Ein Bundespräsident irritiert

Ein Bundespräsident irritiert

Van der Bellen, seine Beziehung zu Nietzsche und die Mai-Regierungskrise 2019 in Österreich

Wolfgang Senz


EUR 14,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 148
ISBN: 978-3-99064-953-4
Erscheinungsdatum: 11.01.2021
Die moderne Gesellschaft propagiert ein marktgesellschaftliches Denken und wendet sich zugleich – im Namen der Demokratie – gegen Extremismus der Mitte. Das ist ein Widerspruch, wie aus philosophischer Perspektive verdeutlicht werden soll.
1 Einleitung

In der Tageszeitung Heute vom 28. 03. 2018 ist zu lesen:
„Alexander Van der Bellen ist ein begeisterter Leser. Sein Problem: Durch den Job als Bundespräsident hat er dafür nicht mehr so viel Zeit. Mit dem Journalisten Günter Kaindlstorfer hat er über seine Leidenschaft gesprochen, etwa für Comics (‚Donald Duck begleitet mich, seit ich acht bin‘), darüber, dass er in der Schule nicht wirklich zum Lesen erzogen wurde und dass ‚Also sprach Zarathustra‘ von Friedrich Nietzsche eines seiner ‚Lebensbücher‘ ist.“
Interessant ist diese kleine Notiz aufgrund des letzten Satzes: Zu den Lebensbüchern Van der Bellens gehört Nietzsches Also sprach Zarathustra. „Interessant“ ist dieser Satz konkret im Sinne von irritierend. Den Grund hierfür signalisiert z. B. der Titel eines Buches des Philosophen Lukács: Von Nietzsche zu Hitler. Wer mit Philosophie hinreichend vertraut ist, der mag die Meinung vertreten: Nun gut, aber Lukács ist ein marxistischer Philosoph …! Schön (oder auch nicht schön). Was hat es dann aber mit folgender Aussage des Philosophen Russell – kein marxistischer Philosoph! – auf sich: „Die romantische Auflehnung verläuft von Byron über Schopenhauer und Nietzsche bis zu Mussolini und Hitler […].“ (S. 727) – Muss es angesichts derartiger Stellungnahmen nicht irritieren, wenn der Bundespräsident Österreichs ein Buch Nietzsches als eines seiner Lebensbücher ausweist?
Freilich: Lukács und Russell sind keine unfehlbaren Autoritäten. Und tatsächlich gibt es eine bis in die Gegenwart anhaltende Tradition des zärtlichen Umgangs mit Nietzsche. Hierzu zunächst ein Zitat aus Heideggers Buch Was heißt Denken?:
„Wenn wir auch nur im Ungefähren diesen Grundzug seines Denkens beachten, muß das bisherige Bild von Nietzsche, das bereits in das gängige Meinen eingedrungen ist, in sich zusammenfallen.“ (S. 51)
Also das Bild, das auch Lukács und Russell vermitteln! Wer mit Heideggers eigener Philosophie halbwegs bekannt ist, wird wahrscheinlich sogleich anmerken: „Was Heidegger hier geschrieben hat, das überrascht nicht, ist doch sein Denken jenem Nietzsches verwandt!“ Das ist zweifellos richtig. Wie aber steht es hiermit: V. Gerhardt hat der im Reclam-Verlag erschienenen Ausgabe von Nietzsches Jenseits von Gut und Böse ein Nachwort beigesteuert, das mit folgenden Sätzen endet:
„Deshalb bleibt auch der Kenner darauf angewiesen, der sich immer wieder verzweigenden Spur der Texte [Nietzsches] zu folgen. Es dürfte dies auch der beste Weg sein zu einem Liebhaber Nietzsches zu werden. Wer ihn aber kennt und schätzt, der wird gewiß kein Jünger Nietzsches sein wollen.“ (S. 238)
Was auch immer das heißen soll, den Unterschied zwischen Liebhaber und Jünger bekommt man nicht erklärt, es erhebt sich die Frage: Was hat Nietzsche zu bieten, das ihn trotz der Möglichkeit, ihn dem Vorfeld faschistischen Denkens zuordnen zu müssen, auch noch in der Gegenwart zumindest begrenzt attraktiv sein lässt?
Im Rahmen der Beantwortung dieser Frage wird sich zeigen: Nietzsches Denken und das die Gegenwart bestimmende marktgesellschaftliche Denken verfügen über eine gemeinsame Basis. Nietzsche steht in der zu Mussolini und Hitler führenden Tradition: Aber diese Tradition ist mit dem marktgesellschaftlichen Denken verknüpft; hier liegt eine Einheit vor, innerhalb derer gegeneinander abgrenzbarere Positionen auftreten. Daher ist es – das wird in den folgenden Abschnitten zu verdeutlichen sein – problematisch, sich explizit gegen faschistisches Denken auszusprechen, ohne zugleich dessen Verwurzelung in besagter Einheit zu thematisieren.
Folgende Ausführung soll verdeutlichen, was unter besagter Einheit in Hinsicht auf ihre politische Repräsentation zu verstehen ist: Die vergangene Bundespräsidentenwahl in Österreich ist nicht zuletzt davon geprägt gewesen, einen Rechtsruck in Österreich zu vermeiden. Das hat insbesondere für die Stichwahl gegolten, wobei der Kandidat Van der Bellen als Garant für die Vermeidung dieses Rechtsrucks aufgebaut worden ist. Im ersten Urnengang ist zudem eine Kandidatin – Griss – zur Wahl gestanden, die sich als nichts weniger als ein Garant hierfür erwiesen hat. Der Grund hierfür ist ihre Aussage (in einem Interview mit der Zeitschrift Falter), wonach die Nazis anfänglich nicht nur ein „böses“ Gesicht gezeigt haben. So konnten sie die Menschen verführen. Es ist schwer vorstellbar, wie man, verfügt man über keinerlei Affinität zu rechtslastigem Denken, Derartiges behaupten kann. Die Österreichausgabe von Die Zeit (Nr. 18; 21. 04. 2016) greift diese Thematik auf, wobei der entsprechende Artikel mit folgendem Satz endet:
„Und dann hätte die Juristin, die ihren eigenen Richterstand ohnehin für eine weltliche Priesterklasse hält, ein ziemlich dickes Nazi-Problem.“
Die Pointe besteht darin, dass Griss im Zusammenhang mit der auf die Bundespräsidentenwahl folgenden Nationalratswahl als Abgeordnete zum Nationalrat Aufnahme in der Partei Neos gefunden hat, einer Partei, die sich als liberale Wirtschaftspartei versteht!

