielen, der nie endet. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich im Theater saß, bis ich aufgewacht bin. Fast jeder hier in dieser Gegend, wo ich aufwuchs, kannte meine Geschichte, bis auf mich. Ich war die Einzige, die nichts davon wusste, weil ich mich fast 20 Jahre nicht an meine Vergangenheit erinnern konnte.
Wie hieß dieser Satz? „Je heller die Träume, desto dunkler die Realität.“ Ja, ich hatte Träume, ich wollte eine Familie gründen, ich wollte der Welt beweisen, welche Begabungen und Fähigkeiten in mir stecken. Stattdessen sitze ich hier und fühle mich gefangen wie ein Tier.
Meine Träume verbrennen, mein Mut sinkt und ich klammere mich an jeden Strohhalm, den ich habe. Es ist, als würde alles zunichte sein. Meine Träume, meine Wünsche und meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auf der anderen Seite werde ich nicht kampflos aufgeben, denn dann kann ich wenigsten sagen: Ich habe es zumindest versucht. Ich habe versucht, die Wahrheit über mein Leben der Welt zu erzählen. Ich habe versucht, mir die Trauer, die Wut, die Angst gegen diese Ungerechtigkeit von meiner Seele zu schreiben, auch wenn ich mich vielleicht in Gefahr begebe, meine Geschichte zu erzählen. Aber, bin ich nicht eh schon in Gefahr? Manchmal fühle ich mich wie das Phantom der Oper, das versteckt und einsam ein Dasein fristet, ohne dass die Leute wissen, dass es mich tatsächlich gibt, und nur die Legende Anlass zu Gerüchten und Spekulationen gibt. Ein Phantom, dass die eigene Geschichte seiner Vergangenheit nicht einmal kannte, bis merkwürdige Zufälle meine Erinnerung wieder lebendig werden ließen. Die lange Suche nach der Wahrheit hat ein Ende für mich. Es ist, als würde sich ein Kreis in meinem Leben schließen.
Für mich ist es wirklich grausam, zu erfahren, dass ich das ganze Leben in einer Lüge gelebt habe, und noch ein größerer Schicksalsschlag, dass ich nicht vorher weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.
Manchmal, wenn ich traurig, verärgert und verzweifelt über meine jetzige Situation bin, wünschte ich, ich würde nichts davon wissen. Je mehr ich in Erfahrung bringe, desto übler wird es mir. Mein Herz wird schwer, weil mich die Last erdrückt. Glücklich sein möchte ich, ich möchte kein Leid mehr erfahren, ich möchte nicht mehr schweigen müssen.
Ich wünschte, meine Angst würde nachlassen. Aber sie ist immer da, immer bedrohlich, mich zu fangen und mich wieder zu quälen.
Bevor ich nichts über meine Vergangenheit wusste, fühlte ich mich immer wie in einem Nebel. Ganz alleine tastete ich mich vorwärts, doch es war niemand da, der mir hätte helfen können. Ich wünschte, ich hätte irgendetwas Greifbares gehabt, an dem ich mich festhalten, dass mir hätte Sicherheit und Schutz gewähren können und mir weitergeholfen hätte. Aber es war nichts da und ich wanderte weiter in diesem Nebel und war verzweifelt, dass ich keinen Ausweg fände.
Aber im Nachhinein kann ich jedoch sagen, hätte ich von meiner Vergangenheit und von meiner Herkunft Bescheid gewusst, wie andere Leute, die sich ihrer Identität immer bewusst waren, hätte ich viele Entscheidungen anders getroffen.
Außerdem hätte ich mich in vielen Situationen wahrscheinlich anders verhalten. Vielleicht wäre ich oft nicht so leichtsinnig und naiv gewesen.
Viele Leute, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin, spielten nur mit mir. Sie spielten mir manchmal nur eine andere Realität vor, wohlwissend, dass ich nichts von meiner Vergangenheit wusste. Außerdem vertraute ich einfach, den falschen Leuten, das ist auch ein Grund meiner jetzigen Situation. Und auch meine Naivität.
Aber ist Naivität ein Verbrechen? In dieser Doppelmoral, in der wir heute leben, anscheinend schon.
Ich bin auf dem Ritt in die Hölle und ich bin alleine. Alle meine Freunde haben mich verlassen. Auch meine ehemals besten Freunde.
