Tut Buße und baut ein Klo

Tut Buße und baut ein Klo

Mein Leben als Missionar zwischen Schwarzwald und Schwarz-Afrika

Willy Schneider


EUR 22,90
EUR 18,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 388
ISBN: 978-3-99131-839-2
Erscheinungsdatum: 12.12.2022
Heimat ist dort, wo sich dein Herz zu Hause fühlt – manchmal an mehreren Orten zugleich. Zwei Kontinente – Europa und Afrika –, große Aufgaben, die das Lebenswerk bestimmen – Willy Schneider verwirklicht durch unermüdlichen Einsatz seine Berufung.
Vorwort Willy Schneider

„Tut Buße, baut ein Klo!“ Das klingt etwas eigenartig für einen Pfarrer, aber es illustriert die praktische, tatkräftige Arbeit eines Missionars in Afrika ziemlich gut. Mir fallen dazu viele Geschichten ein, eine fand Eingang in eine meiner Predigten:
Eine Verwandte in Kenia war früher Angestellte bei der Post in Kakamega. In der Weihnachtszeit wurden von ihnen viele Briefe geöffnet und das Bargeld entnommen. Zu jener Zeit wurde im Postamt umgebaut, provisorisch entstand ein Plumpsklo und da hinein wurden die Briefe und Briefbögen, quasi die „Beweise“, entsorgt. Der Officer, der diese Vorfälle untersuchte, fand per Zufall die Ursache, denn er musste während seiner Untersuchung aufs Klo. Durch die natürliche Beschwerung öffnete sich unter ihm eine der Postsachen. Es war eine Musikkarte, die sofort das Lied: „O, du fröhliche, o du selige, gabenbringende Weihnachtszeit“ zu spielen begann.
Mein Thema in der folgenden Predigt: „Tut Buße“ als Aufruf an die Täterinnen, „baut ein Klo“ als Appell an die Behörde.
Die nächste Predigt hielt ich in Mathare Valley, einem Slum in Nairobi, zu diesem Thema. Dort war es üblich, das „Geschäft“ in einer Tüte zu erledigen, sie zuzubinden, zu schwingen und fliegen zu lassen. „Flying toilet“ statt „Flying doctors“, die hier in Mathare eine permanente Einrichtung ist. Ein Nachbarhügel war als Zielort besonders geeignet und gebraucht. Mein Vorschlag, ob der hervorragenden Düngung dort Nelken für den Muttertag anzubauen, wurde nie umgesetzt.
Während meiner Missionszeit erlebte ich viele ähnliche Geschichten über allzu menschliche Sorgen und Nöte, von denen auch einige in diesem Buch erzählt werden sollen.
In den vergangenen Jahrzehnten habe ich die Erzählkunst Afrikas praktiziert. Bei jeder Reisevorbereitung nutzte ich die Gelegenheit, die Teilnehmer auf das Neue, Unerwartete und noch Unbekannte einzustellen. Vor Ort konnte ich den Reichtum der Erfahrungen Afrikas besonders veranschaulichen.
Ich habe in vielen Jahren viele Geschichten erzählt. Immer wieder drängten mich meine Freunde, einige davon aufzuschreiben. Das ist nun geschehen, Corona-Pandemie-Zeiten machten es möglich. Die Aktivitäten wurden heruntergefahren, die Hektik blieb aus, Zeit und Stille schafften sich Raum.
Ich habe viele Menschen und Situationen erlebt. Ich bin reich geworden an Erfahrungen, gewachsen im Menschsein und habe viel Glück im Miteinander erlebt. Das Vertrauen in Gott hat mir oft Flügel verliehen, mich sicher durch dunkle Täler geführt und am gedeckten Tisch manche Mahlgemeinschaft ermöglicht.
Viele Wegbegleiter wurden ein Segen für mich. Ich selbst möchte keinen Tag missen im Zusammensein mit Familie, Kindern und Enkeln, unter Freunden, in meiner Gemeindearbeit, in den vielen Projekten und Aufgaben, in Malaika Children’s Home, bei den Krippenschnitzern und Ebenholzkünstlern.
Etwas von dem vielfältigen Reichtum des Lebens kommt in dieser Biografie zur Sprache, auch die hellen und dunklen Seiten des Lebens im Glauben, in den Konfessionen und Religionen. Einen herzlichen Dank an alle, die meine Biografie gefördert und daran mitgearbeitet haben.


