Wir – Deutschland

Wir – Deutschland

Deutschland Ost – West nach der Wende

Willi Ollesch


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 66
ISBN: 978-3-99064-929-9
Erscheinungsdatum: 24.03.2020
Als Werksbeauftragter im Kommunalen Außendienst verschlug es den Autor aus dem Ruhrpott schon 1992 in die neuen Bundesländer. Dort erlebte er hautnah, wie unmittelbar die „Wende“ das Leben jedes einzelnen Menschen veränderte und machte sich seine Gedanken dazu.
Vorwort

07.09.2019
JT
Über unsere Wiedervereinigung gibt es so viele unterschiedliche Schilderungen: wie wer was fühlt oder Aussagen, die mit der Realität nicht viel gemein haben.

Es waren zwei Länder, in denen die Menschen in total entgegengesetzten Weltanschauungen im geteilten Europa lebten. Da waren Familien getrennt, entweder durch den verlorenen Krieg, oder weil sie aus Nazi-Deutschland flüchten konnten. Bruder, Vater, Mutter, Kinder und Anverwandte – nah und doch durch Stacheldraht und Mauer getrennt.
Westdeutschland in Freiheit der westlichen Welt.
Ostdeutschland gebunden und gegängelt durch die damalige Sowjetunion.

Wenn irgendjemand geglaubt hatte, es würde schnell eine, wie von Kohl in den Raum gestellte, blühende Landschaft geben, so hat er spätestens nach fünf Jahren gemerkt,dass das eine lange andauernde Aufgabenstellung sein wird.

1992 war ich das erste Mal im Grenzgebiet zu Sachsen in Plauen, Zwickau und Chemnitz unterwegs, später in Schwerin, Erfurt und Eisenach.

Dieses schreibe ich, weil Deutschland nur Deutschland ist, wenn jeder – OST wie WEST – den anderen respektiert und akzeptiert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Einzelne ein „Riese“ oder der andere winzig klein ist, noch darf Hautfarbe, Behinderung, Krankheit, Religion, Geschlecht, Alter oder Beruf ein Beurteilungskriterium sein.



GRUNDGESETZ

Akzeptiere dein Gegenüber – immer!

Aufgaben und Ziele sind nur zusammen in
Ost und West zum Wohle Deutschlands
und uns selbst zu meistern.

Als Jugendlicher mit 13 Jahren fiel mir das erste Mal auf, dass man Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild beurteilt.

Muster – „Sieht der oder die Scheiße aus!“
„Was trägt der für Klamotten?“
„öffentliche Beleidigungen“
„Designer-Klamotten“
„Penner in Lumpen“

Müssen wir uns in Uniformen zwängen lassen, um zu gefallen?

Darf der oder die bestimmen, was ich anziehen soll, welche Haarfarbe, Schmuck oder keinen ich trage? Ob ich die Haare lang, kurz oder Glatze trage, mit oder ohne Bart, Brille oder Hut?

Damals dachte ich spontan: „Das darf nicht wahr sein!“
Warum ist das so? Was steckt dahinter? Missgunst, Neid, Besserwisserei?

Schon als junger Mensch und auch später diskutierte ich gern mit Menschen, doch ich habe gleichzeitig immer vermieden, über andere zu reden.

Vorschnelle, ohne Wissen über das Umfeld gemachte Äußerungen führen fast immer zu Spekulationen und sind von den Wahrheiten weit entfernt.

Ich kann mir über eine Person nur dann ein annähernd realistisches Bild machen, wenn ich mit dieser Person über einen längeren Zeitraum Gespräche führen und sie näher kennenlernen kann.

Ein Bild mit Wahrheitsgehalt von meinem Gegenüber darf nie auf Äußerlichkeiten basieren. Daher mein Motto: Achte den anderen so, wie du es dir von anderen für dich wünschst.



RESPEKT

In meinem Umfeld wurde immer die normale Umgangssprache gesprochen. Obwohl in Dortmund geboren und in einer Bergarbeitersiedlung aufgewachsen bin, wohnten dort auch die leitenden Angestellten des Bergbaus, zwar in besseren, geräumigeren Wohnungen, aber trotzdem auch in der vorhandenen Umgebung.

Meine Familie bestand aus Oma und Opa mütterlicherseits, die aus Ostpreußen stammten und deshalb auch ein wenig Polnisch konnten, und meinen Eltern. Meine Mutter war Filialleiterin eines geschätzten Lebensmittelladens in unserem Vorort, deren Deutsch nicht nur einwandfrei, sondern sogar fehlerfrei war.

