MegapeKaLi

MegapeKaLi

Meine ganz persönliche Katzenliebe . Mit vielen Erinnerungen zurück bis zum 2. Weltkrieg.

Karin Reluc


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 72
ISBN: 978-3-99107-748-0
Erscheinungsdatum: 18.10.2021
Katzen spielen im Leben vom Karin Reluc eine besondere Rolle. Sie bietet Katzen aus dem Tierheim, Findlingen und zugelaufenen Streunern ein liebevolles Heim. Erleben Sie Karin Relucs ganz persönliche Lebens- und Katzengeschichte.
Erinnerungen

Herbst – ein trüber Sonntagmorgen. Genauer, es war der 8. November, und nichts, aber auch gar nichts deutete auf irgendetwas Außergewöhnliches oder Besonderes hin. Also ein schöner gemütlicher Herbstsonntag, vielleicht ein Spaziergang durch buntes raschelndes Laub? Ja, das war schon verlockend.
Das Frühstück stand auf dem Tisch. Als das Kaffeewasser kochte, kam mein Mann in die Küche: „Schalte den Wasserkocher mal ab, wir fahren vorher noch weg.“
Auf meinen fragenden Blick erwiderte er nur: „Lass dich überraschen.“
Als wir im Auto saßen, sagte mein Mann: „Du wolltest doch immer eine Katze. Das Tierheim hat auch sonntags bis 10 Uhr geöffnet.“
Ich schluckte und war erstmal sprachlos. „Du warst doch bis jetzt immer gegen eine Katze, wegen der Vögel im Garten“, sagte ich.
„Ich habe mich ein bisschen schlau gemacht, Katzen sind ja auch nützlich. Lass uns jetzt mal schauen“, entgegnete mein Mann.
Während dieser kurzen Fahrt bis zum Tierheim wurden Jahrzehnte meines Lebens durcheinander gewirbelt, meine Gedanken wanderten zurück in meine Kindheit. Vertreibung aus der Heimat, Niederschlesien, nicht begreifend, warum die ganze Aufregung. Ein Blick zurück zu meiner Katze, die uns hinterherlief. Warum durfte meine Katze nicht mit? Ich bekam damals keine Antwort.
„Wir sind da“, hörte ich die Stimme meines Mannes. Es dauerte einen Moment, bis ich wieder in der Gegenwart war. Mein Herz raste vor Aufregung, ich war plötzlich so hoffnungsvoll, spürte fast die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch. Vielleicht war im Tierheim ein Kätzchen, welches auf mich wartete? Ein Wunder an diesem trüben Herbstmorgen?
Wie drückte es Toulouse-Lautrec einmal aus? „Der Herbst ist der Frühling des Winters.“
Beschwingt gingen wir zum Eingang des Tierheimes und äußerten unseren Wunsch.
„Es tut mir leid, aber im Moment haben wir keine Kätzchen abzugeben“, sagte die Dame. „Das heißt, wir haben kleine Kätzchen, doch sie sind alle krank, sie haben Katzenseuche und sollen morgen erlöst werden.“
Des Weiteren erklärte uns die Dame, dass die Hunde im Tierheim morgens und abends auf dem Gelände Freilauf hatten, um sich ein bisschen austoben zu können. Bei diesem Freilauf am vergangenen Sonntag stöberten die Hunde am Ende des Zaunes eine Kiste mit fünf kleinen Kätzchen auf. Jemand hatte sie in der Nacht wohl einfach über den Zaun geworfen.

