Mein Kampf für eine bessere Welt

Mein Kampf für eine bessere Welt

Hülya Rinscheid


EUR 20,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 310
ISBN: 978-3-99146-437-2
Erscheinungsdatum: 20.10.2023
Ein Leben zwischen Christentum und Islam … ein Pendeln zwischen zwei Kulturen. Fatma erzählt, wie schwierig und herausfordernd es ist, Toleranz zu zeigen, aber selten zu erhalten. Von Kindheit an damit konfrontiert, beginnt sie als Erwachsene zu kämpfen.
Meine Geburt und meine Entwicklung im Armenviertel


Am Tag meiner Geburt wusste ich noch nicht, in welchem Umfeld ich leben sollte. Ich wusste auch nicht, wie meine Zukunft verlaufen würde. Aber ich wusste, dass ich Hunger hatte und Geborgenheit und menschliche Wärme brauchte. Ich wusste, dass es an meiner Mutters Brust Nahrung und angenehme Wärme für mich gab. Viele Leute sprachen mit mir, und ich hörte viele Laute. Aus den Lauten wurde mit der Zeit Sprache, und irgendwann wurde mir klar, dass mein Name Fatma war. So hörte ich auf den Namen Fatma.
Zu Hause lag ich in der Wiege. Immer wenn ich schrie, wurde ich in der Wiege geschaukelt. Als ich vierzig Tage alt war, kam eine Vorbeterin mit ein paar Frauen. Mehrere Frauen badeten mich und schütteten einen Becher Wasser mit Mamas Ehering über meinen Kopf. So wurde ich islamisch getauft. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich mit meiner Mutter überall hingehen. Mit einem Tuch an Mamas Körper umwickelt, trug sie mich. So spürte ich immer ihre Wärme und Geborgenheit.
Dadurch lernte ich viele Laute kennen und konnte die Menschen genau beobachten. Ich konnte auch beobachten, wie die Menschen sich verhalten. So brachten sie mir Verhaltensregeln bei. Aber weshalb gab es diese Regeln? Wieso war ich auf der Welt? Was ich wusste, war, dass es für das alles einen Sinn geben musste. Aber ich wusste nicht, welchen Sinn. Vielleicht war ich einfach noch zu klein, um es zu erfahren.
Als ich Zähne bekam, konnte ich abends nicht mehr einschlafen. Mir tat immer der Mund weh. Da ich nicht sprechen konnte, machte ich mit Weinen auf mich aufmerksam. Das war meinem Vater zu viel. Er wollte nur schlafen und ausgeschlafen zur Arbeit gehen. Er arbeitete als Krankenpfleger in Istanbul im Krankenhaus. Er liebte seinen Beruf über alles. Nur er verdiente sehr wenig, sodass er seine Familie nicht gut ernähren konnte. Deswegen musste er für ein paar Stunden zusätzlich im Männercafé arbeiten. Da er sowieso zu wenig Schlaf hatte, war er wütend, dass ich so viel weinte. So kam es, dass mein Vater mich aus der Wiege nahm und mich in das große Bett schmiss und sagte: „Mir reicht es jetzt. Ich muss schlafen. Morgen muss ich fit sein und im Krankenhaus die Kranken gut pflegen.“ „Ich werde im anderen Zimmer auf dem Boden mit Fatma schlafen“, sagte meine Mutter, und ging ins andere Zimmer. Somit schlief ich allein mit meiner Mutter.
Tagsüber war ich mit vielen Hausfrauen und Kindern zusammen. Sie häkelten, tauschten Rezepte aus, machten Musik auf Töpfen und tanzten mit den Kindern dazu. Umso größer ich wurde, umso mehr Spaß hatte ich dabei. Meine Mutter musste im Alter von zwölf Jahren schon einen Tschador tragen. Sie hasste das! Sie wollte im Leben immer moderne Kleidung tragen, und sie wollte natürlich einen guten Beruf haben. Ihre Familie wollte demgegenüber, dass sie auf dem Feld arbeitet und Hausfrau wird und später dann auf ihren Mann hört.