***

Zum Aufbau des Buches. Im Zentrum des vorliegenden Buches steht die Frage, ob und inwieweit marktgesellschaftliches Denken und faschistisches Denken eine Einheit bilden, dahingehend, dass die Gefahr für eine Gesellschaft nicht erst mit der Etablierung faschistischen Denkens eintritt, sondern bereits mit der Etablierung marktgesellschaftlichen Denkens. Dieser Umstand wird in den modernen Gesellschaften nicht weniger als hinreichend beachtet. Als ein mögliches Signal in Richtung zu geringem Problembewusstsein soll das Verhalten des Bundespräsidenten Österreichs Van der Bellen diskutiert werden. Am Anfang hiervon steht dessen Aussage zu einem seiner Lebensbücher, ebenjenes Buches Nietzsches.
Nachdem zunächst beleuchtet wird, was überhaupt ein „Lebensbuch“ ist und wie es um die „Oberflächlichkeit“ des Denkens in modernen Gesellschaften bestellt ist, soll aus der Betrachtung Nietzsches heraus die Einheit aus marktgesellschaftlichem und faschistischem Denken porträtiert werden. Was dieserart erarbeitet wird, das muss aber erst auf ein tragfähiges Fundament gestellt werden. Dieses Fundament wird in der Philosophie gefunden werden und zugleich erlauben, jenes festhalten zu können, das der Einheit aus marktgesellschaftlichem und faschistischem Denken entgegenzuhalten ist: als nicht reduktionistisch verzerrende Thematisierung von Mensch und Gesellschaft. Aufbauend hierauf wird zu zeigen sein, was es konkret mit der Verharmlosung besagter Einheit auf sich hat, das Heraustreten aus selbiger erschwerend.
Der letzte Schritt führt zu Van der Bellen zurück: Die Art und Weise seines Umganges mit der Mai-Regierungskrise 2019 in Österreich signalisiert erneut ein den gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht vollumfänglich gerecht werdendes Problembewusstsein gegenüber besagter Einheit. Dieser Umgang irritiert, insbesondere im Zusammenhang mit der Aussage zu Nietzsches Also sprach Zarathustra. Mehr irritiert aber, so wird sich zeigen, dass Van der Bellens Position charakteristisch für die politische Kultur (nicht nur) in Österreich ist.



