Muslime und Islamgesetz in Österreich

Muslime und Islamgesetz in Österreich

Band I – Der Islam gehört zu Österreich

Fuat Sanaç


EUR 26,90
EUR 21,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 424
ISBN: 978-3-99131-709-8
Erscheinungsdatum: 03.01.2023
Die Integration der Muslime ist eine wichtige Aufgabe, die man nicht allein politischen Institutionen überlassen darf. Integration wird nicht in Sitzungszimmern gelebt, sondern in der Nachbarschaft, in den Schulen, immer dort, wo sich Menschen begegnen.
KAPITEL‭ ‬I

I.1‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬VOR DER AUFKLÄRUNG

Die Geschichte der Beziehungen Europas zum Islam‭ ‬ist auch die Geschichte der intellektuellen‭, ‬künstlerischen und politischen Wahrnehmung des Orients‭, ‬in der sich eher europäisches Denken als die orientalische Realität zeigt‭. ‬Darum scheint es an der Zeit‭, ‬auch von einer Geschichte zu sprechen‭, ‬die tief in den Gang des Weltgeschehens eingegriffen hat und der besonders das Abendland‭, ‬grundsätzlich aber die gesamte Menschheit‭, ‬unendlich viel zu verdanken hat‭.‬

Bereits im 7‭. ‬Jhdt‭. ‬drängten Muslime mit aller Macht nach Europa‭. ‬Die Rückeroberung‭ (‬sog‭. ‬Reconquista‭) ‬der besetzten spanischen‭ ‬sowie portugiesischen Gebiete endete im Jahr 1492‭ ‬mit der vollständigen Beseitigung des letzten muslimischen Machtbereiches‭. ‬Dieser Zeitraum wird auch als die erste islamische Expansionswelle bezeichnet‭.‬

Die zweite islamische Expansion führte die‭ ‬Osmanen‭ (‬1299–1922‭)‬‭ ‬bis nach Wien‭ (‬1529‭), ‬die damalige Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs‭. ‬Das Osmanische Reich geriet aufgrund der Niederlage‭ (‬im Zuge des Großen Türkenkrieges 1683–1699‭) ‬in die Defensive und wurde in zahlreichen Kriegen bis 1913‭ ‬auf die heutigen türkischen Grenzen zurückgedrängt‭.‬

Der Islam‭ ‬gehört heute zu Europa‭, ‬aber was und wie viel wissen die Europäer‭, ‬noch wichtiger‭, ‬die Muslime in Europa über die Geschichte des Islam‭? ‬Wie viele Muslime‭, ‬die aus verschiedenen muslimischen Ländern nach Europa gekommen sind‭, ‬sind im Stande‭, ‬über islamische Geschichte zu referieren‭?‬

Christliche Chroniken‭ ‬führen im Einzelnen auch aus‭, ‬dass es‭ ‬Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war‭, ‬der‭ ‬„den Arabern den Gott Abrahams vorstellte‮ ‬–‭ ‬und ihnen neue Gesetze gab‭.‬“‮ ‬–‭ ‬so der in der zweiten Hälfte des 7‭. ‬Jahrhunderts lebende armenische Bischof‭ ‬Sebeos‭ ‬„Das Buch über Heraklios“‭.‬

Johannes bar Penkaye‭, ‬ein Mönch der ostsyrischen Kirche in Nordmesopotamien‭ (‬gest‭. ‬686/87‭),‬‭ ‬dessen Schriften liefern einen Augenzeugenbericht über die arabischen Eroberungen seiner Zeit‭, ‬deuten aber nicht auf die Existenz eines heiligen arabischen Buches‭ (‬Qur’an‭) ‬zum Ende des siebten Jhdts‭. ‬hin‭.‬

