Niloufar

Niloufar

Folge den Spuren der Seerose von der Dunkelheit ans Licht

Shira Asfarinni


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 250
ISBN: 978-3-95840-106-8
Erscheinungsdatum: 23.03.2016

Kundenbewertungen:

5 Sterne
Mega Block Buster such dir ein Filmemacher Azizam - 01.05.2016
Dein König der Könige

Namaste Kein Buch Geschichte hat mich so verletzt wie diese ...Wenn es verfilmt wird werden die Menschen LKW Ladungen an Taschentücher brauchen ...Ich musste Zeitlich aufhören hab Monate gebraucht weil ich jeden Scherz gefühlt hab...dieser Seelen liebe Wünsche dir nur das Besste und ErfolgIn Liebe meine Göttin

5 Sterne
Fesselnde Geschichte - 26.04.2016
Heinz

Eine Fesselnder Geschichte im Ichform geschrieben.Das ende bleibt ein wenig "offen".Ich hoffe das es bald ein zweiter Teil gibt!

5 Sterne
Niloufar - den Spuren der Seerose - 09.04.2016
Heinz Vombaum

Ich eigentlich eher zufällig auf dem Buch gestoßen.Habe es dann weil es noch recht neu war, bei der Mayerische Buchhandlung in Köln bestellt. Es wurde sehr schnell geliefert.Das Buch selber ist in der ich-Form geschrieben und liest sich sehr einfach.Die Geschichte ist sehr authentisch und fesselt einen vom ersten Kapitel bis zum Schluss. Ich habe das Buch in 2x ausgelesen und das nur weil ich es abends spät angefangen habe.Persönlich finde ich es ein sehr empfehlenswertes Buch. Auch für Menschen die das ende des Schah von Persien Regime nicht miterlebt haben. Der Lebenslauf von diesem sensiblen jungen Mädchen in einer – für uns – extreme Männerwelt wurde sehr bildlich dargestellt.Ich hoffe auf mehr.

