Medizinische Betreuung der deutschen Kolonisten in Russland

Medizinische Betreuung der deutschen Kolonisten in Russland

Albert Obholz


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 330
ISBN: 978-3-95840-167-9
Erscheinungsdatum: 29.11.2016
Anschaulich beschreibt Albert Obholz der Werdegang der wissenschaftlichen Medizin und die Anfänge der höheren medizinischen Ausbildung in Russland. Dabei wird die aktive Mitwirkung der Deutschen in der Entwicklung aller Gebiete der Medizin deutlich.
Einleitung

Die Zivilisation hat ihre Entwicklungsgesetze und ihre Fortschritte. Das betrifft alle Gebiete der menschlichen Tätigkeit, auch die Medizin. Die lange vor Christus in Mesopotamien und Ägypten entstandene wissenschaftliche Medizin kam über Griechenland und das alte Rom nach Westeuropa und im XVI. Jahrhundert nach Russland. In ihrem Werdegang spielten die deutschen Ärzte und Apotheker eine herausragende Rolle. Bis Mitte des XIX. Jahr-hunderts verknüpfte man das Wort „Deutscher“ mit dem Begriff „Arzt und Apotheker“. Die ersten ausländischen Ärzte, darunter auch die deutschen, kamen nach Russland zu Zeiten des Großfürsten Wassili Iwanowitsch (1479–1533), Vater von Iwan dem Schrecklichen. Das waren der Grieche Nikolai Luev und der Deutsche Theophyl, die sich erfolglos bemühten, die offene Form der Tuberkulose im Beckengelenk des Fürsten zu heilen. Nach seinem Tod bestieg sein Sohn, Iwan der Schreckliche, den Thron. Seine Leibärzte waren: Arnolph, Elesius Bommel, Standish, Johann, Richard Elmes, Robert Jakob. 1581 kam aus England über Archangelsk der Apotheker James Frencham nach Moskau, der zum ersten Leiter der Apothekerkammer wurde, einem Verwaltungsorgan des gesamten Medizinwesens im damaligen Russland. Bis Ende des XVI. Jahrhunderts nahm der Ärztestrom aus Europa nicht ab. Der Autor des dreibändigen Werkes „Geschichte der Medizin Russlands“, Professor W. M. Richter, nennt folgende Namen der Ärzte, die am Zarenhof wirkten: Robert Jakob (1581), Hieronymus Bowes (1583), Hieronymus Horsey (1585), Francis Shery (1587), Giles Fletcher (1588), Thomas Mickilfield (1589), Thomas Lynde (1592), Mark Riedley (1594), Willis (1599), Richard Lea (1600). 1602 kam der Apotheker James Frencham erneut nach Russland, diesmal mit einer Menge Arzneimittel.
Der Zar Peter I. betrachtete die Versorgung der Armee und der Flotte mit Ärzten als seine vorrangige Aufgabe. Zu seiner Regierungszeit wurden aus Westeuropa stets Mediziner angeworben, die einen großen Beitrag zur Gründung von Hospitalschulen leisteten. Das medizinische Personal umfasste 51 Mediziner und ?31 Doktoren der Medizin aus dem Ausland, die meisten von ihnen stammten aus deutschen Landen. Dazu muss man noch die 22 Apotheker zählen, die ebenfalls während seiner Regierungszeit kamen. Die erste private Apotheke eröffnete Johann Gottfried Gregori 1701 im „Deutschen Vorort“. Leibärzte des Zaren waren: Daniel, Gutbier, Kellermann und L. L. Blumen-trost (1692–1755). Katharina II. war die erste Herrscherin Russlands, die den medizinischen Zivilsektor im Zentrum und in der Peripherie reformierte. Auf dem Gebiet der Medizin sah sie als ihre wichtigste Aufgabe den Kampf gegen „ansteckende und klebrige Krankheiten“. 1786 wandte sie sich an den königlichen Leibarzt von Hannover, Dr. Johann G. Zimmermann, mit der Bitte, 24 Zivilärzte für Russland anzuwerben. Im selben Jahr bekam die Zarin eine Liste von Ärzten, die bereit waren, in Russland zu arbeiten. Diese Liste von 24 Personen führten Doktor Meier aus Hamburg und Doktor Meinshausen an. Nach ihrer Ankunft äußerten weitere 26 Ärzte den Wunsch, in der russischen Armee zu dienen. Unter ihnen waren Doktor Konrad Heinrich Branau, der Chirurg Christoph Elias, Heinrich Knackstädt und andere.
Der Zarenhof Romanow wurde in 300 Jahren von 196 Leibärzten betreut, von denen 114 Deutsche (58,2 Prozent) waren. In der dreibändigen Enzyklopädie „Deutsche Russlands“ sind über 200 hervorragende Mediziner genannt, die markante Spuren in der Geschichte der russischen Medizin hinterlassen haben.
