Valhalla – Erinnerungen aus der Zwischenwelt!

Valhalla – Erinnerungen aus der Zwischenwelt!

Ingrid Schliebusch


EUR 17,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 136
ISBN: 978-3-99146-516-4
Erscheinungsdatum: 14.02.2024
Den Zweiten Weltkrieg haben Täter, Opfer, Wegschauer und die nachfolgende Generation sehr unterschiedlich wahrgenommen. Ihre Erlebnisse und die Auswirkungen des Krieges bis in die heutige Zeit werden in sehr persönlichen, berührenden Geschichten geschildert.
Jedes Leben hinterlässt Spuren. Spuren in der Erinnerung.
Ihnen zu folgen, sie wiederzubeleben, sie zu vertiefen,
zu verinnerlichen, ihre Bedeutung zu ergründen,
um daraus die Antworten auf alle Fragen abzuleiten
– ob sinngebend oder nicht –
bereitet die Wiege für nachfolgende Generationen.

Die Weisheit



Für alle Menschen, die Schuld in sich tragen und
sie im außen suchen.

Für Vadim, der mir den Weg zeigte.

Für meine Mutter, die mich liebte und mir mein Leben schenkte.

Für meinen Vater, der mich erlöste.



Vorwort


Deutschland, Juli 2021

Das sind meine Erinnerungen. Meine, die meines Vaters Johannes, meiner Mutter Elsa, die meiner beiden Onkel Wilhelm und Vadim und die anderer Menschen. Mit Valhalla bringe ich sie zurück ins Irdische, um sie zu lösen. Ihr seid alle verbunden mit dem Leid und dem Schmerz, der uns widerfuhr. Alle seid ihr damit verbunden. Es gibt keine Schuld, aber Angst vor Leid, Schmerz und Tod. Das muss enden. Die Angst ist lebensfremd geworden. Sie macht euch unmenschlich, entfernt euch von Liebe und Mitgefühl. So wie es mir erging, entfernt sie auch euch immer weiter von eurem Selbst. Die Angst muss durch Liebe und Vertrauen ersetzt werden. Ihr braucht Mitgefühl für euch und füreinander! Liebe, Mitgefühl und Vertrauen in euch! Dann wird es enden.

Jakob Wilhelm



Prolog


„Woran erkennt man die Wahrheit?“, fragte die Lüge.
„Die Wahrheit kann man nicht erkennen, man kann sie nicht erfassen, weil sie alles umfasst. Die Wahrheit ist die allerhöchste Instanz, aus ihr spricht der Mensch ohne Worte“, antwortete die Weisheit.
„Das verstehe ich nicht. Ich werde oft mit der Wahrheit verwechselt. Die Menschen mögen mich und ich fühle mich allgegenwärtig. Noch nie bin ich der Wahrheit begegnet. Wie kann ich sie finden?“, fragte die Lüge.
„Du kannst sie nicht finden. Nach der Wahrheit sucht man nicht. Sobald du beginnst, sie zu suchen, ist sie nicht mehr wahr. Wenn sie nicht mehr wahr ist, findest du dich selbst. Hast du dich selbst gefunden und erkannt, wer du bist, endet dein Sein. In dem Augenblick, in dem du endest, wird die Wahrheit sichtbar“, antwortete die Weisheit.
„Das heißt, ich kann ihr nie begegnen, weil sie nur sichtbar wird, wenn mein Sein endet?“, fragte die Lüge.
„Du begegnest der Wahrheit jeden Tag, denn sie begleitet dich. Du kannst sie nicht sehen durch deine Augen, nicht hören durch deine Ohren, aber fühlen kannst du ihre Anwesenheit“, entgegnete die Weisheit.
„Wie fühlt sich die Wahrheit an?“, wollte die Lüge wissen.
„Halte inne und tritt beiseite, verschließe deine Augen und deine Ohren, dann kannst du sie fühlen“, forderte die Weisheit die Lüge auf.
Die Lüge schloss ihre Augen und Ohren, trat beiseite und hielt inne, wie es die Weisheit gefordert hatte.
„Ich fühle die Wahrheit nicht, ich fühle nur Angst“, sagte die Lüge ganz leise. „Die Angst sitzt zusammengekauert im Dunkeln, tief auf dem Grunde der Herzen und schaut auf den Tod.“
„Gib ihr deine Hand und führe sie ans Licht!“, rief die Weisheit.
„Wie soll ich das anstellen?“, fragte die Lüge.
„Du bist die Lüge, dir wird sie vertrauen. Versprich ihr, dass ihr gemeinsam den Tod besiegen werdet, dann wird sie dir folgen“, riet ihr die Weisheit.
Die Lüge tat, was ihr die Weisheit geraten hatte. Sie reichte der Angst eine Hand und versprach ihr, dass sie den Tod besiegen würden, wenn sie mit ihr gemeinsam ans Licht käme. Die Angst vertraute der Lüge tatsächlich. Im Glauben daran, den Tod zu besiegen, ließ sie sich von der Lüge ans Licht führen. Die Lüge begegnete der Wahrheit im selben Augenblick, in dem die Angst in ihr Licht trat. Im Lichte der Wahrheit beendete die Lüge ihr Sein und mit ihr die Angst, die sie fest an der Hand hielt.



