Von Ailaghoga und einem Pfeil, der mein Leben veränderte

Von Ailaghoga und einem Pfeil, der mein Leben veränderte

Andrea Schnyder


EUR 15,90
EUR 12,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 108
ISBN: 978-3-99131-370-0
Erscheinungsdatum: 25.08.2022
Aimo von Ailaghoga II. hat ein gutes Geschick, was den Umgang mit Pfeil und Bogen anbelangt. Als er jedoch im Jahre 746 n. Chr. auf dem Weg in das Kloster Sankt Gallen einen Hirsch schießen will, trifft er versehentlich seine Mutter.
Vorwort

Liebe Leserinnen, Liebe Leser

Diejenigen unter euch, die das erste Buch bereits gelesen haben, wird die Fortsetzung vielleicht etwas verwirren: Aimo hat plötzlich eine neue Persönlichkeit bekommen. Aus dem strengen, grausamen Hausherrn ist ein junger Mann geworden, der stolz auf Ailaghoga ist und mit viel Herzblut seinen Flecken regiert. Das ist weniger ein Zufall als absolut beabsichtigt. Wenn ich in meinem Praktikum als Pflegehelferin eines gelernt habe, dann ist es, dass Menschen nicht so sein müssen, wie wir sie von außen her wahrnehmen. Hinter abstoßend und unnahbar kann eine äußerst soziale und liebe Persönlichkeit stecken, die in ihrem Leben nie anlehnen konnte, von keinem akzeptiert wurde. Und genau deswegen will ich wieder einmal genau auf diese Menschen aufmerksam machen. Wenn ihr dies lest, denkt immer daran, dass eine jede Geste eines Menschen aus einem bestimmten Grund geschieht. Vielleicht verstehen wir diesen von außen nur nicht. Aber wenn wir immer wieder versuchen, Menschen zu verstehen, ihnen zuzuhören, so bin ich mir sicher, einige unserer Probleme könnten wir damit aus der Welt schaffen.
Nun aber genug der großen Worte.
Viel Spaß mit dem Buch!

Liebe Grüße Andrea Schnyder


Gutshof Ailaghoga
743 n. Chr.