Einer der ältesten Streiter gegen den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬war der orthodoxe Theologe Yaḥyā‭ ‬ibn Manṣūr‭, ‬bekannt unter dem Namen‭ ‬Johannes von Damaskus‭ ‬‭(‬650–754‭)‬‭ ‬Er schreibt in seinem Buch‭:‬
„Sie waren bis zur Zeit des‭ ‬Herakleios‭ ‬Götzendiener‭. ‬Da aber trat unter ihnen ein Pseudoprophet auf‭, ‬‚Mamed‘‭ ‬genannt‭, ‬der eine eigene Irrlehre ins Leben rief‭, ‬nachdem er flüchtig Kenntnis vom Alten und Neuen Testament gewonnen hatte und‭ ‬zugleich offenbar mit einem arianeschen Mönch zusammengetroffen war‭. ‬Später ließ‭ ‬er durch Täuschungen das Volk glauben‭, ‬er sei ein gottesfürchtiger Mann‭, ‬und streute Gerüchte aus‭, ‬dass ihm eine Schrift vom Himmel herabgesandt sei‭. ‬Nachdem er einige Lehren in diesem seinem Buch aufgestellt hatte‭, ‬über die man nur lachen kann‭, ‬lehrte er‭ ‬sie auf diese Weise‭, ‬Gott zu verehren‭.‬“

Diese Behauptungen von Johannes von Damaskus‭ ‬wie z‭.‬ B‭. ‬„Pseudoprophet“‭ ‬wurden das Prädikat in unzähligen Werken christlicher Polemik gegen den Islam‭,‬‭ ‬gleichsam zur Standartbezeichnung Muhammeds‭ (‬a.s‭.). ‬Dem Mittelalter galt der Islam‭ ‬als Prototyp des Fremden und des Feindes‭, ‬in der er als Häresie‭, ‬Heidentum oder Teufelswerk verstanden wurde‭.‬

Es war die‭ ‬Kreuzzugsbewegung‭ (‬1095–1492‭), ‬die die Aufmerksamkeit der Christen auf die Islamische Religion lenkte‭ (‬der Begriff bezeichnet die Orientkreuzzüge‭, ‬die sich gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten‭). ‬Aber auch schon vor den Kreuzzügen war einiges über den Islam‭ ‬bekannt‭. ‬Dieses Wissen stammte zum Teil aus byzantinischen Quellen‭, ‬zum anderen Teil auch aus christlich-muslimischen Kontakten‭ ‬in Spanien‭ (‬Muslime in Spanien 711–1492‭). ‬Das Bild‭, ‬welches sich daraus entwickelte‭, ‬war durchwegs sehr verworren‭. ‬Arabische Muslime wurden als‭ ‬Sarazenen‭ ‬bezeichnet und galten als Götzenanbeter‭, ‬die den Gesandten Muhammed‭ (‬a.s‭.) ‬verehrten‭, ‬dass er ein Zauberer sei usw‭.‬

Der Islam‭ ‬stellte für die Christen im Mittelalter in erster Linie eine‭ ‬„Bedrohung ihrer Selbstzufriedenheit“‭ ‬dar‭. ‬Besonders die Menschen im Norden Frankreichs‭, ‬in Flandern und in Deutschland‭, ‬also gerade in den Ländern‭, ‬die in keinem direkten Kontakt zu den Muslimen standen‭, ‬entwickelten einen gewaltigen Hass‭ (‬Diese Realität‭, ‬dass die Menschen Islam oder Muslime‭ ‬hassen‭, ‬oder ihnen gegenüber feindselig sind‭, ‬ist immer noch aktuell‭). ‬Vor diesem Hintergrund muss man das Islambild des Mittelalters betrachten‭.‬‭ ‬Um dieses unbehagliche Gefühl der Minderwertigkeit kompensieren zu können‭, ‬mussten die Europäer ihr Islambild‭ ‬„entstellen“‭.‬