Wenn wir Kinder, Schwester, Bruder oder ich, etwas von den gesprochenen Worten der Straße mit nach Hause brachten, gab es einen Klaps und den Hinweis: „So sprechen wir hier nicht!“

Die Eltern meines Vaters waren, wie man so schön sagt, etwas Besseres in unserem Vorort, da der Opa Betriebsführer in der örtlichen Kokerei der Schachtanlage war.
Auf uns Kinder legte dieser Opa keinen Wert und sprach auch nicht mit uns. Bei Besuchen dort setzte man uns auf einen Stuhl und das Sitzenbleiben war angeordnet.
Die Oma war bereits die dritte Ehefrau des Opas und so hatten alle Verwandten bei Familientreffen, immer wenn Opa und Oma nicht anwesend waren, viel über die beiden zu spekulieren, besser gesagt über sie herzuziehen.

Da aber auch oft Verwandte, die auch in der Kokerei beschäftigt waren, zu Gast waren, kamen dieser Opa und die Oma nur sehr selten zu uns, um sich Diskussionen über den Stand der Arbeit zu ersparen.
Heute würde ich es „Standesdünkel“ oder „die hielten sich für etwas Besseres“ nennen.

Da ich damals immer vorwitzig einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, hatten immer alle Spaß mit mir, nur der Betriebsführer und seine Frau nicht.

Also versuchte ich mich immer zu drücken, wenn ein Besuch bei den Eltern meines Vaters anstand.
Vom Kindergarten über die Volksschule bis zur Lehre als Starkstromelektriker gab es natürlich die unterschiedlichsten Erlebnisse, auch mit besonderen Merkmalen, so zum Beispiel Unfälle, Krankheiten oder Familiendiskussionen über Rock ‚n‘ Roll und Preußens Gloria oder die Russischen Don Kosaken.
Da Vater im Krieg war, dominierte bei uns die Marschmusik. Zunächst aus dem Volksempfänger, später sorgte die Musikanlage mit Schallplatten der Kosaken, von Ralf Bendix, Rudolf Schock, Peter Alexander und Freddy Quinn für die Musik in der Wohnung.
Meine Schwester war Sängerin im Mozartchor, der weit über die Grenzen von Dortmund bekannt war. Sie lernte bei einem Privatlehrer in unserer Wohnung Gitarre spielen und später fanden schon kleine Familienkonzerte mit Mandoline, Gitarre und unserem Familiengesang statt.
Nicht selten war ein Teil der Hausgemeinschaft durch den Klang der Instrumente und unseren Gesang neugierig geworden und so saßen in der dann zu kleinen Wohnküche bis zu 16 Leutchen und hatten ihren Spaß an dem Zusammenspiel.
Für unsere erste Bekanntschaft mit der neuen Musikrichtung aus England sorgte unsere Schwester, doch erst einmal nicht zur Freude unserer Eltern.

Im Alter von sieben Jahren zogen wir in ein Eigenheim, ein Haus, in dem zwei Wohnungen waren. Im Erdgeschoss wohnten meine Eltern, mein Bruder und ich mit einer Gästetoilette im Untergeschoss. Dort befand sich auch ein Badezimmer. Im Keller gab es eine Zentralheizung für alle Zimmer – ein wahrer Luxus mit fließend warmem und kaltem Wasser.

Es sollte ein Schwarz-Weiß-Fernseher folgen.

In unserer siebenköpfigen Familie, mit Opa und Oma mütterlicherseits, war immer etwas los.

In unserer großen Wohnküche spielte sich das Alltagsleben ab. Opa und Oma hatten ein eigenes Zimmer und für die Eltern mit den drei Kindern gab es ein Schlafzimmer, um zu ruhen.

Das Wichtigste, damit so viele Personen auf relativ geringem Raum gut miteinander auskamen, war, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das lernten wir also schon frühzeitig.
Selbstverständlich herrschte auch bei uns nicht immer „Friede-Freude-Eierkuchen“, doch wir Jungen lernten von der älteren Generation, achtsam miteinander umzugehen.
Bei jedem Abendessen wurden an unserem großen Wohnküchentisch die Tageserlebnisse, Freuden und Sorgen vorgetragen und besprochen.