„Junge, so komm doch endlich. Ich will abreisen!“, rief mein Vater genervt. Meine Mutter kam uns im Damensitz elegant entgegen geritten. Der Stoff ihres Kleides wog sich sanft im Wind. Ich nahm mein Pferd an den Zügeln, schwang mich auf das vornehme Tier und ritt Vater nach einem kurzen Galopp hinterher. Mutter folgte. Es war ein kalter Morgen am 19.Dezember 743. Es schneite ununterbrochen. Die Flocken fielen auf uns nieder und ließen die Felder unter einer dicken, weißen Schneeschicht verschwinden. Endgültig hatte der Winter Einzug gehalten und brachte mit sich diese ganz besondere Ruhe, die ich zwar nicht ganz fassen konnte, aber nach dem warmen Sommer sehr genoss und mich daran erinnerte, dass die Weihnacht vor der Tür stand. Am Wegrand sprachen uns Leute den Segen zu. Den konnten wir gebrauchen, denn im tiefsten Winter nach Sankt Gallen zu reiten, war mehr als ein Abenteuer, über das ich im Moment nicht wahnsinnig begeistert war, wenn ich an das warme Feuer dachte, dass ich zusammen mit ein paar gleichaltrigen Bauerskindern gestern ohne das Dazutun meiner Eltern im Wald gemacht hatte. Nun hatten sich Schneekristalle auf meinem schwarzen Haar gebildet und ich schlotterte am ganzen Körper. Und das ganze Tamtam nur, weil Mutter im Kloster die Predigt dieses einen Pfarrers hören wollte. Papst Zacharias nannten sie ihn, da er nicht nur dieselbe Figur hatte wie der eher dickliche echte Papst, sondern auch dieselbe Frisur trug. Das Kopfkränzchen des Priesters Zacharias sah aus wie ein zu tief geratener Heiligenschein.
„Hoch lebe Aimo!“, riefen die Leute uns zu. Mein Vater hieß, wie ich, Aimo. Ich war zwar Aimo II., um genau zu sein. Aber das interessierte niemand. Zum Glück. Die Zwei im Namen zu haben, war sowieso nicht gerade der Himmel auf Erden.
Wir erreichten Wila (das heutige Wil), unseren ersten Zwischenhalt, am frühen Abend, als die Sonne bereits hinter dem Horizont untergegangen war. Vater stieg als Erster ab, dann half er meiner Mutter vom Pferd. Ohne auf mich zu warten, gingen sie auf die Taverne zu, die einige Meter vor uns stand. Ich schwang mich ebenfalls vom Pferd, klopfte ihm noch ein paar Mal dankbar für den langen Ritt auf den Hals und lief meinen Eltern hinterher. Sofort bestellte Vater zwei Bier. Eines für mich und eines für sich selbst. Meine Mutter ging mit den Satteltaschen, ohne ein Wort zu verlieren, ins Obergeschoss, wo ich die Schlafzimmer vermutete. Ich fragte mich, wieso sie sich nicht zu uns setzte. Normalerweise tat sie das immer. Vielleicht war es der lange Ritt, den sie ausgelaugt hatte. Oder aber, es lag daran, dass sie eine männliche Silhouette entdeckt hatte, die ihr vom oberen Stock freudig zuwinkte. Unschlüssig ließ ich das Rätsel erst einmal auf sich beruhen und setzte mich zusammen mit meinem Vater an einen Tisch, an dem zwei mir nur zu gut bekannte Männer saßen: König Childerich, der König der Franken, der Herzog von Wila und zwei weitere, mir unbekannte Adelige.
„Diese Pippiniden reißen alles an sich. Sie unterjochen Alemannien, als wären sie die einzigen, die Gott gesegnet hätte. Wieso sollten wir uns ihrem Willen beugen?“, wetterte der Herzog von Wila. Mein Vater meldete sich noch bevor er richtig Platz genommen hatte: „Weil es gesünder für uns ist.“
„Ich passe mich niemandem an. Die können sich uns anpassen, diese Pippiniden. Alemannien war schon immer ein eigenes Land und wird es auch bleiben. Dafür sorgen wir schon noch“, polterte der Frankenkönig Childerich los.
„Aber Ihr seid doch der König der Franken. Die pippinidischen Hausherren sind doch Eure Untertanen. Wieso sagt Ihr denen nicht einfach die Meinung?“, fragte ich ein wenig vorlaut. Zwar war ich erst sechs, würde im Sommer sieben. Aber man hatte mich als Erbe eines riesigen Gutes namens Ailaghoga gut auf die politische Verantwortung vorbereitet. Schließlich wusste man nie, was geschehen würde …
Das Erbrecht im fränkischen Königtum war nach alter Tradition der Römer festgeschrieben. Das riesige Reich wurde jeweils unter den Söhnen des verstorbenen Frankenkönigs aufgeteilt. Eine Regel, die gebrochen wurde, als Pippin II. mit Hilfe von ein paar Verbündeten den herrschenden Childebertus adoptivus in zwei Schlachten besiegte und Pippin im Jahr 687 der neue König der Franken von Austrasien wurde, einem großen Teil des Frankenlandes im Nordosten.