1 Handarbeit

Mein Vater, Baba Suren, war zu diesem Zeitpunkt Oberleutnant bei den Pionieren. Als solcher bereiste er das ganze Land und blieb oft lange fort. Wegen des Konflikts zwischen dem Iran und dem Irak wurde er an die Landesgrenze berufen im Süden. Ich liebte meinen Vater schon damals so abgöttisch, dass mich allein der Gedanke an die Trennung von ihm krank machte. Meine tiefe Sehnsucht schnürte mir die Kehle zu. Ich bekam starke Halsschmerzen und schrie die Nächte durch. Mein kreischendes Flehen nach ihm überforderte Maman Sara sehr. Sie tröstete mich mit leeren Versprechungen. Wochen wurden zu Monaten und der bittere Schmerz, ihn nicht bei mir zu haben, ohne jede Gewissheit, ob und wann ich ihn wiedersehen würde, brachte mir den Keuchhusten und als Folge davon einen Leistenbruch. Ich war so klein und zerbrechlich, dass meine Mutter nicht sicher war, ob ich das überleben würde. Sie tat alles für mich. Aber alles war nichts ohne Baba Suren. Es war egal, wie viel Mühe sie sich gab, um mich gesund zu pflegen. Es änderte nichts an meinem Zustand. So war sie sehr verwundert und vielleicht sogar ein wenig gekränkt, als meine plötzliche Genesung mit dem Tag seiner Rückkehr einsetzte. Was hatte er, das mich nachts ruhig schlafen ließ, was sie nicht hatte? Sie verstand es nicht, weil sie die Verbindung nicht erkennen wollte. Die Abwesenheit meines Vaters und meine Krankheit. Die Verbindung zwischen diesen beiden Ereignissen. Die Verbindung zwischen ihm und mir. Meine Seele hatte ihre Trauer zum Ausdruck bringen wollen.
Baba Suren schloss mich fest in seine Arme. Die Leere in meinem Herzen war verflogen. Voller Liebe sah er mich an, als hätten seine Augen sagen wollen, sie seien keine Minute von meiner Seite gewichen. Er schenkte mir eine sprechende Puppe, die ich liebte, weil sie von ihm war und meine Erlösung verkörperte.
Schon bald kam Ashy zur Welt. Anders als es bei anderen Geschwistern häufig der Fall ist, beneidete ich meinen Bruder gar nicht, weil ich gerne ein Mädchen war. Er hatte ganz helle Haut so wie Maman Sara. Alles an ihm war heller als bei mir. Seine Augen waren hellgrün und seine Haare goldblond und glatt. Ich dagegen hatte schwarze, wellige Haare bis knapp unter die Ohren, mandelförmige, mokkabraune Augen und in der Mitte zusammengewachsene Augenbrauen. Obwohl ich sehr dünn war, hatte ich ein rundes Gesicht. Mit meiner tiefbraunen Hautfarbe und den vollen dunklen Lippen sah ich wie eine kleine Indianerin aus. Vielleicht faszinieren mich die Indianer deswegen so. Am liebsten hatte ich es, wenn Maman Sara mich vor den Spiegel in ihrem Schlafzimmer setzte und schön machte. Wenn sie mir zu besonderen Anlässen Lockenwickler in die Haare drehte, sah ich aus wie eine geschrumpfte Dame von Welt, deren winziger Kopf unter ihrer üppigen Frisur verschwunden war.
Mit sieben wurde ich in Teheran eingeschult. Heute weiß ich, dass Menschen alle sieben Jahre große Entwicklungsstufen durchlaufen und nach den ersten sieben Jahren die persönlichen Eigenschaften in ihren Grundzügen schon feststehen. Wenn ich mich daran zurückerinnere, wie ich mit sieben war, fällt mir vor allem ein, dass ich Gespräche jeglicher Art mied. Ich war scheu, ängstlich und in mich gekehrt. Ich konnte mich nie richtig mitteilen und hasste es, etwas gefragt zu werden.