2 Was ist ein Lebensbuch?

Was ist eigentlich ein Lebensbuch? Doch wohl ein Buch, zu dem man irgendwie eine Nahebeziehung aufgebaut und kultiviert hat. Das mag einen sentimentalen Grund haben; z. B. den, dass einem das Buch von einem geliebten Menschen geschenkt worden ist. Vielleicht ist man seit seiner Jugend in dem Besitz des Buches und es erinnert an einen geliebten verstorbenen Menschen. Wie auch immer. Keinesfalls wird man ein Buch als Lebensbuch bezeichnen, zu dessen Inhalt man keine Affinität hat aufbauen können bzw. dessen Inhalt man ablehnt; mag der Besitz des Buches auch noch so emotional beladen sein. Hat man diese Affinität nicht aufbauen können oder sogar eine Distanz zu dem Inhalt aufgebaut, so wird man das Buch vielleicht aus sentimentalen Gründen in der eigenen Bibliothek aufbewahren, aber weiters keine Notiz von ihm nehmen und auch nicht von ihm sprechen.
In der eingangs zitierten Zeitungsnotiz, eines der Lebensbücher Van der Bellens betreffend, ist von dieser Distanz nichts zu erkennen: Also sprach Zarathustra als Lebensbuch ist rein positiv konnotiert. Dass diese Zeitungsnotiz ausgesprochen kurz ist, ist hierbei vollständig belanglos: Die Verfasserin/der Verfasser der Notiz wäre zweifellos fähig gewesen, eine geäußerte kritische Distanz zu Also sprach Zarathustra festzuhalten.