Sie versuchte im Dorf nur mit Familien von Lehrern und gebildeten Frauen zu reden. Sie hatte kein Interesse an Kochen oder Haushalt. Um dem Dorfleben zu entkommen, brannte sie mit meinem Vater durch, der in Istanbul seit sehr langer Zeit lebte. Angekommen in Istanbul musste meine Mutter von den anderen Frauen Kochen und Backen lernen. Mit den Frauen, die auch Hausfrauen waren, redete sie jetzt meist über die Probleme ihrer Kinder und ihres Mannes. Weitergeholfen hatte das eher selten. So gingen manche Frauen hin und wieder zu den Lehrerinnen der Kinder oder zu Ärzten und holten sich dort Tipps und Hilfe. So erzählten die Frauen den anderen Frauen, welche Informationen sie bekommen hatten, wodurch sich das Wissen verbreitete. Es war fast wie Schule. Da einige Familien, wie auch wir, wenig Geld, keine richtige Ausbildung und keinen Beruf hatten, halfen sie sich gegenseitig, wenn Hilfe gebraucht wurde. Die Frauen drückten ihren Töchtern jede Art von Gemüse in die Hand. So lernen die Kinder früh damit umzugehen und den Geschmack kennenzulernen. Mit knapp vier Jahren lernte ich selbst Zwiebeln schälen und lernte damit einen ganz besonderen Geschmack kennen. Viele andere Geschmäcker kamen Tag für Tag hinzu. Bei Zwiebeln achteten die Frauen darauf, dass sie nicht in den Augen brannten. Ich lernte dieses schnell und konnte in sehr kurzer Zeit gut Zwiebel schälen. So half ich schon von klein auf, Gemüse zu waschen und zu schälen. Ich wurde immer größer und konnte immer besser reden und laufen. Als ich knapp vier Jahre alt war, kam mein Bruder Ali zur Welt. Das änderte mein Leben komplett. Ich musste Kleidungsstücke für meinen Bruder bringen. Mutter gab mir einen Staublappen und zeigte mir, wie ich Staub wischen soll. Ich lernte, wie man einen kleinen Jungen wickelt. Später lehrte meine Mutter mich, wie ich meinen Bruder füttern konnte. Ich kümmerte mich mehr und mehr um meinen Bruder. Meine Eltern nahmen ihn aber mehr in den Arm als mich, obwohl ich so viel für sie und meinen Bruder tat. Da wurde ich eifersüchtig! Ich wartete, dass mein Bruder einschlief, ging zu ihm und biss ihn in den Arm. Er wachte schreiend auf und ich bekam natürlich Riesenärger. Meine Mutter rief daraufhin die Nachbarstochter und übergab mich ihr. Von da an spielte ich mit den größeren Kindern auf der Straße. Die Kinder waren sehr unterschiedlichen Alters. Wir spielten „Blinde Kuh“ und „Häschen in der Grube“.

Hin und wieder schaute ich zu, wie die Jungen Fußball spielten. Es kamen auch viele Verkäufer mit Pferdekarren vorbei und verkauften Obst, Gemüse und manchmal auch Milch und Joghurt. Es kam auch ein Verkäufer mit einem großen Korb. In dem Korb waren kandierte Äpfel und Lollis. Die Lollis sahen aus wie ein Hahn. Wir gingen direkt zu unseren Müttern, holten Geld und kauften Süßigkeiten. Nur leider kam er nicht sehr oft. Ich wuchs mit Jungen und Mädchen auf der Straße auf. Ich fühlte mich sehr wohl und lernte viele Wörter, die ich zu Hause nicht gelernt hatte. Da war noch ein Junge, der Ahmet hieß. Er saß bei schönem Wetter unter einem Baum und las ein Buch, während die anderen