Muslime und Islamgesetz in Österreich

Muslime und Islamgesetz in Österreich

Band I – Der Islam gehört zu Österreich

Fuat Sanaç


EUR 26,90
EUR 21,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 424
ISBN: 978-3-99131-709-8
Erscheinungsdatum: 03.01.2023

Leseprobe:

KAPITEL‭ ‬I

I.1‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬VOR DER AUFKLÄRUNG

Die Geschichte der Beziehungen Europas zum Islam‭ ‬ist auch die Geschichte der intellektuellen‭, ‬künstlerischen und politischen Wahrnehmung des Orients‭, ‬in der sich eher europäisches Denken als die orientalische Realität zeigt‭. ‬Darum scheint es an der Zeit‭, ‬auch von einer Geschichte zu sprechen‭, ‬die tief in den Gang des Weltgeschehens eingegriffen hat und der besonders das Abendland‭, ‬grundsätzlich aber die gesamte Menschheit‭, ‬unendlich viel zu verdanken hat‭.‬

Bereits im 7‭. ‬Jhdt‭. ‬drängten Muslime mit aller Macht nach Europa‭. ‬Die Rückeroberung‭ (‬sog‭. ‬Reconquista‭) ‬der besetzten spanischen‭ ‬sowie portugiesischen Gebiete endete im Jahr 1492‭ ‬mit der vollständigen Beseitigung des letzten muslimischen Machtbereiches‭. ‬Dieser Zeitraum wird auch als die erste islamische Expansionswelle bezeichnet‭.‬

Die zweite islamische Expansion führte die‭ ‬Osmanen‭ (‬1299–1922‭)‬‭ ‬bis nach Wien‭ (‬1529‭), ‬die damalige Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs‭. ‬Das Osmanische Reich geriet aufgrund der Niederlage‭ (‬im Zuge des Großen Türkenkrieges 1683–1699‭) ‬in die Defensive und wurde in zahlreichen Kriegen bis 1913‭ ‬auf die heutigen türkischen Grenzen zurückgedrängt‭.‬

Der Islam‭ ‬gehört heute zu Europa‭, ‬aber was und wie viel wissen die Europäer‭, ‬noch wichtiger‭, ‬die Muslime in Europa über die Geschichte des Islam‭? ‬Wie viele Muslime‭, ‬die aus verschiedenen muslimischen Ländern nach Europa gekommen sind‭, ‬sind im Stande‭, ‬über islamische Geschichte zu referieren‭?‬

Christliche Chroniken‭ ‬führen im Einzelnen auch aus‭, ‬dass es‭ ‬Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war‭, ‬der‭ ‬„den Arabern den Gott Abrahams vorstellte‮ ‬–‭ ‬und ihnen neue Gesetze gab‭.‬“‮ ‬–‭ ‬so der in der zweiten Hälfte des 7‭. ‬Jahrhunderts lebende armenische Bischof‭ ‬Sebeos‭ ‬„Das Buch über Heraklios“‭.‬

Johannes bar Penkaye‭, ‬ein Mönch der ostsyrischen Kirche in Nordmesopotamien‭ (‬gest‭. ‬686/87‭),‬‭ ‬dessen Schriften liefern einen Augenzeugenbericht über die arabischen Eroberungen seiner Zeit‭, ‬deuten aber nicht auf die Existenz eines heiligen arabischen Buches‭ (‬Qur’an‭) ‬zum Ende des siebten Jhdts‭. ‬hin‭.‬

Einer der ältesten Streiter gegen den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war der orthodoxe Theologe Yaḥyā‭ ‬ibn Manṣūr‭, ‬bekannt unter dem Namen‭ ‬Johannes von Damaskus‭ ‬‭(‬650–754‭)‬‭ ‬Er schreibt in seinem Buch‭:‬
„Sie waren bis zur Zeit des‭ ‬Herakleios‭ ‬Götzendiener‭. ‬Da aber trat unter ihnen ein Pseudoprophet auf‭, ‬‚Mamed‘‭ ‬genannt‭, ‬der eine eigene Irrlehre ins Leben rief‭, ‬nachdem er flüchtig Kenntnis vom Alten und Neuen Testament gewonnen hatte und‭ ‬zugleich offenbar mit einem arianeschen Mönch zusammengetroffen war‭. ‬Später ließ‭ ‬er durch Täuschungen das Volk glauben‭, ‬er sei ein gottesfürchtiger Mann‭, ‬und streute Gerüchte aus‭, ‬dass ihm eine Schrift vom Himmel herabgesandt sei‭. ‬Nachdem er einige Lehren in diesem seinem Buch aufgestellt hatte‭, ‬über die man nur lachen kann‭, ‬lehrte er‭ ‬sie auf diese Weise‭, ‬Gott zu verehren‭.‬“

Diese Behauptungen von Johannes von Damaskus‭ ‬wie z‭.‬ B‭. ‬„Pseudoprophet“‭ ‬wurden das Prädikat in unzähligen Werken christlicher Polemik gegen den Islam‭,‬‭ ‬gleichsam zur Standartbezeichnung Muhammeds‭ (‬a.s‭.). ‬Dem Mittelalter galt der Islam‭ ‬als Prototyp des Fremden und des Feindes‭, ‬in der er als Häresie‭, ‬Heidentum oder Teufelswerk verstanden wurde‭.‬

Es war die‭ ‬Kreuzzugsbewegung‭ (‬1095–1492‭), ‬die die Aufmerksamkeit der Christen auf die Islamische Religion lenkte‭ (‬der Begriff bezeichnet die Orientkreuzzüge‭, ‬die sich gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten‭). ‬Aber auch schon vor den Kreuzzügen war einiges über den Islam‭ ‬bekannt‭. ‬Dieses Wissen stammte zum Teil aus byzantinischen Quellen‭, ‬zum anderen Teil auch aus christlich-muslimischen Kontakten‭ ‬in Spanien‭ (‬Muslime in Spanien 711–1492‭). ‬Das Bild‭, ‬welches sich daraus entwickelte‭, ‬war durchwegs sehr verworren‭. ‬Arabische Muslime wurden als‭ ‬Sarazenen‭ ‬bezeichnet und galten als Götzenanbeter‭, ‬die den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.) ‬verehrten‭, ‬dass er ein Zauberer sei usw‭.‬

Der Islam‭ ‬stellte für die Christen im Mittelalter in erster Linie eine‭ ‬„Bedrohung ihrer Selbstzufriedenheit“‭ ‬dar‭. ‬Besonders die Menschen im Norden Frankreichs‭, ‬in Flandern und in Deutschland‭, ‬also gerade in den Ländern‭, ‬die in keinem direkten Kontakt zu den Muslimen standen‭, ‬entwickelten einen gewaltigen Hass‭ (‬Diese Realität‭, ‬dass die Menschen Islam oder Muslime‭ ‬hassen‭, ‬oder ihnen gegenüber feindselig sind‭, ‬ist immer noch aktuell‭). ‬Vor diesem Hintergrund muss man das Islambild des Mittelalters betrachten‭.‬‭ ‬Um dieses unbehagliche Gefühl der Minderwertigkeit kompensieren zu können‭, ‬mussten die Europäer ihr Islambild‭ ‬„entstellen“‭.‬

