Vom amerikanischen Traum zum amerikanischen Albtraum

Vom amerikanischen Traum zum amerikanischen Albtraum

Wie der neoklassische Wirtschaftsliberalismus Menschen, Gesellschaft und Demokratie zerstört. Das Beispiel USA

Heinrich Anker


EUR 18,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 316
ISBN: 978-3-99146-757-1
Erscheinungsdatum: 13.02.2024
Die Brüche in den westlichen Gesellschaften nehmen zu. Profiteure sind Parteien des rechten Spektrums. Ökonomische Erklärungsversuche greifen zu kurz: Der Westen befindet sich in einer Sinnkrise, die das rechtspopulistische Spektrum zu nutzen weiß.

Einleitung

„One of the greatest reasons why so few people understand themselves, is that most writers are always teaching men what they should be, and hardly ever trouble their heads with telling them what they really are.“
Adam Smith


„How selfish soever man may be supposed, there are evidently some principles in his nature, which interest him in the fortune of others, and render their happiness necessary to him, though he derives nothing from it except the pleasure of seeing it.“
Adam Smith


Die Leitfrage dieses Werks lautet: Weshalb erstarken in zahlreichen Ländern der westlichen Welt in den letzten 30 bis 40 Jahren rechtspopulistische bis (proto)faschistische Bewegungen, deren bisheriger Höhepunkt der 6. Januar 2021 war, als es einem Mob mittels eines Sturms auf das Capitol in Washington D.C. beinahe gelang, die Gewährleistung der Wahl Joe Bidens als neuem Präsidenten der USA zu verhindern? Wie konnte es kommen, dass im Jahr 2020 ca. 74 Mio. WählerInnen ein zweites Mal Donald Trump wählten, dies trotz seines gestörten Verhältnisses zur Demokratie? Es ist davon auszugehen, dass es sich um ein Zeichen einer tiefen Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft handelt. Damit sind jedoch die USA nicht alleine: In etlichen weiteren Staaten des Westens zeigt sich dasselbe Phänomen. Weshalb dies ausgerechnet in westlichen Ländern, die in Sachen demokratischer Freiheiten und materiellem Wohlstand deutlich besser dastehen als der Rest der Welt? Woran fehlt es den Menschen, dass sie zunehmend Parteien und Bewegungen wählen, welche das Recht des Stärkeren verkünden und statt einer funktionierenden Demokratie das Heil einer „starken Führung“ propagieren und dafür Zustimmung finden?

Für die überwiegende Zahl der Autorinnen und Autoren liegen die Gründe auf der Hand: Hinter einem hohen durchschnittlichen materiellen Wohlstand in der westlichen Welt verbergen sich wachsende Einkommens- und Vermögensdisparitäten.

Gegen diese Sichtweise gibt es nichts einzuwenden, aber sie macht den letzten Schritt nicht: Materielle Sorgen und Nöte erklären den Aufschwung antidemokratischer Parteien und Bewegungen in den letzten Jahrzehnten nicht. Die Verunsicherung und Frustration vieler Menschen geht weit über das materielle Sein hinaus: Sie berührt Fragen der Stellung des Individuums in der Gesellschaft; diese wiederum sind verbunden mit den grundsätzlichsten Fragen des menschlichen Daseins überhaupt: „Wo ist mein Platz in dieser Gesellschaft?“ Oder sogar: „Habe ich überhaupt einen Platz im Leben?“ „Bin ich in dieser Welt gewollt?“ „Hat mein Dasein Sinn?“

Um die Tragweite der Sinn-Thematik zu erkennen und zu verstehen, gilt es, sich damit zu beschäftigen, welches denn die existenziellen Bedürfnisse des Menschen sind, wonach er strebt, was ihn motiviert, was ihm Kraft und Zuversicht gibt.

Es gibt etliche Wissenschaftszweige, welche sich mit dem Wesen des Menschen, d. h. mit dem Menschenbild befassen. Im vorliegenden Werk wird auf Erkenntnisse der Philosophie, der Neurobiologie, Anthropologie, bestimmter Zweige der Psychologie, der Evolutionsbiologie und der ökonomischen Verhaltensforschung zurückgegriffen.