Die Hospitalschulen, die zu Zeiten Peters I. eröffnet wurden, bildeten hauptsächlich Mediziner für die Armee heran. Ihr professionelles Niveau reichte nicht aus, um qualifizierte medizinische Hilfe bei Erkrankungen der inneren Organe zu leisten. Diese Krankheiten wurden ausschließlich von deutschen Doktoren der Medizin geheilt, denn sie hatten einen Universitätsabschluss. Zu Zeiten Peters I. hatte Russland nur sechs eigene Doktoren der Medizin, zu Zeiten Katharinas II. stieg die Zahl der Doktoren der Medizin auf 47 an. Doch die meisten waren ausländischer Herkunft. Insgesamt hatten im Laufe des XVIII. Jahrhunderts 89 russische und 300 ausländische Mediziner den Doktorengrad der Medizin erworben. Nach Angaben von J. A. Tschistowitsch hatten in Russland 513 Doktoren der Medizin eine ärztliche Praxis, darunter waren 363 (70,8 Prozent) deutscher Herkunft. Nach Gründung einer Reihe von Universitäten mit medizinischen Fakultäten mit Hilfe von deutschen Professoren stieg die Zahl der Mediziner rapide an, einen großen Teil darunter machten die Russlanddeutschen oder Personen aus deutschen Gebieten. Das geht aus einem Vergleich von Ärztelisten aus den Jahren 1850 und 1916 hervor. Aber die Zahl der russischen Ärzte nahm zu und zu Beginn des Jahres 1917 machte sie die Mehrheit aus. 1850 hatte Russland 8050 Mediziner, darunter waren 2425 Personen deutscher Herkunft, was 30,5 Prozent entsprach. 1916 machte die Zahl der Mediziner in Russland 33332 aus, darunter waren 2437 (7,3 Prozent) Deutsche. Das heißt, zum Oktoberumsturz 1917 hat sich die Zahl der deutschen Mediziner in der Ärztekammer Russlands um mehr als das Vierfache verringert.
Eifrig der russischen Medizin dienend, haben die deutschen Ärzte dem Hippokrates-Eid wahrhaft die Treue. Einige von ihnen blieben auf lange Zeiten in Erinnerung russischer Bürger als Ideal der grenzenlosen Güte und Selbstaufopferung. Der Arzt Friedrich Joseph Haas (1780–1853) aus Moskau und Doktor der Medizin Wilhelm Daniel Hindenburg (1793–1877) aus Minsk vollbrachten wahre Heldentaten auf dem Gebiet der russischen Medizin. Dem ersten errichteten die Moskauer Bürger ein Denkmal, den zweiten nannte der russische Schriftsteller F. M. Dostojewski (1821–1881) im „Tagebuch eines Schriftstellers“ einen Menschen, der für alle da ist („Allgemein-Mensch“). Hohe Anerkennung der Bewohner Tatarstans genoss einer der Gründer der Universität Kasan, Professor Doktor der Medizin Karl Fuchs (1776–1846), dem man in Kasan ein Denkmal errichtet hat. Eine große Zahl von Ärzten deutscher Herkunft diente treu in der Zarenarmee, beteiligte sich an allen Kriegen, die Russland führte. Doch während des Zweiten Weltkrieges wurden die Ärzte unter den deutschen Kolonisten in die Konzentrationslager gebracht, wo sie Zwangsarbeit zu leisten hatten, oder sie mussten ihre Landsleute in Arbeitslagern oder in Gefängnissen betreuen.Obwohl ich viele Quellen über den Werdegang und die Entwicklung des Gesundheitswesens im vorrevolutionären Russland durchforscht habe, ist es mir nicht gelungen eine komplexe Forschung über das Gesundheitswesen in den deutschen Kolonien zu finden. Fundierte Werke, die den Stand der medizinischen Betreuung der deutschen Kolonien des Wolgagebiets und des Schwarzmeergebiets beschrieben oder analysiert hätten, gibt es überhaupt nicht.
Das Ziel dieses Werkes ist die Analyse und Vereinheitlichung der vorhandenen Materialien und Fakten, die den Werdegang und die Entwicklung der medizinischen Betreuung der deutschen Kolonisten widerspiegeln. Außerdem muss man die Lücke in der Geschichte der russischen Medizin schließen, die die Arbeit der Stadt- und Landärzte unter den Russlanddeutschen und Kolonisten betrifft. Ihre Namen und Schicksale sind in Vergessenheit geraten.