Der Abt‭ ‬Petrus Venerabilis‭ (‬gest‭. ‬1156‭) ‬war einer der wichtigsten Personen dieser Zeit‭, ‬die dazu beitrugen‭, ‬das Islambild zu entzerren‭: ‬Er ließ‭ ‬den Qur’an übersetzen und verfasste dann selbst eine Darstellung der islamischen Lehre‭, ‬die‭ ‬„Summa totius haeresis saracenorum“‭, ‬sowie eine Widerlegung‭, ‬„Liber contra sectem sive haeresim saracenorum‭.‬“‭ ‬Petrus‭ ‬sah in der Übersetzung des Qur’an einen Baustein seines‭ ‬„Projekt zur Widerlegung des Islam“‭. ‬Es war ihm ein dringendes Anliegen‭, ‬der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten‭. ‬Diese neue Herangehensweise trug viel dazu‭ ‬bei‭, ‬dass sich ein neues Islambild einstellte‭. ‬Es bleibt anzumerken‭, ‬dass auch der Abt höchstwahrscheinlich von der Fortschrittlichkeit der Muslime‭, ‬besonders in den Naturwissenschaften‭, ‬wusste‭, ‬und deshalb auch ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl ihnen gegenüber empfand‭.‬

Petrus‭ ‬sagt‭, ‬dass die Muslime eigentlich besser als die‭ ‬Juden‭ ‬seien‭, ‬das begründet er‭: ‬„‮…‬‭ ‬dass Christus von einer Jungfrau geboren sei‭, ‬und sie stimmen mit uns in vielen Dingen über ihn überein‭.‬“‭ ‬Er sah aber im Islam‭ ‬eine‭ ‬Häresie‭ ‬‭(‬abweichende Lehre‭) ‬des Christentums‭, ‬er betrachtete ihn als die wichtigste und die einzige Häresie‭, ‬auf die die Christenheit noch keine adäquate Lösung gefunden hatte‭ (‬z‭.‬ B‭. ‬Dreifaltigkeit‭). ‬Denn für ihn lag das eigentliche Ziel‭, ‬das zentrale christliche Interesse in der Bekehrung der Muslime‭.‬

Diese Islamfeindlichkeit schon damals‭, ‬wie heute verbreite/te einseitig negative Sichtweisen über Islam und Muslime/innen und diskriminier(t)e‭ ‬
Letztere gegenüber anderen Menschen‭.‬

Darüber sagt Chris‭ ‬Allen‭, ‬dass Islamfeindlichkeit nicht immer explizit zum Ausdruck gebracht werde‭. ‬Vielmehr sei sie auch in alltäglichen Praktiken und‭ ‬Diskursen vorhanden‭, ‬ohne dass sich die darin Involvierten notwendigerweise als islamfeindlich verstehen müssen‭. ‬Die Diskriminierung von Muslimen äußere sich folglich auch in Handlungen und Äußerungen‭, ‬die von allen Beteiligten als selbstverständlich wahrgenommen werden‭. ‬Islamfeindlichkeit ziele darauf ab‭, ‬negative Wahrnehmungen von Muslimen und Islam als‭ ‬„Wissen“‭ ‬zu etablieren‭, ‬also als für objektiv wahr gehaltene Aussagen‭. ‬Gleichzeitig strebe sie auch eine politische und soziale Benachteiligung von Muslimen in der Gesellschaft an‭.‬

Laut‭ ‬Allen‭ ‬seien konkrete Inhalte deshalb auch von geringerer Bedeutung‭, ‬da sie über die Zeit durch andere ersetzt werden könnten und Islamfeindlichkeit wandelbar sei‮ ‬–‭ ‬abgesehen von der negativen Bewertung des Islams und der Muslime an sich‭. ‬Dennoch seien historische Kontinuitäten empirisch beobachtbar‭.‬

Um die Ängste zu verstehen‭, ‬muss die Vergangenheit der Muslime auf europäischem Boden betrachtet werden‭. ‬Besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen während der osmanischen Zeit dienen als Vorwand‭, ‬um alte Ressentiments zu bedienen‭. ‬Nicht umsonst erinnern unzählige Sagen‭, ‬Volksbräuche‭, ‬Straßennamen‭, ‬Gedenkstätten und Relikte der türkischen Heeresmacht an die Gefahr des Islams und deren Überwindung‭. ‬Selbst der Tag der‭ ‬Befreiung Wiens‭ (‬1683‭) ‬am 12‭. ‬September wird seither im römisch-katholischen Kalender mit dem‭ ‬Fest Mariä Namen‭ ‬gefeiert‭.‬‮ ‬–‭ ‬Papst Pius X‭. (‬1835–1914‭) ‬verlegte das Fest auf den Siegestag‭, ‬den 12‭. ‬September‭. ‬Nachdem das Fest im Allgemeinen Römischen Kalender gestrichen war‭,‬‭ ‬da es eine Doppelung zum Fest Mariä Geburt ist‭, ‬wurde es im Jahr 2002‭ ‬wieder für die ganze Kirche eingeführt‭. ‬Im Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet blieb das Fest‭ ‬„wegen des historischen Bezuges zum Sprachgebiet und der Verwurzelung im Volk“‭ ‬immer erhalten‭. ‬Eng mit dem Fest verbunden ist auch die Verbreitung der Anrufung Mariens als Hilfe der Christen‭ (‬„Maria Hilf‭!‬“‭).‬


I.2‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬NACH DER AUFKLÄRUNG

Eine weitere Wende in der christlichen Welt entstand durch die‭ ‬Aufklärung‭ ‬‭(‬1650–1800‭),‬‭ ‬die zuerst in den evangelischen Kirchen Fuß‭ ‬fasste‭, ‬und gegen die sich die römisch-katholische Kirche lange zur Wehr setzte‭.‬

Das Islambild des bedeutenden Dichters der deutschen Aufklärers‭ ‬Gotthold Ephraim‭ ‬Lessing‭ (‬1729–1781‭)‬‭ ‬ist für uns von Bedeutung‭, ‬denn dass der Islam‭ ‬in der Toleranzdebatte des 18‭. ‬Jhdts‭. ‬überhaupt eine Rolle gespielt hat‭, ‬ist vor allem Lessings Verdienst‭; ‬vor Lessing hatte man entweder gar nicht oder nur die Absicht verfolgt‭, ‬die Gründe für die Toleranz problematisch zu machen‭. ‬Die Toleranzthematik gehört zu den meistbehandelten Aspekten des lessingschen Werks‭, ‬seine Auseinandersetzung mit dem Islam blieb allerdings weitgehend‭ ‬unberücksichtigt‭.‬