Sie alle verweisen darauf, dass das, was den Menschen zum Menschen macht, in seinem Willen zum Sinn liegt. Die Sinnfragen des Menschen beginnen mit Fragen nach dem „Warum?“ und „Wozu?“ alltäglicher Handlungen und reichen bis zum Sinn seines Daseins, seiner Stellung im Kosmos. In diesem würde er sich verlieren, würde er nicht zugleich in der zwischenmenschlichen Kommunikation erfahren, dass er als einmaliges Subjekt etwas besitzt, was ihm nichts und niemand nehmen kann: Würde. Ohne diese Würdigung, ohne diese Wert-Schätzung als Mensch unter Menschen könnte er keine Ich-Identität aufbauen und hätte keinen einigermaßen stabilen Bezugspunkt, von welchem aus er seine Stellung im großen Ganzen definieren könnte – er ginge in diesem verloren. Entsprechende Verunsicherungen, welche letztlich den Selbstwert der Menschen unterminieren, sind das Einfallstor für Usurpatoren, Demagogen und Diktatoren mit ihren vordergründig-einfachen, für Menschen in existenzieller Not und Verzweiflung verführerischen Welterklärungen und Weltbildern.

Das Aufkommen von Mussolinis Faschismus und Hitlers Nationalsozialismus sind vor dem Hintergrund tiefgreifender gesellschaftlicher Krisen und Erschütterungen zu sehen. Vordergründig handelte es sich um materielle Krisen – ohne „1929“ wäre Hitler mit seiner NSDAP wohl nicht Reichskanzler geworden –, dahinter stehen jedoch noch tiefergreifende Problematiken: Sinnkrisen. Die Niederlage des Kaiserreichs von 1918, die Scham des sozialen Abstiegs und der Verarmung sowie die Zerrissenheit der Weimarer Republik als Sinnbild der Zerrissenheit der Gesellschaft trugen neben der wirtschaftlichen Not das Ihre dazu bei, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wussten, woran bzw. an wen sie sich halten sollten, um ihre Identität und ihre Menschenwürde – ihren Selbstrespekt und die Gewissheit, einen Platz im Leben zu haben – aufrechtzuerhalten. Geistige Nöte dieser Art waren das Einfallstor für den Faschismus und den Nationalsozialismus.

Heute sind diese Tore wieder offen. Im vorliegenden Werk wird versucht, diese Entwicklung mit dem Aufkommen des neoklassischen Neoliberalismus in Verbindung zu bringen: Er „zwingt“ uns mit immer größerer Macht, uns gemäß seinem „Menschen“-Bild, d. h. gemäß dem radikal materialistischen, eigennützigen, asozialen homo oeconomicus, zu verhalten. So etwas wie Sinn und menschliche Wertschätzung kennt dieser kranke Narziss nicht – er klammert das Menschlichste des Menschen aus und veranlasst uns, uns nicht nur im wirtschaftlichen, sondern zunehmend auch im gesellschaftlichen Leben nach der Maxime der Eigennutzenmaximierung zu verhalten. Auf der Grundlage radikalen Eigennutzenstrebens kann jedoch so etwas wie Gesellschaft nicht entstehen – es gäbe kein sich seiner selbst bewusstes Ich und kein entsprechendes Du, welche sich auf der Grundlage von Dialog und Verständigung zur Kooperation verständigen könnten, es gäbe kein Ich und Du, die sich gegenseitig bestätigen, Mensch zu sein und als Individuum in einem größeren Ganzen aufgehoben zu sein, letztlich einen Platz im Leben zu haben, d. h. einen Daseinssinn.