Mit der Schule begann eine schlimme Zeit für mich, weil ich das System verabscheute für das, was es aus uns machen wollte. Charakterlose Marionetten, die nur funktionieren, aber nichts infrage stellen sollten. Schon die grauen Uniformen, die wir trugen, erstickten jeden Anflug von Einzigartigkeit im Keim. Tag für Tag brachte mich Maman Sara unter Zwang in das von Eisenstangen umfasste Gebäude, das nicht nur äußerlich alle Merkmale eines Gefängnisses erfüllte. Beim Abschied presste ich mein Gesicht zwischen die kalten Stangen und weinte mit der Hoffnung, sie würde sich zu mir umdrehen und mich dort rausholen. Stattdessen warf sie mir nur einen hilflosen Blick zu, weil auch sie nichts an der Situation ändern konnte. Niemand konnte das.
Der Unterrichtsstoff, der uns eingetrichtert wurde, schien mir vom ersten Tag an sinnlos. Die Lehrer waren streng und überforderten uns gerne mit unsinnigen Aufgaben, um uns anschließend zu demütigen, wenn wir sie nicht angemessen erfüllten. Es kam mir nicht vor, als stünde meine persönliche Entwicklung im Vordergrund. Vielmehr herrschte reine Willkür. Dieser widersetzte ich mich, indem ich mich weigerte, weiter zur Schule zu gehen. Das sei einfach nichts für mich, verkündete ich meinen Eltern fest entschlossen. Für meinen Protestplan, der Schule so lange fernzubleiben, bis das System von Grund auf überdacht und überarbeitet worden war, konnten sie sich jedoch nicht so recht erwärmen. Ich fühlte mich um mein Recht auf geistige Reife, wie sie mir zugestanden hätte, betrogen und brach die Schule mit acht Jahren ab. Allerdings nur die in Teheran. Leider. Baba Suren wurde nach Tabriz versetzt. Hier wartete schon das nächste Schulgefängnis auf mich. Im Norden erlebte ich zum ersten Mal extreme Minustemperaturen. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, fühle ich ein betäubendes Stechen in meinem Körper, was nicht nur auf die Kälte zurückzuführen ist.
Eines Tages schickte mich Maman Sara mit einem verhängnisvollen Auftrag ins Nachbarhaus. Sie hatte ihre Schere verliehen und wollte nun, dass ich sie zurückholte. Schon bei dem Gedanken, ein fremdes Haus zu betreten und dort etwas zu verlangen, bekam ich Bauchschmerzen. In dem Fall gab es nur eine einzige Begegnung, die in der Kategorie der unangenehmen Konfrontationen den Scherenbesuch noch übertroffen hätte, und das wäre die mit meiner Mutter. Ihr zu offenbaren, dass ich mich nicht traute, traute ich mich noch viel weniger. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich zu überwinden. So lief ich rüber und klingelte.
Etwas zu tun, das man nicht tun will, kann niemals etwas Gutes mit sich bringen. Ein Mädchen öffnete die Tür. Ich sah sie zum ersten Mal. Offensichtlich war sie wesentlich älter als ich, aber auch nicht alt genug, um die Mutter zu sein.
»Ist deine Mutter da?«
»Nee. Was willst du von ihr?«
Sie war unfreundlich.
»Die Schere. Also meine Mutter …«, wollte ich gerade ausführen, als sie mit einer Handbewegung auf ein Zimmer deutete und im Inneren des Hauses verschwand.
Leise murmelte ich meinen angefangenen Satz zu Ende. Eine merkwürdige Art, jemanden zu empfangen, dachte ich. Mit dem festen Willen, die Sache schnell hinter mich zu bringen, trat ich ein. Mein Körper bewegte sich wie in Zeitlupe. Ich schaute in den langen Flur. Von der Zimmertür blickte ich zur Haustür und wieder zurück. Meine Schuhe erhoben sich vom Fußboden, als hätte ein Kaugummi zwischen ihnen und dem Parkett geklebt. Als ich die halb geöffnete Zimmertür schließlich aufstieß, drehte sich ein gekrümmter, schwerer Körper zu mir um. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Was war das? Etwa ihr Bruder? Und was zum Teufel war mit seinem Gesicht passiert? Es war vollkommen übersäht von glänzenden Pickeln, aus denen weitere Pickel herauswuchsen. Die Haut spannte, als würde sie jeden Augenblick platzen. Es gab keine sichtbare Hautpartie, die nicht vollständig oder ansatzweise entzündet war. Seine Augen wurden von pflaumengroßen Eiterbeulen fast erdrückt. Aus den schmalen Schlitzen stierte er mich an. Plötzlich holte er Schwung und rollte seinen deformierten Körper in meine Richtung. Ich verfiel sofort in eine Schreckstarre und verstummte. Auch er sagte nichts. Vielleicht konnte er gar nicht sprechen, dachte ich. Obwohl oder gerade weil er aussah wie ein Krüppel, hatte ich so etwas wie Mitleid mit ihm. Meine Augen schielten zur Schere, die hinter ihm auf dem Tisch lag. Warum musste meine Mutter mich ausgerechnet in ein Haus schicken, in dem ihre Schere von einem eitrigen Ungeheuer im Rollstuhl überwacht wurde? Millimeterweise schob ich mich vor. Ich passierte gerade seinen Buckel, als es mich voll von der Seite erwischte. Er ließ sich einfach auf mich fallen. Ich fühlte mich sofort außer Gefecht gesetzt. So musste sich eine Ameise fühlen, die von einem Sack Reis zerquetscht wurde. Ich schnappte nach Luft, während mir unklar war, ob es sich gerade um einen Unfall handelte oder pure Absicht. Aber warum hätte er das tun wollen, fragte ich mich, als ich plötzlich bemerkte, wie seine feuchten Hände unter meinen Rock glitten. Dann presste er sein verbeultes Gesicht gegen meine Brust.
»Hilfe!«, schrie ich vergeblich.
Er öffnete sein nasses Maul, stieß eine stinkende Wolke aus und visierte meinen Mund an. Ich wich nach links und rechts aus, als würde mein Leben davon abhängen. Und das tat es in gewisser Hinsicht ja auch. Denn es galt zu verhindern, dass Küsse in Zukunft einen Brechreiz bei mir auslösen würden. Mit aller Kraft drückte ich ihn beiseite, griff nach der Schere und rannte unter Tränen raus. Mein Mitleid, dass dieses Monster im Rollstuhl saß, legte ich an der Türschwelle ab. Vielmehr empfand ich es nun als angemessene Strafe für ihn. Ich hörte das Mädchen schallend lachen und war entsetzt darüber, dass sie es vielleicht gesehen hatte oder ahnte, was gerade geschehen war. Warum hätte sie sonst gelacht?
Ich warf Maman Sara die Schere wortlos auf den Tisch und verschwand in unseren Garten. Innerlich machte ich ihr Vorwürfe, dass sie mich dort hingeschickt hatte. Nie habe ich mit ihr über diesen Vorfall gesprochen. Genauso wenig wie über den beim Hausarzt oder den im Gartenhäuschen. Immer war Maman Sara in nächster Nähe. Und doch so fern. Zum Arzt hatte sie mich gebracht wegen meines Leistenbruches. In der Größe einer Walnuss ragte meine Leiste noch immer hervor.
»Bleiben Sie bitte im Wartezimmer«, hatte der Arzt zu ihr gesagt. »Keine Angst, Kleines. Das wird nicht wehtun.«
Ich wollte nicht allein mit ihm sein. Er schüchterte mich ein und ich hatte kein Vertrauen zu ihm, folgte aber, ohne zu widersprechen. Wir gingen ins Behandlungszimmer.
»Setz dich.«
Er wies auf die Liege im Raum. Die Atmosphäre war erdrückend. Er musterte mich mit seinen Glupschaugen. Sie standen weit hervor.
»Zieh deine Unterhose aus.«
Blitzartig schoss mir das Blut in den Kopf. Ich war wie gelähmt vor Schamgefühl. Warum musste ich sie denn komplett ausziehen? Reichte es nicht, wenn er meine Leiste ertastete? Ich rührte mich nicht, bis er selbst ungeduldig Hand anlegte. Er riss mir die Unterhose runter, als könnte er kaum erwarten, was er darunter sehen würde. Mein Herz raste. Die Liege fühlte sich kalt an auf meiner nackten Haut. Ich kniff die Schenkel zusammen. Mein Gesicht aber blieb regungslos. Obwohl ich nicht aufgeklärt war, wusste doch etwas in mir, dass es nicht Teil der Untersuchung sein konnte, meine Muschi zu pressen wie eine volle Limette. Er drückte meine Schamlippen zwischen seinen Fingern zusammen und zog sie wieder auseinander, als prüfte er, ob die Limette noch saftig war. Meiner Leiste schenkte er keinerlei Beachtung. Ich weiß nicht, wie viele Minuten es waren, in denen er mich auf diese Weise nach Belieben befingerte.