„Es war ein großes Glück für die Kleinen, dass eine Katze hier zwei Tage zuvor ihre Jungen verworfen hatte und diese kleinen aufgestöberten Kätzchen hier von ihr angenommen wurden. Doch der Tierarzt stellte bei der ersten Untersuchung fest, dass sie alle schwerkrank sind.“
Eine Katze miaute. Ich wollte kämpfen! So nah dran und kein Kätzchen für mich?
„Darf ich sie mal sehen?“ fragte ich.
Mich traf ein erstaunter Blick. Wer hatte schon Interesse an so kranken Tieren? „Natürlich, doch es ist wirklich zwecklos“, erwiderte die Dame.
Der Anblick war herzzerreißend. Die Augen waren bei allen verklebt, vereitert, teils mit Krusten verschlossen, ebenso Nasen und Ohren. Einfach schlimm, so etwas zu sehen. Bei einem kleinen Kätzchen schleifte das kleine Bäuchlein am Fußboden entlang, sie tat mir so leid.
In ein Kätzchen hatte ich mich trotzdem verliebt. Oder war es Mitleid? Ich fragte: „Könnte ich es nicht wenigstens versuchen?“
Wieder ein erstaunter Blick zu mir, und nach kurzem Überlegen entgegnete die Dame: „Das können Sie, doch es gibt kaum Hoffnung und macht sehr, sehr viel Arbeit.“
Ich war nicht mehr zu bremsen und wollte dieses „Würmchen“ retten. Die Dame notierte sich unsere Adresse und Telefonnummer. Sie holte einen kleinen Karton, setzte das Kätzchen hinein und ich lief ganz vorsichtig mit meiner Fracht zum Auto. Glücklich saß ich mit dieser kleinen Schachtel auf meinen Beinen neben meinem Mann auf der Fahrt nach Hause.
Das Frühstück musste warten, die Katze ging vor. Ich suchte eine flache Kiste und holte Sand aus dem Garten, welchen wir noch vom Bau unseres Hauses liegen hatten. Das kleine erbärmliche Etwas legte ich auf eine Decke, stellte ein Schälchen mit Wasser dazu und nun hieß es abwarten.
Nun war das Sonntagsfrühstück an der Reihe. Die Eier waren inzwischen kalt, schmeckten aber auch so. Ich warf immer wieder einen Blick zu dem kleinen Wesen. Sie bewegte sich nicht, lag einfach nur da.
Während wir frühstückten, inzwischen war es ja schon fast Mittag, erschien unser Sohn auf der Bildfläche. Als er die Katze erblickte und eine Weile beobachtete, rutschte ihm nur ein „Ach, du Schreck!“ heraus.
Das war schon ein aufregender Tag, und so huschten vor dem Einschlafen meine Gedanken wieder in meine Kindheit, in meine Heimat nach Schlesien. Vor der Vertreibung die vielen Bombenangriffe, Fliegeralarme. Bei einem Alarm mussten alle Menschen immer schnell in einen Keller. Kam ich nicht schnell genug mit, packte mich jemand und schleifte mich mit, hob mich manchmal über etwas. Irgendwann erfuhr ich, dass dieses Etwas tote Menschen waren. Unbeschreiblich! Es war nur entsetzlich, grausam, Aufregung pur, Chaos – und immer wieder diese lauten Schreie, welche sich in meinem Inneren bis heute verankert haben.

Als wir nach einem Bombenalarm wieder einmal in einem Keller saßen, begann mein älterer Bruder, mit einem Stöckchen Striche auf den Untergrund zu ziehen. Ich glaube, er sollte mich ablenken. So erklärte er mir langsam das ABC, viele Buchstaben haben ja gerade Linien und bei E oder F musste man nur zwei Rundungen daran malen und so war es ein B oder P. So ging es immer weiter. Aus einem V wurde,
auf den Kopf gestellt und ein kleiner Strich in der Mitte, ein A. Allerdings lernte ich nur große Buchstaben. Mein erstes gekritzeltes Wort auf dem Kellerboden war LAUBAN, unsere Heimatstadt.
Sobald ich später einen Zettel und Bleistift bekam, notierte ich nur Worte mit Fragezeichen. Alles, was ich nicht verstand und oft unerträglich anzusehen war, erfragte ich danach. So ist es bis heute geblieben, alles, was mich emotional beschäftigt, ob positiv oder negativ, schreibe ich auf, um es besser verarbeiten zu können.