Wenn Sie glauben, dass „der Markt befiehlt“, wenn Sie glauben, „die Gesetze des Marktes zwingen die Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen“, wenn Sie glauben, dass „dann, wenn ich etwas nicht tue (z. B. Waffen produzieren), es jemand anderes tut“, wenn Sie glauben, der Markt sei ein Nullsummenspiel, in welchem es nur Sieger und Verlierer gibt, wenn Sie glauben, die „Gesetze des Marktes“ seien unumstößlich wie etwa die Gesetze der Schwerkraft, wenn Sie glauben, dass die Eigennutzenmaximierung der einzige Weg sei, sich im Wirtschafts- und im Gesellschaftsleben zu behaupten, wenn Sie glauben, Ihr Lohn sei eine Entschädigung für Ihr erlittenes Arbeitsleid, wenn Sie glauben, das neoliberale Eigennutzenstreben sei der einzige Weg zu ökonomischer Effizienz, dann hat der neoklassische Neoliberalismus Sie schon „erwischt“; ebenso, wenn Sie versuchen, mittels der „Work-Life-Balance“ etwas an Lebensqualität zu retten, ebenso wenn Sie sich nicht daran stoßen, dass die Wirtschaft wie die Politik Sie mittels materieller „Anreize“ zu einem bestimmten Verhalten veranlassen wollen. Demokratie basiert darauf, dass Bürgerinnen und Bürger etwas tun, weil sie es für sinnvoll halten. Materielle Anreize sind hingegen der Versuch, die Frage nach dem Sinn zu überspielen und die Bürgerinnen und Bürger wie Pawlow’sche Hunde auf bestimmte Verhaltensweisen zu konditionieren und zu dressieren – möglichst ohne, dass sie dies bemerken. In Kreisen der neoklassisch-neoliberalen Wirtschaftslehre hält man Solches für so genial, dass der „Nobelpreis“ für Wirtschaft dafür vergeben wird.

Je mehr die neoklassisch-neoliberale Wirtschaftslehre und -praxis, je mehr auch die von ihr zunehmend determinierte Politik die Stellschrauben so stellt, dass wir uns gemäß dem eigennützigen homo oeconomicus verhalten, desto mehr entschwindet das aus unserem Leben, was uns zu Menschen macht: die Einsicht in den Sinn unseres Daseins und unseres Tuns. Mit ihren einfachen, eklektischen Weltbildern und Welterklärungen gelingt es rechtspopulistischen bis protofaschistischen Kräften, den Durst nach Sinn vieler Menschen – vordergründig! – zu stillen, sie aber letztlich für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, d. h. ihnen ihre Würde als Subjekt zu nehmen.

Die westliche, ursprünglich christlich-jüdische Zivilisation ist aufgebaut auf dem Prinzip „Glaube, Hoffnung, Liebe“, das Prinzip der ihr feindlich gesinnten rechtspopulistischen bis rechtsextremen Strömungen beruht ausnahmslos auf der Triade „Glaube, Hoffnung, Hass“. Letzterer ist das Schlangenöl, mit dem rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise versuchen, die Menschen für sich zu gewinnen. Wo Menschen verunsichert und frustriert und vielleicht schon aufgebracht sind, wo sie eine Sinnleere und Hoffnungslosigkeit quälen, ist es einfacher, sie mit Hass auf- und anzustacheln, als an das Prinzip der Liebe zu appellieren. Denn Hass, d. h. Gewalt, ist einfach, simpel, nackt, direkt, derweil die Liebe – die radikale Antithese zur Gewalt – einerseits ein komplexes Phänomen ist, andererseits jedoch nicht im Geringsten: Wir werden zur Erkenntnis kommen, dass Sinn und Nächstenliebe Entsprechungen aufweisen. Ihre Gemeinsamkeit ist der Gedanke des Dienens und die damit verbundene Sinn-Erfahrung: „Ich bin für jemand gut!“, „Ich bin für etwas gut!“, „Es ist gut, dass es mich gibt!“, „Ich habe einen Platz im Leben!“, „Ich werde respektiert!“ – das ultimative Bedürfnis des Menschen. Dies ist umso fesselnder, als zahlreiche Erkenntnisse der eingangs erwähnten Wissenschaftszweige darauf hindeuten, dass das Bild des Menschen als eines Wesens auf der Suche nach Sinn dem heutigen Wissensstand entspricht.

Weshalb das Beispiel USA? Sie stehen wie kein anderes westlich-demokratisches Land für den neoklassischen Neoliberalismus, und nirgendwo sonst stand die Demokratie in den letzten Jahrzehnten so sehr auf der Kippe wie am 6. Januar 2021 in den USA anlässlich des Sturms auf das Capitol. Aus diesem Grunde wird in diesem Werk versucht, die Krisen der westlichen Demokratien exemplarisch anhand der vielschichtigen Krisen in den USA darzustellen, die Verursacherrolle des neoklassischen Neoliberalismus herauszuarbeiten und nach Möglichkeiten einer „Heilung“ Ausschau zu halten – auf den Nihilismus des Neoliberalismus muss es eine sinnvolle Antwort geben!