Als Pippin 714 starb, entbrannten Machtkämpfe unter den Mächtigen. Karl Martell, Pippins unehelicher Sohn, setzte sich schließlich durch. Nun war er Herrscher über Austrasien. Das reichte ihm aber nicht. Er wollte mehr. Bald konnte er die Wahl der neuen fränkischen Könige, die aus der Familie der Merowinger stammten, entscheidend beeinflussen. Mit der geschickten Einsetzung verschiedener Könige weitete er die eigene Macht aus, bis die Merowingische Familie eine bloße Marionette der Pippiniden war und keine Oberhäupter. In Alemannien, ebenfalls einem großen Teil des Frankenlandes, begann es unter den Adeligen langsam zu brodeln, denn, auch wenn vielleicht nicht alle begriffen hatten, was mit den Merowingern geschah, schienen sie es zumindest zu spüren. Und mit der neuen Herrschaft der Pippiniden wollten sie sich nicht abfinden.
Bevor Karl Martell starb, teilte er sein Reich auf seine beiden Söhne Karlmann und Pippin III. auf. Nun hatte das Frankenreich also faktisch zwei Könige, die jedoch auf dem Papier von der katholischen Kirche nicht als solche anerkannt waren, obwohl sie je etwa die Hälfte des alten Landes besaßen.
Pippin war Hausherr von Neustrien, Burgund und der Provence, während Karlmann Austrien, Alemannien und Thüringen bekam.
Aber die Alemannen dachten gar nicht daran, sich dem ungesalbten König Karlmann zu unterzuwerfen. Die alemannischen Adelsgeschlechter vereinten sich zum Aufstand.
„Was soll die Frage, Junge? Für wen hältst du dich eigentlich?“, fragte König Childerich, der letzte merowingische König der Franken, der durch Karlmann eingesetzt worden war, weil er für das fiktive Oberhaupt der Alemannen nochmals eine königliche Hoheit brauchte. Aber wie alle anderen Adligen wusste auch ich, dass König Childerich nur Mittel zum Zweck war. Unser wahrer König war Karlmann. Niemand wusste so genau, was Karlmann mit Childerich vorhatte und was danach mit dem Merowinger geschah.
„Ich bin Aimo II. Mein Vater führt den Gutshof Ailaghoga“, antwortete ich auf Childerichs Frage.
„Ailaghoga?“
„Ganz richtig“, antwortete ich selbstbewusst.
Er schwieg, er wusste, dass Ailaghoga ein Stützpunkt des regionalen Handels war.
„Und wie alt bist du?“, fragte der König weiter.
„Sechs.“
„Gut, dann hör mir mal gut zu. Überlass das Diskutieren den Männern. Du kannst wiederkommen, wenn du einer bist. Kleine Jungen gehören zu dieser Uhrzeit ins Bett.“
„Ihr habt mir nichts zu befehlen. Ihr habt nicht das Recht dazu“, wehrte ich mich. Die Hand des Herzogs von Wila fuhr mit Wucht auf meinen Rücken nieder. Ich ging zu Boden. „Nun Junge? Willst du dich immer noch in erwachsene Dinge einmischen?“
Die Herren am Tisch lachten. Mein Vater auch: „Verdient hast du es, ungezogener Bengel!“
Ich rannte zum Zimmer, in dem ich Mutter vermutete. Ohne anzuklopfen, trat ich ein. Da lag sie. Neben einem anderen Mann. Dem Mann, dem sie vorhin zugewunken hatte. An einem Haken hingen kostbare Kleider. Wer war dieser Mann? Bestürzt versuchte ich aus dem Zimmer zu rennen, in der Hoffnung, niemand hätte mich gehört. Dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung. Der Mann sprang auf, warf sich einen Mantel um den sonst nackten Körper, rannte auf mich zu und drückte mich gegen die Wand. „Du sagst nichts! Ein Wort und ich werde Gottes Zorn auf dich hetzen!“
In seinen Augen spiegelte sich Angst. Dann wich sie der Verzweiflung und machte schließlich der Reue Platz, als meine Mutter ihn an der Schulter fasste und langsam von mir wegzog. „Keine Panik Zacharias. Keiner wird je davon erfahren!“
Als der Mann sich wieder meiner ebenfalls nackten Mutter zuwendete und gleich wieder über sie herfiel, merkte ich, unter welcher Angst ich selbst gelitten hatte. Schnell ergriff ich die günstige Gelegenheit und rannte aus dem Zimmer. Diese Nacht verbrachte ich bei den Pferden im Stall. Sie waren mein Ein und Alles. Bei ihnen fühlte ich mich sicher. Denn sie bedrohten mich nicht, lachten mich nicht aus, und nach meinem Alter beurteilten sie mich erst recht nicht. Bei ihnen war ich einfach ein Reiter, der es gut mit ihnen meinte.
Das Frühstück fand am Morgen im großen Saal der Taverne statt, wo neben den vier vornehmen Herren auch dieser seltsame Mann aus dem Zimmer meiner Mutter Platz genommen hatte. Diesmal trug er zum Glück Kleidung. Mein Vater begrüßte ihn wie einen alten Kumpel. „Zacharias, das ist ja eine Überraschung! Ich dachte, du seist schon lange in Sankt Gallen! Bist du nicht bereits vor ein paar Tagen in Ailaghoga abgereist?“
Zacharias schüttelte den Kopf: „Eigentlich wollte ich um diese Zeit tatsächlich schon im Kloster sein. Aber dieser Schnee ist einfach zu tief. Als ich hier in Wila angekommen bin, beschloss ich, ein paar Nächte länger hier zu bleiben, in der Hoffnung, dieser kalte Wind würde wenigstens ein bisschen nachlassen. Als ich dann gestern deine Frau Katarina gesehen habe, wusste ich, dass auch du, Aimo, hier sein wirst. Also beschloss ich, heute ein bisschen früher aufzustehen, in der Hoffnung, ihr könntet mich mitnehmen. Allein reisen macht einfach nicht gleich viel Spaß und ist gefährlicher. Schließlich darf ich mich als Priester nicht wehren, was dir als Adeliger nie schwergefallen ist.“ Vater schmunzelte. Dann wandte er sich an mich. „Dies ist mein Sohn, Aimo II. Dieser Mann ist dir sicher bekannt, nicht wahr, Sohn?“, fragte Vater.