Kinder spielten. Hin und wieder schaute er den Kindern beim Spielen zu und teilweise spielte er sogar mit. Ich bewunderte ihn. Ich wollte auch viel lesen und so sein wie er. So ging ich manchmal zu ihm und fragte, was er las und woher er die Bücher hatte. Er erzählte mir von der Bibliothek. Ich fragte ihn, weshalb er so viele Bücher liest und nicht wie die anderen Kinder spielte. Er sagte, er wolle später eine wichtige Person werden, die gegen die Ungerechtigkeit kämpft und bessere Gesetze für die Menschen entwickelt. Um das zu erreichen, wäre es wichtig, viel zu lesen und schon früh damit anzufangen. So lernte ich durch ihn bald noch mehr Wörter kennen und mein Horizont wurde dadurch immer größer. Da meine Mutter nur die Grundschule bis zur dritten Klasse besucht hatte, konnte sie mir wenig Bildung vermitteln. Mein Vater hatte erst in der Armee seinen Abschluss als Krankenpfleger absolviert. Da beide nur eine einfache Bildung hatten, konnten sie mir nicht alle meine Fragen beantworten, die ich auf der Straße von diesem Jungen mitgenommen hatte. Ich konnte auch kaum die Nachbarn fragen, denn unser Viertel bestand nur aus Leuten, die kaum eine Schule besucht hatten. Es gab auch keine gebildete Frau oder Lehrerin, die den Frauen im Viertel Tipps bei der Erziehung gab. Die Männer konnten auch nicht helfen, denn sie waren den ganzen Tag mit Geldverdienen beschäftigt. Da sie dann noch gern abends im Männercafé saßen und ihre Ruhe haben wollten, schoben sie die Erziehung der Kinder den Frauen zu. Jedes Kind war aus diesem Grunde bezüglich Bildung auf sich allein gestellt. Aber wie bekam solch ein Kind eine vernünftige Bildung? Woher bekam es einen stabilen Halt, um ein sinnvolles Leben führen zu können? Wie bekam ich eine gute Bildung?



Hurra, mein Onkel aus Deutschland ist da


An einem sonnigen Tag kam mein Onkel aus Deutschland. In dieser Zeit wurden viele Türken für die Arbeit in Deutschland angeworben. Es gab die sogenannten „Wirtschaftswunderjahre“ in Deutschland. Viele Straßen und Häuser und Fabriken mussten gebaut werden. Mein Onkel sah anders aus als mein Vater. Er hatte blonde Haare und blaue Augen. Mein Vater hatte dunkle Haare und braune Augen. Als mein Onkel bei uns war, sagte er, dass viele ihn für einen Deutschen hielten. Er war ein netter und sehr weltoffener Mensch. Wir freuten uns alle, dass er uns besuchen kam. Er brachte mir eine blonde Puppe mit langen Haaren mit. Als ich sie kippte, fing sie an zu weinen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich war ganz begeistert und ging mit der Puppe nach draußen. Alle Kinder kamen und bewunderten meine Puppe. Ich war sehr stolz darauf, plötzlich im Mittelpunkt zu stehen. Plötzlich kam meine Mutter zu mir und nahm mir die Puppe weg und sagte: „Willst du etwa, dass diese Kinder deine Puppe kaputt machen? Die bekommst du nur unter meiner Aufsicht, wenn du allein bist. Und das auch nur dann, wenn du auch lieb bist. Komm jetzt mit ins Haus, dein Onkel ist bei uns.“ Damals wusste ich nicht, dass diese Puppe die Trennung von Freunden bedeutete und mein Leben stark ändern sollte.