Der Abt‭ ‬Petrus Venerabilis‭ (‬gest‭. ‬1156‭) ‬war einer der wichtigsten Personen dieser Zeit‭, ‬die dazu beitrugen‭, ‬das Islambild zu entzerren‭: ‬Er ließ‭ ‬den Qur’an übersetzen und verfasste dann selbst eine Darstellung der islamischen Lehre‭, ‬die‭ ‬„Summa totius haeresis saracenorum“‭, ‬sowie eine Widerlegung‭, ‬„Liber contra sectem sive haeresim saracenorum‭.‬“‭ ‬Petrus‭ ‬sah in der Übersetzung des Qur’an einen Baustein seines‭ ‬„Projekt zur Widerlegung des Islam“‭. ‬Es war ihm ein dringendes Anliegen‭, ‬der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten‭. ‬Diese neue Herangehensweise trug viel dazu‭ ‬bei‭, ‬dass sich ein neues Islambild einstellte‭. ‬Es bleibt anzumerken‭, ‬dass auch der Abt höchstwahrscheinlich von der Fortschrittlichkeit der Muslime‭, ‬besonders in den Naturwissenschaften‭, ‬wusste‭, ‬und deshalb auch ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl ihnen gegenüber empfand‭.‬

Petrus‭ ‬sagt‭, ‬dass die Muslime eigentlich besser als die‭ ‬Juden‭ ‬seien‭, ‬das begründet er‭: ‬„‮…‬‭ ‬dass Christus von einer Jungfrau geboren sei‭, ‬und sie stimmen mit uns in vielen Dingen über ihn überein‭.‬“‭ ‬Er sah aber im Islam‭ ‬eine‭ ‬Häresie‭ ‬‭(‬abweichende Lehre‭) ‬des Christentums‭, ‬er betrachtete ihn als die wichtigste und die einzige Häresie‭, ‬auf die die Christenheit noch keine adäquate Lösung gefunden hatte‭ (‬z‭.‬ B‭. ‬Dreifaltigkeit‭). ‬Denn für ihn lag das eigentliche Ziel‭, ‬das zentrale christliche Interesse in der Bekehrung der Muslime‭.‬

Diese Islamfeindlichkeit schon damals‭, ‬wie heute verbreite/te einseitig negative Sichtweisen über Islam und Muslime/innen und diskriminier(t)e‭ ‬
Letztere gegenüber anderen Menschen‭.‬

Darüber sagt Chris‭ ‬Allen‭, ‬dass Islamfeindlichkeit nicht immer explizit zum Ausdruck gebracht werde‭. ‬Vielmehr sei sie auch in alltäglichen Praktiken und‭ ‬Diskursen vorhanden‭, ‬ohne dass sich die darin Involvierten notwendigerweise als islamfeindlich verstehen müssen‭. ‬Die Diskriminierung von Muslimen äußere sich folglich auch in Handlungen und Äußerungen‭, ‬die von allen Beteiligten als selbstverständlich wahrgenommen werden‭. ‬Islamfeindlichkeit ziele darauf ab‭, ‬negative Wahrnehmungen von Muslimen und Islam als‭ ‬„Wissen“‭ ‬zu etablieren‭, ‬also als für objektiv wahr gehaltene Aussagen‭. ‬Gleichzeitig strebe sie auch eine politische und soziale Benachteiligung von Muslimen in der Gesellschaft an‭.‬

Laut‭ ‬Allen‭ ‬seien konkrete Inhalte deshalb auch von geringerer Bedeutung‭, ‬da sie über die Zeit durch andere ersetzt werden könnten und Islamfeindlichkeit wandelbar sei‮ ‬–‭ ‬abgesehen von der negativen Bewertung des Islams und der Muslime an sich‭. ‬Dennoch seien historische Kontinuitäten empirisch beobachtbar‭.‬