Mein Sturz auf Granit

Ein weiteres „Beinahetod-Erlebnis“ widerfuhr mir während der abschließenden Arbeiten zu diesem Buch. Unser Haus befindet sich an einem steilen Berghang.
Anfang Oktober knallte ich nach einem Fehltritt meinen Kopf auf Granit hinterm Haus. Der Transport einer schweren Maschine, die ich vor aufziehenden Gewitterwolken in Sicherheit bringen wollte, war schuld. Der Granit war härter als ich, meine linke Körperhälfte beschädigt. Blutungen im Kopf, Operation nicht möglich. Asuna weigerte sich, entgegen aller Corona-Regeln, mein Krankenzimmer in der Ortenauklinik in Offenburg zu verlassen. Sie forderte den Chefarzt und ich wurde einige Tage auf die Intensivstation verlegt. Das war meine Überlebenschance. Mein Gedächtnis war im Urlaub, gemeinsam mit meiner Sprache. Keine Hoffnung, sagte ein Oberarzt. Doch nach einem Monat kam ich in eine Reha bei Freiburg. Die medizinischen Fachkräfte warnten vor einem geplanten Flug nach Kenia. Am Tag des Abschieds warnte meine zuständige Neurologin davor, ihre Prognose: Ich werde beim Starten umkippen, das Flugzeug muss wieder landen, ich muss ins Krankenhaus und dann alle Kosten selbst übernehmen.
Ich zitierte das Wort des Engels im Lukasevangelium: „Fürchtet euch nicht!“
„Es geht zu Ende“, klang es kräftig in meinen Verstand hinein. Aus meiner Seele aber klang permanent die Zuversicht. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn DU bist bei mir!“ Diese Gewissheit konnte keine Finsternis, kein Sturz zu Fall bringen. Das Vertrauen und die Zuversicht in Gott bestärkten mich und ich hielt durch.
Nach der Weihnachts- und Neujahrsfeier im Kinderheim in Kenia ging es langsam aufwärts. Meine Rückreise im Flugzeug wurde von der Hoffnung getragen und im Zug hieß es „in Fahrtrichtung aussteigen“. Ich bin gesund wieder im Schwarzwald angekommen.
So scheint es bei mir gut zu werden – in ein neues Jahr hinein.
Ich werde gesund und bleibe bei Trost im Jahre 2022, in Zukunft.

Willy Schneider
Ottenhöfen im Schwarzwald, im Frühjahr 2022



Kindheit und Jugend im Schwarzwald


Mit 9 Jahren bekam ich meine erste eigene Bibel, mit 10 Jahren eine eigene Schrotflinte.

Unser Hausname war Rapp. Der Großvater meiner Mutter war Schreinermeister und daher „dr Rappeschriner“. Dank seines Berufes kam er in viele Häuser, zuletzt mit dem Sarg. Als Kind erlebte ich mit meiner Schwester Linchen die schmerzlichen Folgen zweier Weltkriege. Unsere Mutter erzählte, wie ihr Vater im Ersten Weltkrieg starb, als seine Frau Karoline im sechsten Monat mit ihr schwanger war. Die Folgen waren schwer zu ertragen. Hinzu kam, dass der Vater kurz vor Vollendung seiner zwölfjährigen militärischen Laufbahn war, dies aber für die darauffolgende Rente nicht berücksichtigt wurde. Sie verdiente künftig ihren Lebensunterhalt mit Näharbeiten.
Meine Mutter war ein sehr fröhlicher Mensch. Sie wuchs mit vielen Nachbarskindern im „Gaisdörfle“ auf. Jede Familie hatte eine Ziege, erklärte sie mir, damit sie überleben konnte. Sie spielten Theater, wanderten, sangen zur Gitarre und hatten viel Spaß miteinander. Sie erzählte vom Sonnenaufgang auf der Hornisgrinde mit Blick ins Rheintal bis hinüber nach Straßburg, wo der hohe Münsterturm den Blick fängt. In den Dreißigerjahren lernte meine Mutter das Kochen im Sanatorium Breitenbrunnen, einem beliebten Konferenzhotel, oberhalb von Sasbachwalden, Brandmatt.
Dort begegnete sie ihrem künftigen Ehemann, Willi Schneider, der Lehrer in St. Georgen im Schwarzwald war. Seine Familie lebte bis zum Ersten Weltkrieg in Straßburg in der Robertsau. Sein Vater, mein Großvater, Heinrich Schneider stand im Dienst von Kaiser Wilhelm.
Gegenüber von Mutter Lina wohnte ihre Freundin Edith, derselbe Jahrgang wie meine Mutter. In meiner Kindheit besuchte ich oft den Großvater Käshammer, der alle Kräuter und Pflanzen im Tal und auf der Höh’ kannte und uns bei Bedarf damit heilte. Er trocknete sie auf seinen Drahtgeflechten in der Küche über dem Herd. Sein Sohn wurde ein berühmter Fotograf und fing alle Motive, Sommer wie Winter, im ganzen Schwarzwald und im Ortsgeschehen ein. Er machte den besten Honig, den wir viele Jahre im kleinen Eimer von seiner Frau Edith erwarben. Ihr Sohn Richard trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls ein erfolgreicher Fotograf.
Großmutter Karoline Engelhardt, geborene Rapp, hatte ein schweres asthmatisches Leiden und starb kurz vor der Verlobung ihrer Tochter Lina.
1939 folgte die Hochzeit meiner Eltern, in Schwarz gekleidet.
1940 wurde Tochter Linchen und 1941 Sohn Willy (ich) geboren.
Wir waren eine fromme Familie, die ihren christlichen Glauben lebte und sich gerne mit anderen um die Bibel versammelte.
In den frühen 50er-Jahren war die Volksschule in Ottenhöfen ein Erlebnis. Die Schüler aus den Tälern rings um Ottenhöfen hatten einen weiten Schulweg, besonders beschwerlich im Winter bei Schneefall. Viele betrieben zu Hause Landwirtschaft und brachten deshalb Brot, Speck, Milch, Butter, Eier und Naturalien für die Lehrer mit. Das half unter Umständen, den Übergang in die nächste Klasse zu sichern.
Manche unserer Lehrer hatten einen großen Schulgarten. Etliche Schüler wurden dort regelmäßig zur Mitarbeit eingesetzt. Dies geschah just in der Unterrichtszeit der Fächer, in denen sie schwächelten.
Im Unterricht, meistens gegen Mittag, wurde auch die Post und Besorgungen für den Lehrer erledigt. Wir übernahmen gerne den Botendienst. Oft gab es dafür für 3 Pfennig „Bäredreck“ (Lakritz) im Lädele bei der Börsig Maria. Gelegentlich schafften wir es bis zu einem 10er-Würstle vom Zinke Metzger.