»Du kannst dich wieder anziehen.«
Beschämt senkte ich den glühenden Kopf zu Boden, um seinen gierigen Augen auszuweichen.
»Na, das war ja eine lange Behandlung. Ist denn alles in Ordnung?«, fragte Maman Sara, während ich noch immer den Fußboden musterte.
»Ihre Tochter ist noch zu jung für eine Operation. Guten Tag!«
Dass ich auf dem gesamten Heimweg schwieg, fiel Maman Sara kaum auf, weil ich immer so schweigsam war. Genau wie bei der Scherenaktion hatte ich ein ungutes Gefühl nicht zur Sprache gebracht. Und wieder war es hässlich geworden.
Im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass ein Mann tun konnte, was immer er wollte. Er hatte die Macht dazu. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Eine Art Spiel, in dem jeder eine Rolle hatte. Man suchte sich diese aber nicht aus. Sie wurde einem zugewiesen und blieb über die gesamte Spielzeit erhalten. Die Figuren wechselten zwar regelmäßig ihre Gestalt, aber die Rollenkategorien blieben bestehen. Da gab es die Täter und die Opfer. Und ich war so eindeutig Opfer, dass ich noch aus kilometerweiter Entfernung von den Tätern aufgespürt wurde. Ich wies alle Eigenschaften auf, die sich dafür anboten, das geborene Opfer zu sein. Naive Unschuld, ignoriertes Misstrauen, Einschüchterung durch Autorität und schweigsame Verdrängung. Diese Mischung machte mich zu einem besonders begehrten Opfer.
Den Schauplatz für meinen nächsten Einsatz bot die Verlobungsfeier von Onkel Mehran und Tante Maryam. Maryams Vater hatte fast ganz Tabriz dazu eingeladen. Er war der reichste Mann in der Gegend und kannte viele einflussreiche Menschen. Obwohl er schon über sechzig war, lagen ihm die Frauen scharenweise zu Füßen. Die jungen Männer beneideten ihn um das, was er bei den Damen auslöste, nämlich große Bewunderung und körperliche Hingabe. Er war ein ausgesprochener Genussmensch und zählte insgesamt drei Ehefrauen und 23 Kinder zu den Seinigen. Für jede seiner Ehefrauen hatte er auf seinem Grundstück ein eigenes Haus gebaut. Zwischen diesen Häusern hätten aber locker noch ein Freizeitpark und ein Einkaufszentrum gepasst, so gigantisch war der prunkvolle Garten.
Ich trug mein weißes Sommerkleidchen mit der großen, blauen Schleife auf der Brust. Es war bis zu diesem Tag mein Lieblingskleid. Maman Sara und Baba Suren saßen mit Onkel Mehran und Tante Maryam in gemütlicher Teerunde beisammen. Meine Mutter bemerkte, wie sehr mich die Gesprächsthemen der Erwachsenen langweilten.
»Du kannst dich gerne etwas umschauen, wenn du magst. Amüsiere dich gut!«
Ersteres tat ich, Letzteres nicht. Auf der riesigen Wiese verirrte ich mich zwischen den vielen kleinen und großen Gartenhäuschen. Aus einem dieser Häuschen stieg der Geruch von frisch gehacktem Holz auf, den ich so liebe. Auch das Geräusch einer Säge war zu hören. Eine kleine Schreinerei mitten im Garten? Ich konnte verstehen, warum Maryams Vater bei Frauen beliebt war. Er besaß ja immerhin eine eigene kleine Stadt. Die Tür stand offen und mich packte die Neugier. Vielleicht wurden dort Geschenke für die Gäste gefertigt, dachte ich. Ich riskierte einen Blick.
»Na, junge Dame, wer bist du denn?«, rief die wohlklingende Stimme eines jungen Mannes.