So ging ich dann mit Mutter ins Haus und spielte mit meinem Bruder Ali mit einem braunen Bären, den mein Onkel ihm mitgebracht hatte. Er machte Bärengeräusche. Ali war auch ganz begeistert. Meine Mutter hingegen war ganz hin und weg von der Perlenkette, die sie bekommen hatte. So etwas hatte sie in ihrem Leben nie besessen. Sie hörte meinem Onkel sehr neugierig und erstaunt zu, was er über Deutschland erzählte. Er erzählte, dass er viel Geld bekam, dass es alles in Deutschland gab und dass er sich alles kaufen konnte. Die Ärzte und Krankenhäuser seien in Deutschland auch besser. Er wollte, dass mein Vater auch nach Deutschland auswanderte. Vater meinte: „So ein perfektes Land gibt es auf der Welt nicht. Und außerdem bin ich mit meinem Beruf zufrieden. Ich habe viele freundliche Kollegen. Ich liebe mein Land, und ich bleibe in meinem Land.“ Plötzlich stand Mutter auf: „Ich möchte mir viele schöne Kleider und Kosmetik kaufen können. Ich habe es satt, so einfach zu leben. Ich möchte eine reiche Frau sein. Mit Geld kann jede Tür geöffnet werden. Wir gehen dorthin, und du kündigst deinen Job. Morgen kannst du mit deinem Bruder einen Antrag stellen. Ich sorge dafür, dass dein Bruder eine Frau bekommt, damit er nicht allein in Deutschland lebt. Die Tochter meiner Tante arbeitet bei reichen Leuten. Die wäre was für ihn. Wir gehen zu ihr und du lernst sie kennen.“ So kam es, dass sich Vater durch Mutters Hartnäckigkeit für die Arbeit in Deutschland bewarb. Bevor mein Vater nach Deutschland durfte, musste er eine medizinische Prüfung absolvieren. Die Ärzte wurden vom deutschen Konsulat ausgesucht. Sie untersuchten die Männer und Frauen wie am Fließband von Kopf bis Fuß. Mit einer Impfung wurde das ganze abgeschlossen. Wer gesund befunden wurde, bekam die Einreise nach Deutschland.
Wofür war diese Untersuchung? Oder gab es in dem Land eine ansteckende Krankheit, vor der die Menschen geschützt werden mussten? Oder schleppte Vater eine ansteckende Krankheit mit sich? Ich verstand das Ganze nicht!
Mein Vater bestand den Gesundheitstest und bekam einen gültigen Pass. Vater war in seiner Haut sehr unglücklich und wollte am liebsten in Istanbul bei seinem Lieblingsjob bleiben. Er dachte: „Hoffentlich kann ich wenigstens meinen Krankenpflegerjob in Deutschland ausüben.“ Mutter hingegen wollte nur ein besseres Leben. Mein Vater löste sehr ungern den kompletten Haushalt auf. Er brachte uns mit einigen Möbeln ins Dorf, wo wir eine Zeit bleiben sollten. Die Verwandten von meiner Mutter lebten in dem Dorf. Mein Vater ging zum Hauptbahnhof von Istanbul, wo alle ausreisewilligen Menschen erwartet wurden. Jeder Ausreisende bekam ein große Tüte Proviant, die hauptsächlich aus türkischen Konservendosen bestand. So begann die Fahrt meines Vaters nach Deutschland.



Vaters Lebensumstellung in Deutschland


Als Vater in Deutschland am Bahnhof mit anderen Männern ankam, bekam er einen schönen Empfang. Eine Blaskapelle machte Musik, und es gab eine Willkommensparty. Er wurde nach dem Empfang mit einem kleinen Bus in ein Männerwohnheim gebracht. Auf der Fahrt waren teilweise die Straßen kaputt und die Häuser verfallen. Mein Vater merkte, dass er hier viel zu tun haben würde. Als sie im Wohnheim ankamen, lebten schon einige Landsleute in dem Haus. Sie begrüßten sich. Der Dolmetscher und ein Deutscher zeigten die Räume und wiesen auf viele Vorschriften hin, die eingehalten werden sollten. Manche Vorschriften fand mein Vater sehr komisch und dachte: „Was denken bloß die Deutschen über uns?“
Es durften keine Frauen in Männerwohnheimen übernachten. Die Gemeinschaftsküche und die Zimmer mussten sauber gehalten werden. Es gab Vorschriften, wie der Herd und die Toilette zu benutzen sind. Kleinste Details wurden geregelt. Für manche Mitbewohner im Wohnheim war das passend, denn nicht jeder hatte vorher schon mal einen Elektroherd gesehen.