Das Klavierspiel begleitete mich später bis nach Afrika

Unvergesslich bleibt uns der Musikunterricht unserer sehr resoluten Lehrerin. Ihr Haselnuss-Stöckchen verschaffte uns öfters Hornhaut auf den Fingerspitzen. Mit großem Ehrgeiz versuchte sie, uns die Tonleiter beizubringen und uns gesanglich zu perfektionieren. Ich erinnere mich an einen Schulkameraden, der absolut unmusikalisch war. Er war echt zu bedauern. Auch die wütenden Hiebe schafften nachträglich keine musikalischen Fähigkeiten.
Um die Hausmusik im Tal zu fördern, kam Frau Singer von Achern nach Ottenhöfen. Meine Schwester Linchen und ich teilten uns eine Stunde aus Kostengründen. Außerdem kam Frau Kayser zum Geigenunterricht ins Haus am Hildahain. Sie war eine Verwandte des Malers Kayser, der das schöne Landschaftsbild im Chor der Evangelischen Kirche in Ottenhöfen schuf.
Frau Singer erzählte uns öfters von ihren beiden Töchtern, die als die „tanzenden Kessler-Zwillinge“ international berühmt wurden. Kürzlich feierten beide ihren 80. Geburtstag.
Im Gasthaus „Kreuz“ stand ein Klavier im Saal. Hier fand jährlich der musikalische Treff aller angehenden Klavierkünstler, von Frau Singer geschult, statt. Ein kulturelles Ereignis der besonderen Art in jenen Zeiten.
Unser Ass war Hans-Martin, der mit Beethoven und Chopin als Solist glänzte. Später wurde er für viele Jahre anerkannter Organist an der neuen Orgel in der römisch-katholischen St. Anna/St. Bernhard Kirche. Eine beachtliche Anzahl von Klavierspielern gaben am Festtag ihr Können zum Besten. Meine Schwester und ich spielten jeweils vierhändige Stücke am Klavier. Das Klavierspiel begleitete mich später bis nach Afrika, wo wir in Tansania abends Hausmusik am Steinway-Flügel machten.


Die Klassenarbeit wurde ein voller Erfolg

Unser neuer Französischlehrer gab uns als Klassenarbeit immer einen Original-Abschnitt aus dem Lehrbuch, eine leichte Übung, die allmählich unser Buch in eine Sammlung fliegender Blätter verwandelte, da jeweils ein Blatt bei der Klassenarbeit zusammengefaltet im Mäppchen wartete. Er fand es merkwürdig, dass wir 12 in den hintersten Reihen immer das beste Ergebnis erzielten. Vor uns saßen schlaue Mädchen, die uns beim Diktat die richtige Zeichensetzung mit dem Bleistift auf den Tisch morsten. Da ich in Mathe nicht zu den Klassenbesten gehörte, bekam ich von unserem Mathelehrer, der am Schlossbuggel in Ottenhöfen wohnte, Nachhilfe. Vor jeder Klassenarbeit exerzierten wir die kommende Arbeit mit veränderten Zahlen durch. Es wurde jeweils ein voller Erfolg.