Der Begriff‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬wird auch häufig benutzt‭, ‬um einen Gegensatz zwischen‭ ‬„dem Westen“‭ ‬und‭ ‬„dem Islam“‭ ‬zu betonen‭. ‬Dabei ist die Begriffsverwendung oft sehr mangelhaft‭. ‬Selten wird reflektiert‭, ‬dass‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬eine Epoche der europäischen Geistesgeschichte bezeichnet‭, ‬deren spezifische historische Bedingungen und Folgen sich nicht einfach auf die Verhältnisse anderer Kulturen übertragen lassen‭. ‬Sie wird meistens gegen die Muslime verwendet‭; ‬diejenigen‭, ‬die es verwenden‭, ‬meinen‭, ‬dass der Westen wegen der Aufklärung im Licht steht und andere Kulturen‭, ‬besonders die Muslime‭, ‬in der Finsternis‭. ‬Dabei wird nicht daran gedacht‭, ‬dass die christlichen Philosophen auf der Basis von Aristoteles durch‭ ‬Averroes‭ ‬‭(‬‭/‬Ibn Rušd‭/‬Ibn Ruschd‭, ‬1059–1126‭), ‬dem spanisch-islamischen Rechtsgelehrten und Philosophen‭, ‬eine eigene Religionsphilosophie entwickelten‮ ‬–‭ ‬etwa‭ ‬Eckhart von Hochheim‭, ‬bekannt als‭ ‬Meister Eckhart‭ (‬1260–1328‭)‬‭, ‬ein bedeutender Theologe und Philosoph des christlichen Mittelalters‭.‬

Sie vergessen auch‭, ‬dass das Mittelalter die Zeit der Universitätsgründungen‭, ‬der internationalen Vernetzungen der Wissenschaften besonders mit der islamischen Welt‭, ‬der Entdeckung griechisch-arabischer Textkonvolute‭, ‬der Expansion der Städte mit einer zunehmend gebildeten Bürgerschaft war‭.‬

Die bis ins 20‭. ‬Jhdt‭. ‬traditionelle römisch-katholische Position‭ ‬ist allgemein bekannt‭: ‬„Extra Ecclesiam nulla salus‭!‬“‮ ‬–‭ ‬Außerhalb der Kirche kein Heil‭! ‬Außerhalb der Kirche kein Prophet‭! ‬Jedenfalls ist die traditionelle Position heute nicht mehr die offizielle römisch-katholische Position‭. ‬Denn das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ (‬1962–1965‭)‬‭ ‬erklärte in seiner Konstitution über die Kirche ganz unzweideutig‭: ‬„Diejenigen Menschen‭, ‬die das Evangelium Christi und seiner Kirche ohne ihre Schuld nicht kennen‭, ‬Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und seinen im Gewissensgebot erkannten Willen in Taten unter dem Wirken seiner Gnade zu erfüllen trachten‭, ‬können das ewige Heil erlangen‭.‬“

Das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ ‬brachte zweifelsohne einen Durchbruch in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Christentum‭, ‬Judentum‭ ‬und‭ ‬Islam‭. ‬Die Erklärung‭ ‬„Nostra aetate“‭ (‬lat‭. ‬für‭ ‬„in unserer Zeit“‭) ‬gibt Antwort auf die Frage vieler gläubigen Christen‭. ‬Das war nur möglich‭, ‬weil weitblickende Menschen schon vor dem Konzil Wege zum Dialog‭ ‬gesucht und so die Erklärungen der Konzilsväter vorbereitet hatten‭.‬

Der Artikel 3‭ ‬beschäftigt sich ausschließlich mit dem Islam‭; ‬die Gemeinsamkeiten werden betont‭. ‬Ein Unterschied im Glauben beider Religionen wird klar und deutlich‭: ‬Die‭ ‬Muslime anerkennen Jesus‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬nicht als Sohn Gottes‭; ‬sie verehren ihn jedoch als Propheten‭.‬

Es mag dahingestellt sein‭, ‬ob die Hervorhebung des Islams in diesem Artikel mehr aus gesellschaftspolitischen als aus theologischen Überlegungen erfolgte oder ob sie ein Gegengewicht zu der Erklärung über das‭ ‬Judentum‭ ‬in Artikel 4‭ ‬sein sollte‭; ‬auf alle Fälle markieren diese wesentlichen Aussagen über den Islam‭ ‬eine neue Haltung der römisch-katholischen Kirche‭.‬

Die politische Geschichte der islamisch-christlichen Beziehungen in Europa wird dominiert von der Bewegung der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬‭(‬1095–1492‭). ‬Im Rahmen der politisch-militärischen Konfrontationen jener Zeit diente gerade auf Seiten des Christentums die Religion als ideologisches Werkzeug zur Verteidigung der Interessen der europäischen Herrscher‭, ‬inklusive des Inhabers des Vatikans‭. ‬Das erklärt die‭ ‬„Geschichte der vorsätzlichen und unbeabsichtigten Missverständnisse“‭, ‬welche die islamisch-christliche Begegnung in Europa über die Jahrhunderte hinweg charakterisierte‭. ‬Dieser frühe‭ ‬„Kampf der Kulturen“‭ ‬hat ein Vermächtnis der Konfrontation‭, ‬des Misstrauens und der Missverständnisse geschaffen‭, ‬das bis in die Gegenwart wirkt‭.‬

Vom 19‭. ‬Jhdt‭. ‬an wurde der sogenannte Orient vom Westen durch den Kolonialismus‭, ‬Kapitalismus‭, ‬die industrielle Revolution und die Aufklärung‭ ‬in seiner Entwicklung überholt‭. ‬Der symbolische Zeitpunkt für die spätere offensichtliche Übernahme der Führung durch den Westen war‭ ‬Napoleons‭ ‬‭(‬Napoleon Bonaparte‭, ‬als Kaiser Napoleon I‭. ‬1769–1821‭) ‬Expansion in Ägypten‭ ‬im Jahre 1798‭; ‬von da an fielen westliche Armeen und westliches Kapital über die Länder der Muslime her‭.‬

Mit dem Auftreten des europäischen‭ ‬Kolonialismus‭ ‬wendeten sich die Beziehungen zum Islam von europäischer Seite abermals hin zu politischer Beherrschung und‭ ‬„kultureller Bevormundung“‭.‬

Die europäische Machtpolitik hat die politische Landkarte des Nahen Ostens bis zum heutigen Tage geformt‭. ‬Man suchte die politische und militärische Vorherrschaft durch den ideologischen Anspruch einer Überlegenheit des christlichen Europas über die arabisch-islamische Kultur zu legitimieren‭.‬

