Im Licht des Lebens – Erinnerungen

Im Licht des Lebens – Erinnerungen

Xam Retchir


EUR 26,90
EUR 21,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 342
ISBN: 978-3-99130-122-6
Erscheinungsdatum: 29.09.2022
Xam Retchir – eine deutsch-deutsche Biographie. Aufgewachsen in Brandenburg erlebt er sowohl das Ende der NS-Zeit als auch die DDR mit. Dort zum Maurerausbilder hochgearbeitet, versucht er nach der Wende im Einheitsdeutschland Fuß zu fassen.
Vor dem Lichte

Irgendwann nimmt alles seinen Anfang. In meinem Fall stellt sich die Frage: Wann war der Anbeginn? Es war dunkel nichts als Dunkelheit. Kein bisschen Licht, kein Funkeln, kein Schimmern, das Schwarze dominierte. In der Weite und Tiefe des Universums gibt es viele Dinge, von denen unsere Schulweisheit uns nur träumen lässt. Doch von einer wahrhaften Träumerei konnte überhaupt keine Rede sein. Umgeben von einer mannigfachen Vielfalt, in welcher das Existenzielle jedes auf seine Art und Weise integriert. Aber wenn ich mich selbst hinterfrage, was war ich, wie war ich und in welchem Zustand befand sich das materielle stoffliche! Blicken wir in die Tiefe unserer tatsächlichen Existenz hinein, so wird die Vorstellung sehr vage. Auf jeden Fall blicke ich in eine dunkle Zeit zurück, welche mich aber doch im Lichte erscheinen lässt. In der Vorstellung dominiert natürlich das Lichtlose. Wenn ich aber davon ausgehe, dass aus nichts auch nichts werden kann, war wohl doch Licht im Spiele. Es kann davon ausgegangen werden, dass zu meiner Schnürung der Sonne Strahl erquickte. In der Tiefe des ganzen Daseins trudelten meine ungeordneten Bestandteile daher. Es war erforderlich, einen Ordner anzulegen, in welchem ich mich sammeln konnte. Die Struktur war völlig unübersichtlich. Ausgehend von der Vorstellung, dass ich, in welcher Form auch immer, schon ewig existierte, lässt mich im neuen Lichte erscheinen. Von Dunklem umgeben kam ich dem Hellem immer näher. Die Orientierung war stetig eine Gratwanderung. Meine Urelemente trieben, drifteten, schwammen und wurden miteinander verkettet. Inwieweit ein Blinzeln, ein Leuchten oder das Strahlen vakanter Objekte die nötigen Impulse meinem Werden auch verhalfen, möchte ich bejahen. Entscheidend zu meiner Förderung waren mit Sicherheit solche Einflussgrößen wie Wärme und Kälte. In vielerlei Hinsicht möchte ich eine angenehme Frische, aber einer gediegener molligen Wärme gab ich allzeit den Vorzug. Eine ganze Portion von Bedingungen waren die Voraussetzung, um überhaupt den Weitblick der Zukunft zu sehen. Hauptprobleme bestanden in einem fort von gerechten Hilfen dergestalt, dass es so wenig Wegweiser für die Richtung gab. Das Schwabbeln von hier nach da, der Sog von oben nach unten, nach links nach rechts, ja, nach allen Richtungen war nicht zweckdienlich, sinnvoll oder günstig in Enthusiasmus zu verfallen. Kein Pate stand zur Seite, oder doch? Alles im Alleingang? Zum Beispiel die Kräfte der Anziehung der Gegner, die Widersacher waren sicher im Spiele und sollten schon kräftig mitgemischt haben. Fleiß und Ausdauer, das Gute und Schöne, aber auch Hingabe und Mut waren mit Sicherheit bestimmende Größen. Der richtige