Vom Rollator zum Gipfelkreuz!

Vom Rollator zum Gipfelkreuz!

Ein Weg aus völliger Abhängigkeit in ein freies Leben

Inge Stauder


EUR 22,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 138
ISBN: 978-3-95840-076-4
Erscheinungsdatum: 31.03.2016

Leseprobe:

PROLOG

In den zwei Jahren, in denen ich einen schwer pflegebedürftigen Mann betreute und ihm durch viel Zuwendung wieder zu einem selbstbestimmten Leben verhelfen konnte, musste ich die Erfahrung machen, dass er Behörden, Betreuern, Notaren und sogenannten „Gutachtern“ hilflos ausgeliefert war!

Der Mann, den ich kennenlernte, wurde:
bestohlen und betrogen,
seine Häuser wurden ohne Notwendigkeit samt Mobiliar und mit Billigung des Notars verkauft,
von seinem Vermögen wurde keine Bestandsaufnahme gemacht, sodass später nichts mehr nachgewiesen werden konnte,
durch Untätigkeit des Betreuers, fast um seine Betriebsrente gebracht,
seiner Gebäudeversicherung wurde der Verkauf der Immobilien nicht gemeldet, sodass diese noch Forderungen an den vermeintlichen Besitzer stellten,
von einer Ärztin wurde ein defizitorientiertes Gutachten erstellt, um ihn in in der amtlichen Betreuung zu halten,
der Betreuer wurde bei all seinem Tun vom Notar nicht beanstandet,
der Notar versuchte bei einem Gespräch, den Betreuten zu dem Versprechen zu nötigen, dass er nichts Gerichtliches gegen ihn unternimmt.

Über all diese Vorkommnisse, sowie, wie dieser Mann gemobbt und im Stich gelassen wurde, werde ich ausführlich in diesem Buch berichten.




1. KAPITEL
Erleben Sie mit mir die unglaubliche Geschichte des Eduard Bohn!
Wie alles anfing

April 2009
Irgendetwas musste sich ändern, nun war ich schon fast sechs Jahre in Rente; aber es war alles nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Als ich 2003 in den Ruhestand ging, hatte ich zunächst die Hoffnung auf ein geruhsames „Rentnerdasein“. Leider kam es aber ganz anders, denn meine Schwester wurde genau zu diesem Zeitpunkt schwer krank, sie erkrankte an Parkinson und bekam auch noch eine Demenzerkrankung. Als ihr dies bewusst wurde, flehte sie mich an, ihr beizustehen, was ich ihr selbstverständlich gerne versprach. Nun begann für mich ein neuer Lebensabschnitt, denn die Fürsorge und Begleitung meiner geliebten Schwester erforderte viel Kraft, Zeit und Engagement. Als sie im Oktober 2008 verstarb, war mein Schwager mit seinen zweiundachtzig Jahren, einer Leber- und Herzerkrankung so schwer beeinträchtigt, dass auch er viel Zuwendung und Hilfe benötigte. Seine Tochter und ich gaben unser Bestes. Leider sollte es nur zehn Monate dauern, bis auch er verstarb. Das Leid nahm kein Ende. Nicht nur, dass mein 15-jähriger Kater das Zeitliche segnete, nein auch mein erst 52-jähriger Neffe wurde schwer krank und kam alsbald ins Hospiz, wo er seine letzte Zeit verbrachte. Nun galt es, auch ihm beizustehen und so gut es ging, ihn in seinen letzten Wochen zu begleiten, bis er dann ein knappes Jahr nach seinem Vater verstarb.
Diese schwere Zeit hatte an meinen Kräften gezehrt, sodass ich mich nun endlich nur noch um mich kümmern und meinen Ruhestand genießen wollte.
Ein halbes Jahr versuchte ich es, doch leider wollte es nicht so richtig klappen, denn um meine nun gewonnene Freizeit genießen zu können, hätte ich eine bessere Rente haben müssen.
Ich musste mir die kleinen Dinge, die ich gern unternommen hätte, aus finanziellen Gründen versagen. Keine Urlaubsreise, kein Besuch einer kulturellen Veranstaltung, kein Essen im Restaurant und auch kein Ausflug. Nun hatte ich zwar endlich genug Zeit für mich, doch leider nicht genügend Geld, meine Freizeit gestalten zu können.


Diesen unbefriedigenden Zustand musste ich beenden!