In vielen Räumen des Wohnheims standen Hochbetten, und in einem Raum standen Stühle und ein Tisch. Es gab eine Gemeinschaftsküche, in der das Nötigste zu finden war. Der Dolmetscher sagte ihnen, dass sie am nächsten Tag abgeholt und zu ihrer Arbeit eingeteilt würden. Dann gingen sie weg. Die Neuankömmlinge saßen am Abend zusammen mit den Bewohnern im Aufenthaltsraum des Wohnheims. Alle stellten sich vor. Jeder kam aus einem anderen Ort in der Türkei. Einige kamen aus dörflichen Regionen, wo die Sprache und Kultur etwas anders war als in den Städten. Damals hatte Atatürk eine moderne Kultur und Sprache für sein Land entwickelt. Um die Modernisierung in den etwas zurückgebliebenen Dörfern der Türkei voranzutreiben, hatte die türkische Regierung 1938 spezielle Dorfinstitute gegründet. Frauen und Männer erlernten dort die neue lateinische Schrift und eine modernisierte vereinfachte türkische Sprache. Sie wurden als Schreiner, Imker, Schmied, Zimmermann, im Gesundheitswesen etc. ausgebildet. In den Schulen erlangten sie literarische Kenntnisse, wie z. B. türkische Dichtung. Ferner wurde mit Hilfe von Theateraufführungen den Schülern eine Mischkultur osmanischer und europäischer Ansätze nähergebracht. Es entstand damals dadurch ein stabiles und starkes Volk. Der Erfolg beeinflusste dadurch andere islamische Länder. Dies rief aber auch Neid und Missgunst hervor. Am Ende wurden die Aktivitäten, dieses System weiteraufzubauen und zu etablieren, quasi zeitgleich mit dem Beitritt der Türkei in die NATO wieder gestoppt. Manche behaupteten, dass die Gründer der NATO diese Änderung und den Erfolg als Bedrohung empfanden und deshalb dieses schon weit entwickelte Bildungssystem vernichten wollten. So wurden Dorfinstitute in der Türkei 1954 ganz abgeschafft. Wer über diese Maßnahme in den Medien berichtet, wurde bedroht, oder sogar wie der Schriftsteller und Journalist Ugur Mumcu, umgebracht. Keiner weiß bis heute, wer ihn umgebracht hat! Durch die Abschaffung dieses Bildungssystems war jetzt für die Männer aus dörflichen Regionen die europäische Kultur sehr fremd. Sie konnten nicht damit umgehen. Es gab auch Leute, die wie Vater aus der Stadt kamen und noch von früher Atatürks moderne Welt kannten. Es war eine bunte und eine etwas komplizierte Truppe. Besonders die Kultur der Regionen Anatoliens war für Vater sehr fremd. Vater fragte sich: „Wie komme ich mit all den sehr unterschiedlichen Menschen im Wohnheim bloß klar?“ Einer der Neuankömmlinge fragte die anderen: „Wie ist das Leben hier? Wie leben die Menschen hier?“ „Weiß ich nicht! Ich arbeite den ganzen Tag sehr lange. Und abends spiele ich mit Landsleuten Poker. Und außerdem habe ich keine Möglichkeit, ihre Sprache zu lernen. Ich habe versucht, mich anzupassen, aber ich fühlte mich unwohl in meiner Haut. Ich habe es zwar versucht, aber manche Dinge fand ich komisch. Es passt nicht zu meiner Kultur, die ich in Anatolien gelernt habe“, sagte einer. „Es wird sich doch eine Möglichkeit ergeben, das Land kennenzulernen?“ „Ja, es gibt sie!“, sagte ein anderer. „Indem man sich eine deutsche Frau angelt, und es von ihr lernt. Da hast du Spaß, gleichzeitig lernst du die Sprache, und sie kann auch gleichzeitig deinen Bürokram regeln. Die meisten sehen aus wie die gebildeten Stadtfrauen aus der Türkei. Der einzige Unterschied ist, dass sie eine andere Sprache sprechen und teilweise anders sind. Sie haben auch etwas andere Sitten“, meinte wiederum ein anderer. Mein Vater meinte: „Ich könnte meine Frau nicht betrügen. Irgendwie kommt es irgendwann heraus. Ihr wisst ja, die Kerze brennt auch nur über einen bestimmten Zeitraum!“ Ein weiterer fragte: „Wie lerne ich denn deutsche Frauen kennen?