Anscheinend war er also ein hohes Tier. So nickte ich höflich, grüßte ihn, so nett es ging und wandte mich wieder meinem Bier zu. Der Schaum blieb an meinem Mund kleben und bildete einen Schnauz um meine Lippen. Ein Mädchen, das ich jetzt erst richtig wahrnahm, wischte sich mit einer Hand selbst über das feine Gesicht und deutete dann auf mich. Schnell machte ich ihre Geste nach und lächelte ihr dann dankend zu. Sie lächelte zurück und widmete sich dem Herzog von Wila neben ihr, den sie mit Vater ansprach. Die beiden tuschelten miteinander, dann wandte sich der Herzog an meinen Vater. „Können wir mitkommen, Aimo? Wir wollen auch wieder mal ins Kloster. Deswegen ist meine Tochter eigentlich hier.“
Vater nickte und blickte zu Childerich. „Und Ihr, König? Ihr seid sicher nicht den beschwerlichen Weg bis hierher geritten, nur um in einer Schenke einzukehren.“
„Nein, ich wollte mich den Pippiniden wieder einmal entziehen und mich mit den hiesigen Fürsten besprechen. Anscheinend soll es hier ein paar aufständische alemannische Adelige geben.“
Mein Vater pfiff gespielt empört durch die Zähne und schüttelte den Kopf. „Das glaub ich aber nicht. Wir sind doch alle zufrieden mit Karlmann. Ich kann mir keinen besseren Herren vorstellen.“ Seine Stimme triefte vor Ironie.
„Das würde den Pippiniden bestimmt so gefallen.“ Der König nahm seinen Mantel vom Stuhl, legte ihn sich um und nickte mir zu. „Junger Mann, sattelst du mein Pferd? Ich denke, ein kleiner Abstecher zum Kloster kann nicht schaden. Zumal ich schon lange wieder einmal einem richtigen alemannischen Gottesdienst horchen will.“
Ich nickte aufgeregt. Das Pferd des Königs satteln zu dürfen, war eine unheimliche Ehre, die ich bestimmt nur einmal im Leben erhalten würde. Eine halbe Stunde später ritt der gesamte Tross los. Mein Vater und der König voraus, dann folgten meine Mutter, die neben diesem Mann ritt. Ich und die Tochter des Herzogs ritten dahinter und der Herzog bildete das Schlusslicht. „Schön hier draußen, was?“, flüsterte die Tochter, deren Namen ich noch immer nicht kannte.
Ich nickte. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte ich wissen.
„Helene. Mein Name ist Helene von Wila.“
„Ich bin Aimo. Freut mich!“
Das Mädchen lächelte etwas erstaunt, dass ich ihr nicht meinen vollständigen Namen nannte, auf den die Adligen sonst immer sehr stolz waren, sagte aber nichts weiter. Also blickte ich wieder nach vorne. Zum guten Glück. Denn dieser Fremde ritt genau vor meiner Nase, ohne auf eine andere Seite als auf die meiner Mutter zu blicken. Ein Wunder, dass es bisher keinen Aufprall gegeben hatte. „Wer ist dieser Mann?“, brummte ich leise.
Belustigt hob das Mädchen eine Braue. „Das ist ein Priester des Klosters St.Gallen. Und weil er eben so aussieht wie Papst Zacharias, nennen sie ihn auch alle so. Wie er wirklich heißt, weiß ich gar nicht.“
„Der Priester Zacharius?“, wiederholte ich zwischen ungläubig und forschend, als ob mich Helene zum Narren halten wollte. Aber sie blieb ernst. „Aber …“, weiter kam ich nicht. Nein, darüber würde ich mit keiner Menschenseele reden. Sonst bräche Gotteszorn über mich herein. Und ich wusste, was das zur Folge hatte. Schwere Krankheiten, die beinahe immer mit dem Tod endeten und danach etliche Jahre Fegefeuer. Nein, nein, das wollte ich nicht auf mich nehmen. Außerdem kam mir nun ein weiterer Gedanke. Priester Zacharias hatte bereits in Ailaghoga gepredigt und danach in unserem Herrenhaus genächtigt. Er hatte an unserem Tisch gesessen. Vater und vor allem Mutter hatten sich wunderprächtig mit ihm verstanden. Vielleicht hatten sie sich in der Kirche kennengelernt, meine Mutter und dieser Priester. Vielleicht hatte er gestern nur in ihrem Zimmer gepredigt. Nackt hatte es vielleicht eine größere Wirkung. Vielleicht war das, was sie getan hatten, ein besonderer Schutz gegen Krankheiten und gegen Sünden. Aber warum war er so erschrocken, als ich die beiden gesehen hatte? Wenn er doch nur Gutes tun wollte …
„Was aber?“, fragte Helene, die noch immer darauf wartete, dass ich meinen angefangenen Satz beendete.
„Aber von den Kirchenbänken her sieht er ganz anders aus“, wich ich aus, schüttelte verwirrt den Kopf, drehte mich halbwegs zum Herzog um und begann mit ihm ein angeregtes Gespräch darüber, wie die Pippiniden die Macht an sich gerissen hatten. Davon verstand ich wenigstens etwas.