Zeitpunkt, Umfeld und Gespür von Vertrautheit und nicht zu vergessen viel Gefühl. Nah damit konnte ich zumindest noch sehr wenig bewerkstelligen. Meine totale Verantwortung lag im Grunde noch mehr in der Tiefe. Ich musste mich um eine ordentliche Profilierung bemühen, sozusagen auf ein gutes Image ausrichten. In gewisser Weise war es ein Kampf in eingeengtem Platze. Der Spielraum war eng bemessen, aber Raum genug. Für die Ewigkeit dennoch nicht geeignet. Kampfgesellen ließen sich an meiner Seite nieder. Ohne Streit lümmelte jeder so vor sich her. Der Wettbewerb war noch nicht entbrannt. Jeder dümpelte nach seiner Fasson und Eigenheit herum. Es gab nur wenig Hinweise, Orientierungshilfen, Anhaltspunkte, Fortschritte und Tipps eben dem Dunklen zu entkommen. Wann hatte man das Gefühl für die Wegbereitung? Manchmal war es wie ein Streicheln, den Druck im Kessel verspürten alle Eingeschlossenen. Wenn so ein wuschig eingebendes Prickeln gegeben war, dann war stets Eile im Verzug. Die Schöpfung bedachte, dass die Voraussetzung für mein Werden zu einer gestalteten, reifen Sache geworden. Wir waren da nicht einige, wir waren immens viele und von unterschiedlicher Konstitution, aber immer noch in gewisser Weise einträchtig miteinander. Einige derbe Stöße waren nicht ohne und im daher schwirren sollten zum Funktionieren und in allen Aktionen Kollisionen ausgeschlossen werden. Alle hatten an unterschiedlichen Manövern Erfahrungen sammeln können. Für den Ausflug wollte ich nicht an letzter Stelle im Aufgebot stehen. Es galt beherzt, forsch, unbeirrt, zielbewusst zu entfliehen im wahren Lichte sich quantitativ neu zu ordnen. Der entscheidende Impuls ließ noch auf sich warten. Im Grunde hatte keiner von uns Gesellen unbedingte Gedanken zur Flucht, denn wir hatten nie Not und verdrießlichen Kummer. Immer ein warmes, gemütliches und molliges Wohlbehagen. Wir waren viele und ähnelten einander. Alle hatten den gleichen Formenaufbau. Eine Ausbildung wurde uns zuteil, die dem Kampfsport entlehnt war und somit galt es, wenn es an der Zeit ist, die Bewährung als Kampfschwimmer zu bestehen. Immer öfter wurden wir in Aufregung gebracht. Der Sturm auf das Ungewisse, das wahrhaft Neuem war nur eine Frage des Glückes im Felde der Liebe. Es woben des Kornes bewegte Felder. Es war Maien-Tag, überall die Pracht von Grün und ein Blumenmeer ergoss sich im Überschwang. Im Umfeld ein Flattern, Zirpen, Zwitschern, Brummen und Summen erfüllten die Lüfte. Des Frühlings warmer Tag vom Stern des Lichtes in gleißender Fülle umhüllt, tobten in erquickender Weise die Gefühle von Sehnsucht und Glück. Wie im Garten Eden waren die sich schon innig Vertrauten im herrlichen Umfeld der reinen Natur sich selbst überlassen. Kein Störendes vertrieb sie aus diesem paradiesischen Anwesen. Immer näher sich kommend und jede Berührung und jedes Betasten verzückt und beglückt die Liebenden. Ringsum alles hinter sich lassend, keinen Sinn mehr für den Frühling holden den Tag, nur noch in die Tiefe der Glückseligkeit versunken bricht Amor das Siegel. Versunken im Gesamtspiel wird nur noch von einer puren glückhaften Befriedigung begleitet und ebbt in den Nebel der Verzücktheit.