Montagmorgen, wieder im Jetzt, musste ich natürlich zuerst zu dem Kätzchen sehen. Es war das gleiche Bild wie am Sonntag, sie lag einfach nur da.
Kurz darauf klingelte das Telefon, ich erschrak, als eine sehr laute Stimme erklang: „Sind Sie wahnsinnig??? Ich komme eben in das Tierheim, um die Kätzchen zu erlösen, und erfahre, dass Sie eine davon mitgenommen haben.“ Es war der Tierarzt.
Ich versuchte zu erklären und fügte traurig hinzu: „Aber sie rührt sich nicht, sie liegt einfach nur da.“
Es war still in der Leitung, lange still, endlich hörte ich den Tierarzt: „Eine Möglichkeit wäre, Sie holen ihre Ziehmutter.“
Gesagt, getan! Mein Mann war noch zu Hause, also fuhren wir schnell, bevor er zur Arbeit musste, zum Tierheim und holten die Ersatzmutter, eine riesengroße schwarze Katze.
Die Kleine wollte gleich zu ihr, doch das schwarze „Ungeheuer“ fauchte nur und biss sie weg. Es sah schon makaber aus, die Riesenkatze und diese Handvoll krankes Fell.
Am späten Nachmittag rief ich den Tierarzt an und berichtete ihm das Beobachtete (wir kannten uns, unsere Söhne gingen früher zusammen in den Kindergarten).
„Habe ich mir schon fast gedacht“, antwortete er, „diese kurze Zeit hat zur Entfremdung geführt.“
Es entstand eine lange Pause. Endlich hörte ich seine Stimme wieder: „Mein Vorschlag: Wenn Sie meinen, Sie müssen so etwas tun – da ist noch so eine kleine Katze, die Schwester von der, die Sie mitgenommen haben, die ist noch schlimmer krank, hat dazu noch einen Nabelbruch. Sollte das Wunder geschehen und Sie schaffen es, könnte ich diese Katze später operieren und an jemanden vermitteln. Ich helfe Ihnen mit Medikamenten, aber die Pflege und Versorgung liegen in Ihren Händen.“
Ich stimmte allem zu, war so voller Hoffnung. Der Arzt gab mir einige Ratschläge, was ich noch so alles tun könnte.
Als mein Mann von der Arbeit nach Hause kam, brachten wir die „Riesenkatze“ in das Tierheim und holten dafür die andere kleine Katze. Es war genau die Katze, welche mir am Sonntagmorgen am meisten leidgetan hatte. Doch bei dieser glaubte ich nicht, sie retten zu können, so krank wie sie aussah, das ganze kleine Gesicht nur vereitert, der Bauch schleifte zwischen den kleinen Beinchen hin und her. Doch ich wollte helfen, also nahmen wir diese kleine Patientin mit.
Zu Hause legten wir sie sanft neben ihre Schwester. Wie schön, die beiden kuschelten sich sofort zusammen. Ich freute mich und musste vor Freude weinen. Kurz danach fraßen sie sogar, ich war glücklich. So neigte sich dieser aufregende Tag dem Ende zu und meine Gedanken gingen wieder auf Zeitreise, in meine Kindheit.

Einmal nachts nach vielen tieffliegenden Bombern war der Himmel plötzlich blutrot. Alle Menschen schrien, hasteten in irgendeinen Keller. Später wurde gesagt, Dresden brannte.
Für ein Kind war alles unbeschreiblich aufregend. Was bedeutete „Dresden brennt“?
Nach dem Brand in Dresden fielen zwar nur noch wenige Bomben, doch die Aufregung endete nicht.

Warum sind Erinnerungen so hartnäckig? Nach aufwühlenden, erinnerungsträchtigen Nächten wachte ich manches Mal zerstreut auf und war erleichtert, dass es nur Erinnerungen waren.
Der Kampf um die Gesundheit meiner kleinen Katzen begann. Mehrmals täglich wickelte ich jeweils eine Patientin in ein Tuch. Nur das Köpfchen blieb frei, denn die kleinen Krallen waren scharf und was ich tun musste, bereitete ihnen große Schmerzen. Ihre Augen und Nasen tupfte ich ab und holte möglichst viel Krabbelndes aus den Ohren – wie gut, dass es Wattestäbchen gab. Die beiden hatten Hunger und begannen zu fressen, doch alles, was sie auch fraßen, kam an zwei Stellen wieder heraus.
Ich zitterte selbst, es tat mir so leid, doch es musste ja sein. Erstaunlich war, dass sie nach jeder Behandlung flohen und flugs nach kurzer Zeit wieder auf meinen Schoß hopsten. Sie spürten wohl, dass nichts Schlimmes hinterher kam und die Behandlungen gut für sie waren.
So fiel ich vor dem Einschlafen immer wieder in die Erinnerungen.

