Trip - Eine Reise nach Amerika

Trip - Eine Reise nach Amerika

Band 1 - Die Reise beginnt

Frodo B. Marks


EUR 21,90
EUR 17,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 454
ISBN: 978-3-99131-833-0
Erscheinungsdatum: 22.02.2023
Die Hippiezeit: Sex, Drugs and Rock’n’Roll dominieren diese Zeit – und er ist mittendrin. Doch da muss es doch noch mehr geben. Also begibt er sich auf die Suche nach Liebe, Erkenntnissen und wahrer Freiheit.
Vorwort

Ich schreibe, also bin ich. Das wurde zu meinem Motto, als man sich anschickte, das Leben auf dem gesamten Planeten zum Stillstand zu bringen. Ich saß damals an einem wunderschönen großen See; das Schwimmbad hatte plötzlich geschlossen und die Welt, so schien es, hatte für einen Moment den Atem angehalten. Eigentlich hatte ich vor, etwas zu zeichnen, als eine kleine Mädchenschulklasse im vorpubertären Alter auftauchte und mich als einziges männliches Wesen erkannt hatte. Sie fingen ein Spiel an, das „Hexenauge, sei wachsam“ hieß und bei dem sie sich mir langsam, aber beständig näherten. Auf einmal spürte ich, dass ich zum Bestandteil einer Geschichte geworden war, und fing an, sie aufzuschreiben. Nach kurzer Zeit merkte ich, dass, wenn ich schrieb, auf einmal alles um mich herum zu einer Geschichte wurde, in der ich selbst ein wichtiger Bestandteil war. War es nicht immer schon so gewesen? Und hatte ich es nur einfach vergessen?
Auf Geschichte folgte Geschichte und so wurde ein kleines Buch daraus, das allerdings noch zu Hause in der Schublade liegt. Doch vom Schreiben konnte ich nicht mehr lassen und so schrieb ich das Buch, das Ihnen jetzt vorliegt. Die Geschichte einer verrückten Zeit, in der sich die Jugend aufmachte, dem „Normalen“ den Kampf anzusagen.
Während sich ein großer Teil der „Normalen“ nach „außen“ wandte und mutig in das unendliche Weltall aufbrach, gingen sie mutig mithilfe der „Wunderdroge LSD“ nach innen und entdeckten ebenfalls unendliche Räume und Möglichkeiten. Wie sie bald herausfanden, war dies seit ewiger Zeit bekannt und wurde von alten Kulturen immer schon so praktiziert. Sie waren nicht allein. Doch wie es so ist, lag es nahe, diese Möglichkeiten zu missbrauchen. So versuchte man bereits ganze Armeen kampfuntauglich zu machen, indem man ihnen LSD einflößte. So wurde eine Möglichkeit rasch kriminalisiert und eine ganze Jugend zu Kriminellen abgestempelt. Das „Normale“ hatte begonnen sich zu wehren. Doch möchte ich mit meinem autobiografischen Roman keinesfalls die Gefahren des Drogenmissbrauchs verharmlosen. Wie jede Sucht führt er zur Abhängigkeit und nicht in die erhoffte Freiheit.
Doch könnte sie vielleicht in einer fernen Zukunft wieder dazu beitragen, ein Tor, das niemals ganz geschlossen war, zu öffnen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass uns dieser wundervolle Planet nicht gehört, sondern dass wir dazu aufgerufen sind, ihn wie ein wundervolles Raumschiff sauber und intakt zu halten, da wir sonst bald enorme Schwierigkeiten bekommen könnten. In diesen Sinn wünsche ich meinen Lesern einen guten und unterhaltsamen „Trip“.