Kapitel 1
Was den Menschen zum Menschen macht –
auf der Suche nach einem zeitgemäßen Menschenbild


Einleitung

Menschenbilder (Motivationstheorien) und gesellschaftliche Institutionen und Systeme sind untrennbar miteinander verbunden:

Je nachdem, welche Bedürfnisse bzw. Eigenschaften den Menschen zugeschrieben werden, entstehen um sie herum spezifische gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ordnungen und Systeme. Nachfolgend ein paar Beispiele:

Davon ausgehend, der Mensch sei von Natur aus ein blutrünstiges, gewalttätiges Wesen, kam Thomas Hobbes zum Schluss, dass Individuen ihre Freiheit vollständig einem übergeordneten Wesen (dem Leviathan) bzw. einer übergeordneten Macht (absolute Herrschaft) zu delegieren haben, anders gäbe es keine Ordnung und keinen Frieden. So wurde Hobbes zum Vordenker des Absolutismus.
Als Gegenprojekt dazu ging Adam Smith aufgrund empirischer Beobachtungen davon aus, dass der Mensch nicht ein a priori gewalttätiges Wesen ist, das in einen Käfig gesperrt werden muss, denn die gewalttätigen Neigungen des Menschen werden durch zwei intrinsische Gegenkräfte in Schach gehalten: durch die menschliche Empathie und das menschliche Gewissen. Aufgrund dieser zwei inneren Kontrollinstanzen ist der Mensch fähig zu Freiheit und Verantwortung – die Grundvoraussetzung nicht nur für einen freien Markt, sondern für eine freie Gesellschaft schlechthin.
Als eine weitere Antwort auf den Absolutismus Hobbes’ gingen aus der Französischen Revolution zum einen die Forderung nach Liberté, Égalité und Fraternité, zum anderen diejenige nach der Dreiteilung der staatlichen Macht und Gewalt in Legislative, Exekutive und Judikative hervor – die sechs Bausteine der Demokratie als gesellschaftliches Ordnungsprinzip.
Der neoklassische Neoliberalismus versteht sich als Naturwissenschaft und beruft sich auf das darwinistische Selektionsprinzip der Natur. Er fordert eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung, welche darauf abzielt, dem Stärkeren alle Hindernisse, insbesondere staatliche Gesetzgebung und Kontrolle, aus dem Weg zu räumen.
Der Taylorismus geht davon aus, dass Arbeitskräfte bewusst mit ihrer Leistung zurückhalten. Taylors Antwort war das Scientific Management: die Zerlegung der Arbeit in einzelne messbare Arbeitsschritte und das Fließband, welches den Arbeitsrhythmus vorgibt.

Bei der Entwicklung seines Menschenbildes verfolgte Adam Smith einen sozialwissenschaftlichen Approach: „Welche Eigenschaften des Menschen machen – als Alternative zum Absolutismus – eine freiheitliche Gesellschaft und Wirtschaft möglich?“ Als Kitt der Gesellschaft identifizierte Adam Smith die menschliche Fähigkeit zur Empathie und die Steuerung durch das Gewissen.
Schon die Utilitaristen stellten jedoch die Weichen in Richtung Psychologie: Der „Motor“ in Wirtschaft und Gesellschaft war für sie das individuelle Glücksstreben des Menschen. Diesem sprachen sie immerhin noch eine gesellschaftsbildende Komponente zu: Sie sahen das Glück des Ich im Glück des Du, sodass das Glücksstreben aller Individuen zum größten Glück der größten Zahl führen musste. Zwar war ihr Ansatz bereits ein individueller, psychologischer, aber er besaß in der Maxime des größten Glücks der größten Zahl noch eine gesellschaftlich-ethische Komponente. Diese fiel dann mit dem Neoklassiker Edgeworth endgültig weg, und die Wirtschaftslehre wurde zur reinen Mathematik und Psychologie auf der Grundlage des einseitigen Bildes des Menschen als eines radikalen Eigennutzenmaximierers. Als solcher ist der Mensch wie Tiere konditionierbar und damit berechenbar – von da her auch der Titel von Edgeworths Hauptwerk „Mathematical Psychics“. Die Wesensbestimmung des Menschen durch Edgeworth verwandelte sich in der Wirtschaftslehre immer mehr zur Verhaltensnorm. Die Wirtschaftslehre beruht deshalb bis heute nicht mehr auf der empirischen Erkenntnis, wie der Mensch ist – der Ansatz von Adam Smith –, sondern, wie er sein soll bzw. wie er sein muss: Der Mensch wird für das von der neoliberal-neoklassischen Wirtschaftslehre als ideal betrachtete Wirtschaftssystem verzweckt, d. h. einzig als Objekt betrachtet.