Im Frühjahr 2009 suchte ich nach einer Möglichkeit, diese Situation zu ändern. Vielleicht könnte ich mir mit einer geringfügigen Tätigkeit noch etwas dazuverdienen?
Ich besann mich auf meine langjährige und erfahrungsreiche Tätigkeit in einer diakonischen Einrichtung. Als Heilerziehungspflegerin arbeitete ich dort über zwanzig Jahre in der Behindertenhilfe. Dort war ich in der Tagesstruktur tätig und betreute Senioren mit unterschiedlichen Behinderungen. Behinderungsgrade von leicht lernbehindert bis schwerbehindert forderten ein breit gefächertes Angebot, viel Flexibilität und Einfühlungsvermögen. Um diesen Menschen die bestmögliche Betreuung zu bieten, mussten ihnen die unterschiedlichsten Bildungsangebote unterbreitet werden. Sowohl Freizeitbeschäftigung, als auch Biografie-Arbeit, Bewegungs- und Kreativangebote und vieles mehr zählten zu meinen Aufgaben. Dieser vielfältige Erfahrungsschatz wäre doch sicher in einem Seniorenheim gefragt, dachte ich.




2. KAPITEL
Ein neuer Abschnitt in meinem Rentnerdasein begann

Die lange Zeit, in der ich eine Beschäftigungstherapie (später Fachdienst für Bildung und Kunst) geleitet hatte, sollte mir von Nutzen sein. Damals ging es darum, älteren, behinderten Menschen eine angemessene Tagesstruktur anzubieten.
Daher beschloss ich, im örtlichen Seniorenheim nach einer geringfügigen Beschäftigung anzufragen.
Ich hatte Glück, denn der dortige Leiter nahm mein Angebot gerne an.
So konnte ich im April 2009 beginnen, mit einer Gruppe von Heimbewohnern „Gedächtnistraining“ zu machen.
Die Aufgabe umfasste nur eine Stunde in der Woche. Die Arbeit machte mir viel Spaß und ich hatte die Möglichkeit, etwas dazuzuverdienen. So war ich ganz zufrieden!


Noch eine neue Aufgabe

Kaum hatte ich mich etwas eingelebt, als mich eine Bekannte bat, mich ein wenig um ihre an Demenz erkrankte Schwiegermutter zu kümmern. Dieser Bitte kam ich gerne nach, zumal ich mir damit noch etwas dazuverdienen konnte.
Diese Aufgabe erledigte ich sehr gerne, denn ich merkte, dass meine Erfahrungen die ich mit meiner Schwester gemacht hatte, sehr hilfreich waren. Nach drei Monaten verstarb diese Dame und ich konzentrierte mich wieder ausschließlich auf die Bewohner des Seniorenheims.
Mein Einsatz bei der Seniorin blieb nicht unbemerkt, denn kurze Zeit später wurde ich vom Leiter des Seniorenheims gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, auf privater Ebene noch eine Einzelbetreuung anzunehmen. Dies wäre ein von mir selbst bestimmter Zeitaufwand von ein oder zwei Wochenstunden, den ich mir nach eigenem Ermessen einteilen könnte.


Wieder eine andere Aufgabe?

Unsicherheit beschlich mich. Was würde wohl auf mich zukommen? Ich kannte diese Person nicht und wusste nicht, was ihr fehlte. Ich wusste nur, dass es sich um einen Mann handelte, der nicht in der Lage war zu sprechen. Überhaupt sollte er keine sozialen Kontakte haben. Würde es mir gelingen, zu diesem Herrn Kontakt zu bekommen?
Diese und allerlei andere Fragen beschäftigten mich! Das wäre eine Herausforderung für mich! Sollte ich es wagen?
Warum nicht?, dachte ich nach einigen Tagen der Überlegung. Wenn es mir zu viel werden sollte, oder mir die Aufgabe nicht mehr zusagen würde, könnte ich ja jederzeit wieder aufhören. Mit etwas bangem Gefühl sagte ich zu, dass ich es mal versuchen würde. Diese Situation war allerdings nicht zu vergleichen mit der demenzkranken Dame im Endstadium.

Hier lagen ganz andere Voraussetzungen vor, denn der Mann war offensichtlich depressiv, er wollte nicht sprechen und auch mit niemandem Kontakt haben. Ich machte mir große Gedanken um diesen Mann, er tat mir unendlich leid, denn ich wusste zunächst nicht, wie ich mit ihm in Kontakt treten könnte, da er ja kein einziges Wort sprach!
Trotzdem sagte ich zu und nahm die Herausforderung an.




3. KAPITEL
Ein Blick zurück

Bevor ich beginne, von der Arbeit mit ihm zu berichten, möchte ich seine Vorgeschichte erwähnen.