Um die Ängste zu verstehen‭, ‬muss die Vergangenheit der Muslime auf europäischem Boden betrachtet werden‭. ‬Besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen während der osmanischen Zeit dienen als Vorwand‭, ‬um alte Ressentiments zu bedienen‭. ‬Nicht umsonst erinnern unzählige Sagen‭, ‬Volksbräuche‭, ‬Straßennamen‭, ‬Gedenkstätten und Relikte der türkischen Heeresmacht an die Gefahr des Islams und deren Überwindung‭. ‬Selbst der Tag der‭ ‬Befreiung Wiens‭ (‬1683‭) ‬am 12‭. ‬September wird seither im römisch-katholischen Kalender mit dem‭ ‬Fest Mariä Namen‭ ‬gefeiert‭.‬‮ ‬–‭ ‬Papst Pius X‭. (‬1835–1914‭) ‬verlegte das Fest auf den Siegestag‭, ‬den 12‭. ‬September‭. ‬Nachdem das Fest im Allgemeinen Römischen Kalender gestrichen war‭,‬‭ ‬da es eine Doppelung zum Fest Mariä Geburt ist‭, ‬wurde es im Jahr 2002‭ ‬wieder für die ganze Kirche eingeführt‭. ‬Im Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet blieb das Fest‭ ‬„wegen des historischen Bezuges zum Sprachgebiet und der Verwurzelung im Volk“‭ ‬immer erhalten‭. ‬Eng mit dem Fest verbunden ist auch die Verbreitung der Anrufung Mariens als Hilfe der Christen‭ (‬„Maria Hilf‭!‬“‭).‬


I.2‭ ‬DIE GESCHICHTE DES ISLAMS IN EUROPA‭ ‬NACH DER AUFKLÄRUNG

Eine weitere Wende in der christlichen Welt entstand durch die‭ ‬Aufklärung‭ ‬‭(‬1650–1800‭),‬‭ ‬die zuerst in den evangelischen Kirchen Fuß‭ ‬fasste‭, ‬und gegen die sich die römisch-katholische Kirche lange zur Wehr setzte‭.‬

Das Islambild des bedeutenden Dichters der deutschen Aufklärers‭ ‬Gotthold Ephraim‭ ‬Lessing‭ (‬1729–1781‭)‬‭ ‬ist für uns von Bedeutung‭, ‬denn dass der Islam‭ ‬in der Toleranzdebatte des 18‭. ‬Jhdts‭. ‬überhaupt eine Rolle gespielt hat‭, ‬ist vor allem Lessings Verdienst‭; ‬vor Lessing hatte man entweder gar nicht oder nur die Absicht verfolgt‭, ‬die Gründe für die Toleranz problematisch zu machen‭. ‬Die Toleranzthematik gehört zu den meistbehandelten Aspekten des lessingschen Werks‭, ‬seine Auseinandersetzung mit dem Islam blieb allerdings weitgehend‭ ‬unberücksichtigt‭.‬

Der Begriff‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬wird auch häufig benutzt‭, ‬um einen Gegensatz zwischen‭ ‬„dem Westen“‭ ‬und‭ ‬„dem Islam“‭ ‬zu betonen‭. ‬Dabei ist die Begriffsverwendung oft sehr mangelhaft‭. ‬Selten wird reflektiert‭, ‬dass‭ ‬„Aufklärung“‭ ‬eine Epoche der europäischen Geistesgeschichte bezeichnet‭, ‬deren spezifische historische Bedingungen und Folgen sich nicht einfach auf die Verhältnisse anderer Kulturen übertragen lassen‭. ‬Sie wird meistens gegen die Muslime verwendet‭; ‬diejenigen‭, ‬die es verwenden‭, ‬meinen‭, ‬dass der Westen wegen der Aufklärung im Licht steht und andere Kulturen‭, ‬besonders die Muslime‭, ‬in der Finsternis‭. ‬Dabei wird nicht daran gedacht‭, ‬dass die christlichen Philosophen auf der Basis von Aristoteles durch‭ ‬Averroes‭ ‬‭(‬‭/‬Ibn Rušd‭/‬Ibn Ruschd‭, ‬1059–1126‭), ‬dem spanisch-islamischen Rechtsgelehrten und Philosophen‭, ‬eine eigene Religionsphilosophie entwickelten‮ ‬–‭ ‬etwa‭ ‬Eckhart von Hochheim‭, ‬bekannt als‭ ‬Meister Eckhart‭ (‬1260–1328‭)‬‭, ‬ein bedeutender Theologe und Philosoph des christlichen Mittelalters‭.‬