Diese rein objektive Sichtweise wird dem Menschen nicht gerecht: Er ist immer und überall zugleich Individuum, d. h. Subjekt, wie auch Teil der Gesellschaft und als solcher „Objekt“. Zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Subjekt und Objekt besteht ein unaufhebbares Spannungsverhältnis, welches der reale Mensch unablässig ausbalancieren muss.
Selbst wenn wir davon ausgehen, dass dieses Spannungsverhältnis unausweichlich ist, stellt sich die Frage: Gibt es ein Konzept, welches das Menschenbild der Psychologie mit demjenigen der Soziologie theoretisch und praktisch verbindet? Gibt es ein Menschenbild, welche die subjektive und objektive Seite miteinander verbindet? Dies ist tatsächlich der Fall: Was Individuum und Gesellschaft bzw. Individuen und gesellschaftliche Institutionen miteinander verbindet, ist das existenzielle Bedürfnis des Menschen nach Sinn – nach dem Sinn seines Tuns und seines Daseins. „Sinn“ besitzt eine radikal individuelle, aber auch eine unverzichtbare soziale, sprich: gesellschaftliche Dimension.

Nachfolgend werden das Sinn-Konzept der Psychologie und der Soziologie in ihren Grundzügen skizziert. Zum einen wird dabei auf die sinnzentrierte bzw. humanistische Psychologie gemäß Viktor E. Frankl zurückgegriffen, zum anderen auf die humanistische Soziologie, wie sie von Walter Rüegg und Ruth Meyer Schweizer an der Universität Frankfurt am Main, sodann an der Universität Bern gelehrt wurde. Anschließend wird versucht, die beiden Konzepte in Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, um auf diese Weise den Menschen als ganzheitliches Wesen zu erfassen: als Individuum einerseits, als Glied der Gesellschaft andererseits.


„Sinn“ in der humanistischen Psychologie Viktor E. Frankls

Viktor Frankl (1905–1997) ist der Begründer der sog. Logotherapie und Existenzanalyse (LTE). Er versteht sie als sinnzentrierte Psychologie. In Fachkreisen gilt sie nach der Psychoanalyse Freuds und der Individualpsychologie Adlers als dritte (und jüngste) der drei großen Wiener Psychiatrie-Schulen. Sehr vereinfacht ausgedrückt, schreibt Frankl in Übereinstimmung mit Freud den Menschen einen Sexualtrieb – einen Willen zur Lust – zu, in Übereinstimmung mit Adler einen ebenfalls triebgesteuerten Willen zur Macht. Das genuin Menschliche ist nach Frankl jedoch eine dritte Dimension: der menschliche Wille zum Sinn. Er ist nach Frankl das Menschliche des Menschen und folglich die stärkste Motivationskraft des Menschen überhaupt. Deshalb ist er durch nichts zu ersetzen oder zu kompensieren. Gemäß der Frankl-Schülerin Elisabeth Lukas [1998, S. 39] sind

„Menschen um einer sinnvollen Aufgabe willen bereit (…), Verzichte in Kauf zu nehmen und, wenn es sein muss, Bedürfnisse ungestillt zu lassen. Das leibliche und seelische Wohlbefinden spielt bei der Suche nach Sinn eine zweitrangige Rolle. Dem gegenüber kann ein Scheitern bei der Sinnsuche durch kein wie immer geartetes psychophysisches Wohlbefinden austariert werden“.

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