Alle Gesellen verspürten einen großen Moment. Ein Rütteln und Schütteln holte uns in höchster Wachsamkeit, alle Glocken läuteten, alles war in Aufregung versetzt, der Befreiung ging der Sturm voraus. Wir wiegten uns nicht mehr in Sicherheit. Noch in der gesicherten und objektiven Einhüllung waren wir verwahrt. Im befindlichen Medium stets um zwei Grad kühler gehüllt als im um-und anliegenden Umfeld. Diese Notwendigkeit war Voraussetzung, damit unsere Existenz nicht verloren ging. Im Hergang der Romanze verstärkten sich die Druckverhältnisse potenziell. Der Augenblick, aus der Vorratshaltung entbunden zu werden und dem Lichte näher zu kommen, drängelte alle Mitbewerber. Alle waren entschlossen, jeder war in Bereitschaft, um ein Ankommen zu verpassen, auszuschließen. Es fehlte noch das letztendliche Signal. Der Startschuss zur Erlösung stand unmittelbar bevor. Jetzt musste die Befreiung in jedem Augenblick passieren.
So, als wenn man an der Kante über dem hochaufragenden Felsen zur Selbstopferung zum Sturz in die Tiefe haltlos fällt und keine Gegenwehr spürt, in einer solchen Situation wie explosionsartig im Hin- und Wegströmen eine neue Dimension. Das Rennen um den besten Erfolg war entbrannt. Jetzt gab es kein Halten mehr. Dramatisch war der Kampf um die Spitze. Wer hier im Schwimmkampf versagte, war verloren. Die Problematik bestand darin, weiterhin im Dunkeln auszuharren und nach dem Licht der Zukunft zu streben. Ich war vorne und ließ nicht nach, das Tempo zu erhöhen. Die Einfälle der Konkurrenten waren nicht ohne. Die Blockaden funktionierten noch ausgezeichnet. Nachstoßender Druck war vorteilhaft und mit neuem Schwung dem Ziel entgegenzueilen. Noch gab es keine Gewissheit, worin das Neue den Vorteil beflügelt. Man musste höllisch aufpassen im stetigen Kampf mit den Artgenossen. Doch plötzlich gab es Ohnmacht und Aufruhr, die Fahrt in die neue Tiefe wurde gebremst, fast rückläufig war die Fortbewegung. Später erfuhr ich des Übels Umstand, aber ich konnte mich äußerst in Front bringen. Mit dem letzten Schuss brachte mich die Treibladung im Fluss der Zukunft entgegen. Ich bemerkte hinter mir desolate Erschlaffung, Kraftlosigkeit und ein Ermüden, in dessen ich so lange heimatlich gebunden war. Was war meine Rettung? Mein neuer Aufenthaltswechsel war darauf pikant ausgerichtet. Der Wechsel des Mediums war das entscheidende Kriterium, quantitativ wie auch qualitativ unübertrefflich. Zwei Grad wärmer war es hier, die Batterie konnte ich füllen. Ja, Egoist musste man ohnehin sein. Nur der Beste, Kräftigste würde den Sieg erringen und zur Pforte der Empfängnis den Durchbruch schaffen, zum letztendlichen Ziel ankommen. Ich war auf gutem Wege. Noch eines war sehr wichtig, der mir zugeordnete Duftsensor war ein probates Mittel, die Tür zum Einlass zu orten. Bei der weiterhin herrschenden Dunkelheit war diese potenzielle Hilfe von eminenter Bedeutung. Nur so konnte ich das Andocken finden und mit neuer Hoffnung dem Lichte entgegenstreben. Im Kampf mit den Mitbewerbern konnte ich ein Quäntchen Vorsprung erarbeiten.
In letzter Anstrengung verstärkte ich das Kraulen und belagerte die Lichtung der Hoffnung. Ein Scheitern hier bedeutete gleich eine Hinrichtung. Ohne Ruh und Rast drang ich schlüpfrig ein. Ohne Gegenwehr wart ich aufgenommen, nach der Ejakulation verschmolzen, vereint, geeint zu Neuem programmiert. Die Verwandlung meiner neuen Zukunft wurde rasant und ohne Widerspruch prompt augenblicklich entschieden. Der Zuschlag war, ich blieb ich. Das war hier eine ganz andere Verpackung, ja, nobel, exklusiv und mit großzügiger Zuwendung veränderte ich mich in nie da gewesener Art und Weise. Die Versorgung wurde ohne Unterbrechung in bester Qualität organisiert. So ist es, wenn der Mut mit Entschlossenheit geführt wird. Das Turteln der Partner war die Voraussetzung, von der Einzelhaft in die Zelle der Partnerin zu schlüpfen und mit der Vereinigung etwas ganz Neues zu werden.