Hierzu muss ich erklären, dass Eduard Bohn (mit dem ich bald per Du war), als er in der Klinik war, von Amts wegen einen amtlichen Betreuer zugewiesen bekam. Die Situation war folgendermaßen: Ein Jahr zuvor war Eduard nach einem Treppensturz mit etlichen Knochenbrüchen, Schädelbruch, Bruch zweier Halswirbel, teilweiser Lähmung der Arme und Beine sowie einer Blasen- und Mastdarmlähmung schwerstverletzt in die Uni-Klinik in Tübingen eingeliefert wurden. Die Unfallursache soll nach Auskunft seines Bruders eine sehr starke Trunkenheit gewesen sein. Mir gegenüber sprach er davon, dass sein Bruder alkoholabhängig gewesen sei und an diesem Tag sturzbetrunken die Treppe hinunterstürzte. Dies sei wohl auch die Ursache für seine so schweren Verletzungen gewesen! In seiner Krankenakte (die ich allerdings erst im Jahre 2011 zu Gesicht bekam) stand, dass Eduard bei seiner Einlieferung einen Alkoholwert von 0,8 Promille hatte. Dies deutet meiner Ansicht nach nicht darauf hin, dass Eduard sturzbetrunken war! Während seines Krankenhausaufenthalts ist wohl auch noch überraschend sein Vater gestorben. Dieser wurde erst ein paar Tage später aufgefunden. Als Todesursache wurde ein Herzinfarkt vermutet. Eduard war zu dieser Zeit nicht in der Lage, an der Beerdigung seines Vaters teilzunehmen. Der Vater wurde sehr schnell durch eine Feuerbestattung beerdigt. Eduard hatte durch seine schweren Verletzungen viele Gedächtnisausfälle. Nachdem er sich etwas erholt hatte, wurde er mit Krücken nach Hause entlassen. Er wurde weder einer Reha-Maßnahme zugeführt, noch bekam er eine Pflegekraft an die Seite gestellt. So wurde er also ziemlich hilflos in die zwei nun leer stehenden Häuser entlassen. Sein Bruder stand ihm auch nicht hilfreich zur Seite.
Er hatte eine sehr schwere Zeit, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Nachdem er sich nach etwa einem Jahr ein wenig erholt hatte, ereilte ihn der nächste Schicksalsschlag.
Erneut erlitt er einen schweren häuslichen Unfall, bei dem er sich sehr schwere Verbrennungen am Schulterblatt zuzog. Auch dieses Mal hatte er sich den Schädel und zwei Halswirbel gebrochen. Er muss wohl schwerstverletzt vom Notarzt in die Klinik in Reutlingen gebracht worden sein. Nach der Erstversorgung wurde er wiederum ins Uniklinikum Tübingen verlegt.
Wer ihn damals gefunden und wer den Notarzt gerufen hat, ist bis heute unklar. Auf Nachfrage im Krankenhaus bekamen wir keinerlei Auskunft darüber.
Als ich seinen Bruder mal nach dem Unfall befragte, bekam ich nur den Hinweis, dass er wohl wieder sehr betrunken gewesen sei und auf die Herdplatte gestürzt sein müsse, er wisse sonst nichts.
Allerdings ist es für mich immer noch ein Rätsel, wie man rücklings auf den Herd fallen kann! Zumal ich von Eduard erfahren habe, dass es nur einen Gasherd im Hause Bohn gab. Auch ist mir immer noch unklar, wie es dann noch zu so einem schweren Sturz kommen konnte?
Dieses Ereignis traumatisierte Eduard so sehr, dass er einen Schock erlitt und von da an nicht mehr sprechen konnte. Er hatte eine vollkommene Amnesie und konnte sich an nichts mehr erinnern. Der Gedächtnisverlust, die schweren Verletzungen, und seine Sprachlosigkeit ließen den Schluss zu, dass er für sehr lange Zeit nicht mehr für sich selbst sorgen könnte, auch würde er nicht mehr so schnell oder vielleicht nie wieder selbst Entscheidungen treffen können.
Bevor er aus der Klinik entlassen werden konnte, musste für ihn eine adäquate Lösung gefunden werden. Klar war, dass er in diesem Zustand nicht nach Hause entlassen werden kann.
Vom sozialen Dienst der Klinik wurde dann beschlossen, dass Eduard ganz schnell einen amtlichen Betreuer bekommen musste, der für ihn alle Entscheidungen treffen sollte. Somit wurde vom Betreuungsgericht eine Schnellbetreuung eingerichtet. Die Rechtsanwältin Frau L., die dem Betreuungsrichter gut bekannt war, wurde kurzfristig eingesetzt. Dem schien nichts entgegenzustehen, da diese Rechtsanwältin schon mehrere andere Betreuungen hatte.