In Deutsche eine 7

Es gab Zeugnisse und mein Banknachbar aus Fautenbach schaffte wegen der Deutschnote nicht den Sprung in die nächste Klasse. Nie wieder in meinem Leben habe ich solch eine Note in einem Zeugnis gesehen. Zugegeben, er hatte kaum unter 60 Fehlern bei seinen Arbeiten. Heute würde man ihn als Legastheniker mit einer Schreibschwäche bezeichnen und ihm andere Bedingungen zum Lernen anbieten. Der Lehrer gab ihm sein Zeugnis und sagte, er könnte es nicht mehr verantworten, ihm nur eine 6 zu geben, darum schrieb er eine 7 ins Zeugnis. Viel später traf ich meinen Banknachbarn beim Autobahnbau. Inzwischen war er Capo, Bauführer einer großen Bautruppe. Er hatte seinen Weg ins Berufsleben gemacht. Wie schön für ihn, trotz der 7 im Zeugnis.
Nach der Schule trafen wir uns in Ottenhöfen öfters noch im Gasthaus „Adler“, da dort die erste Glücksspielmaschine links am Eingang aufgestellt war. Tatsächlich, manchmal hatten wir Glück! Ich höre heute noch das Klingeln der Münzen in meinen Ohren.
Das Haus, das ich derzeit bewohne, wurde in den 50er-Jahren für einen Lehrer gebaut. Etliche Schüler erzählten mir, wie sie dabei geholfen hatten.


Die Fahrt mit dem „Bähnle“

Die Fahrt mit dem „Bähnle“ ins Gymnasium nach Achern, gezogen von der Dampflok, war für uns eine Sensation. Unser Zuhause war der Schülerwagen mit der Aufschrift: „Nur für Schüler“, der als Letzter angehängt wurde. Im Winter sorgte ein mit Holz beheizter „Bollerofen“ für Wärme. Um die Luft im Tal zu verändern, halfen wir mit Gummiringen auf den glühenden Ofenplatten etwas nach. Der Zug fuhr manchmal so langsam, dass wir gelegentlich aussteigen und Schnee für unsere Schlacht im Wagen besorgen konnten. Schließlich mussten wir den Schülern aus Kappelrodeck, die öfters Stress verursachten, eine Abreibung verschaffen. Warum diese Reibereien zwischen Ottenhöfen und Kappel sich so hartnäckig hielten, dafür habe ich nie eine schlüssige Erklärung gefunden. „S’isch halt eso!“
Bei einer Gelegenheit verpasste mein Schneeball den Kappler knapp am Kopf, dabei ging eine Scheibe zu Bruch. Mein Verwandter „dr Decker Schriner“, Meister Erwin, war sofort zur Stelle mit der Reparatur.
Unser kleinwüchsiger und zäher Schaffner verfluchte uns öfters während der Heimfahrt. Zwischendurch schimpfte er auch kräftig mit solchen Kurgästen, die kein Kleingeld für ihre Fahrkarte hatten. Dafür schickten wir ihn schon mal in die Wüste. Als er auf der letzten Station in Furschenbach hinterm Häuschen dringend austreten musste, ahmten wir mit unserer Pfeife seinen Sound nach und der Zug setzte sich in Bewegung bis nach Ottenhöfen, ohne ihn.
Später wurde der Ruß der Lok zum großen Ärgernis im Tourismus. Wer sein Bleichgesicht aus dem Fenster hielt, bekam eine leicht dunklere Färbung während der Fahrt. Ein sauberer Triebwagen musste her. Etliche Jahre später sollte die historische Dampfzugfahrt wieder eine neue Attraktion für viele Besucher werden.
Im Gymnasium der 50er-Jahre in Achern wurden wir von sehr unterschiedlichen Lehrern unterrichtet. Da waren die Junglehrer, die ihr Glück als Referendare versuchten. Wir waren 45 Schüler in unserer Klasse, eigentlich eine Überforderung, da wir nicht den besten Ruf hatten. Da hieß es strammstehen, wenn der Mathelehrer, ein ehemaliger SS-Offizier, die Klassentür öffnete. Wir Jungen mussten unsere Fehler und Versäumnisse mit 50 Liegestützen vor der ganzen Klasse „bezahlen“. Das war peinlich wegen der Mädchen. Im Sprachunterricht vermissten wir den Klang der Traditionen und das Flair von Paris, wie im Französischunterricht. Nur Grammatik pauken, kein Chanson d’Amour.

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