Eines der Vorurteile‭, ‬welche die Beziehungen zwischen‭ ‬Islam‭ ‬und‭ ‬Christentum‭ ‬seit der Zeit der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬und den Kriegen mit dem‭ ‬Osmanischen Reich‭ (‬1299–1922‭) ‬beeinträchtigen‭, ‬ist im Umfeld der christlichen Interpretation des koranischen Begriffs des‭ ‬„Jihâd“‭ ‬angesiedelt und mag als Beispiel dafür dienen‭, ‬wie viel Arbeit noch zu erledigen ist‭, ‬wenn man eine faire und ausgewogene Vermittlung der islamischen Botschaft in Europa anstrebt‭.‬

Die Christlichen Gelehrten dozierten über Jahrhunderte hinweg‭, ‬dass der Islam allgemein und vorbehaltlos den Krieg gegen Nichtgläubige‭, ‬das heißt die Christen selbst‭, ‬rechtfertige‭. ‬Bestimmte Ausschnitte des‭ ‬Qur’an/Korans‭ ‬wurden und werden vorsätzlich aus dem Zusammenhang gerissen‮ ‬–‭ ‬mit der Absicht‭, ‬eine aggressive Natur des Islam zu‭ ‬„beweisen“‭.‬

Die Fehlinterpretation der Lehre des Qur’an‭ (‬Korans‭) ‬hinsichtlich der Anwendung von Gewalt ist das Beispiel für das verzerrte Bild des Islam in der christlichen Dogmatik‭. ‬Die dadurch erzeugte Atmosphäre tiefen Misstrauens hat ihrerseits wiederum die falsche Wahrnehmung des Islam als eine Bedrohung für die christliche Zivilisation in Europa gesehen‭.‬

Sogar heutzutage werden solche Vorurteile immer noch in akademischen Vorträgen propagiert‭. ‬Bewusste Verzerrung‭, ‬das Weglassen von zusätzlichen erläuternden Textstellen und das Herausreißen bestimmter Formulierungen aus dem Gesamtzusammenhang im Koran‭ ‬usw‭.‬

Seit dem Ende des‭ ‬Kommunismus‭ ‬‭(‬1991‭) ‬bzw‭. ‬nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Verschwinden des damit einhergehenden‭ (‬ideologischen‭) ‬Freund-Feind-Schemas‭ ‬dient der Islam in vielfacher Hinsicht als Ersatz für das frühere‭ ‬Feindbild‭, ‬durch welches der Westen seine weltweite Vorherrschaft ideologisch durchzusetzen versuchte‭. ‬Diese neue internationale Konstellation‭, ‬in welcher der Islam als Bedrohung für die europäische Identität und Sicherheit dargestellt wird‭, ‬wirkt sich direkt auf die islamisch-abendländischen‭ (‬christlichen‭?) ‬Beziehungen in Europa aus‭.‬

Das Verhältnis zum Islam ist in Europa‭ ‬auf verschiedene Weise‭, ‬insbesondere nach dem 11‭. ‬Sept‭. ‬2001‭, ‬belastet und bietet so den Nährboden für einen oft spannungsgeladenen und durch Emotionen aufgeheizten Umgang mit der muslimischen Bevölkerung‭. ‬In diesem Zusammenhang wird immer wieder die gerade für den Großraum‭ ‬Wien‭ ‬bis heute als traumatisch empfundene Zeit der‭ ‬Türkenkriege‭ ‬genannt‭. ‬Im historischen Kontext verdienen auch die schon seit den‭ ‬Kreuzzügen‭ ‬tradierten Bilder vom‭ ‬„grausamen heimtückischen gotteslästerlichen Heiden“‭ ‬Erwähnung‭. ‬Auf der anderen Seite wuchs durch die Migration die Zahl der Muslime und viele Befürchtungen‭, ‬die Neubürger könnten‭ ‬den Alteingesessenen Ressourcen streitig machen‭, ‬konzentrieren sich auf die muslimische Bevölkerung‭, ‬die häufig unter Zuhilfenahme des alten Feindbildes als bedrohliche Invasion in modernem Gewand wahrgenommen wird‭. ‬Früher hat dabei die Konkurrenz am Arbeitsmarkt die Hauptrolle gespielt‭. ‬Jetzt werden kulturelle Auseinandersetzungen thematisiert‭, ‬
die oft religiös verbrämt sind‭. ‬Und das macht das Ganze sehr gefährlich‭. ‬Es ist leider möglich‭, ‬dass das angebliche Gegensatzpaar Abendland gegen Islam für viele Jahre die Politik in Österreich beschäftigen würde‭.‬

Eine sehr negative‭, ‬oftmals geradezu obstruktive Rolle spielt auch diesbezüglich die‭ ‬Medien‭, ‬die in einem beträchtlichen Ausmaß‭ ‬unter dem Einfluss von Partikularinteressen und populistische oder radikalen Politiker/innen stehen‭. ‬Nachrichten aus der islamischen Welt liefern der viel diskutierten Theorie eines‭ ‬„Clash of Civilisation“‭ (‬nach Samuel P‭. ‬Huntington‭) ‬fast täglich scheinbar neuer Nahrung‭, ‬weil Krisensituationen medial ungleich mehr Beachtung finden als positive Beispiele des‭ ‬friedlichen Zusammenlebens‭.‬

Die Medien als meinungsbildende Organe haben durch ihre oft von Einseitigkeit‭, ‬mangelndem Verständnis und schlichtem Informationsmangel geprägte Berichterstattung einen nicht unerheblichen Anteil an dem Zerrbild‭, ‬das sich in den Köpfen vieler Menschen bildet‭. ‬Muslime sehen sich in einem permanenten Rechtfertigungseck‭, ‬aus dem heraus es sich schwer agieren lässt‭.‬

Eigenes wird oft auf das‭ ‬„Fremde“‭ ‬übertragen‭; ‬hausgemachte‭, ‬unangenehme Themen sind‭, ‬z‭.‬ B‭. ‬vor dem Hintergrund einiger spektakulärer Fälle von sexuellem‭ ‬Missbrauch‭ ‬in der römisch-katholischen Kirche‭, ‬leichter abzuhandeln oder lassen sich umgehen über die scheinbare Verlagerung auf eine andere Gruppe‭, ‬am leichtesten auf die Muslime‭.‬

In Medien weiß‭ ‬man öfter nicht‭, ‬wer für wen und für was spricht‭? ‬Bestimmte Personen mit einer bestimmten Sicht werden favorisiert‭, ‬Role Models‭ ‬sollen geprägt werden‭, ‬Schubladisierungen unter‭ ‬„liberal“‭ ‬oder‭ ‬„aufgeklärt“‭ ‬wirken eindimensional‭, ‬drängen praktizierende Muslime rasch ins‭ ‬„fundamentalistische“‭ ‬Eck‭.‬