4. KAPITEL
Die amtliche Betreuung brachte Eduard Bohn große Nachteile!

Als diese Betreuerin ihr Amt antrat, begann sie erst mal damit, die beiden Häuser zu untersuchen, was darin für sie eventuell Brauchbares, das heißt Gewinnbringendes zu finden wäre. Obwohl es unüblich und auch nicht gestattet ist, ging sie zunächst alleine in die Wohnungen, um sich in aller Ruhe umzusehen. So hatte sie die Möglichkeit, wertvolle Dinge vorab verschwinden zu lassen. Gingen die abhanden gekommene Armbanduhr, der Ledermantel und die Jacke, die Stereoanlage sowie eine Lock aus der Eisenbahn auf ihr Konto? Dies konnte nie abschließend geklärt werden.
Danach begann sie mit einer zweiten Person den Hausstand aufzunehmen. Als die andere Person feststellte, dass doch einiges an bedeutenden Wertgegenständen vorhanden war, unter anderem auch eine goldene Bibel, die ihn auch interessieren würde, entrüstete sie sich, dass so etwas doch nicht ginge, man könne einem Betreuten doch nichts aus seinem Hausstand entwenden.
Tatsächlich hat sie nachgewiesenermaßen genau diese Bibel, es handelte sich um eine Familienbibel, und weitere Wertgegenstände, unter anderem ein Sparbuch im Werte von knapp 15.000 Euro, entwendet und verschwinden lassen. Leider konnte im Nachhinein nicht mehr alles festgestellt werden, da Eduard zu jener Zeit nicht handlungs- und erinnerungsfähig war. (Auch bis heute ist nicht klar, wo die besagte Bibel geblieben ist.)
Meiner Meinung nach wäre es die Aufgabe des nachfolgenden Betreuers gewesen, sich um diese Dinge zu kümmern.
In der örtlichen Presse machte dieser Fall Schlagzeilen, denn sie hatte viele betreute alte und kranke Menschen betrogen!
So war beispielsweise zu lesen: Reutlinger Rechtsanwältin veruntreute als Betreuerin mutmaßlich rund 200.000 Euro, oder: Reutlinger Rechtsanwältin, die Mandatsgelder veruntreute, zeigt sich geständig. Oder: Reutlinger Rechtsanwältin wegen Untreue zu Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Weiterhin wurde berichtet, es handle sich um 124 Einzelfälle, die sie in den Jahren zwischen 2004 und 2009 begangen hatte, rund zwanzig Menschen wurden von der Angeklagten betrogen. Laut des Staatsanwaltes Timo Kaufman lebte die 47-Jährige mit ihrem Mann und drei Kindern in „angespannten Verhältnissen“, trotzdem pflegte sie einen aufwendigen Lebensstil. Das konnte man nachvollziehen, wenn man wusste, was sie sich von dem Geld der von ihr betreuten Personen leistete. Zum Beispiel Reifensätze für ihren Jaguar, eine neue hochwertige Küche, einen Fernseher und DVD-Rekorder für die eigene Wohnung, dann eine Waschmaschine oder ein Reinigungsgerät für den Swimmingpool. Auch die eigene Kanzlei erhielt bessere Fenster und Türen, die Tochter erhielt ein Reitpferd. In einem Fall räumte sie das gesamte Sparbuch mit gut 15.000 Euro ab (das war der Mann, den ich begleitete). Auch das Finanzamt erfuhr nicht alles, was monatlich in die Taschen der 47-Jährigen wanderte. Wie ging sie vor? Sie fingierte Rechnungen oder kassierte Gelder für Leistungen, die schon abgerechnet waren. Zu diesem Zweck gründete sie zusammen mit ihrem Mann eine Firma in Reutlingen, die nur aus einem Briefkasten bestand. Deshalb muss sich nun auch der 50-Jährige vor dem Landgericht verantworten. Als Helfershelfer in „43 Fällen der Untreue im besonders schweren Fall“.
Aus den Aussagen des Ermittlungsführers der Polizei konnte man sich ein kleines, wenn auch unvollständiges Bild der Angeklagten machen. Danach trat die 47-Jährige als Rechtsanwältin wohl immer sehr selbstbewusst und dominant auf. Damit blendete sie auch die Betreuungsbehörde. Die hatten von den Machenschaften der Reutlingerin keine Ahnung. Sie hielt die Anwältin für integer und prüfte die Abrechnungen nicht weiter nach.
Erst ein Nachlasspfleger kam ihr auf die Schliche. Der erstattete im April 2009 Anzeige gegen die 47-Jährige.
Das Resümee der Betreuungsbehörde: „Betreuer und Nachlassverwalter haben eine sehr große Vertrauensstellung.“
An der Gerichtsverhandlung nahm ich mit Eduard teil, wir wollten beide diese Person kennenlernen, über die wir schon so vieles gehört und gelesen hatten! Aber Frau L. wurde von ihren Rechtsanwälten vertreten, somit bekamen wir sie nicht zu Gesicht.
Leider gab es in allen Fällen einen Vergleich, weil nicht mehr alles rekonstruiert werden konnte. So ging es auch Eduard Bohn.