Sie vergessen auch‭, ‬dass das Mittelalter die Zeit der Universitätsgründungen‭, ‬der internationalen Vernetzungen der Wissenschaften besonders mit der islamischen Welt‭, ‬der Entdeckung griechisch-arabischer Textkonvolute‭, ‬der Expansion der Städte mit einer zunehmend gebildeten Bürgerschaft war‭.‬

Die bis ins 20‭. ‬Jhdt‭. ‬traditionelle römisch-katholische Position‭ ‬ist allgemein bekannt‭: ‬„Extra Ecclesiam nulla salus‭!‬“‮ ‬–‭ ‬Außerhalb der Kirche kein Heil‭! ‬Außerhalb der Kirche kein Prophet‭! ‬Jedenfalls ist die traditionelle Position heute nicht mehr die offizielle römisch-katholische Position‭. ‬Denn das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ (‬1962–1965‭)‬‭ ‬erklärte in seiner Konstitution über die Kirche ganz unzweideutig‭: ‬„Diejenigen Menschen‭, ‬die das Evangelium Christi und seiner Kirche ohne ihre Schuld nicht kennen‭, ‬Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und seinen im Gewissensgebot erkannten Willen in Taten unter dem Wirken seiner Gnade zu erfüllen trachten‭, ‬können das ewige Heil erlangen‭.‬“

Das‭ ‬Zweite Vatikanische Konzil‭ ‬brachte zweifelsohne einen Durchbruch in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Christentum‭, ‬Judentum‭ ‬und‭ ‬Islam‭. ‬Die Erklärung‭ ‬„Nostra aetate“‭ (‬lat‭. ‬für‭ ‬„in unserer Zeit“‭) ‬gibt Antwort auf die Frage vieler gläubigen Christen‭. ‬Das war nur möglich‭, ‬weil weitblickende Menschen schon vor dem Konzil Wege zum Dialog‭ ‬gesucht und so die Erklärungen der Konzilsväter vorbereitet hatten‭.‬

Der Artikel 3‭ ‬beschäftigt sich ausschließlich mit dem Islam‭; ‬die Gemeinsamkeiten werden betont‭. ‬Ein Unterschied im Glauben beider Religionen wird klar und deutlich‭: ‬Die‭ ‬Muslime anerkennen Jesus‭ (‬a.s‭.)‬‭ ‬nicht als Sohn Gottes‭; ‬sie verehren ihn jedoch als Propheten‭.‬

Es mag dahingestellt sein‭, ‬ob die Hervorhebung des Islams in diesem Artikel mehr aus gesellschaftspolitischen als aus theologischen Überlegungen erfolgte oder ob sie ein Gegengewicht zu der Erklärung über das‭ ‬Judentum‭ ‬in Artikel 4‭ ‬sein sollte‭; ‬auf alle Fälle markieren diese wesentlichen Aussagen über den Islam‭ ‬eine neue Haltung der römisch-katholischen Kirche‭.‬

Die politische Geschichte der islamisch-christlichen Beziehungen in Europa wird dominiert von der Bewegung der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬‭(‬1095–1492‭). ‬Im Rahmen der politisch-militärischen Konfrontationen jener Zeit diente gerade auf Seiten des Christentums die Religion als ideologisches Werkzeug zur Verteidigung der Interessen der europäischen Herrscher‭, ‬inklusive des Inhabers des Vatikans‭. ‬Das erklärt die‭ ‬„Geschichte der vorsätzlichen und unbeabsichtigten Missverständnisse“‭, ‬welche die islamisch-christliche Begegnung in Europa über die Jahrhunderte hinweg charakterisierte‭. ‬Dieser frühe‭ ‬„Kampf der Kulturen“‭ ‬hat ein Vermächtnis der Konfrontation‭, ‬des Misstrauens und der Missverständnisse geschaffen‭, ‬das bis in die Gegenwart wirkt‭.‬