KAPITEL‭ ‬I

I.1‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬VOR DER AUFKLÄRUNG

Die Geschichte der Beziehungen Europas zum Islam‭ ‬ist auch die Geschichte der intellektuellen‭, ‬künstlerischen und politischen Wahrnehmung des Orients‭, ‬in der sich eher europäisches Denken als die orientalische Realität zeigt‭. ‬Darum scheint es an der Zeit‭, ‬auch von einer Geschichte zu sprechen‭, ‬die tief in den Gang des Weltgeschehens eingegriffen hat und der besonders das Abendland‭, ‬grundsätzlich aber die gesamte Menschheit‭, ‬unendlich viel zu verdanken hat‭.‬

Bereits im 7‭. ‬Jhdt‭. ‬drängten Muslime mit aller Macht nach Europa‭. ‬Die Rückeroberung‭ (‬sog‭. ‬Reconquista‭) ‬der besetzten spanischen‭ ‬sowie portugiesischen Gebiete endete im Jahr 1492‭ ‬mit der vollständigen Beseitigung des letzten muslimischen Machtbereiches‭. ‬Dieser Zeitraum wird auch als die erste islamische Expansionswelle bezeichnet‭.‬

Die zweite islamische Expansion führte die‭ ‬Osmanen‭ (‬1299–1922‭)‬‭ ‬bis nach Wien‭ (‬1529‭), ‬die damalige Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs‭. ‬Das Osmanische Reich geriet aufgrund der Niederlage‭ (‬im Zuge des Großen Türkenkrieges 1683–1699‭) ‬in die Defensive und wurde in zahlreichen Kriegen bis 1913‭ ‬auf die heutigen türkischen Grenzen zurückgedrängt‭.‬

Der Islam‭ ‬gehört heute zu Europa‭, ‬aber was und wie viel wissen die Europäer‭, ‬noch wichtiger‭, ‬die Muslime in Europa über die Geschichte des Islam‭? ‬Wie viele Muslime‭, ‬die aus verschiedenen muslimischen Ländern nach Europa gekommen sind‭, ‬sind im Stande‭, ‬über islamische Geschichte zu referieren‭?‬

Christliche Chroniken‭ ‬führen im Einzelnen auch aus‭, ‬dass es‭ ‬Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war‭, ‬der‭ ‬„den Arabern den Gott Abrahams vorstellte‮ ‬–‭ ‬und ihnen neue Gesetze gab‭.‬“‮ ‬–‭ ‬so der in der zweiten Hälfte des 7‭. ‬Jahrhunderts lebende armenische Bischof‭ ‬Sebeos‭ ‬„Das Buch über Heraklios“‭.‬

Johannes bar Penkaye‭, ‬ein Mönch der ostsyrischen Kirche in Nordmesopotamien‭ (‬gest‭. ‬686/87‭),‬‭ ‬dessen Schriften liefern einen Augenzeugenbericht über die arabischen Eroberungen seiner Zeit‭, ‬deuten aber nicht auf die Existenz eines heiligen arabischen Buches‭ (‬Qur’an‭) ‬zum Ende des siebten Jhdts‭. ‬hin‭.‬

Einer der ältesten Streiter gegen den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war der orthodoxe Theologe Yaḥyā‭ ‬ibn Manṣūr‭, ‬bekannt unter dem Namen‭ ‬Johannes von Damaskus‭ ‬‭(‬650–754‭)‬‭ ‬Er schreibt in seinem Buch‭:‬
„Sie waren bis zur Zeit des‭ ‬Herakleios‭ ‬Götzendiener‭. ‬Da aber trat unter ihnen ein Pseudoprophet auf‭, ‬‚Mamed‘‭ ‬genannt‭, ‬der eine eigene Irrlehre ins Leben rief‭, ‬nachdem er flüchtig Kenntnis vom Alten und Neuen Testament gewonnen hatte und‭ ‬zugleich offenbar mit einem arianeschen Mönch zusammengetroffen war‭. ‬Später ließ‭ ‬er durch Täuschungen das Volk glauben‭, ‬er sei ein gottesfürchtiger Mann‭, ‬und streute Gerüchte aus‭, ‬dass ihm eine Schrift vom Himmel herabgesandt sei‭. ‬Nachdem er einige Lehren in diesem seinem Buch aufgestellt hatte‭, ‬über die man nur lachen kann‭, ‬lehrte er‭ ‬sie auf diese Weise‭, ‬Gott zu verehren‭.‬“

Diese Behauptungen von Johannes von Damaskus‭ ‬wie z‭.‬ B‭. ‬„Pseudoprophet“‭ ‬wurden das Prädikat in unzähligen Werken christlicher Polemik gegen den Islam‭,‬‭ ‬gleichsam zur Standartbezeichnung Muhammeds‭ (‬a.s‭.). ‬Dem Mittelalter galt der Islam‭ ‬als Prototyp des Fremden und des Feindes‭, ‬in der er als Häresie‭, ‬Heidentum oder Teufelswerk verstanden wurde‭.‬

Es war die‭ ‬Kreuzzugsbewegung‭ (‬1095–1492‭), ‬die die Aufmerksamkeit der Christen auf die Islamische Religion lenkte‭ (‬der Begriff bezeichnet die Orientkreuzzüge‭, ‬die sich gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten‭). ‬Aber auch schon vor den Kreuzzügen war einiges über den Islam‭ ‬bekannt‭. ‬Dieses Wissen stammte zum Teil aus byzantinischen Quellen‭, ‬zum anderen Teil auch aus christlich-muslimischen Kontakten‭ ‬in Spanien‭ (‬Muslime in Spanien 711–1492‭). ‬Das Bild‭, ‬welches sich daraus entwickelte‭, ‬war durchwegs sehr verworren‭. ‬Arabische Muslime wurden als‭ ‬Sarazenen‭ ‬bezeichnet und galten als Götzenanbeter‭, ‬die den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.) ‬verehrten‭, ‬dass er ein Zauberer sei usw‭.‬

Der Islam‭ ‬stellte für die Christen im Mittelalter in erster Linie eine‭ ‬„Bedrohung ihrer Selbstzufriedenheit“‭ ‬dar‭. ‬Besonders die Menschen im Norden Frankreichs‭, ‬in Flandern und in Deutschland‭, ‬also gerade in den Ländern‭, ‬die in keinem direkten Kontakt zu den Muslimen standen‭, ‬entwickelten einen gewaltigen Hass‭ (‬Diese Realität‭, ‬dass die Menschen Islam oder Muslime‭ ‬hassen‭, ‬oder ihnen gegenüber feindselig sind‭, ‬ist immer noch aktuell‭). ‬Vor diesem Hintergrund muss man das Islambild des Mittelalters betrachten‭.‬‭ ‬Um dieses unbehagliche Gefühl der Minderwertigkeit kompensieren zu können‭, ‬mussten die Europäer ihr Islambild‭ ‬„entstellen“‭.‬