PROLOG

In den zwei Jahren, in denen ich einen schwer pflegebedürftigen Mann betreute und ihm durch viel Zuwendung wieder zu einem selbstbestimmten Leben verhelfen konnte, musste ich die Erfahrung machen, dass er Behörden, Betreuern, Notaren und sogenannten „Gutachtern“ hilflos ausgeliefert war!

Der Mann, den ich kennenlernte, wurde:
bestohlen und betrogen,
seine Häuser wurden ohne Notwendigkeit samt Mobiliar und mit Billigung des Notars verkauft,
von seinem Vermögen wurde keine Bestandsaufnahme gemacht, sodass später nichts mehr nachgewiesen werden konnte,
durch Untätigkeit des Betreuers, fast um seine Betriebsrente gebracht,
seiner Gebäudeversicherung wurde der Verkauf der Immobilien nicht gemeldet, sodass diese noch Forderungen an den vermeintlichen Besitzer stellten,
von einer Ärztin wurde ein defizitorientiertes Gutachten erstellt, um ihn in in der amtlichen Betreuung zu halten,
der Betreuer wurde bei all seinem Tun vom Notar nicht beanstandet,
der Notar versuchte bei einem Gespräch, den Betreuten zu dem Versprechen zu nötigen, dass er nichts Gerichtliches gegen ihn unternimmt.

Über all diese Vorkommnisse, sowie, wie dieser Mann gemobbt und im Stich gelassen wurde, werde ich ausführlich in diesem Buch berichten.




1. KAPITEL
Erleben Sie mit mir die unglaubliche Geschichte des Eduard Bohn!
Wie alles anfing

April 2009
Irgendetwas musste sich ändern, nun war ich schon fast sechs Jahre in Rente; aber es war alles nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Als ich 2003 in den Ruhestand ging, hatte ich zunächst die Hoffnung auf ein geruhsames „Rentnerdasein“. Leider kam es aber ganz anders, denn meine Schwester wurde genau zu diesem Zeitpunkt schwer krank, sie erkrankte an Parkinson und bekam auch noch eine Demenzerkrankung. Als ihr dies bewusst wurde, flehte sie mich an, ihr beizustehen, was ich ihr selbstverständlich gerne versprach. Nun begann für mich ein neuer Lebensabschnitt, denn die Fürsorge und Begleitung meiner geliebten Schwester erforderte viel Kraft, Zeit und Engagement. Als sie im Oktober 2008 verstarb, war mein Schwager mit seinen zweiundachtzig Jahren, einer Leber- und Herzerkrankung so schwer beeinträchtigt, dass auch er viel Zuwendung und Hilfe benötigte. Seine Tochter und ich gaben unser Bestes. Leider sollte es nur zehn Monate dauern, bis auch er verstarb. Das Leid nahm kein Ende. Nicht nur, dass mein 15-jähriger Kater das Zeitliche segnete, nein auch mein erst 52-jähriger Neffe wurde schwer krank und kam alsbald ins Hospiz, wo er seine letzte Zeit verbrachte. Nun galt es, auch ihm beizustehen und so gut es ging, ihn in seinen letzten Wochen zu begleiten, bis er dann ein knappes Jahr nach seinem Vater verstarb.
Diese schwere Zeit hatte an meinen Kräften gezehrt, sodass ich mich nun endlich nur noch um mich kümmern und meinen Ruhestand genießen wollte.
Ein halbes Jahr versuchte ich es, doch leider wollte es nicht so richtig klappen, denn um meine nun gewonnene Freizeit genießen zu können, hätte ich eine bessere Rente haben müssen.
Ich musste mir die kleinen Dinge, die ich gern unternommen hätte, aus finanziellen Gründen versagen. Keine Urlaubsreise, kein Besuch einer kulturellen Veranstaltung, kein Essen im Restaurant und auch kein Ausflug. Nun hatte ich zwar endlich genug Zeit für mich, doch leider nicht genügend Geld, meine Freizeit gestalten zu können.


Diesen unbefriedigenden Zustand musste ich beenden!