Aus ihr hörte ich ein freundliches Lächeln heraus. Anders als sonst baute ich Vertrauen auf. Er war groß gewachsen und hatte starke Arme. Vielleicht war er achtzehn, zwanzig oder älter. So genau konnte ich das nicht einschätzen. Zweifelsohne aber war er wunderschön. Er hatte blonde, glänzende Haare und smaragdgrüne Augen, genau wie Baba Suren. Wie sich herausstellte, hieß er Behnam und war eines der 23 Kinder, die der Gastgeber mit insgesamt drei Frauen gezeugt hatte. Er und Maryam hatten dieselbe Mutter. Als leiblicher Bruder der Braut schien er jedoch nicht besonders viel für die Verlobungsgesellschaft übrig zu haben. Er bevorzugte die Handarbeit. Ich konnte nicht sehen, woran er gerade werkelte, weil er davon abließ, als ich reinkam.
»Setz dich doch«, deutete er mit glänzenden Augen auf die Arbeitsplatte vor sich. »Willst du einen Witz hören?«, fragte er und fing, ohne auf eine Antwort zu warten, an zu erzählen: »Ein Mann sagte zu einer schwangeren Frau, er könnte ihr genau sagen, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge würde. Willst du wissen, wie?«
Behnam unterbrach seinen Witz für einen fragenden Blick von mir. Dann zog er seine Augenbrauen hoch und grinste über beide Ohren, wie ein Schelm, der soeben den perfekten Streich ausgeheckt hatte.
»Indem sie ihre Unterhose auszog und ein paar Treppenstufen hochstieg, sodass er unter ihren Rock sehen konnte«, fuhr er fort.
Eine Hitzewelle strömte durch meinen Körper. Bei dieser Vorstellung breitete sich die Schamesröte auf meinen Wangen wie Kaffeetassenabdrücke auf einer feuchten Serviette aus. Ausgezogene Unterhosen verunsicherten mich. Ich wollte davon nichts hören. Auch nicht in Witzen.
»Ein Junge!«
Ein Junge? Sein Witz schien wohl noch gar nicht zu Ende zu sein. Was meinte er damit?
»Es wird ein Junge und er hat sogar schon ein Bärtchen, das rausguckt«, lautete die Auflösung.
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ein Bärtchen? Warum sagte er nur so etwas? Wie kam er überhaupt auf die Idee, mir einen Witz zu erzählen, bei dem jemand unter einen Rock schaut? War es mein Kleid gewesen, das ihn auf diese Idee gebracht hatte? Gerade als ich dachte, dass die Situation nicht unangenehmer sein konnte, fragte er: »Na, hast du auch schon Haare da unten?«
Ich erstarrte. In meinem Gesicht war jeder Ansatz von Mimik verschwunden. Mein Körper war nicht imstande, sich von der Stelle zu rühren. Ungehindert wanderte seine Hand unter meinen Rock, um mein Höschen beiseitezuschieben. Plötzlich breitete sich ein stechender Schmerz von meiner Körpermitte bis in die Fußspitzen aus. Er hatte meine Lippen gespalten und seinen Mittelfinger in mich gedrückt. Zum ersten Mal fühlte ich einen Fremdkörper in mir. Wortlos sprang ich auf und rannte raus.
Es dauerte eine Weile, bis ich bei den Gästen ankam. Ununterbrochen pulsierte es zwischen meinen Beinen, als steckte sein Finger noch immer in mir. Während ich mich zwischen den Feiernden hindurchschlängelte, schallten ihre Stimmen dumpf in meinen Ohren nach, als sei mein Kopf unter Wasser getaucht. Die Szene, die sich eben zugetragen hatte, ließ mich nicht los. Ich führte mir das Geschehene wieder und wieder im Schnelldurchlauf vor Augen. Dabei zog sich alles in mir zusammen. Und dann war es wieder da. Dieses Pochen. Poch. Poch. Poch. So, als sei mir mein Herz zwischen die Beine gerutscht. An einem Teich blieb ich stehen, um mich zu beruhigen. Ich spannte meine Scheidenmuskulatur an und ließ wieder los, ein paar Mal. Das Gefühl, ausgestopft zu sein, ließ langsam nach. Meine Mutter saß am Tisch gegenüber und warf mir ein erleichtertes Lächeln zu, als hätten sie sagen wollen: »Mensch, wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht. Schön, dass es dir gut geht.«
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich dachte an Behnams Handarbeit.