Der Abt‭ ‬Petrus Venerabilis‭ (‬gest‭. ‬1156‭) ‬war einer der wichtigsten Personen dieser Zeit‭, ‬die dazu beitrugen‭, ‬das Islambild zu entzerren‭: ‬Er ließ‭ ‬den Qur’an übersetzen und verfasste dann selbst eine Darstellung der islamischen Lehre‭, ‬die‭ ‬„Summa totius haeresis saracenorum“‭, ‬sowie eine Widerlegung‭, ‬„Liber contra sectem sive haeresim saracenorum‭.‬“‭ ‬Petrus‭ ‬sah in der Übersetzung des Qur’an einen Baustein seines‭ ‬„Projekt zur Widerlegung des Islam“‭. ‬Es war ihm ein dringendes Anliegen‭, ‬der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten‭. ‬Diese neue Herangehensweise trug viel dazu‭ ‬bei‭, ‬dass sich ein neues Islambild einstellte‭. ‬Es bleibt anzumerken‭, ‬dass auch der Abt höchstwahrscheinlich von der Fortschrittlichkeit der Muslime‭, ‬besonders in den Naturwissenschaften‭, ‬wusste‭, ‬und deshalb auch ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl ihnen gegenüber empfand‭.‬

Petrus‭ ‬sagt‭, ‬dass die Muslime eigentlich besser als die‭ ‬Juden‭ ‬seien‭, ‬das begründet er‭: ‬„‮…‬‭ ‬dass Christus von einer Jungfrau geboren sei‭, ‬und sie stimmen mit uns in vielen Dingen über ihn überein‭.‬“‭ ‬Er sah aber im Islam‭ ‬eine‭ ‬Häresie‭ ‬‭(‬abweichende Lehre‭) ‬des Christentums‭, ‬er betrachtete ihn als die wichtigste und die einzige Häresie‭, ‬auf die die Christenheit noch keine adäquate Lösung gefunden hatte‭ (‬z‭.‬ B‭. ‬Dreifaltigkeit‭). ‬Denn für ihn lag das eigentliche Ziel‭, ‬das zentrale christliche Interesse in der Bekehrung der Muslime‭.‬

Diese Islamfeindlichkeit schon damals‭, ‬wie heute verbreite/te einseitig negative Sichtweisen über Islam und Muslime/innen und diskriminier(t)e‭ ‬
Letztere gegenüber anderen Menschen‭.‬

Darüber sagt Chris‭ ‬Allen‭, ‬dass Islamfeindlichkeit nicht immer explizit zum Ausdruck gebracht werde‭. ‬Vielmehr sei sie auch in alltäglichen Praktiken und‭ ‬Diskursen vorhanden‭, ‬ohne dass sich die darin Involvierten notwendigerweise als islamfeindlich verstehen müssen‭. ‬Die Diskriminierung von Muslimen äußere sich folglich auch in Handlungen und Äußerungen‭, ‬die von allen Beteiligten als selbstverständlich wahrgenommen werden‭. ‬Islamfeindlichkeit ziele darauf ab‭, ‬negative Wahrnehmungen von Muslimen und Islam als‭ ‬„Wissen“‭ ‬zu etablieren‭, ‬also als für objektiv wahr gehaltene Aussagen‭. ‬Gleichzeitig strebe sie auch eine politische und soziale Benachteiligung von Muslimen in der Gesellschaft an‭.‬

Laut‭ ‬Allen‭ ‬seien konkrete Inhalte deshalb auch von geringerer Bedeutung‭, ‬da sie über die Zeit durch andere ersetzt werden könnten und Islamfeindlichkeit wandelbar sei‮ ‬–‭ ‬abgesehen von der negativen Bewertung des Islams und der Muslime an sich‭. ‬Dennoch seien historische Kontinuitäten empirisch beobachtbar‭.‬

Um die Ängste zu verstehen‭, ‬muss die Vergangenheit der Muslime auf europäischem Boden betrachtet werden‭. ‬Besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen während der osmanischen Zeit dienen als Vorwand‭, ‬um alte Ressentiments zu bedienen‭. ‬Nicht umsonst erinnern unzählige Sagen‭, ‬Volksbräuche‭, ‬Straßennamen‭, ‬Gedenkstätten und Relikte der türkischen Heeresmacht an die Gefahr des Islams und deren Überwindung‭. ‬Selbst der Tag der‭ ‬Befreiung Wiens‭ (‬1683‭) ‬am 12‭. ‬September wird seither im römisch-katholischen Kalender mit dem‭ ‬Fest Mariä Namen‭ ‬gefeiert‭.‬‮ ‬–‭ ‬Papst Pius X‭. (‬1835–1914‭) ‬verlegte das Fest auf den Siegestag‭, ‬den 12‭. ‬September‭. ‬Nachdem das Fest im Allgemeinen Römischen Kalender gestrichen war‭,‬‭ ‬da es eine Doppelung zum Fest Mariä Geburt ist‭, ‬wurde es im Jahr 2002‭ ‬wieder für die ganze Kirche eingeführt‭. ‬Im Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet blieb das Fest‭ ‬„wegen des historischen Bezuges zum Sprachgebiet und der Verwurzelung im Volk“‭ ‬immer erhalten‭. ‬Eng mit dem Fest verbunden ist auch die Verbreitung der Anrufung Mariens als Hilfe der Christen‭ (‬„Maria Hilf‭!‬“‭).‬


I.2‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬NACH DER AUFKLÄRUNG

Eine weitere Wende in der christlichen Welt entstand durch die‭ ‬Aufklärung‭ ‬‭(‬1650–1800‭),‬‭ ‬die zuerst in den evangelischen Kirchen Fuß‭ ‬fasste‭, ‬und gegen die sich die römisch-katholische Kirche lange zur Wehr setzte‭.‬

Das Islambild des bedeutenden Dichters der deutschen Aufklärers‭ ‬Gotthold Ephraim‭ ‬Lessing‭ (‬1729–1781‭)‬‭ ‬ist für uns von Bedeutung‭, ‬denn dass der Islam‭ ‬in der Toleranzdebatte des 18‭. ‬Jhdts‭. ‬überhaupt eine Rolle gespielt hat‭, ‬ist vor allem Lessings Verdienst‭; ‬vor Lessing hatte man entweder gar nicht oder nur die Absicht verfolgt‭, ‬die Gründe für die Toleranz problematisch zu machen‭. ‬Die Toleranzthematik gehört zu den meistbehandelten Aspekten des lessingschen Werks‭, ‬seine Auseinandersetzung mit dem Islam blieb allerdings weitgehend‭ ‬unberücksichtigt‭.‬