Im Frühjahr 2009 suchte ich nach einer Möglichkeit, diese Situation zu ändern. Vielleicht könnte ich mir mit einer geringfügigen Tätigkeit noch etwas dazuverdienen?
Ich besann mich auf meine langjährige und erfahrungsreiche Tätigkeit in einer diakonischen Einrichtung. Als Heilerziehungspflegerin arbeitete ich dort über zwanzig Jahre in der Behindertenhilfe. Dort war ich in der Tagesstruktur tätig und betreute Senioren mit unterschiedlichen Behinderungen. Behinderungsgrade von leicht lernbehindert bis schwerbehindert forderten ein breit gefächertes Angebot, viel Flexibilität und Einfühlungsvermögen. Um diesen Menschen die bestmögliche Betreuung zu bieten, mussten ihnen die unterschiedlichsten Bildungsangebote unterbreitet werden. Sowohl Freizeitbeschäftigung, als auch Biografie-Arbeit, Bewegungs- und Kreativangebote und vieles mehr zählten zu meinen Aufgaben. Dieser vielfältige Erfahrungsschatz wäre doch sicher in einem Seniorenheim gefragt, dachte ich.




2. KAPITEL
Ein neuer Abschnitt in meinem Rentnerdasein begann

Die lange Zeit, in der ich eine Beschäftigungstherapie (später Fachdienst für Bildung und Kunst) geleitet hatte, sollte mir von Nutzen sein. Damals ging es darum, älteren, behinderten Menschen eine angemessene Tagesstruktur anzubieten.
Daher beschloss ich, im örtlichen Seniorenheim nach einer geringfügigen Beschäftigung anzufragen.
Ich hatte Glück, denn der dortige Leiter nahm mein Angebot gerne an.
So konnte ich im April 2009 beginnen, mit einer Gruppe von Heimbewohnern „Gedächtnistraining“ zu machen.
Die Aufgabe umfasste nur eine Stunde in der Woche. Die Arbeit machte mir viel Spaß und ich hatte die Möglichkeit, etwas dazuzuverdienen. So war ich ganz zufrieden!


Noch eine neue Aufgabe

Kaum hatte ich mich etwas eingelebt, als mich eine Bekannte bat, mich ein wenig um ihre an Demenz erkrankte Schwiegermutter zu kümmern. Dieser Bitte kam ich gerne nach, zumal ich mir damit noch etwas dazuverdienen konnte.
Diese Aufgabe erledigte ich sehr gerne, denn ich merkte, dass meine Erfahrungen die ich mit meiner Schwester gemacht hatte, sehr hilfreich waren. Nach drei Monaten verstarb diese Dame und ich konzentrierte mich wieder ausschließlich auf die Bewohner des Seniorenheims.
Mein Einsatz bei der Seniorin blieb nicht unbemerkt, denn kurze Zeit später wurde ich vom Leiter des Seniorenheims gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, auf privater Ebene noch eine Einzelbetreuung anzunehmen. Dies wäre ein von mir selbst bestimmter Zeitaufwand von ein oder zwei Wochenstunden, den ich mir nach eigenem Ermessen einteilen könnte.


Wieder eine andere Aufgabe?

Unsicherheit beschlich mich. Was würde wohl auf mich zukommen? Ich kannte diese Person nicht und wusste nicht, was ihr fehlte. Ich wusste nur, dass es sich um einen Mann handelte, der nicht in der Lage war zu sprechen. Überhaupt sollte er keine sozialen Kontakte haben. Würde es mir gelingen, zu diesem Herrn Kontakt zu bekommen?
Diese und allerlei andere Fragen beschäftigten mich! Das wäre eine Herausforderung für mich! Sollte ich es wagen?
Warum nicht?, dachte ich nach einigen Tagen der Überlegung. Wenn es mir zu viel werden sollte, oder mir die Aufgabe nicht mehr zusagen würde, könnte ich ja jederzeit wieder aufhören. Mit etwas bangem Gefühl sagte ich zu, dass ich es mal versuchen würde. Diese Situation war allerdings nicht zu vergleichen mit der demenzkranken Dame im Endstadium.

Hier lagen ganz andere Voraussetzungen vor, denn der Mann war offensichtlich depressiv, er wollte nicht sprechen und auch mit niemandem Kontakt haben. Ich machte mir große Gedanken um diesen Mann, er tat mir unendlich leid, denn ich wusste zunächst nicht, wie ich mit ihm in Kontakt treten könnte, da er ja kein einziges Wort sprach!
Trotzdem sagte ich zu und nahm die Herausforderung an.




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Ein Blick zurück

Bevor ich beginne, von der Arbeit mit ihm zu berichten, möchte ich seine Vorgeschichte erwähnen.