Mit 14 war ich der Überzeugung, schlimmer als das, was ich in der Schule mit meinen Mitschülern erlebt habe, kann es eh nicht werden. Oder besser gesagt, ich war so naiv, zu glauben, schlimmer kann es eh nicht mehr werden. Wie das Leben meiner leiblichen Eltern, einem Hollywoodfilm glich oder den „amerikanischen Traum“ verkörperte, ist mein Leben fast durchgehend ein Albtraum und ich muss ganz alleine damit fertig werden. Ich glaube, sie hatten nicht einmal einen blassen Schimmer einer Ahnung, was sie mir damit antaten.
Um meinen Albtraum genauer zu definieren, ich meine nicht damit meine Familie, denn die habe ich sehr gerne, gegensätzlich anderer Meinungen. Ich fühle mich gefangen wie ein Tier in einem Ghetto, aus dem ich nicht entrinnen kann. Und ich meine das Wissen, das ich mit mir umhertrage und mit dem ich tagtäglich aufwache. Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum ich mich in Gefahr befinde.
Manchmal wünschte ich, ich könnte die Zeit zurückdrehen, aber das geht nicht, ich kann höchsten einen Neustart wagen, aus meinen alten Fehlern und Fehlverhalten lernen, meine Zukunft besser gestalten und meine Zeit, die ich habe, nützen.
Aber ich will dieses Script schreiben und vollenden, damit die Welt endlich die Wahrheit erfährt, und das gibt mir Kraft, weiterzumachen. Ich meine, viele kennen meine Situation und niemand tut etwas. Die ganze Welt schaut zu, ist empört und niemand hilft mir. Manchmal ist auch das Gegenteil der Fall und sie treten noch auf mich drauf.
Gestern war ich mit meiner Mutter Eis essen in der Stadt in einem Cafe. Eine Frau am Nebentisch wandte sich um zu mir und sprach zu ihrer Gesprächspartnerin auffallend laut: „Sie tut mir wirklich nicht leid“, als sie mich prüfend ansah.
Es ist eh klar und immer dasselbe: Selber ist man nicht betroffen, daher kein Mitleid. Aber wehe, es geht um die eigene Haut, denn da werden sie alle hysterisch und hypersensibel.
Der Begriff sskM geht mir nicht aus dem Hinterkopf. Es bedeutet hier so viel wie selbst-schuld-kein-Mitleid. Fiesmänner sagen das, die keine Ahnung von dem Hintergrund haben, die nur das sehen, was sie sehen wollen. Das tut wirklich manchmal sehr weh. Auf der anderen Seite denke ich, vielleicht würde ich auch so denken, wäre ich nicht betroffen. Es ist so wie: Pech gehabt, das ist dein Schicksal, du hast dieses Los gezogen, als du auf diese Welt kamst. Aber es gibt nur dieses eine Leben und kein zweites. Darum möchte ich einfach leben, und nicht mehr gezwungen sein, zu schweigen, denn das fühlt sich für mich an, als würde ich wie ein Tier im Käfig sitzen.
Es ist ungefähr wie bei einem Unfall. Man kann nicht sagen, der oder der ist schuld. Es ist eine Tragödie, die ihren Lauf nimmt, weil alle unfähig waren oder sind, etwas zu ändern, und die es taten, scheiterten daran und verschlimmerten meine Lage nur.
Am schlimmsten für mich war, dass alle schwiegen, die Dinge tabuisierten und mir nie plausible Antworten gaben oder mich einfach dann nur anlogen, obwohl sie Wahrheit wussten.
Zur Zeit versuche ich, meine Gefühle zu unterdrücken, sonst würde ich wahrscheinlich durchdrehen. Ich versuche, meinen Schmerz zu unterdrücken, meinen Hass und meine Wut. Meine Wut einer Verlassenen und Zurückgewiesenen von Menschen, die ich sehr liebe. Diese Last erdrückt mich einfach. Es gibt viele Nächte, wo ich einfach nur weine. Ich meine, damit, dass ich die Wahrheit weiß, kann ich endlich über mein Schicksal trauern, und vorher konnte ich es nicht, da ich keine Erinnerung hatte, an das, was damals geschehen war. Das heißt aber wiederum nicht, dass ich den Schmerz nicht spürte. Ich spürte ihn tagtäglich, aber ich wusste nicht, warum. Ich wusste nicht, warum ich innerlich so zerbrochen war, ich wusste nur, dass mir etwas sehr fehlte.
Hätte nur einmal jemand etwas gesagt, oder den Mund geöffnet, aber niemand traute sich. Wahrscheinlich dachten sie alle, ich wüsste eh über meine Vergangenheit Bescheid, oder sie dachten einfach an gar nichts, als sie mein Gesicht sahen.