Der Begriff‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬wird auch häufig benutzt‭, ‬um einen Gegensatz zwischen‭ ‬„dem Westen“‭ ‬und‭ ‬„dem Islam“‭ ‬zu betonen‭. ‬Dabei ist die Begriffsverwendung oft sehr mangelhaft‭. ‬Selten wird reflektiert‭, ‬dass‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬eine Epoche der europäischen Geistesgeschichte bezeichnet‭, ‬deren spezifische historische Bedingungen und Folgen sich nicht einfach auf die Verhältnisse anderer Kulturen übertragen lassen‭. ‬Sie wird meistens gegen die Muslime verwendet‭; ‬diejenigen‭, ‬die es verwenden‭, ‬meinen‭, ‬dass der Westen wegen der Aufklärung im Licht steht und andere Kulturen‭, ‬besonders die Muslime‭, ‬in der Finsternis‭. ‬Dabei wird nicht daran gedacht‭, ‬dass die christlichen Philosophen auf der Basis von Aristoteles durch‭ ‬Averroes‭ ‬‭(‬‭/‬Ibn Rušd‭/‬Ibn Ruschd‭, ‬1059–1126‭), ‬dem spanisch-islamischen Rechtsgelehrten und Philosophen‭, ‬eine eigene Religionsphilosophie entwickelten‮ ‬–‭ ‬etwa‭ ‬Eckhart von Hochheim‭, ‬bekannt als‭ ‬Meister Eckhart‭ (‬1260–1328‭)‬‭, ‬ein bedeutender Theologe und Philosoph des christlichen Mittelalters‭.‬

Sie vergessen auch‭, ‬dass das Mittelalter die Zeit der Universitätsgründungen‭, ‬der internationalen Vernetzungen der Wissenschaften besonders mit der islamischen Welt‭, ‬der Entdeckung griechisch-arabischer Textkonvolute‭, ‬der Expansion der Städte mit einer zunehmend gebildeten Bürgerschaft war‭.‬

Die bis ins 20‭. ‬Jhdt‭. ‬traditionelle römisch-katholische Position‭ ‬ist allgemein bekannt‭: ‬„Extra Ecclesiam nulla salus‭!‬“‮ ‬–‭ ‬Außerhalb der Kirche kein Heil‭! ‬Außerhalb der Kirche kein Prophet‭! ‬Jedenfalls ist die traditionelle Position heute nicht mehr die offizielle römisch-katholische Position‭. ‬Denn das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ (‬1962–1965‭)‬‭ ‬erklärte in seiner Konstitution über die Kirche ganz unzweideutig‭: ‬„Diejenigen Menschen‭, ‬die das Evangelium Christi und seiner Kirche ohne ihre Schuld nicht kennen‭, ‬Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und seinen im Gewissensgebot erkannten Willen in Taten unter dem Wirken seiner Gnade zu erfüllen trachten‭, ‬können das ewige Heil erlangen‭.‬“

Das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ ‬brachte zweifelsohne einen Durchbruch in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Christentum‭, ‬Judentum‭ ‬und‭ ‬Islam‭. ‬Die Erklärung‭ ‬„Nostra aetate“‭ (‬lat‭. ‬für‭ ‬„in unserer Zeit“‭) ‬gibt Antwort auf die Frage vieler gläubigen Christen‭. ‬Das war nur möglich‭, ‬weil weitblickende Menschen schon vor dem Konzil Wege zum Dialog‭ ‬gesucht und so die Erklärungen der Konzilsväter vorbereitet hatten‭.‬

Der Artikel 3‭ ‬beschäftigt sich ausschließlich mit dem Islam‭; ‬die Gemeinsamkeiten werden betont‭. ‬Ein Unterschied im Glauben beider Religionen wird klar und deutlich‭: ‬Die‭ ‬Muslime anerkennen Jesus‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬nicht als Sohn Gottes‭; ‬sie verehren ihn jedoch als Propheten‭.‬

Es mag dahingestellt sein‭, ‬ob die Hervorhebung des Islams in diesem Artikel mehr aus gesellschaftspolitischen als aus theologischen Überlegungen erfolgte oder ob sie ein Gegengewicht zu der Erklärung über das‭ ‬Judentum‭ ‬in Artikel 4‭ ‬sein sollte‭; ‬auf alle Fälle markieren diese wesentlichen Aussagen über den Islam‭ ‬eine neue Haltung der römisch-katholischen Kirche‭.‬

Die politische Geschichte der islamisch-christlichen Beziehungen in Europa wird dominiert von der Bewegung der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬‭(‬1095–1492‭). ‬Im Rahmen der politisch-militärischen Konfrontationen jener Zeit diente gerade auf Seiten des Christentums die Religion als ideologisches Werkzeug zur Verteidigung der Interessen der europäischen Herrscher‭, ‬inklusive des Inhabers des Vatikans‭. ‬Das erklärt die‭ ‬„Geschichte der vorsätzlichen und unbeabsichtigten Missverständnisse“‭, ‬welche die islamisch-christliche Begegnung in Europa über die Jahrhunderte hinweg charakterisierte‭. ‬Dieser frühe‭ ‬„Kampf der Kulturen“‭ ‬hat ein Vermächtnis der Konfrontation‭, ‬des Misstrauens und der Missverständnisse geschaffen‭, ‬das bis in die Gegenwart wirkt‭.‬

Vom 19‭. ‬Jhdt‭. ‬an wurde der sogenannte Orient vom Westen durch den Kolonialismus‭, ‬Kapitalismus‭, ‬die industrielle Revolution und die Aufklärung‭ ‬in seiner Entwicklung überholt‭. ‬Der symbolische Zeitpunkt für die spätere offensichtliche Übernahme der Führung durch den Westen war‭ ‬Napoleons‭ ‬‭(‬Napoleon Bonaparte‭, ‬als Kaiser Napoleon I‭. ‬1769–1821‭) ‬Expansion in Ägypten‭ ‬im Jahre 1798‭; ‬von da an fielen westliche Armeen und westliches Kapital über die Länder der Muslime her‭.‬

Mit dem Auftreten des europäischen‭ ‬Kolonialismus‭ ‬wendeten sich die Beziehungen zum Islam von europäischer Seite abermals hin zu politischer Beherrschung und‭ ‬„kultureller Bevormundung“‭.‬

Die europäische Machtpolitik hat die politische Landkarte des Nahen Ostens bis zum heutigen Tage geformt‭. ‬Man suchte die politische und militärische Vorherrschaft durch den ideologischen Anspruch einer Überlegenheit des christlichen Europas über die arabisch-islamische Kultur zu legitimieren‭.‬