Das EINE


„Ich bin es, erkennst du mich nicht?“, fragte das Eine.
„Nein, wer bist du?“, fragte er zurück.
„Bin ich es, erkennst du mich!“, antwortete das Eine.
„Woher soll ich wissen, ob du es bist? Ich erkenne dich nicht!“, entgegnete er.
„Erkennst du mich nicht, bin ich es nicht“, fügte das Eine hinzu.
„Du bist es, wenn ich dich erkenne und wenn ich dich nicht erkenne, bist du es nicht?“, fragte er. „Ich verstehe deine Worte nicht! Was willst du von mir?“
„Warum lebst du?“, fragte das Eine unvermittelt.
„Warum ich lebe?“, wiederholte er die Frage.
„Du bist verwundert über diese Frage?“, fragte das Eine. „Warum bist du nicht tot, wenn du keinen Grund zum Leben hast?“, setzte es gleich nach.
„Wer bist du, dass du mir solche Fragen stellst? Ich finde keinen Sinn darin“, antwortete er.
„Du forderst einen Sinn in meinen Fragen, obwohl du keinen Grund zu leben weißt? Welchen Sinn hat es, dass du lebst?“, fragte das Eine weiter.
„Ich lebe ohne Sinn“, gab er zurück.
„Alles hat einen Sinn!“, antwortete das Eine. „Wenn nicht alles einen Sinn hätte, warum sollte es dann sein?“
„Ich sehe keinen Sinn im Leben. Vielleicht kann ich ihn erst erkennen, wenn ich tot bin“, fügte er hinzu und wandte sich ab.
Doch in welche Richtung er sich auch wandte – das Eine stand immer direkt vor ihm und schaute ihn freundlich, aber herausfordernd an.
„Warum stellst du diese Fragen ausgerechnet mir? Ich kann sie dir nicht beantworten!“, sagte er schließlich.
„Ich stelle sie dir, weil nur du sie beantworten kannst! Sie enden in dem Moment, in dem du mich erkennst.“
Er hielt inne und schaute das Eine an, als ob er es jetzt erst wahrnehmen könnte.
„Bist du das Leben?“, fragte er schließlich.
„Ja, ich bin es!“, antwortete das Leben liebevoll.
„Du kommst zu spät“, antwortete er und schickte es fort.


Valhalla an einem Tag ohne Zeit

„Heute!“, rief das Gestern. „Nein, morgen erst!“, rief das Heute. „Jetzt!“, rief der Moment. „Seid ruhig!“, rief die Zukunft. „Die Vergangenheit holt sie sonst ein, die Zeit, die ihr verschwendet.“