Vom 19‭. ‬Jhdt‭. ‬an wurde der sogenannte Orient vom Westen durch den Kolonialismus‭, ‬Kapitalismus‭, ‬die industrielle Revolution und die Aufklärung‭ ‬in seiner Entwicklung überholt‭. ‬Der symbolische Zeitpunkt für die spätere offensichtliche Übernahme der Führung durch den Westen war‭ ‬Napoleons‭ ‬‭(‬Napoleon Bonaparte‭, ‬als Kaiser Napoleon I‭. ‬1769–1821‭) ‬Expansion in Ägypten‭ ‬im Jahre 1798‭; ‬von da an fielen westliche Armeen und westliches Kapital über die Länder der Muslime her‭.‬

Mit dem Auftreten des europäischen‭ ‬Kolonialismus‭ ‬wendeten sich die Beziehungen zum Islam von europäischer Seite abermals hin zu politischer Beherrschung und‭ ‬„kultureller Bevormundung“‭.‬

Die europäische Machtpolitik hat die politische Landkarte des Nahen Ostens bis zum heutigen Tage geformt‭. ‬Man suchte die politische und militärische Vorherrschaft durch den ideologischen Anspruch einer Überlegenheit des christlichen Europas über die arabisch-islamische Kultur zu legitimieren‭.‬

Eines der Vorurteile‭, ‬welche die Beziehungen zwischen‭ ‬Islam‭ ‬und‭ ‬Christentum‭ ‬seit der Zeit der‭ ‬Kreuzzüge‭ ‬und den Kriegen mit dem‭ ‬Osmanischen Reich‭ (‬1299–1922‭) ‬beeinträchtigen‭, ‬ist im Umfeld der christlichen Interpretation des koranischen Begriffs des‭ ‬„Jihâd“‭ ‬angesiedelt und mag als Beispiel dafür dienen‭, ‬wie viel Arbeit noch zu erledigen ist‭, ‬wenn man eine faire und ausgewogene Vermittlung der islamischen Botschaft in Europa anstrebt‭.‬

Die Christlichen Gelehrten dozierten über Jahrhunderte hinweg‭, ‬dass der Islam allgemein und vorbehaltlos den Krieg gegen Nichtgläubige‭, ‬das heißt die Christen selbst‭, ‬rechtfertige‭. ‬Bestimmte Ausschnitte des‭ ‬Qur’an/Korans‭ ‬wurden und werden vorsätzlich aus dem Zusammenhang gerissen‮ ‬–‭ ‬mit der Absicht‭, ‬eine aggressive Natur des Islam zu‭ ‬„beweisen“‭.‬

Die Fehlinterpretation der Lehre des Qur’an‭ (‬Korans‭) ‬hinsichtlich der Anwendung von Gewalt ist das Beispiel für das verzerrte Bild des Islam in der christlichen Dogmatik‭. ‬Die dadurch erzeugte Atmosphäre tiefen Misstrauens hat ihrerseits wiederum die falsche Wahrnehmung des Islam als eine Bedrohung für die christliche Zivilisation in Europa gesehen‭.‬

Sogar heutzutage werden solche Vorurteile immer noch in akademischen Vorträgen propagiert‭. ‬Bewusste Verzerrung‭, ‬das Weglassen von zusätzlichen erläuternden Textstellen und das Herausreißen bestimmter Formulierungen aus dem Gesamtzusammenhang im Koran‭ ‬usw‭.‬

Seit dem Ende des‭ ‬Kommunismus‭ ‬‭(‬1991‭) ‬bzw‭. ‬nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Verschwinden des damit einhergehenden‭ (‬ideologischen‭) ‬Freund-Feind-Schemas‭ ‬dient der Islam in vielfacher Hinsicht als Ersatz für das frühere‭ ‬Feindbild‭, ‬durch welches der Westen seine weltweite Vorherrschaft ideologisch durchzusetzen versuchte‭. ‬Diese neue internationale Konstellation‭, ‬in welcher der Islam als Bedrohung für die europäische Identität und Sicherheit dargestellt wird‭, ‬wirkt sich direkt auf die islamisch-abendländischen‭ (‬christlichen‭?) ‬Beziehungen in Europa aus‭.‬