Eines der Vorurteile‭, ‬welche die Beziehungen zwischen‭ ‬Islam‭ ‬und‭ ‬Christentum‭ ‬seit der Zeit der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬und den Kriegen mit dem‭ ‬Osmanischen Reich‭ (‬1299–1922‭) ‬beeinträchtigen‭, ‬ist im Umfeld der christlichen Interpretation des koranischen Begriffs des‭ ‬„Jihâd“‭ ‬angesiedelt und mag als Beispiel dafür dienen‭, ‬wie viel Arbeit noch zu erledigen ist‭, ‬wenn man eine faire und ausgewogene Vermittlung der islamischen Botschaft in Europa anstrebt‭.‬

Die Christlichen Gelehrten dozierten über Jahrhunderte hinweg‭, ‬dass der Islam allgemein und vorbehaltlos den Krieg gegen Nichtgläubige‭, ‬das heißt die Christen selbst‭, ‬rechtfertige‭. ‬Bestimmte Ausschnitte des‭ ‬Qur’an/Korans‭ ‬wurden und werden vorsätzlich aus dem Zusammenhang gerissen‮ ‬–‭ ‬mit der Absicht‭, ‬eine aggressive Natur des Islam zu‭ ‬„beweisen“‭.‬

Die Fehlinterpretation der Lehre des Qur’an‭ (‬Korans‭) ‬hinsichtlich der Anwendung von Gewalt ist das Beispiel für das verzerrte Bild des Islam in der christlichen Dogmatik‭. ‬Die dadurch erzeugte Atmosphäre tiefen Misstrauens hat ihrerseits wiederum die falsche Wahrnehmung des Islam als eine Bedrohung für die christliche Zivilisation in Europa gesehen‭.‬

Sogar heutzutage werden solche Vorurteile immer noch in akademischen Vorträgen propagiert‭. ‬Bewusste Verzerrung‭, ‬das Weglassen von zusätzlichen erläuternden Textstellen und das Herausreißen bestimmter Formulierungen aus dem Gesamtzusammenhang im Koran‭ ‬usw‭.‬

Seit dem Ende des‭ ‬Kommunismus‭ ‬‭(‬1991‭) ‬bzw‭. ‬nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Verschwinden des damit einhergehenden‭ (‬ideologischen‭) ‬Freund-Feind-Schemas‭ ‬dient der Islam in vielfacher Hinsicht als Ersatz für das frühere‭ ‬Feindbild‭, ‬durch welches der Westen seine weltweite Vorherrschaft ideologisch durchzusetzen versuchte‭. ‬Diese neue internationale Konstellation‭, ‬in welcher der Islam als Bedrohung für die europäische Identität und Sicherheit dargestellt wird‭, ‬wirkt sich direkt auf die islamisch-abendländischen‭ (‬christlichen‭?) ‬Beziehungen in Europa aus‭.‬

Das Verhältnis zum Islam ist in Europa‭ ‬auf verschiedene Weise‭, ‬insbesondere nach dem 11‭. ‬Sept‭. ‬2001‭, ‬belastet und bietet so den Nährboden für einen oft spannungsgeladenen und durch Emotionen aufgeheizten Umgang mit der muslimischen Bevölkerung‭. ‬In diesem Zusammenhang wird immer wieder die gerade für den Großraum‭ ‬Wien‭ ‬bis heute als traumatisch empfundene Zeit der‭ ‬Türkenkriege‭ ‬genannt‭. ‬Im historischen Kontext verdienen auch die schon seit den‭ ‬Kreuzzügen‭ ‬tradierten Bilder vom‭ ‬„grausamen heimtückischen gotteslästerlichen Heiden“‭ ‬Erwähnung‭. ‬Auf der anderen Seite wuchs durch die Migration die Zahl der Muslime und viele Befürchtungen‭, ‬die Neubürger könnten‭ ‬den Alteingesessenen Ressourcen streitig machen‭, ‬konzentrieren sich auf die muslimische Bevölkerung‭, ‬die häufig unter Zuhilfenahme des alten Feindbildes als bedrohliche Invasion in modernem Gewand wahrgenommen wird‭. ‬Früher hat dabei die Konkurrenz am Arbeitsmarkt die Hauptrolle gespielt‭. ‬Jetzt werden kulturelle Auseinandersetzungen thematisiert‭, ‬
die oft religiös verbrämt sind‭. ‬Und das macht das Ganze sehr gefährlich‭. ‬Es ist leider möglich‭, ‬dass das angebliche Gegensatzpaar Abendland gegen Islam für viele Jahre die Politik in Österreich beschäftigen würde‭.‬

Eine sehr negative‭, ‬oftmals geradezu obstruktive Rolle spielt auch diesbezüglich die‭ ‬Medien‭, ‬die in einem beträchtlichen Ausmaß‭ ‬unter dem Einfluss von Partikularinteressen und populistische oder radikalen Politiker/innen stehen‭. ‬Nachrichten aus der islamischen Welt liefern der viel diskutierten Theorie eines‭ ‬„Clash of Civilisation“‭ (‬nach Samuel P‭. ‬Huntington‭) ‬fast täglich scheinbar neuer Nahrung‭, ‬weil Krisensituationen medial ungleich mehr Beachtung finden als positive Beispiele des‭ ‬friedlichen Zusammenlebens‭.‬

Die Medien als meinungsbildende Organe haben durch ihre oft von Einseitigkeit‭, ‬mangelndem Verständnis und schlichtem Informationsmangel geprägte Berichterstattung einen nicht unerheblichen Anteil an dem Zerrbild‭, ‬das sich in den Köpfen vieler Menschen bildet‭. ‬Muslime sehen sich in einem permanenten Rechtfertigungseck‭, ‬aus dem heraus es sich schwer agieren lässt‭.‬

Eigenes wird oft auf das‭ ‬„Fremde“‭ ‬übertragen‭; ‬hausgemachte‭, ‬unangenehme Themen sind‭, ‬z‭.‬ B‭. ‬vor dem Hintergrund einiger spektakulärer Fälle von sexuellem‭ ‬Missbrauch‭ ‬in der römisch-katholischen Kirche‭, ‬leichter abzuhandeln oder lassen sich umgehen über die scheinbare Verlagerung auf eine andere Gruppe‭, ‬am leichtesten auf die Muslime‭.‬

In Medien weiß‭ ‬man öfter nicht‭, ‬wer für wen und für was spricht‭? ‬Bestimmte Personen mit einer bestimmten Sicht werden favorisiert‭, ‬Role Models‭ ‬sollen geprägt werden‭, ‬Schubladisierungen unter‭ ‬„liberal“‭ ‬oder‭ ‬„aufgeklärt“‭ ‬wirken eindimensional‭, ‬drängen praktizierende Muslime rasch ins‭ ‬„fundamentalistische“‭ ‬Eck‭.‬

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