Frodo B. Marks



Ja, wo beginnt man am besten, wenn einen das Schicksal eines Tages auf eine große Reise schicken möchte. War es der Krieg, der alles durcheinander gewürfelt hatte? Der die Träume einer ganzen Generation in Schutt und Asche gelegt hatte? War es doch nicht der richtige Weg gewesen, wenn man Sehnsucht nach fernen Welten hatte, dort einzumarschieren, die Dörfer niederzubrennen und die armen Menschen, die dort ihr Leben hatten, zu schänden und zu ermorden?
Sollte man nicht doch lieber ganz vorsichtig mit wachen Augen und offenen Herzen die Grenzen überschreiten, in der Hoffnung, dort, im anderen Land Menschen zu begegnen, die einen willkommen heißen? Die einem vielleicht eine Tasse Tee anbieten und helfen, den Staub aus den Kleidern zu schütteln, um dich dann gestärkt und zuversichtlich weiterziehen zu lassen in der Hoffnung, das Ziel, ein anderer zu werden, zu erreichen.
Der Krieg, der wohl der grausamste war, den die arme Welt bisher erfahren musste, war noch nicht lange zu Ende, als er geboren wurde. Seine kleine Familie gehörte zu den Vertriebenen, die alles verloren hatten. Ein schönes Haus, liebe Freunde und ein gutes Leben. Sie gehörten zu den Unschuldigen, die nun die ganze Schuld zu tragen hatten.
Als sich seine etwas ausgehungerte, junge Mutter morgens zu Fuß auf den Weg in das nahegelegene Krankenhaus machte, schien eine fröhliche, warme Frühsommersonne und die Vögel zwitscherten ein hoffnungsvolles Lied. Die Welt begann sich gerade etwas zu erholen und die Trümmer vergangener Träume und Verbrechen wurden emsig beiseite geräumt, um etwas Neuem, das wohl aus Amerika kam, Raum zu geben. Nie wieder Krieg, das war wohl der Wunsch in fast allen Herzen.
Sie waren zusammen in einem kleinen Kellerzimmer, die Oma, die schon über achtzig Jahre alt war, der Papa, seine Schwester, die Mama und sein Bruder, der noch im Bombenhagel des zu Ende gehenden Krieges zur Welt gekommen war. Obwohl er bei den Geburten seiner eigenen zwei Kinder dabei war, lag es ihm fern, die Leiden einer jungen Frau nachvollziehen zu wollen. Doch wollte er den Versuch wagen, sich an seinen eigenen Schmerz – denn den musste das kleine Bündel Mensch, das da zwischen ihren Beinen herausgepresst worden war, wohl auch empfunden haben – zu erinnern. Sicher mussten beide die Ganzheit, die sie verbunden hatte, nun vollkommen aufgeben. War nicht das der eigentliche Schmerz? Sich zu trennen, die Last des großen Bauches wird ja irgendwann zu viel, um sich dann nach einem unerträglich schmerzvollen Weg, den Weg nach Golgatha gleich, wiederzufinden, in der Liebe einer Mutter, die nun eine andere war. Beide mussten wohl alles aufgeben, sich vollkommen vergessen, um nun das Neue zu werden, Mutter und Kind.
Der erste Lufthauch, der die Lunge füllt, der erste Schluck Milch aus ihrer zarten Brust. Viel hatte sie wohl nicht, denn es gab nicht genug zu essen in dieser noch immer unmenschlichen Zeit. Doch das Wichtigste, nämlich geliebt zu werden, wenn man das etwas trübe Licht dieses seltsamen Planeten erblickte, das bekam er schon. Es wäre ihnen zwar ein Mädchen lieber gewesen – denn er hatte ja einen großen Bruder. Diesen Makel, nicht ganz das richtige Geschlecht zu haben, wurde er auch nie so ganz los.