Schon nach wenigen Tagen und Wochen war ich völlig neu konstruiert. Noch war ich ganz gelassen, ruhig und in bequemer Lagerung. Wie ein Paar waren wir ein einziges. Doch bald darauf teilten wir uns, aber nicht jeder für sich, sondern immer weiter zu Größerem, Vielfältigem, zu etwas ganz Neuem. Anfangs war der Wuchs noch verhalten. Ich hatte keine Ahnung, aber der Aufbau ging rasant voran. Ich wurde wie aus einem Nichts gefügt, gestrickt, geformt, verbunden in wundervoller Weise zauberhaft im steten Wuchs und Wandel neu erschaffen. Eine Konstruktion von Gliedern, Fließen und Kanälen, Stützen und Bögen, Schläuchen und Röhren, Puffern, Stoßdämpfern und Polstern, einem tollen Motor und moderner Schaltzentrale wie ein Puzzle gefügt. Genau nach vorgegebenem Plan erfolgte die systematische Schaffung meines Egos. Alles war von Anfang an dem Ziel untergeordnet. Niemals kam ich in Not. Für meinen Aufbau wurden alle erforderlichen Zutaten peinlichst bereitgestellt. Hier, in einem so komfortablen Asyl war alles wunderbar geregelt. Schon nach etwa sieben Monaten hatte ich gewissermaßen die Selbstständigkeit in mir aufgebaut. Oder anders gesagt, der Rohbau war mehr als fertig. Feinschliff von Ecken, Rundungen, ja quasi die TÜV Prüfung nahm bisher Zeit in Anspruch. Der gesunde Ehrgeiz mahnte mich noch auszuharren. Vor allem war zu erreichen, dass das Seelenzentrum nicht zu kurz kam. Ich beugte mich der Vernunft weiterhin auszuharren als eine vernünftige gute Entscheidung. Manchmal war es mir so, als wenn es flackerte. Die Bettung, die Erschaffung war quasi Sonderausstattung. In allen Lagen war es möglich, sich zu recken, zu strecken, zu drücken und zu pochen, sich zu dehnen wie in einem Sportsalon jeder Kräftigung nachzuhelfen. Ich spürte auch von außen her ein Tönen, Streicheln, Klatschen in der Umhüllung. Auch Horchposten legten ihr Ohr an und jetzt war ich bemüht, mit gezielten Fußtritten die Neugier freudig zu zelebrieren. Das Verweilen in meinem Schutzbunker war zwar ein langes, dunkles, aber auch unübertroffenes Aufenthaltsmedium. Das Wackeln, Schaukeln und das Hin und Her waren pures Vergnügen. Dieser Vorteil wurde stetig abgebaut. Die Lagerung wurde immer prekärer. Zu diesem Zeitpunkt war die Beköstigung intakt, gewollter maßen lief alles dosiert, oder hatte ich hier noch Zusatzrationen? Irgendwie muss meiner Ansicht nach hier ein Zeitfenster gegeben haben, um später den Essegoismus im Nachlass eine gewisse Berechtigung zu entsprechen. Alles war noch sehr vernebelt. Auch ein Blinzeln verhalf mir nicht vom umnebeltem einen helleren Umriss zu erhaschen. Dieses von Anbeginn erstrebte Ziel in die Helligkeit einzuhandeln, harrte noch auf mir. Aber der Drang, aus der gegebenen und wundervollen Einhüllung zu entfliehen, wurde stetig entschlossener. Einer wundersamen Revue gleich präsentierten sich der Mutter Freude in ihrem Innern und äußerlich im erhabenen gewachsenem Glück. Als Flatterheini vom Gel umspült, aus der sicheren Verschanzung mit Hochdruck im neuen Röhrenmuster platziert, einen guten Rang belegen und im Kraulstiel das An- und Eindockziel zur innigen Vereinigung mit dem Lieben von Ei war ein fantastischer Akt vom Heimkommen. Dann diese gegenseitige Befruchtung zum Eigenständigen entwickelt. Eine solche kolossale Verwandlung zu einem bewegenden Triumph gebührt der Schöpfung höchste Ehrung. Zwei von sich aus gegensätzliche Dinglichkeiten müssen naturgemäß mit sich vereinigt werden. Ja, ins Leben gewebt zu werden und in Helligkeit den Glanz zu entfalten. Dem ewigen Dunkel entfliehen und im Stern des Lichtes aufgehen, war jetzt mein unbedingtes Streben. In guter Hoffnung wähnend war ich lang genug behütet und verhüllt. Mein Sponsor, in dem ich mein Verweilen noch fristen musste, wollte ich Unterhaltungspflichten nicht länger in Haftung lassen wollen. Das Vorhaltungspotenzial ging zur Neige. Die Zeit des totalen Schutzes, der Obhut, Behütung und Geborgenheit war abgelaufen. Das Nebelhafte, das Sein im Trüben hatte die Endlichkeit genommen. Nur noch Licht verhalf zu neuem Quell.