***

Kapitel I
Die Rolle der Deutschen bei der Schaffung der universitären medizinischen Ausbildung in Russland

Die Hochschulbildung Russlands lag im Vergleich zu Westeuropa um mindestens 350 Jahre zurück. Zu Zeiten, als Russland noch im unberührten Zustand war, entstanden in den Städten Westeuropas die ersten Universitäten (1088 in Bologna, 1117 in Oxford, 1208 in Paris, 1209 in Cambridge, 1215 die Sorbonnein Paris, 1386 in Heidelberg). Die früheren Universitäten hatten die Aufgabe, Fachleute in Philosophie, Theologie, Jura und Medizin heranzubilden. Bei ihrer Entwicklung und Modernisierung nahmen diese Lehranstalten immer mehr das Modell der deutschen Universitäten an, die besser der Entwicklung der Wissenschaft entsprach. Dieses Modell wurde auch bei der Eröffnung der ersten russischen Universität 1755 in Moskau zu Grunde gelegt. Nach zehn Jahren gründete man dort eine medizinische Fakultät, und seit 1791 hat die Universität das Recht, Doktorarbeiten zu beurteilen und Doktortitel zu verleihen.
In Wahrheit begann man mit der Hochschulausbildung der Mediziner lange vor der Gründung der ersten Universität Russlands. Als wichtigste Lehrbasis dienten ihnen von 1698 bis 1849 die Universitäten Deutschlands. Russische Studenten sind in ?22 Matrikeln deutscher Universitäten eingetragen. Die Russlanddeutschen, hauptsächlich die „Baltendeutschen“, bildeten den wichtigsten Teil der ausländischen Studenten. Beliebt bei den Russlanddeutschen waren die Universitäten Berlin, Göttingen und Halle. Bevorzugt war die medizinische Fakultät, an der die Zahl der Russlanddeutschen unter den Studenten vierzig Prozent ausmachte. Dies beweist auch die Tabelle, die A. J. Andrejew angefertigt hat.

Aus der Tabelle ist sehr gut zu ersehen, dass unter den 153 Studenten der medizinischen Fakultäten 85 Russlandeutsche waren (55,6%). Diese Angaben zeugen nochmals davon, dass zu jener Zeit die Anzahl der Deutschen in der russischen Medizin sehr hoch war.
Was aber das Studium und die Praktika der deutschen Kolonisten an den Universitäten Deutschlands betrifft, so kann man feststellen, dass ihre Auslandsreisen erst Ende des XIX. Jahrhunderts begannen. Zum Beispiel studierten an der medizinischen Fakultät der Universität München von 1890 bis 1922 nur elf Personen, von ihnen haben nicht alle das Studium abgeschlossen. Hier sind ihre Namen.