Doch gab es wohl auch Wichtigeres. Sie waren alle fleißig und emsig und bemüht, ihre Situation zu verbessern. Alle waren sie sehr kreativ, die Tante ging schneidern, der Papa baute Kaffeehaustische, deren Oberfläche aus Steinplatten aus einem nahegelegenen Steinbruch bestand. Er versah sie mit wunderbaren Ornamenten, kleinen Rehen und Pferden, auf denen manchmal eine kleine nackte Frau ritt. Auch malte er schöne Aquarelle, die das Kellerzimmer schmückten. Als eines Tages einer vom sogenannten Wohnungsamt vorbeikam, um sich ein Bild zu machen, ob sie denn wirklich eine richtige Wohnung benötigten – immerhin waren sie zu siebt in einem dunklen, kalten Kellerzimmer zu Hause –, meinte er nur etwas zynisch, was sie denn wollten. Sie hätten es doch ohnehin so schön und gemütlich.
So hatte seine Reise also begonnen. Denn diesen Planeten, genannt Erde, als Menschenkind zu betreten, war schon ein erstes echtes Abenteuer. Zum Glück hatten ihn alle lieb. Er wurde in kuschelige Tücher gepackt, von Schoß zu Schoß gereicht und an so manchen weiblichen Busen gedrückt, ob er nun wollte oder nicht. Gab es nun wirklich eine Erinnerung an diese Zeit oder vermischte sich nur alles mit den verschiedenen Schwarz-weiß-Fotos, die seine Tante so gern machte. Es war schwer zu sagen. Sicherlich war die Welt auch damals nicht schwarz-weiß, sondern so bunt wie jetzt. Er überlegte, wie er etwas Farbe in seine Erinnerungen bringen könnte, doch gelang es ihm nicht. Vielleicht sah man auch noch alles etwas anders, wenn man so frisch in diese neue Form gepresst war. Sicher verbrachte man die meiste Zeit noch mit Schlafen und Träumen und das Wachsein war noch etwas anstrengend, wie eigentlich immer in diesem menschlichen Leben. Wichtig war wohl die Sprache, die musste man schnell lernen. Doch wie tat man das? Bestimmt war das erste richtige Wort „Mama“. Das fiel einem leicht und es schmeckte nach warmer Milch und Wärme und roch so gut nach Weiblichkeit. Ist das der Grund, warum man sich nach der Erdenwirklichkeit sehnt, Mama?
Doch die Mama hatte noch viele andere Aufgaben. Sie musste kochen, stricken, backen, Wäsche waschen. Hatte sie doch noch einen kleinen Jungen zu versorgen, der von seiner Ankunft nicht sonderlich begeistert war. Auch um seinen Papa musste sie sich kümmern oder er um sie. Familie eben. Die Welt war auch recht gefährlich. Man konnte herunterfallen, sich verbrennen, von Insekten gestochen werden und sich an allem Möglichen verletzen. Auch das Wort „Au“ schien ein wichtiges, oft gebrauchtes Wort zu sein. Neben den vielen Dingen, die es nun zu lernen gab, begann er nun, langsam die seltsame Welt um ihn herum zu entdecken.
Offensichtlich gab es Lebewesen, die ganz anders waren und auch mit den menschlichen Kreaturen nicht viel gemeinsam hatten. Mäuse zum Beispiel waren nicht sonderlich gern gesehen. Irgendwie erschienen ihm die Tiere freier. Auch wenn sie in ständiger Angst lebten vernichtet zu werden. Trotzdem schienen sie gerade das zu tun, was ihnen so in den Sinn kam. Sie holten sich, was sie bekommen konnten, und mussten nur aufpassen, nicht dabei erwischt zu werden.