Kloster Sankt Gallen
743 n. Chr.

Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang waren wir durchgeritten. Erschöpft warf ich mich auf das Bett, das uns vom Kloster in der Pilgerherberge zur Verfügung gestellt wurde. Kaum hatte ich den groben Überzug berührt, war ich eingeschlafen.
Die Weihnachtsfeier zog sich in die Länge wie der Nebel, der in langen Schwaden über das Tal zog. Und ausgerechnet Priester Zacharius hielt die Feier ab. Während der ganzen Predigt konnte ich an nichts anderes denken als an den vorhergehenden Abend. Wer war dieser Priester wirklich, und was hatte er mit Mutter vor? War er mein Freund oder mein Feind? Und wieso wich Mutter diesem Thema immer wieder aus, wenn ich sie darauf ansprach, wenn wir allein waren? Ich wollte doch nur, dass es ihr gutging. Ich war froh, als Vater endlich die Vorbereitungen für die Abreise traf. Als ich jedoch am Abend in meinem Bett lag, schreckte mich ein Würgegeräusch aus dem Schlaf. Reflexartig schoss ich hoch und sah mich im Zimmer um. Mutter hockte vor dem Klo und erbrach ihr gesamtes Nachtessen. Dann wischte sie sich den Mund ab und drehte sich langsam zu mir um, hielt sich dabei aber den Finger an die Lippen. Dann flüsterte sie verzweifelt: „Sag deinem Vater nichts. Bitte! Von gar nichts. Auch nicht von der Nacht, als du Zach und mich gesehen hast, ja?“
Ich nickte, besorgt um ihre Gesundheit. Aber mein Vater hatte es gehört. Auch ihre an mich gerichteten Worte. Er stand auf, zog Mutter aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu, so dass ich nicht mitbekam, was draußen ablief und nur kurz darauf Pferdegetrampel und Schreie hören konnte.
Am nächsten Morgen hatte meine Mutter ein geschwollenes Gesicht und ein blaues Auge. Außerdem ging sie komisch. Und trotzdem bekam ich acht Monate später ein kleines Geschwisterchen. Meine Schwester Theota. Oder wie mein Vater „den Bankert“ nannte: „Teufels Kindchen.“
Von diesem Tag an erschien „Papst“ Zacharius nicht mehr in Ailaghoga. Auch sonst hörte ich nichts mehr von ihm, was mir gerade recht war. Nun wusste ich wenigstens, dass meine Mutter in Sicherheit war. Bei Vater war sie das bestimmt. Denn der liebte seine Katarina über alles.
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