Hierzu muss ich erklären, dass Eduard Bohn (mit dem ich bald per Du war), als er in der Klinik war, von Amts wegen einen amtlichen Betreuer zugewiesen bekam. Die Situation war folgendermaßen: Ein Jahr zuvor war Eduard nach einem Treppensturz mit etlichen Knochenbrüchen, Schädelbruch, Bruch zweier Halswirbel, teilweiser Lähmung der Arme und Beine sowie einer Blasen- und Mastdarmlähmung schwerstverletzt in die Uni-Klinik in Tübingen eingeliefert wurden. Die Unfallursache soll nach Auskunft seines Bruders eine sehr starke Trunkenheit gewesen sein. Mir gegenüber sprach er davon, dass sein Bruder alkoholabhängig gewesen sei und an diesem Tag sturzbetrunken die Treppe hinunterstürzte. Dies sei wohl auch die Ursache für seine so schweren Verletzungen gewesen! In seiner Krankenakte (die ich allerdings erst im Jahre 2011 zu Gesicht bekam) stand, dass Eduard bei seiner Einlieferung einen Alkoholwert von 0,8 Promille hatte. Dies deutet meiner Ansicht nach nicht darauf hin, dass Eduard sturzbetrunken war! Während seines Krankenhausaufenthalts ist wohl auch noch überraschend sein Vater gestorben. Dieser wurde erst ein paar Tage später aufgefunden. Als Todesursache wurde ein Herzinfarkt vermutet. Eduard war zu dieser Zeit nicht in der Lage, an der Beerdigung seines Vaters teilzunehmen. Der Vater wurde sehr schnell durch eine Feuerbestattung beerdigt. Eduard hatte durch seine schweren Verletzungen viele Gedächtnisausfälle. Nachdem er sich etwas erholt hatte, wurde er mit Krücken nach Hause entlassen. Er wurde weder einer Reha-Maßnahme zugeführt, noch bekam er eine Pflegekraft an die Seite gestellt. So wurde er also ziemlich hilflos in die zwei nun leer stehenden Häuser entlassen. Sein Bruder stand ihm auch nicht hilfreich zur Seite.
Er hatte eine sehr schwere Zeit, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Nachdem er sich nach etwa einem Jahr ein wenig erholt hatte, ereilte ihn der nächste Schicksalsschlag.
Erneut erlitt er einen schweren häuslichen Unfall, bei dem er sich sehr schwere Verbrennungen am Schulterblatt zuzog. Auch dieses Mal hatte er sich den Schädel und zwei Halswirbel gebrochen. Er muss wohl schwerstverletzt vom Notarzt in die Klinik in Reutlingen gebracht worden sein. Nach der Erstversorgung wurde er wiederum ins Uniklinikum Tübingen verlegt.
Wer ihn damals gefunden und wer den Notarzt gerufen hat, ist bis heute unklar. Auf Nachfrage im Krankenhaus bekamen wir keinerlei Auskunft darüber.
Als ich seinen Bruder mal nach dem Unfall befragte, bekam ich nur den Hinweis, dass er wohl wieder sehr betrunken gewesen sei und auf die Herdplatte gestürzt sein müsse, er wisse sonst nichts.
Allerdings ist es für mich immer noch ein Rätsel, wie man rücklings auf den Herd fallen kann! Zumal ich von Eduard erfahren habe, dass es nur einen Gasherd im Hause Bohn gab. Auch ist mir immer noch unklar, wie es dann noch zu so einem schweren Sturz kommen konnte?
Dieses Ereignis traumatisierte Eduard so sehr, dass er einen Schock erlitt und von da an nicht mehr sprechen konnte. Er hatte eine vollkommene Amnesie und konnte sich an nichts mehr erinnern. Der Gedächtnisverlust, die schweren Verletzungen, und seine Sprachlosigkeit ließen den Schluss zu, dass er für sehr lange Zeit nicht mehr für sich selbst sorgen könnte, auch würde er nicht mehr so schnell oder vielleicht nie wieder selbst Entscheidungen treffen können.
Bevor er aus der Klinik entlassen werden konnte, musste für ihn eine adäquate Lösung gefunden werden. Klar war, dass er in diesem Zustand nicht nach Hause entlassen werden kann.
Vom sozialen Dienst der Klinik wurde dann beschlossen, dass Eduard ganz schnell einen amtlichen Betreuer bekommen musste, der für ihn alle Entscheidungen treffen sollte. Somit wurde vom Betreuungsgericht eine Schnellbetreuung eingerichtet. Die Rechtsanwältin Frau L., die dem Betreuungsrichter gut bekannt war, wurde kurzfristig eingesetzt. Dem schien nichts entgegenzustehen, da diese Rechtsanwältin schon mehrere andere Betreuungen hatte.