Schon ein paar Tage nach dem Brand in Dresden wurden wir aus unserer Wohnung geholt, nein, nicht geholt, wir wurden gezwungen, heraus zu kommen. So ist es oft geschehen.
Von 1945 bis 1947 wurden wir 11-mal aus der jeweiligen Wohnung geholt, in der wir Unterschlupf gefunden hatten, so sagte meine Mutter. In Erinnerung sind mir so einige geblieben.
Nachts wurden Türen eingeschlagen, wir mussten alle raus, so wie wir waren, nur in Nachtwäsche, und es war manchmal sehr eisig. Die Leute, die uns hinaus schubsten, waren alle gleich angezogen. Mir machten sie große Angst, jeder von ihnen hatte so einen langen Stab in der Hand. Mit diesem wurde auch manchmal nachgeschlagen, wenn es nicht schnell genug ging. Irgendwo stand ein Lastwagen oder ein Pferdewagen kam, und wir wurden weggebracht. Mal kamen wir in eine
Kirche, in ein Kloster, auch zweimal in die Tschechei, nach Rumburg.
Wir hatten in Lauban zwei Katzen, eine gescheckte Katze (Susi) und einen schwarzen Kater (Peterle). Durften wir wieder in unsere Stadt zurück, in unsere Straße, erschienen nach kurzer Zeit auch die Katzen wieder, obwohl wir ja fast immer in einer anderen Wohnung Zuflucht fanden, in der die Türen noch abzuschließen waren.
Einmal brachte uns ein Pferdefuhrwerk zu einem verlassenem Bauernhof. Alle Türen und Fenster waren kaputt, es war schlimm. Von dem Bauernhof konnten wir nach kurzer Zeit auch wieder zurück, mussten aber zu Fuß gehen. Die ganze Straße war voller kleiner Löcher. „Tretet ja nicht in so ein Loch! Da sind Minen drin.“ Was Minen waren, wusste ich bis dahin nicht, begriff aber bald danach, dass es etwas ganz Schlimmes war.
Plötzlich war weit vor uns ein Knall, ohrenbetäubender Lärm. Alle Menschen blieben stehen, alle stockten und warteten. Nach geraumer Zeit liefen alle langsam weiter, wir konnten kaum etwas sehen, nur stinkender Rauch kam uns entgegen. Später wurde gesagt, dass ein Pferdefuhrwerk mit Flüchtlingen auf eine Mine gefahren sei.
Als wir an diese Stelle kamen, hörte die Straße plötzlich auf. Vor uns klaffte ein riesengroßes Loch. Rechts und links war Wald, in den wir ausweichen mussten. Überall lagen tote Menschen, schlimm. An dem Loch weinte bitterlich ein kleines Mädchen. Tief unten in dem Loch lag jemand. War es ihre Mutter oder Vater? Einfach grausam!
Als wir nach so einem „Herauspeitschen“ wieder einmal zurück konnten, war wohl keine Wohnung mehr zu bewohnen und wir wurden irgendwo vor einem kleinen Häuschen abgesetzt.
Eines Nachts war dort viel Lärm, wir wurden aus dem Schlaf gerissen, mussten uns alle vor dem Haus aufstellen. Es war so kalt. Im Haus knallte und krachte es – einfach unheimlich! Danach kamen vier Menschen heraus, auch eine Frau war dabei.
Von meinem großen Bruder hatte ich inzwischen erfahren, dass diese gleiche Kleidung Uniformen und die „langen Dinger“ in ihren Händen Gewehre waren.
Kurz darauf war lautes Gerede. Verstehen konnte ich nichts, es klang so anders. Die Frau zeigte mit so einem Gewehr auf mich und wurde laut. Plötzlich riss mir Mutti meine Puppe, an die ich mich klammerte, aus dem Arm und gab sie der Frau. Dann war der Spuk vorbei, wir durften wieder in das Haus. Schlimm sah es aus, die Betten waren aufgeschlitzt, Gläser kaputt geschossen, Schränke
durchwühlt.
Doch das Schlimmste für mich war: Warum hatte mir Mutti die Puppe weggenommen?
Viele, viele Jahre danach – wir waren schon in den „Westen“ geflohen – brachte ich einmal das Gespräch darauf. Meine Mutter sah mich mit großen Augen an, es dauerte eine ganze Weile, bis sie etwas sagte. „Ich habe gehofft, du hast das vergessen. Wenn die Uniformierte deine Puppe nicht bekommen hätte, wollte sie dich erschießen!“ Es war ein Schock für mich und ich begann, mir Vorwürfe zu machen, denn ich fing damals an, trotzig zu werden. Für meine Mutter war es manchmal bestimmt nicht leicht.
Aus diesem kleinen Haus zwangen sie uns auch bald wieder heraus, und als wir zurückgebracht wurden, konnten wir in unsere alte Wohnung. Diese ließ sich nicht mehr abschließen, die Fenster waren alle eingeschlagen, alles durchwühlt.
Plötzlich ein Miau, die beiden Katzen waren da – was für eine Freude!
Inzwischen konnten wir auch nicht mehr die Toiletten benutzen. Diese befanden sich jeweils zwischen den Etagen auf halber Höhe und waren alle verstopft, denn die Uniformierten sollten Kartoffeln und vieles mehr darin gewaschen haben.
Nun mussten Ersatztoiletten geschaffen werden. Die Häuserblocks waren wie ein „U“ gebaut, die Courbière-, Seeckt- und Bismarckstraße. Es war ein riesiger Innenhof, in welchem entlang der Häuserblöcke ein schmaler Gartenstreifen angelegt war. In der Mitte dieses „U“s wurde ein langer Graben ausgeschaufelt und über diesem eine sehr lange Holzbaracke mit vielen schmalen Kabinen
aufgestellt.
Als ich einmal in der zweiten Toilette war, hörte ich laute Schreie. Durch einen Ritz sah ich, wie drei Männer in Uniform eine Frau heranzerrten. Ich begann zu zittern, aber sie gingen durch die erste Tür. In einem Brett war ein kleines Astloch. Was diese Männer mit dem Mädchen (Frau) machten, war entsetzlich. Einer hielt ihr den Mund zu, die beiden anderen rissen ihr die Kleidung vom Leib und zogen ihre Beine auseinander und kneteten wie Teig zwei runde Kugeln an ihrem Oberkörper. Ich hatte bis dahin noch keine nackte Frau gesehen und fragte später meine Mutter später, was das für Kugeln seien. Es waren ihre Brüste.
Jedenfalls zitterte ich nur, traute mich kaum zu atmen vor Angst und auch nicht, die Toilette zu verlassen.
Irgendwann war der Wahnsinn vorüber und ich war erleichtert, als die Uniformierten weggingen. Durch das kleine Loch sah ich die schluchzende, nackte, zusammengekauerte Frau.
Das war und ist immer noch einer meiner schlimmsten Albträume.
Einige Tage später kam mein Onkel Willi vom Land und ich erfuhr, dass er unsere Katzen abholen wollte.
„Warum?“ fragte ich.
Mutti erklärte mir und meinen Brüdern: „Wir müssen hier weg und können sie nicht mitnehmen.“
Ich weinte, so sagte mein Onkel: „Gut, ich nehme sie heute noch nicht mit.“
Glücklich drückte ich meine Susi an mich, lief mit ihr zum Fens­ter (inzwischen ja ohne Scheiben) und wollte meinem Onkel winken.
Er winkte zurück, da sah ich ein schwarzes Köpfchen aus seinem Rucksack schauen. Er hatte Peterle mitgenommen. Ich war fassungslos und
weinte sehr.