Nachdem das EINE weg war

„Ich friere, es ist so kalt hier im Dunkeln!“, klagte sein Herz.
„Das ist seine Kälte! Das Leben hat uns verlassen“, sagte sein Verstand.
„Wo ist das Leben? Warum ist es fort?“, fragte sein Herz.
„Er wollte nicht mehr denken müssen, darum hat er es fortgeschickt!“, antwortete sein Verstand.
„Aber du sprichst mit mir, also denkt er immer noch!“, widersprach sein Herz.
„Ja, er denkt immer noch, aber nicht mehr darüber nach“, entgegnete sein Verstand.
„Worüber?“, fragte sein Herz.
„Über den Tod. Er muss nun nicht mehr über den Tod nachdenken, weil er jetzt tot ist“, antwortete sein Verstand.
„Er ist tot?“, fragte sein Herz bange.
„Ja, er ist tot. Eigentlich lebte er schon lange nicht mehr“, sagte sein Verstand.
„Was meinst du damit, er lebte schon lange nicht mehr?“, fragte sein Herz.
„Er hatte sich schon lange vom Leben abgewandt und dachte nur noch über den Tod nach“, erklärte sein Verstand.
„Warum wandte er sich ab vom Leben?“, fragte sein Herz.
„Er hatte die Lust daran verloren. Ständig fragte er mich nach dem Wert des Lebens, aber ich fand keine Antwort, die ihm gefiel!“, antwortete sein Verstand.
„Das ist traurig. Ich fühle die Einsamkeit und seine Angst davor. Er verschloss mich, sodass er sich selbst nicht wahrnehmen konnte“, sagte sein Herz leise.
„Jetzt ist Ruhe. Alle Gedanken sind gedacht. Es kommen keine neuen mehr. Nur noch seine Erinnerungen bleiben …“
„… und seine Gefühle“, ergänzte sein Herz und fragte: „Was geschieht mit uns, ohne das Leben?“
„Wir existieren nicht mehr. Durch das Leben waren wir. Ohne das Leben sind wir nicht mehr. Sein Körper vergeht und wir verlassen ihn. Wir sind jetzt frei“, antwortete sein Verstand.
„Frei? Was bedeutet das, frei sein?“, fragte sein Herz.
„Frei sein bedeutet, dass wir nun kein Teil mehr von ihm sind. Wir lösen uns von ihm. Das Leben ist schon fort. Wir sind noch da, weil wir immer zuletzt gehen“, erklärte sein Verstand.
„Wohin gehen wir?“, fragte sein Herz.
„Ich gehe auf in den Erinnerungen und du mit mir, denn alle Erinnerungen sind fest mit Gefühlen verbunden und jedes Gefühl mit einer Erinnerung. Dort bleiben wir, bis wir wieder erinnert und gefühlt werden von einem Menschen“, antwortete sein Verstand.
„Ich fühle mich so schwer. Ich kann mich nicht lösen von ihm!“, klagte sein Herz.
„Die Schwere ist nicht deine, sie bleibt hier. Nur leichte Herzen können sich vom Irdischen lösen“, erklärte sein Verstand.
„Was geschieht mit ihr?“, fragte sein Herz.
„Andere Herzen werden sie aufnehmen“, antwortete sein Verstand.
„Andere Herzen werden diese Schwere aus Einsamkeit, Kummer und Angst weitertragen?“, fragte sein Herz besorgt.
„Ja, sie bleibt hier. Andere Menschen werden sich ihrer annehmen und sie in ihren Herzen weitertragen“ antwortete sein Verstand.
„Ich fühle die Schwere als unausgesprochenes Leid seiner Erinnerungen“, sagte sein Herz. „Er fühlte sich ausgeschlossen vom eigenen Leben“, fügte es hinzu.
„Er lebte schon lange nicht mehr“, wiederholte sein Verstand und beendete sein Denken. Sein Herz ließ die Schwere los und folgte ihm.


Valhalla zwischen der Zeit

„Die Vergangenheit holt dich ein, wenn du zu lange hinsiehst. Dreh dich um! Dreh dich um!“, lockte die Zukunft.



Teil 1
Erinnerungen aus vor der Zeit, in der Zeit und nach der Zeit


KZ Sachsenhausen, April 1945 – Erinnerungen von Vadim


Der Tod ist allgegenwärtig. Er umschließt mich. Ich rieche, sehe, höre und fühle den Tod. Ich spüre mein Vergehen, mehr als mein Leben. Ich vergehe. Die Zeit steht still, doch ich vergehe. Ich lebe rückwärts. Ich will endlich Gewissheit, die sichere Gewissheit, dass ich sterbe oder leben werde. Ich kann nicht mehr ohne Gewissheit leben. Ich möchte wissen, wann es so weit ist. Heute, morgen, in einer Woche? Wann ist es vorbei? Lieber jetzt, dann habe ich Gewissheit!
Wir werden aufgelöst. Sie treiben uns fort! Sie treiben uns! Wer nicht mehr laufen kann, wird erschossen. Sie treiben uns! Der Tod treibt uns über die Felder. Ein Todesmarsch der lebenden Toten. Der Tod treibt uns voran. Viele bleiben auf der Strecke liegen, einfach liegen und sterben. Sie haben Gewissheit, dass es zu Ende ist. Doch es treibt uns voran, ein letzter Funke Hoffnung auf Leben, ein letzter Rest Leben, der noch in unseren ausgemergelten Körpern steckt. Niemand weiß, niemand weiß, aber einige hoffen noch. Die, die nicht mehr hoffen, bleiben liegen.
Ich falle, ich liege, werde ohnmächtig. Man tritt mich in die Seite. Ich rühre mich nicht. Er geht weiter und lässt mich sterben – endlich Gewissheit.
Ich liege. Die Zeit steht still. Es beginnt zu regnen. Mein Gesicht wird nass. Ich lebe noch. Ich lebe noch!
Ich werde hochgerissen. Man legt mich auf einen Karren und fährt mich. Wohin? Ich spüre das Holpern des Karrens, ich höre Stimmen, doch ich verstehe die Worte nicht. Ich liege im Stroh, „mehr tot als lebendig“, höre ich sie sagen. Sie heben meinen Kopf und geben mir Wasser.

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