4. KAPITEL
Die amtliche Betreuung brachte Eduard Bohn große Nachteile!

Als diese Betreuerin ihr Amt antrat, begann sie erst mal damit, die beiden Häuser zu untersuchen, was darin für sie eventuell Brauchbares, das heißt Gewinnbringendes zu finden wäre. Obwohl es unüblich und auch nicht gestattet ist, ging sie zunächst alleine in die Wohnungen, um sich in aller Ruhe umzusehen. So hatte sie die Möglichkeit, wertvolle Dinge vorab verschwinden zu lassen. Gingen die abhanden gekommene Armbanduhr, der Ledermantel und die Jacke, die Stereoanlage sowie eine Lock aus der Eisenbahn auf ihr Konto? Dies konnte nie abschließend geklärt werden.
Danach begann sie mit einer zweiten Person den Hausstand aufzunehmen. Als die andere Person feststellte, dass doch einiges an bedeutenden Wertgegenständen vorhanden war, unter anderem auch eine goldene Bibel, die ihn auch interessieren würde, entrüstete sie sich, dass so etwas doch nicht ginge, man könne einem Betreuten doch nichts aus seinem Hausstand entwenden.
Tatsächlich hat sie nachgewiesenermaßen genau diese Bibel, es handelte sich um eine Familienbibel, und weitere Wertgegenstände, unter anderem ein Sparbuch im Werte von knapp 15.000 Euro, entwendet und verschwinden lassen. Leider konnte im Nachhinein nicht mehr alles festgestellt werden, da Eduard zu jener Zeit nicht handlungs- und erinnerungsfähig war. (Auch bis heute ist nicht klar, wo die besagte Bibel geblieben ist.)
Meiner Meinung nach wäre es die Aufgabe des nachfolgenden Betreuers gewesen, sich um diese Dinge zu kümmern.
In der örtlichen Presse machte dieser Fall Schlagzeilen, denn sie hatte viele betreute alte und kranke Menschen betrogen!
So war beispielsweise zu lesen: Reutlinger Rechtsanwältin veruntreute als Betreuerin mutmaßlich rund 200.000 Euro, oder: Reutlinger Rechtsanwältin, die Mandatsgelder veruntreute, zeigt sich geständig. Oder: Reutlinger Rechtsanwältin wegen Untreue zu Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Weiterhin wurde berichtet, es handle sich um 124 Einzelfälle, die sie in den Jahren zwischen 2004 und 2009 begangen hatte, rund zwanzig Menschen wurden von der Angeklagten betrogen. Laut des Staatsanwaltes Timo Kaufman lebte die 47-Jährige mit ihrem Mann und drei Kindern in „angespannten Verhältnissen“, trotzdem pflegte sie einen aufwendigen Lebensstil. Das konnte man nachvollziehen, wenn man wusste, was sie sich von dem Geld der von ihr betreuten Personen leistete. Zum Beispiel Reifensätze für ihren Jaguar, eine neue hochwertige Küche, einen Fernseher und DVD-Rekorder für die eigene Wohnung, dann eine Waschmaschine oder ein Reinigungsgerät für den Swimmingpool. Auch die eigene Kanzlei erhielt bessere Fenster und Türen, die Tochter erhielt ein Reitpferd. In einem Fall räumte sie das gesamte Sparbuch mit gut 15.000 Euro ab (das war der Mann, den ich begleitete). Auch das Finanzamt erfuhr nicht alles, was monatlich in die Taschen der 47-Jährigen wanderte. Wie ging sie vor? Sie fingierte Rechnungen oder kassierte Gelder für Leistungen, die schon abgerechnet waren. Zu diesem Zweck gründete sie zusammen mit ihrem Mann eine Firma in Reutlingen, die nur aus einem Briefkasten bestand. Deshalb muss sich nun auch der 50-Jährige vor dem Landgericht verantworten. Als Helfershelfer in „43 Fällen der Untreue im besonders schweren Fall“.
Aus den Aussagen des Ermittlungsführers der Polizei konnte man sich ein kleines, wenn auch unvollständiges Bild der Angeklagten machen. Danach trat die 47-Jährige als Rechtsanwältin wohl immer sehr selbstbewusst und dominant auf. Damit blendete sie auch die Betreuungsbehörde. Die hatten von den Machenschaften der Reutlingerin keine Ahnung. Sie hielt die Anwältin für integer und prüfte die Abrechnungen nicht weiter nach.
Erst ein Nachlasspfleger kam ihr auf die Schliche. Der erstattete im April 2009 Anzeige gegen die 47-Jährige.
Das Resümee der Betreuungsbehörde: „Betreuer und Nachlassverwalter haben eine sehr große Vertrauensstellung.“
An der Gerichtsverhandlung nahm ich mit Eduard teil, wir wollten beide diese Person kennenlernen, über die wir schon so vieles gehört und gelesen hatten! Aber Frau L. wurde von ihren Rechtsanwälten vertreten, somit bekamen wir sie nicht zu Gesicht.
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