2 Viermeterbrett

Wir zogen wieder um. Diesmal in den Süden, nach Masjed Soleyman. Ich freute mich, weil es hieß, dass wir länger an diesem Ort bleiben würden. Bisher hatte es mich fast ein ganzes Jahr lang Überwindung gekostet, um mit meinen Klassenkameradinnen in Kontakt zu treten. Unsere Umzüge im Einjahresrhythmus waren nicht besonders förderlich für das Knüpfen von Freundschaften.
Masjed Soleyman war eine kleine Stadt. Der nächstgelegene Flughafen war in Ahvaz, etwa zwei Autostunden von uns entfernt. Für die Militärfamilien war es üblich, etwas abgeschottet zu wohnen.
Wir fuhren hoch auf einen Berg in ein umzäuntes Areal, das sich Shahrak nannte und so viel wie kleines Städtchen bedeutete. Tatsächlich gab es dort alles, was man zum Leben brauchte. Vor einem großen Wohnblock hielten wir an. Die moderne Architektur erstreckte sich über mehrere Stockwerke. Alles war ganz akkurat und einheitlich. Es war nicht zu übersehen, dass hier sehr viel Wert darauf gelegt wurde, ein elitäres und gepflegtes Bild zu schaffen. Denn dem Militär anzugehören, und damit dem Shah zu dienen galt als hohes Privileg im Iran. Palmen und Pflanzenkübel mit bunten Blumen schmückten den Hof. Ich atmete den süßen Blütenduft ein und bewunderte die leuchtenden Farben. An diesem Ort würde ich mich zu Hause fühlen, dachte ich sofort.
Im zweiten Stock wartete eine Art Übergangswohnung auf uns, in der wir bleiben sollten, bis eines der Häuser mit Garten für uns frei wurde. Die Umzugskartons wurden für uns nach oben getragen, während Baba Suren sich in seiner neuen Arbeitsstelle vorstellte.
Als wir die Treppen raufgingen, schnaufte Maman Sara schon: »Diese Hitze ist ja unerträglich. Ich muss jetzt etwas kochen, sonst haben wir nachher nichts zu essen. Nilou, hilfst du mir?«, befahl sie mehr, als dass sie fragte.
Ich blieb in der Küche, während Ashy wieder hinunterrannte.
»Was gibt es denn?«, fragte ich mit knurrendem Magen.
5 Sterne
Mega Block Buster such dir ein Filmemacher Azizam - 01.05.2016
Dein König der Könige

Namaste Kein Buch Geschichte hat mich so verletzt wie diese ...Wenn es verfilmt wird werden die Menschen LKW Ladungen an Taschentücher brauchen ...Ich musste Zeitlich aufhören hab Monate gebraucht weil ich jeden Scherz gefühlt hab...dieser Seelen liebe Wünsche dir nur das Besste und ErfolgIn Liebe meine Göttin

5 Sterne
Fesselnde Geschichte - 26.04.2016
Heinz

Eine Fesselnder Geschichte im Ichform geschrieben.Das ende bleibt ein wenig "offen".Ich hoffe das es bald ein zweiter Teil gibt!

5 Sterne
Niloufar - den Spuren der Seerose - 09.04.2016
Heinz Vombaum

Ich eigentlich eher zufällig auf dem Buch gestoßen.Habe es dann weil es noch recht neu war, bei der Mayerische Buchhandlung in Köln bestellt. Es wurde sehr schnell geliefert.Das Buch selber ist in der ich-Form geschrieben und liest sich sehr einfach.Die Geschichte ist sehr authentisch und fesselt einen vom ersten Kapitel bis zum Schluss. Ich habe das Buch in 2x ausgelesen und das nur weil ich es abends spät angefangen habe.Persönlich finde ich es ein sehr empfehlenswertes Buch. Auch für Menschen die das ende des Schah von Persien Regime nicht miterlebt haben. Der Lebenslauf von diesem sensiblen jungen Mädchen in einer – für uns – extreme Männerwelt wurde sehr bildlich dargestellt.Ich hoffe auf mehr.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Niloufar

Lilo Naib

Freiheit war das Ziel

Buchbewertung:
*Pflichtfelder