Seit 10 Jahren wusste ich, dass etwas in meinem Leben falsch war, aber ich wusste einfach nicht, was. Tagtäglich versuchte ich mich krampfhaft zu erinnern, was damals in meiner frühesten Kindheit geschehen war, aber meine Erinnerung war wie ein weißer Vorhang, der sich bei geöffnetem Fenster im Wind bewegte. Sie war wie ein undurchdringbarer weißer Nebel. Ich wusste, dass diese Erinnerung da war, aber ich konnte sie weder finden, noch zuordnen. Ich hatte keine Erinnerung an meine früheste Kindheit, ich wusste nur, dass ich plötzlich da war.
Während meiner Schulzeit lernte ich auch viele Menschen kennen, unter anderem ein Mädchen in meinem Alter, und ihre Eltern waren mit ihr. Ich stellte mich vor, wie üblich, und wenig später platzte dem Mädchen raus: „Du lügst ja. Das ist nicht dein Name, du bist nicht von hier.“ Verwundert starrte ich sie an. „Ich lüge niemals, hörst du!“ und als Beweis zeigte ich meinem Busfahrschein, wo groß und deutlich mein Name stand. Damit kehrte wieder Ruhe ein, und ich vergaß diesen Vorfall wenig später.
In der Unterstufe wiederum war es eine Deutsch-lehrerin, die mich auf etwas aufmerksam machen wollte. Einmal, mitten im Unterricht, sie ging von einem Tisch zum anderen, und sie blieb plötzlich vor meinem Tisch stehen. Auf einmal rutschte ihr heraus: „Deine Eltern sind ziemlich streng zu dir, nicht wahr?“ Ich antwortete darauf entsetzt: „Woher wollen Sie denn das wissen?“ „Dein Verhalten. Du zuckst jedes Mal zusammen, wenn dein Name aufgerufen wird, fast so, als würdest du eine Ohrfeige erwarten.“ Ich blickte sie stumm an, und antwortete dann leise: „Vielleicht haben Sie ja recht, wer weiß.“ Darauf sagte sie laut in der Klasse: „Manche Kinder wären wohl besser in einem Waisenhaus aufgehoben, als woanders.“ Ich schluckte: „Was soll diese Aussage nur?“, dachte ich mir.
Fast eine Bestätigung dessen, dass etwas in meinem Leben nicht stimmte, und was meiner Vermutung nahe kam, bekam ich, als ich 16 Jahre alt war. Da sprach mich mein damaliger Kunstprofessor mitten in einer Klasse an und starrte mir mit seinen Augen ins Gesicht. Ich kann mich noch genau an seine eisblauen Augen erinnern. „Dass so etwas überhaupt möglich ist. Das kann doch nicht sein!“, rief er bestürzt ohne scheinbaren Grund aus. „Das Kind ohne Namen!“ Ich antwortete nicht darauf, wie immer. Als er merkte, dass ich ihm keine Antwort gab, deutete er an, ich sei die Sturheit in Person. Am Ende der Kunststunde, ich war gerade dabei, meinen Malbecher und meinen Pinsel auszuwaschen. Die anderen waren schon gegangen, da kam er zu mir her, strich mit seinem Finger über meinen Rücken und ging aus dem Zeichensaal hinaus. Dann drehte er sich um, blickte mir genau in die Augen und grinste mich an. Ich erwiderte sein Lächeln und bemerkte, dass sein Blick spöttisch wurde, und er sagte: „Du hast einen Punkt auf der Stirn.“ „Ich weiß“, antwortete ich und fuhr mir über das Gesicht, obwohl ich natürlich nichts davon wusste. Ich wollte nicht lügen, aber mir fiel nichts Besseres ein.
Ich will noch von einem anderen Vorfall erzählen. An einem Mittwoch hatte ich wieder Zeichnen und es hat mich einfach fertiggemacht, dass sich die anderen hinter meinem Rücken lustig gemacht haben. Es hat mich verwirrt, als er meinte, es sei jeder in diesem Raum brutal, außer die Mary. An diesem Satz ist in der Tat nichts Außergewöhnliches, bloß dass ich der Meinung war, dass zu diesem Zeitpunkt keine Mary anwesend war.