3 Die Unkultur der „Oberflächlichkeit“

Die Einleitung hat bereits signalisiert, wieso im Zusammenhang mit Van der Bellens Nahebeziehung („Lebensbuch“) zu Nietzsches Also sprach Zarathustra von Irritation zu sprechen ist. Insbesondere Gerhardts – ebenfalls bereits zitiert – unerklärt bleibende Differenzierung „Liebhaber: Ja und Jünger: Nein“ signalisiert eine beachtenswerte Oberflächlichkeit in der Argumentation, die nur so verstanden werden kann, dass ein Inhalt transportiert werden soll, dessen Erklärung vermieden werden soll. Diese Oberflächlichkeit – der freilich die tiefschürfende Aufforderung zur Seite gestellt ist, „der sich immer wieder verzweigenden Spur der Texte [Nietzsches] zu folgen“ – mündet in besagte „Zärtlichkeit“ gegenüber Nietzsche. Diese Zärtlichkeit impliziert Affinität, wiewohl eine solche, die in letzter Konsequenz anscheinend wieder zurückgenommen wird: „kein Jünger“. An und für sich bleibt die Affinität aber aufrecht. Dieses Jonglieren mit der Affinität wird durch die Oberflächlichkeit im Umgang mit dem Thema selbst gerade nicht zum Thema, sie wird maskiert.
Wird man hierauf aufmerksam, so drängt sich einem die Vermutung auf, dass hier nicht zufällig Oberflächlichkeit vorliegt, sondern Oberflächlichkeit aus Kalkül. Die „Oberflächlichkeit“ – so zunächst die Vermutung – dient der Protegierung eines Denkens, das nicht explizit seinem eigentlichen Gehalt nach dargestellt und vertreten werden soll.
Zunächst soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden, dass diese „oberflächliche“ Vorgehensweise in unserer Gesellschaft verbreitet anzutreffen ist; die folgende Liste ließe sich beliebig verlängern.
Das erste Beispiel ist der Zeitung Heute (17. 05. 2018) entnommen:
„Da werden Fans knurren: Ausgerechnet Tobias Moretti – einst TV-Herrl von ‚Kommissar Rex‘ – rät in einem Clip für die Landwirtschaftskammer: ‚Vergesst’s bei Kuh-Attacken den Hund. Der überlebt schon irgendwie. Und wenn nicht, hat er Pech gehabt …‘“
Dem „Schöpfer“ dieser Aussage und dem genannten Schauspieler, der sie aufgesagt hat, wohl ohne hierzu gezwungen worden zu sein, ist offenbar entfallen, dass Hunde zumindest dem Tierhaltegesetz nach „Mitgeschöpfe“ sind, deren Tod auf abgeschmackte Weise bagatellisiert wird. Die Oberflächlichkeit – aber auch die Niveaulosigkeit – besagter Aussage bedarf keiner eigenen Darlegung; auch wenn dies offenbar nicht allen Menschen verständlich sein wird.
Das zweite Beispiel ist der Tageszeitung Kurier (27. 05. 2018) entnommen:
Faber (Dompfarrer zu St. Stephan; Wien): „Lieber Michael [Häupl], viel haben wir in den 24 Jahren deiner Zeit als Bürgermeister [Wiens] gelacht! […] Legendär dein Sager: ‚Wenn der liebe Gott g’wollt hätte, dass i vegan iss, dann hätt’ er an Hasen aus mir g’macht.‘“
Auch einem Dompfarrer, so möchte man erwarten, sollte bekannt sein, dass die vegane (und vegetarische) Lebensweise ein ernst zu nehmendes Thema ist. Dompfarrer Faber bemerkt an dem für sich bereits an Oberflächlichkeit nichts zu wünschen übrig lassenden „Sager“ eines Ex-Politikers nur dessen Unterhaltungspotenzial!
Das folgende Beispiel ist wiederum der Zeitung Kurier (20. 05. 2018) entnommen, konkret einem Interview mit Wirtschaftskammerpräsident Mahrer:
„Kurier: Immer öfter gehen Unternehmer an die Öffentlichkeit, um Flüchtlinge, die ihre Lehre erfolgreich absolviert haben, vor der Abschiebung zu retten. Werden Sie sich als neuer Wirtschaftskammerpräsident dafür einsetzen, dass gut integrierte Flüchtlinge über die Rot-Weiß-Rot-Karte bleiben können? – Mahrer: Als Unternehmensvertreter ist der Maßstab die Rechtsstaatlichkeit. Darauf muss ich mich als Unternehmer verlassen können. Das heißt in diesem Fall: Wenn es einen negativen Bescheid gibt, dann gibt es einen negativen Bescheid. Das mag [sic] im Einzelfall sehr bitter sein, aber es gibt offenbar keinen Asylgrund. Um solche Situationen zu vermeiden, müssen die Verfahren verkürzt werden. Wenn jemand seine gesamte Ausbildung in Österreich macht, gut integriert ist und dann bekommt er einen negativen Asylbescheid, verstehe ich den Unmut. Aber man muss beide Seiten sehen. Ich verstehe auch jene, die sagen, man kann nicht die Rechtsstaatlichkeit mit einer Sonderausnahme umgehen. Dann müsste ich eine andere gesetzliche Grundlage schaffen.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Wer hindert daran, diese „andere gesetzliche Grundlage“ zu initiieren? Wofür Mahrer „Rechtssicherheit“ einfordert, das ist nicht als ewige Wahrheit „vom Himmel gefallen“; das ist von Menschen gemacht worden. Wieso Rechtssicherheit für etwas, das „Unmut“ erregt? Wieso eine Rechtssicherheit, die mit Menschen umgeht, als wären sie irgendwelche Dinge? Mahrer blendet all diese Fragen aus, versteckt sich hinter der Gesetzeslage – auf höchst oberflächliche Art und Weise. – Mehr noch: Mahrer ist nicht einmal fähig zu sagen, dass die Abschiebung „bitter“ ist; nein: Es mag so sein!
Es wird darzulegen sein, dass die Oberflächlichkeit, die in den angeführten Beispielen zum Ausdruck kommt, nicht bloß ärgerlich ist, sondern integraler Bestandteil eines Kalküls, dessen Nutznießer noch zu benennen sein werden.