- Gerken, Nikolaus Alexander, geboren 1863, absolvierte 1888 die Universität Kasan als Doktor der Medizin. Als Professor machte er während des Wintersemesters 1895/1896 ein Praktikum an der medizinischen Fakultät.
- Schmorel, Hugo Karl, geboren 1878 in Orenburg. 1908 absolvierte er die medizinische Fakultät als Arzt. Er arbeitete als freischaffender Arzt in Moskau.
- Herberg, Alexander Jakob, geboren 1884 im Gouvernement Cherson. 1911 absolvierte er die Universität und arbeitete als freischaffender Arzt in Nikolajew, Gebiet Cherson.
- Seidener, Michael Hermann, geboren 1883 in Odessa. 1910 absolvierte er die medizinische Fakultät und arbeitete als freischaffender Arzt in Moskau.
- Tarle, Jakob David, geboren 1889 in Nikolajew, Gebiet Cherson. 1914 absolvierte er die medizinische Fakultät und arbeitete als freischaffender Arzt in Moskau.
- von Friese, Ernst, geboren in Odessa.1890/1891 studierte er an der medizinischen Fakultät.
- Duckart, Johann, geboren in der Kolonie Landau, Kreis Odessa, Gouvernement Cherson. Von 1904 bis 1909 studierte er an der medizinischen Fakultät.
- Greve, Robert, geboren in Samara. Von 1906 bis 1913 studierte er an der medizinischen Fakultät.
- Schlee, Valentin, geboren in der Kolonie Blumental, Gouvernement Taurien. 1922 studierte er an der medizinischen Fakultät.
- Schwamm, Markus, geboren in der Kolonie Wien, Bessarabien. 1922 studierte er an der medizinischen Fakultät.
- Zöhner, Theodor, geboren in der Kolonie Eigenfeld, Gouvernement Cherson. 1922/1923 studierte er an der medizinischen Fakultät.


A – Kaiserliche Universität Moskau

Die Kaiserliche Universität Moskau war die erste höhere Lehranstalt westlichen Typs in Russland. Die Idee einer Universitätsgründung in Russland stammte vom deutschen Philosophen Gottfried Leibnitz (1646–1716), der sie im Brief an Peter I. äußerte. Aber erst nach 50 Jahren wurde diese Idee realisiert. Die Universität wurde auf Beschluss (Ukas) der Zarin Elisabeth vom 12./23. Januar 1755 gegründet. Anfänglich hatte sie drei Fakultäten: für Philosophie, Jura und Medizin. 1804 wurde die medizinische Fakultät in drei Abteilungen gegliedert: in die Therapie, Chirurgie und Gynäkologie.
Zum ersten Kurator der Universität wurde der Graf I. I. Schuwalow (1727–1797) bestimmt, zum Direktor Laurentius Blumentrost (1692–1755), der bald darauf verstarb. Im Werdegang und der Entwicklung der Universität Moskau spielten die deutschen Professoren und Lehrer eine große Rolle. Die ersten waren die Professoren Johannes Matthias Schaden (1731–1797) aus Tübingen und Johannes Heinrich Frommann (1729–1775) aus Württemberg, die von Schuwalow eingeladen wurden. Sehr aktiv bei der Auswahl der Kader war der nächste Schirmherr der Universität, M. N. Murawjow (1757–1807). Während seiner Tätigkeit wurden aus Deutschland eingeladen: Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1758–1804), Johann Gottlieb Buhle (1763–1821), Bernhard Andreas von Heim (1759–1821) und Wilhelm Michael Richter (1767–1822). Eine große Hilfe bei der Anwerbung deutscher Gelehrter für die Universität leisteten die Professoren der Universität Göttingen, Christof Meiners (1747–1810) und Christian Gottfried Schutz (1747–1832). Dank ihrer Bemühungen hielten neun Professoren aus Göttingen Vorlesungen an der Universität Moskau. Von 1755 bis 1855 unterrichteten an der Universität 259 Lehrkräfte, von denen 88 (34 %) deutscher Herkunft waren. Im Laufe dieser 100 Jahre machten die Deutschen ein Drittel der Professoren der Universität aus. Von ihnen waren 33 Spezialisten der Medizin, deren Namen wir nachstehend nennen. Alphabetisches Verzeichnis der Professoren der medizinischen Fakultät der Kaiserlichen Universität Moskau (1755–1917)

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