“ „Du gehst einfach in eine Diskothek oder in eine Kneipe. Du musst wissen, hier haben die Menschen bezüglich Sitten und Gebräuche andere Vorstellungen, als wir sie in unseren Dörfern kennengelernt haben. Und ihre Gesetze sind halt bezüglich Frauen nicht so streng wie in der Türkei. Hier ist alles viel freier. In der Türkei wird Fremdgehen in der Ehe bestraft, und man kommt ins Gefängnis. Hier gibt es so etwas nicht. Oder wenn du in der Türkei ein Mädchen entjungfert, wirst du bestraft, oder du musst sie heiraten. Das gibt es hier auch nicht.“
Viele Männer aus ländlichen Regionen fragten sich: „Wie geht man mit so viel Freiheit um? Wo waren hier die Grenzen? Welche Sitten und Gebräuche gab es hier? Was ist erlaubt und was nicht?“ Es gab für sie niemanden, der ihnen ihre Fragen sinnvoll und logisch beantworten konnte. Ein Mitbewohner im Heim meinte: „Ich war in der Türkei Imam. Ich habe hier in Deutschland die Menschen beobachtet. Das Leben dieser Menschen verläuft nicht gut. Das bringt sehr viele Probleme für die Menschheit mit sich. Gegenüber Gott haben wir Verpflichtungen, und es gibt Regeln, die Allah uns aufgetragen hat. Der Mensch kann nicht nach Lust und Laune leben. Es gibt Grenzen im Leben, wie überall auf der Erde. Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Oder wollt ihr, dass eure Frauen und Töchter von einem Kerl zum anderen hüpfen? Am besten bilden wir eine Gruppe, wir nennen sie „Kaplan Cemaati“. Somit schützen wir gemeinsam unsere Familien vor ihren komischen Sitten und Gebräuchen. Wir verhüllen unsere Frauen. So schützen wir sie vor Unheil. So können wir mit der Zeit auch dafür sorgen, dass in der Türkei alle Frauen verhüllt werden.“ „Aber wie sollen wir das anstellen? In der Türkei hat Atatürk mit vielen Hindernissen und Gesetzen dies unterbunden. Er war der Meinung, dass Frauen und Mädchen nur mit guter Bildung und guter Erziehung geschützt werden können.“ Ein anderer fügte hinzu: „Was Atatürk sagte, ist großer Blödsinn. Wie sollen denn Frauen und Mädchen zwischen gut und schlecht unterscheiden? Frauen sind schwache Geschöpfe! Unser Glaube und der Koran werden uns für alles den Weg weisen. Außerdem müssen wir besonders auf die türkischen Frauen und Mädchen in ihrem Heim aufpassen. Ansonsten kommen sie vom richtigen Weg ab. Wir müssen dafür sorgen, dass sie türkische Männer heiraten. Oder aus der Türkei ihre Männer holen. So schützen wir sie! Ein Junge kann ohne Gefahr draußen schlafen, aber ein Mädchen und eine Frau nicht! Schaut die Väter dieses Volkes und deren Töchter genauer an. Mehr sage ich dazu nicht.“ Ein weiterer fügte hinzu: „Ich finde, wenn wir irgendwelche Probleme haben, sollten wir uns an das türkische Konsulat wenden. Die können uns bestimmt weiterhelfen!“ Mein Vater meinte daraufhin: „Was interessiert mich das alles? Außerdem gibt es unter den Kopftüchern auch Frauen, die keine Engel sind. Ich werde hier einfach arbeiten und viel Geld sparen und danach wieder in die Türkei ziehen.“ So ging er jeden Tag zur Arbeit und lernte das Schweißen. Ihm machte dieser Beruf keinen Spaß. Aber er konnte nichts dagegen tun. Alle Gastarbeiter wurden einfach in irgendwelche Berufe gesteckt. Die Berufe richteten sich nicht nach den Wünschen der Gastarbeiter, sondern ausschließlich nach dem Bedarf der Firmen. Er machte trotzdem seine Arbeit. Am Abend hatte mein Vater oft Langeweile. Er wollte zurück in die Türkei, hatte aber nicht genug Geld. So versuchte er, im Heim durch Pokern schneller zu Geld zu kommen. Leider verlor er immer mehr Geld, sodass er uns irgendwann kein Geld schicken konnte.

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