Dann gab es noch die sogenannten „Haustiere“ wie Hunde und Katzen, die zwar auch so ziemlich das taten, was ihnen so gerade in den Sinn kam, die aber doch von ihren Menschen ganz schön abhängig waren. Sie mussten folgen – was er nun auch langsam lernen sollte. Die Hühner, die in der Nähe herum gackerten, mussten ständig Eier legen und sie liefen Gefahr, bald in irgendeinem Kochtopf zu landen. Am nächsten und interessantesten waren die Insekten für ihn, wenn er über die Wiese krabbelte. Sie lebten ein vollkommen anderes, eigenes Leben, waren noch ganz frei in ihrem Tun und nur – so wie er – durch ihre Kleinheit bedroht. Sie waren fast den Pflanzen ähnlicher, die dort noch im Überfluss wucherten. Doch konnten auch sie stechen, brennen und giftig sein. Am freiesten erschienen ihm die Vögel, die es damals noch im Überfluss gab. Sie waren auch die Lieblinge seiner jungen Mama. Sie beherrschten vollkommen die Lüfte und machten dabei auch noch eine herrliche Musik. Sie wurden von allen geliebt und verehrt. Nur die Katzen hatten wohl etwas gegen sie. Das Paradies war es wohl nicht, wo er gelandet war, eher ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
So wuchs er langsam heran und lernte sich aufzurichten, was wie von allen Eltern dieser Welt gelobt und beklatscht wurde. Die alte Welt schien sich langsam zurückzuziehen und etwas Neues besetzte den freigewordenen Raum. Sie lebten in einer kleinen, etwas spießigen Stadt, in der noch der katholische Klerus das Sagen hatte, in der von Amerika besetzten Zone. Er nahm an, dass die meisten wohl froh darüber waren. Galt Amerika doch immer schon als das gelobte Land der Freiheit. Selbst die Ureinwohner, die sogenannten Indianer waren durchaus gern gesehene Gäste bei so mancher Faschingsveranstaltung. Wer hätte nicht gern einen reichen Onkel in Amerika gehabt. Leider hatten sie keinen.
Da sein Papa Künstler war, lernte er bald eine interessante Frau kennen, „eine Dame“, wie er später als kleiner Junge immer betonte. Sie hatte ein Haus in der Stadt, in der eine Wohnung frei wurde, in die sie einziehen konnten. Ihr Bruder war Schauspieler und hatte wohl einmal einen großen Auftritt als Mephisto in Goethes Faust gehabt. Was immer zu viel Gelächter führte, wenn sich die Erwachsenen darüber unterhielten. Was allerdings noch viel interessanter war: Sie betrieb das einzige Kino der Stadt, das Stadtkino. Bestimmt liefen dort schon die Filme mit den amerikanischen Göttinnen der Leinwand, wie Marilyn Monroe und die vielen anderen. Die Frauen, die jeglichen männlichen Traum zu erfüllen schienen und doch unerreichbar waren. Die Träume hielten wohl der Wirklichkeit nicht stand, aber es tat gut, sie zu haben.
Er war eher noch damit beschäftigt, aus Bauklötzen Türme zu bauen. Auch mit seinem Dreirad um den runden Wohnzimmertisch zu fahren, machte viel Freude, da sich der Boden des Zimmers auf einer Seite um einiges nach unten neigte. So konnte er auf einer Seite des Tisches mit Schwung nach unten fahren, um dann auf der anderen mit etwas Anstrengung wieder hinaufzukommen, in der Vorfreude auf die nächste Talfahrt.
Noch etwas aus diesen fast noch unbeschwerten Tagen hatte sich in seinem kleinen Herzen eingeprägt. Es gab ein kleines Faschingsfest und neben einer asiatischen Königin, die Herrin des Hauses, und ihrer dreizehnjährigen Tochter Viola als japanischer Prinzessin war er, der Dreijährige, als kleiner Maharadscha verkleidet. Daran, als was die anderen gingen, konnte er sich kaum noch erinnern, doch schien alles etwas fernöstlich angehaucht. Der selbstgemachte Wein aus Johannisbeeren hatte bereits die Stimmung erheblich gehoben und er hatte sich unter dem mitten im Raum stehenden Wohnzimmertisch, dessen weiße Tischdecke bis zum Boden reichte, verzogen. So saß er nun, der kleine Maharadscha, in seinem eigenen kleinen Zelt und konnte das Geschehen durch einen schmalen Spalt beobachten. Auf dem Tisch über ihm wurden die fast ausgetrunkenen Weingläser abgestellt.