Über diese Erinnerungstränen kam dann doch der erlösende Schlaf, doch am Morgen war ich wieder im Jetzt.
Jeder Morgen begann nun fast immer gleich. Ich schaute, wie es den kleinen Patienten ging. War ich zu Hause, zog ich einen weißen Kittel an, welchen ich noch vom Beruf her hatte, und steckte so eine „Handvoll“ links, die andere rechts in eine Tasche. Sie wogen ja kaum 300 Gramm.
Diese „Nestchen“ gefielen ihnen sehr, doch sie nahmen immer mehr ab. Ich war so aufgewühlt und fragte mich, ob ich das alles schaffen würde.
So zogen meine Gedanken nachts vor dem erlösenden Schlaf wieder in die Vergangenheit, in meine Heimat.

Einige Tage, nachdem mein Onkel Kater Peterle abgeholt hatte, erklärte uns Mutti: „Wir müssen hier fort und können nur das Nötigste mitnehmen.“
„Und meine Susi?“ fragte ich.
„Sie muss hier bleiben.“ Sie nahm mich in den Arm. „Sie kann nicht mit.“
„Was ist denn los, wo müssen wir denn hin?“, fragte ich.
Mutti weinte: „Ich weiß es nicht, aber wir müssen bald unsere Heimat verlassen.“

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