Sieben Menschen, sieben Stimmen, sieben Meinungen, doch immer auch viel Lachen, Freude oder Trauer.
Themen wie Arbeit, Schule, Nachbarn, Bäcker oder die Verwandt- und Bekanntschaft boten genügend Diskussionsstoff.

Heute vermissen wir die Meinungsvielfalt in den Familien. Damals gehörten die „Alten“ ganz selbstverständlich mit dazu, auch wenn sie wie unser Opa eine Steinstaublunge hatten und todkrank waren.

Die Abendthemen sorgten letztlich auch für die Meinungsbildung jedes Einzelnen.
Im Umfeld dieser Siedlung gab es auch immer was zu reden oder zu streiten oder mit der umfunktionierten Schweineblase Fußball im Hinterhof zu spielen.

Wenn sich zwei Jungs trafen, um ein bisschen zu kicken, wurden es ganz schnell zehn oder mehr, um Unterhaltung mit dem sonderbaren Sportgerät zu haben.

Da die Bergleute viel Staub zu schlucken hatten, gingen sie nach vollbrachtem Tagwerk noch ein, zwei Bierchen zischen. Nicht selten kamen einige mit nahender Dunkelheit angetrunken, doch mit fröhlichen Liedern auf den Lippen zurück in die heimischen Gefilde. Den Ehefrauen gefiel das weniger, sodass es hie und da zu lauten Wortgefechten kam, die wiederum die Nachbarn aufweckten und diese sich ebenfalls lautstark beschwerten.

Großfamilien mit zehn oder zwölf Kindern waren nicht selten untergebracht in Wohnungen wie unserer.
Dreietagenbetten oder mehrere Leute in einem Bett waren da keine Seltenheit.

In einer Entfernung von etwa tausend Metern befand sich eine Müllkippe und schnell machte es bei uns Kindern die Runde, dass es dort beim Wühlen im Müll Metalle zu finden gab, die beim „Klüngelpitter“, Schrottsammler oder Klüngelkerl in Bargeld umzutauschen waren.
Alle, die schon einmal fündig geworden sein wollten, prahlten dementsprechend und weckten den Drang in den Jungen, Ähnliches zu erreichen.

Doch abermals schnell machte es die Runde, dass das Diebstahl sei und unter Strafe stünde.
Die ganz Abgezockten schreckte das jedoch nicht ab und so machten sie immer weiter, bis kam, was kommen musste und der Dorfsheriff mit Pfeife und Fahrrad an der Ecke stand und die Abgabe der Gegenstände forderte.
Was folgte war die Vorstellung bei den Eltern und Prügelstrafen der derben Art.

Wir, die mit der „Anfangsangst“, freuten uns, dass wir rechtzeitig damit aufgehört hatten.

Erste Geschäftsidee zerstört.



„Wichtigtuer“

Pastor, Lehrer, Polizist, Apotheker und Amtsleute waren die obere Schicht in dieser Zeit und der oder die nutzte diese Stellung oft auch gnadenlos aus.
Ob Lehrer, Pastor oder Polizei – nicht selten wurden durch sie oder deren Umfeld Gewaltausbrüche auch körperlich spürbar. Diese nicht nur durch sie selbst, sondern auch durch den Pöbel auf der Straße.
Ärger mit einem Gegenüber führte nicht selten zu einer Schlägerei. Ähnlich wie im Mittelalter: Wer die stärkere Faust hatte, hatte auch recht.
Doch schon damals stellte der Einzelne fest, dass es wohl immer der Klügere war, der sich letztendlich gegen die Schläger durchsetzte.
Ist das die Welt, in der wir leben wollen? Eine Welt, in der die Muskelbepackten ohne Hirn und Verstand, doch mit viel Kraft unsere Geschehnisse bestimmen?
Doch Intelligenz schlägt sich selbst, wie erlebt.
Lehrer prügelten Schüler, und nicht zu knapp, damit den anderen Schülern die Knie schlotterten und man ja nicht gegen diesen Lehrer aufmuckte.
Der Pastor hatte beim Konfirmandenunterricht einen Stock und ließ diesen auf den Fingern der Kirchenschüler tanzen.
Der Dorfpolizist, der mit dem erhobenen Zeigefinger durch das Dorf lief und jeden auf sein Fehlverhalten aufmerksam machte und nicht wenig Strafzettel verteilte, gab sich abends in der Dorfkneipe die Kante. Grölend und polternd ging er anschließend durch den Ort nach Hause und hielt erst dort seine Klappe. Denn dort führte seine Frau das Regiment.

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