Jetzt kam sein älterer Bruder, der immer zu Scherzen aufgelegt war, auf die wunderbare Idee, ihm die Weingläser, in denen sich immer noch je ein Schlückchen Wein befand, nach unten in sein kleines Zelt zu reichen. So begann er Schlückchen für Schlückchen diese seltsame bittersüße Flüssigkeit zu trinken. Sie machte ihn irgendwie freier und größer. Draußen schien die Stimmung ihren Höhepunkt zu erreichen und die Musik, die wohl von einem alten Plattenspieler stammte, wurde wilder und wilder. Er rutschte auf seinem mitgebrachten Kissen mit seinem kleinen Po hin und her. Ja, er spürte deutlich, er musste es tun. Der Alkohol hatte ihm Mut gemacht. Er öffnete sein kleines Zelt und trat ins Licht. Alle blickten erstaunt zu ihm hin und wunderten sich, woher er auf einmal hergekommen war. Da er nun der Aufmerksamkeit der Anwesenden, vor allem der schönen Viola gewiss war, begann er zu tanzen.
Es hatte ihn erfasst und mit schlangenartigen Bewegungen warf er seinen kleinen Körper einmal nach vorn, dann wieder zurück, streckte seine kleinen Arme nach oben, wobei er seine Finger, einer balinesischen Tempeltänzerin gleich, nach außen bog. Alle blickten wie verzaubert auf ihn herab. „Das ist ja unglaublich, wo er das nur herhat“, hörte er sie raunen. Die schöne Viola hatte sich spontan in ihn verliebt, war sie doch eine fernöstliche Prinzessin. Die Herrin des Hauses, eine edle Königin, meinte, er solle vielleicht Tänzer werden, denn sie hätte so etwas noch nie gesehen.
Erst als sein großer Bruder sie über seinen Alkoholgenuss aufklärte, erlangten sie ihre Fassung wieder. Er hatte wohl seine erste Bekanntschaft mit einer Droge gemacht und dass sie einen verwandeln konnte. Er war über sein normales kindliches Dasein hinausgewachsen und zu etwas Besonderem geworden. Wollte das Schicksal ihm das zeigen? Er wusste es nicht und begann weiterzuwachsen.
Eine neue Zeit hatte begonnen und sie war in dem Teil des Landes, in dem er lebte, einwandfrei westlich. Der sogenannte „freie Westen“. Da es auch einen „unfreien Osten“ gab, wie er viel später erfahren sollte, konnte man sich noch viel, viel freier fühlen. Auf einmal gab es eine neue Währung, die D-Mark, und das Glück war perfekt, wenn man sie denn hatte. Die Schaufenster der kleinen Läden waren auf einmal wieder voll, was seine lieben Eltern zu manch einer zynischen Bemerkung hinreißen ließ: „Wie kann das sein, gestern gab es noch nichts, nicht einmal Brot, und auf einmal dieser Überfluss?“ Ja, es gab halt doch alles – das sogenannte „Wirtschaftswunder“. Und wenn es auch kein Wunder war, so waren doch fast alle froh, dass es wieder Hoffnung gab. Die Herzen, vor allem die der jungen Frauen, begannen sich den schicken, lässigen Boys aus Amerika zuzuwenden, die so coole Dinge wie „Nylonstrümpfe“ zu verschenken hatten. Während die ausgehungerten „Verlierer“, die nach und nach aus ihren Gefangenschaften zurückkehrten, einen etwas schwereren Part zu spielen hatten. Da hatten es die Daheimgebliebenen etwas besser. Sie machten schnell wieder gute Geschäfte, und fuhren dicke Autos. Er hatte einen kleinen silbernen Mercedes von seinem Papa geschenkt bekommen. Der konnte sogar Kurven und Achter fahren, was seinen großen Bruder wohl sehr ärgerte. Denn er war der Liebling seines schon etwas älteren Papas.