Verzweifelt versuchte ich, nach diesen Vorfällen herauszufinden, was oder wen er damit meinte. Konnte es sein, dass er etwa mich damit meinte? War ein Kind ohne Namen etwa ein Waisenkind? Ich hatte zwar keine Erinnerung an meine Kindheit, aber dass muss doch nicht gleich heißen, dass ich dieses Kind war. So sehr ich auch nach einer Antwort suchte, ich konnte keine Antwort finden, und es stand außer Diskussion, meine Eltern zu fragen, denn sie würden alles wieder abstreiten und verneinen. Ich hatte es ja schon einmal versucht und da bekam meine Mutter einen hysterischen Anfall. So einen Zwischenfall wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Zu dieser Zeit nahm ich auch Privatunterricht für Englisch bei einer Kunststudentin in meiner Kleinstadt. Es traf sich, dass zufällig ihr Partner aus Wien während des Unterrichts auftauchte. Er grüßte sehr freundlich und musterte mich sorgfältig. Plötzlich schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: „Das gibt es doch nicht, das ist doch die …“, aber er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn seine Freundin war schneller, und zog ihn in die Küche, wo sie laut tuschelten. Ich verstand nur ein paar Wortfetzen wie: „Du darfst es ihr auf keinen Fall sagen, sonst dreht sie noch durch …“und „Wir können sowieso nichts für sie tun …“ Und nach einer Weile kamen sie wieder zurück zu mir, sie hatte Tränen in den Augen, ja, sie weinte. Und ich saß da, verwundert und unwissend mit großen Augen, warum alle so einen Wirbel um mich machten.
Auch war ich bei einer Esoterikerin während dieser Zeit. Während einer dieser Sitzungen beim Kartenlegen zog ich die Karte „Heimweh“. Ich hielt niemals etwas von Esoterik, auch heute noch nicht. Aber das Komische damals an diesem Tag war, ich zog mehrere Male immer wieder dieselbe Karte. Ich dachte mir damals: „Heimweh nach was? Nach mir selber? Oder nach was oder wem sollte ich Heimweh haben? Oder bin ich etwa doch adoptiert? Oder ist das Heimweh gar nicht ein Heimweh, sondern ein Fernweh?“ Ich hatte keine Ahnung.
Kurze Zeit später fand ich mich in der Ordination bei einem Arzt wieder. Er stellte bei mir Depressionen fest, was mich sicherlich nicht verwunderte, denn ich aß zu dieser Zeit fast nichts und war ohne scheinbaren Grund immer niedergeschlagen. Ich hatte eine einfache Erklärung: Mir fehlte ganz einfach die selbstlose Liebe meiner Eltern. Doch mein Arzt meinte nur, selbst wenn ich damals von meinen Mitschülern in der Unterstufe gequält wurde, was ich ihm zuvor berichtet hatte, musste die Krankheit einen schwerwiegenden Auslöser gehabt haben. Er meinte, ein schweres Trauma in der frühen Kindheit, könnte die Depressionen ausgelöst haben. Und er fragte, ob ich mich vielleicht daran erinnern könnte. Unwissend, wie ich war, verneinte ich, und meinte, dass nie etwas vorgefallen wäre. Wenn ich doch zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, wie recht er hatte!
Ich denke an die Zeit zurück, wo ich 19, 20 war und an der Kasse eines Supermarktes stand. Eine auffällig hübsche hochgewachsene blonde Frau hinter mir sagte auffällig: „Nein, es ist eine Schande, dass sie nicht einmal weiß, wer sie ist.“ Wer bin ich wirklich? Woher konnte dieser fremde Mensch glauben zu wissen, wer ich bin? So viele Fragen tauchten plötzlich wieder auf. Als ich länger darüber nachdachte, kam mir so etwas wie eine Ahnung. War es vielleicht mein Gesicht, das mich verriet, oder sah ich irgendjemandem ähnlich?
Fragen, auf die es einfach so lange keine Antwort gab, tauchten wieder auf und ich konnte nur erahnen, was das für meine Zukunft bedeutete.
Auch hatte ich eine Beziehung zu einem älteren Mann zu dieser Zeit, der schon lange in derselben Stadt wie ich wohnte. Eines Tages hatte ich wieder einen üblichen Streit mit meinen Eltern, ich fuhr fuchsteufelswild zu ihm; und ich konnte mich kaum beruhigen. Er meinte dann nur gelassen: „Hast du mal schon überlegt, warum die mit dir so umgehen und ob das wirklich deine Eltern sind?“ Und ich antwortete: „Was meinst du damit? Wenn du etwas darüber weißt, bitte sag es mir.“
Doch so sehr ich auch nachhakte, er gab mir keine Antwort mehr, er meinte nur, ich solle gut auf mich aufpassen. Als Statement gab er nur ab: „Du bist für mich wie ein offenes Buch.“ Und dann gab er ein Musikvideo von einem Konzert in London –Knebworth/Hertfortshire von 2003 – in den DVD Player rein, und meinte, ich solle aufmerksam sein und es mir anschauen. Mir sagte das Video gar nichts, es war auch klar, ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch keinen Schimmer einer Ahnung.