Die Ankunft

Etwas versetzte mich in helle Aufregung. Ein allseitiger Druck war zu verspüren. Der gewöhnliche Tagesablauf schien gestört. Mit der Ruhe war es vorbei. Hier noch eine ruhige Kugel zu schieben, sollte endgültig der Vergangenheit zugeordnet sein. Einträchtig, ohne Wenn und Aber waren meine Reifung sowie Schutz und Werden im Quartier gegen null gelaufen. Der Schutzbefohlenen die höchste Ehre für Sorgfaltspflicht, welche in hervorragender Art und Weise mir angedeihen ließ. Den Status des embryonalen erreicht war das Vorausschauen hinsichtlich meinerseits, dass das Versorgungssystem den weiteren Anforderungen nicht mehr folgen konnte. Aber die entscheidende Bedingung für einen den weiteren Aufenthalt in solcher komfortablen Herberge war die Begrenztheit des Raumes oder besser gesagt mein erreichtes Volumen. Mit der Gemütlichkeit war es endgültig vorüber. Noch hatte alles einen gewissen Automatismus. Aber wie gesagt, es herrschte keine Normalität mehr. Nun wollte ich auch vorteilsweise den schon gezeigten Strapazen entfliehen, weil es sehr ungemütlich wurde. Aus meiner wundersamen Lage rutschte ich immerfort und immer tiefer. Irgendwie verlor ich den Halt. Mein Ganzes war so verändert, das Erinnern auch nicht nobel. Später war mir in diesem Fall, als wäre ich der Strecke schon einmal passiert. Der Vorgang vor neun Monaten war ein völlig anderer. Kämpferisch allemal, wie auch jetzt. Nein, nein, das Ganze war nun auf höherer Ebene platziert. Am Anfang war es eine Liebesverschmelzung. In der verstrichenen Zeitperiode wurde ich derart modelliert und völlig neu geformt. Wie sagt man heute, alles hatte nun Hand und Fuß. Das ging einher mit ungeheurem Gewichtszuwachs. Hier liegt auch eine Begründung, dass meine Sorgende das Tragmoment anders lösen musste. Ich glaube, sie dachte damals schon, der Junge muss laufen lernen. Noch ließ die Ankunft auf sich warten. Es wurde eng, wohnlich, unbequem, die Ungemütlichkeit nahm zu. Der Drang verstärkte sich vehement, hier gab es kein Zurück mehr.
Lange wollte ich in dieser Phase nicht mehr gleiten. Ich dachte, mit dem nächsten Wellenschub muss die Befreiung legalisiert werden. Und sie kam und ich verspürte schon ein wenig Frische. Ein handfestes Gefühl verspürte ich. Gewissermaßen etwas Handgreifliches war um mich. Noch zu unkundig oder schwach, um mich zu wehren, im Gegenteil, ich verspürte Hiebe. Dem widersetzte ich mich und schrie aus Leibeskraft den Unmut aus mir heraus. Doch alsbald vernahm ich mehr Sanftmut. Der Umgangston ward in Fröhlichkeit gestimmt. Allerhöchste Aufmerksamkeit war zu vernehmen. Eine Trennung wurde vollzogen, die Versorgungsbahn durchtrennt, jetzt war ich nur noch ich. Das war der Anbeginn meiner Selbstständigkeit. Die Hiebe, welche ich vermerkte, waren natürlich erhaltene Klapse, welche mir verhelfen sollten tüchtig, tief, gründlich den ersten Atemzug zu vollziehen, damit ich kräftig frei im Leben ankommen kann. Jetzt war mein Organismus voll in Fahrt gekommen. Mit einem Urschrei nahm ich endgültig Abschied aus der bisherigen Verbannung.
Alle um mich herum waren froh und heiter. Man jubilierte und war sehr glücklich, meinem Vater schwelgte vor Stolz die Brust. Warum? Die Verkündung verhieß Stammhalter. Ich dachte, bei so großer Überschwänglichkeit darf ich auch schon einen Anspruch in dem Umtrieb geben. Lange genug war ich abgenabelt. Hatte so viele Glückwünsche vernommen und dermaßen an den Kräften gezehrt, dass ich Forderungen für mein Fortkommen vermelden musste. Jeder kann sich vorstellen, dass Durst und Magenknurren, gewisse Schmerzen ein Leiden in mir schufen. Zum zweiten Mal, aber jetzt noch schallender, tönte es aus mir heraus. Meine Drohung wurde wohl erhört und das Anlegemanöver an die Versorgungsbar klappte ohne Komplikationen. Dieser Lebenssaft war ohnegleichen. Das Anlegen am Balkon war ohne Mühe. Ich sog mich fest bis, dass der Schlaf mich wollte zwingen, beklopfte man den Rücken, um dann in rülpsender Weise das Bäuerchen den Arbeitseinsatz beenden konnte. Mit dem neuen Lebenselixier gedieh ich prächtig. Zur guten Orientierung blinzelte ich um mich herum und viel Wohlgefallen ob der objektiven Behütung. Dieser Versicherung bewusst, gönnte ich mir den errungenen, verdienten Erholungsschlaf.
Ich hatte das Licht der Welt erblickt, war im wahren Leben angekommen, ein Neugeborener. Alles um mich herum war froh und glücklich. Meine liebe Mutter, von der gewaltigen Anstrengung bisher gezeichnet, erholte sich bereits ein wenig. Sie war ob der Anstrengung jetzt weiterhin sehr geschwächt und doch schon so kurz nach diesem Freilassen weiter bereit, meinem Leben zu noch Besserem zu verhelfen. Die Mutternahrung setzte zeitgemäß zur sprudelnden Quelle ein. Meine Lieblichkeit blinzelte bei jedem Quelltermin und das Spiel des Lichtes umfing meine Sinne.

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