Das Verhältnis zum Islam ist in Europa‭ ‬auf verschiedene Weise‭, ‬insbesondere nach dem 11‭. ‬Sept‭. ‬2001‭, ‬belastet und bietet so den Nährboden für einen oft spannungsgeladenen und durch Emotionen aufgeheizten Umgang mit der muslimischen Bevölkerung‭. ‬In diesem Zusammenhang wird immer wieder die gerade für den Großraum‭ ‬Wien‭ ‬bis heute als traumatisch empfundene Zeit der‭ ‬Türkenkriege‭ ‬genannt‭. ‬Im historischen Kontext verdienen auch die schon seit den‭ ‬Kreuzzügen‭ ‬tradierten Bilder vom‭ ‬„grausamen heimtückischen gotteslästerlichen Heiden“‭ ‬Erwähnung‭. ‬Auf der anderen Seite wuchs durch die Migration die Zahl der Muslime und viele Befürchtungen‭, ‬die Neubürger könnten‭ ‬den Alteingesessenen Ressourcen streitig machen‭, ‬konzentrieren sich auf die muslimische Bevölkerung‭, ‬die häufig unter Zuhilfenahme des alten Feindbildes als bedrohliche Invasion in modernem Gewand wahrgenommen wird‭. ‬Früher hat dabei die Konkurrenz am Arbeitsmarkt die Hauptrolle gespielt‭. ‬Jetzt werden kulturelle Auseinandersetzungen thematisiert‭, ‬
die oft religiös verbrämt sind‭. ‬Und das macht das Ganze sehr gefährlich‭. ‬Es ist leider möglich‭, ‬dass das angebliche Gegensatzpaar Abendland gegen Islam für viele Jahre die Politik in Österreich beschäftigen würde‭.‬

Eine sehr negative‭, ‬oftmals geradezu obstruktive Rolle spielt auch diesbezüglich die‭ ‬Medien‭, ‬die in einem beträchtlichen Ausmaß‭ ‬unter dem Einfluss von Partikularinteressen und populistische oder radikalen Politiker/innen stehen‭. ‬Nachrichten aus der islamischen Welt liefern der viel diskutierten Theorie eines‭ ‬„Clash of Civilisation“‭ (‬nach Samuel P‭. ‬Huntington‭) ‬fast täglich scheinbar neuer Nahrung‭, ‬weil Krisensituationen medial ungleich mehr Beachtung finden als positive Beispiele des‭ ‬friedlichen Zusammenlebens‭.‬

Die Medien als meinungsbildende Organe haben durch ihre oft von Einseitigkeit‭, ‬mangelndem Verständnis und schlichtem Informationsmangel geprägte Berichterstattung einen nicht unerheblichen Anteil an dem Zerrbild‭, ‬das sich in den Köpfen vieler Menschen bildet‭. ‬Muslime sehen sich in einem permanenten Rechtfertigungseck‭, ‬aus dem heraus es sich schwer agieren lässt‭.‬

Eigenes wird oft auf das‭ ‬„Fremde“‭ ‬übertragen‭; ‬hausgemachte‭, ‬unangenehme Themen sind‭, ‬z‭.‬ B‭. ‬vor dem Hintergrund einiger spektakulärer Fälle von sexuellem‭ ‬Missbrauch‭ ‬in der römisch-katholischen Kirche‭, ‬leichter abzuhandeln oder lassen sich umgehen über die scheinbare Verlagerung auf eine andere Gruppe‭, ‬am leichtesten auf die Muslime‭.‬

In Medien weiß‭ ‬man öfter nicht‭, ‬wer für wen und für was spricht‭? ‬Bestimmte Personen mit einer bestimmten Sicht werden favorisiert‭, ‬Role Models‭ ‬sollen geprägt werden‭, ‬Schubladisierungen unter‭ ‬„liberal“‭ ‬oder‭ ‬„aufgeklärt“‭ ‬wirken eindimensional‭, ‬drängen praktizierende Muslime rasch ins‭ ‬„fundamentalistische“‭ ‬Eck‭.‬

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