4 Nietzsches Also sprach Zarathustra – Nietzsches Denken

Das anstehende Kapitel soll Nietzsches Also sprach Zarathustra (zitiert als Zarathustra) seiner Gesinnung und dem Inhalt nach näherbringen. Zudem werden Inhalte aus Nietzsches Buch Jenseits von Gut und Böse (zitiert als Jenseits) angeführt, das unmittelbar nach Zarathustra entstanden ist. In diesem Buch verbirgt sich Nietzsche nicht mehr hinter der Maske eines persischen Gelehrten, sodass sein Denken unvermittelt zum Ausdruck kommt. – Vorausgeschickt sei, dass in diesem Abschnitt ungewöhnlich umfangreich zitiert wird; der Grund hierfür ist: Nietzsches Ausführungen sind derart beklemmend, dass – ist man mit ihnen nicht bekannt – ein sinngemäßes Anführen leicht als sinnentstellendes Anführen aufgenommen werden könnte („Das kann so nicht dastehen!“ mag – sollte – man sich sagen).
Worum es im Zarathustra geht, das macht Nietzsche zu Beginn seines Buches wie folgt deutlich:
„Ich [Zarathustra] lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll.| […] Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: Der Übermensch sei der Sinn der Erde!“ (S. 7)
„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde. | Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben. | Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist.“ (S. 8)
Der Inhalt von Zarathustra ist also: Der Mensch soll überwunden werden; an sich ist er „nicht liebenswert“ bzw. ist er nur insofern liebenswert, als seinem Untergang der Übermensch erwächst: der „Sinn der Erde“!
Dieser Inhalt mag nun doch überraschen, vor allem in Hinsicht darauf, von wessen Persönlichkeit Zarathustra eines der Lebensbücher ist. Gerade aus diesem Grund wird man sich voreiliger Urteile enthalten: Der Mensch ist zweifellos kein „Engel“ und vielleicht zielt Nietzsche ja hierauf ab. Lassen wir uns also darauf ein und blicken wir genauer auf die Argumentation in Nietzsches Werk.
In einer Hinsicht, sogar einer wesentlichen Hinsicht, wird man, durchsucht man das Buch nach Spuren danach, ein Fiasko erleben, nämlich bei der Suche nach Begründungen, die Nietzsche seinen Argumenten zugrunde legt. Hiermit gibt sich Nietzsche erst gar nicht ab, was er seinen Zarathustra wie folgt zum Ausdruck bringen lässt:
„Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. | Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte. | Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtnis, wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte?“ (S. 83)
Nietzsche ist also kein „Fass“: Er ist es in keinem seiner Werke. In Jenseits bietet er zumindest das Parsimonie-Prinzip auf, jenes Prinzip also, dem gemäß eine Begründung so sparsam wie möglich sein soll, da, was hierüber hinausgeht, die Begründung unterwandert, der Phantasie und der Einbringung vorausentschieden akzeptierter Ansichten Tür und Tor öffnend. Hierfür folgendes Beispiel aus Jenseits:
„Die Physiologen sollten sich besinnen, den Selbsterhaltungstrieb als kardinalen Trieb eines organischen Wesens anzusetzen. Vor Allem will etwas Lebendiges seine Kraft auslassen – Leben selbst ist Wille zur Macht –: Die Selbsterhaltung ist nur eine der indirekten und häufigsten Folgen davon. – Kurz, hier wie überall, Vorsicht vor überflüssigen teleologischen Principien! – wie ein solches der Selbsterhaltungstrieb ist (man denkt ihn in der Inconsequenz Spinozas –). So nämlich gebietet es die Methode, die wesentlich Principien-Sparsamkeit sein muss.“ (S. 19)

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