Später meinte er noch zweideutig: „Edison hat auch Hunderte von Versuchen gebraucht, bis er eine Glühbirne zum Leuchten brachte.“
Ich dachte auch nicht weiter darüber nach, was vielleicht ein Fehler war.
Wenig später dachte ich: „Was soll’s, ich kann’s sowieso nicht ändern“ und ließ es dabei bewenden. Ich wollte einfach leben und nicht mehr über dieses leidige Thema, was mich schon so lange beschäftigte und Teil meines Lebens war, nachdenken.
Ich liebe es, die frische Luft einzuatmen und wieder auszuatmen. Ich liebe das grüne Gras unter meinen Füßen, und ich liebe den Wind in meinem Haar und die warme Sonne, die ich auf meiner Haut spüre. Ich denke an all die Schwierigkeiten, die ich bereits hatte, und wie ich doch immer einen vernünftigen Ausweg fand. Ich dachte mir immer: „Ich bin irgendwie anders als diese Leute hier, die hier wohnen, doch egal, was es auch war, ich bin einfach froh, am Leben zu sein, alles andere ist egal. Irgendwie geht es immer weiter und irgendwann, so Gott es will, finde ich es raus.“ Bis dahin musste ich mich noch gedulden.
Später machte ich mir den Vorwurf, zu blind gewesen zu sein, um zu bemerken, was vor sich ging. Anstatt richtig aufmerksam zuzuhören, was andere Leute sagten und taten, hatte ich immer andere Dinge im Kopf, die scheinbar für mich wichtig waren, und ich träumte in den Tag hinein, anstatt das wahrzunehmen, was direkt um mich herum passierte.
Ich sitze auf der Hängematte und starre in den Himmel. Die Sonne ist weg, der Himmel hat sich verfinstert. Ich wünsche mir so sehr, mehr als alles andere, dass alles gut wird. Warum ist diese Welt bloß so grausam und unbarmherzig? Immer wieder denke ich mir: „Wäre ich damals bei meinem damaligen ersten Freund geblieben und hätte ich mich nicht auf andere Beziehungen eingelassen.“ Aber wäre ich dann wirklich in einer anderen Situation? Ich kann es nicht sagen.
Für mich steht trotzdem fest: Ich habe es letztendlich bereut, ihn nach einer 3-jährigen Beziehung verlassen zu haben. Aber vielleicht war es auch das Beste so, die Beziehung hatte kein Fleisch mehr, sie war nur mehr eine Hülle, oder ein Knochengerüst. Wir stritten andauernd und er behandelte mich wie einen Gebrauchsgegenstand, aber irgendwie liebte ich ihn dennoch, was vielleicht andere als emotionale Abhängigkeit deuten würden. Und ich muss ehrlich gestehen, dass ich ihn auch irgendwie vermisse. Oder vielleicht hatte ich es einfach zu gut bei ihm, dass ich überheblich und leichtsinnig wurde. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur das eine: Wir hatten beide selber schuld. Ich verhielt mich egoistisch und stur und er verhielt sich ebenso und dann hat es eben gekracht. Das sexuelle Verhältnis war auch schlecht. Er hinterging mich und ich hinterging ihn als Revanche.
Ja, ich bin nicht stolz darauf, da ich eigentlich ein treuer und loyaler Mensch bin. Letztendlich muss ich dennoch behaupten, dass die Zeit, die ich mit ihm hatte, die schönste Zeit war, die ich je hatte, und ich warf sie einfach weg.
Genauso wie meine Eltern immer nur das Beste für mich wollten und ich es mit meiner Sturheit einfach nicht einsehen wollte, weil ich ja alles besser wusste. Die daraus resultierenden Differenzen und Streitereien wurden so unerträglich, dass ich letztendlich, als ich mit der Schule fertig wurde, meine Sachen packte und auszog, was mich schließlich in diese jetzige Situation brachte.

Das könnte ihnen auch gefallen :

The white Curtain

Gerhard Wolter

Meine biblischen 7 Jahre

Buchbewertung:
*Pflichtfelder