Niemand wollte sich mehr an die Vergangenheit erinnern, auch wenn noch so manches Teil wie Stacheldrahtzäune oder Wachtürme unübersehbar herumstanden. Die Stacheldrahtzäune waren wohl auch noch in so manchen Herzen vorhanden und sie würden dort auch noch lange bleiben, vielleicht nie ganz verschwinden. Denn es gab ja noch ein anderes Deutschland. Das dunkle, dort, wo sich all das Böse zurückgezogen hatte. Doch davon wusste der kleine Knirps noch nichts. Denn die Kinderseele musste noch lernen zu unterscheiden.
Die etwas jüngere Schwester seines Papas, seine zweite Tante, hatte es mit ihrem Mann in das ferne Voralpenland verschlagen. Dort sollte es günstige Baugrundstücke für die „Vertriebenen“ geben. So reifte bald der Plan heran, dort ein eigenes Haus zu bauen. Hatten sie doch ihr schönes großes Haus in der nun dunklen Welt zurücklassen müssen. Seinem Papa war es wohl nicht so ganz recht. Denn er liebte die etwas wärmere Landschaft Südböhmens, in die er hineingeboren worden war. Auch als Maler kam ihm die Juralandschaft mehr entgegen als das überwiegend grüne Allgäu. „Alles Spinat“, wie ein Künstlerfreund meinte, den es auch in die Nähe verschlagen hatte. Er, der kleine Bub, spürte vor allen Dingen die Ferne, in die sein Papa immer für längere Zeit verschwand. Wie sehr er ihn doch vermisste. Die Sorgen, die schon groß genug waren als Künstler mit zwei kleinen Kindern und einer jungen Frau, wurden auch nicht gerade kleiner.
Schulden, Bauarbeiter, die nicht arbeiten wollten, eisig kalte Winter, die er jetzt auf einer Baustelle verbringen musste, setzten ihm sicherlich sehr zu, hatte er doch schon zwei Weltkriege hinter sich, und wollte doch nur malen. Doch tapfer zog er alles durch. „Damit ihr wieder ein Dach über dem Kopf habt.“ So wurde das Häuschen langsam fertig und er wurde krank. Eines Tages war es endlich so weit. Ein Möbelwagen fuhr vor und die paar „Habseligkeiten“ wurden in Zeitungspapier gehüllt und sorgfältig darin verstaut. Er durfte vorne bei seinem Papa sitzen. Es war wohl seine erste wunderbare Autofahrt, dort hoch oben, in eine neue Zukunft und eine neue Welt.
Das große „Wirtschaftswunder“ war voll im Gange, und sie waren ein Teil davon. Auf einer etwas höher gelegenen Ebene in der Nähe der kleinen Stadt war eine neue Siedlung entstanden, deren kleine Häuser den „Lego-Häuschen“ glichen, die er später bauen würde. Alles war genormt und geplant, was seinen kreativen Papa wohl sehr ärgerte. Vor allem weil es wieder nur die einfacheren Leute mit wenig Geld betraf. Für ihn aber tat sich ein neuer Abenteuerspielplatz auf, der hauptsächlich aus riesigen Kiesbergen und Bauschutt bestand, und durch den Aushub des Kellers entstanden war. Man konnte dort, von hoch oben das ganze Gelände überblicken und wunderbar auf dem Po darauf hinunterrutschen, was allerdings nicht sehr gern gesehen wurde, da man sich dabei so furchtbar dreckig machte. Abgesehen von der kleinen verschlafenen, mittelalterlichen Stadt, an der der noch nicht einmal zehn Jahre zurückliegende Weltkrieg scheinbar spurlos vorübergegangen war, gab es ganz in der Nähe ein wildes Flusstal, das die Gletscher der letzten Eiszeit zurückgelassen hatten. Dort gab es noch Orchideen und vereinzelt sogar „fleischfressende“ Pflanzen, was in seinem Kindergemüt wohl für einige Aufregung sorgte.


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