Gesch-FIB-Ar/Geschieden - Fibromyalgie - Arbeitslos
Maggy EL
EUR 14,90
EUR 8,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 98
ISBN: 978-3-99038-877-8
Erscheinungsdatum: 13.08.2015
Eine Frau mitten im Leben, mit Familie, Ehemann und Kind. Mit Freunden, einem guten Beruf und anständiger Bezahlung. Aber kann es immer so bleiben? Das Leben hat auch seine dunkle Seiten - nach einem tiefen Fall in die Dunkelheit der Fibromyalgie erfolgt der Neuanfang.
1 Wechselspiel
Wieder mal packe ich meinen Reisekoffer und warte, bis ich abgeholt werde. Ich habe noch etwas Zeit und schaue aus dem Fenster, es ist Herbst, die Bäume leuchten in allen Farben, wenn die letzten Sonnenstrahlen auf sie fallen. Es ist so schön, die Natur zu sehen und zu erkennen, wie wichtig einem dies plötzlich geworden ist, immer wieder eine neue Jahreszeit erleben zu dürfen.
Früher ist mir dies gar nicht aufgefallen, dass unsere Erde etwas ganz Besonderes ist. Dass das Wechselspiel der Jahreszeiten einem Wunder gleicht. Wie funktioniert es, dass die Natur alles selber regelt? Aufzustehen und zu erwachen, wenn die Erde warm genug ist und der Frost der Kraft der Sonne weicht, im Sommer, wenn es heiß ist, blühen nur diese Pflanzen, die die Hitze ertragen, im Herbst befreien sich die Bäume von ihrem Blätterkleid, das im Winter zu schwer durch die Massen von Schnee wäre. Alles hat im Leben einen Sinn, auch der Winter, der uns die heilige Zeit bringt, wenn die Kälte uns Menschen wieder näher zusammenrücken lässt. Es ist einfach schön, das Spiel der Natur nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren. Dieses auch wirklich wahrzunehmen. Das habe ich in den letzten Jahren gelernt, das Wahrnehmen, Spüren, Riechen und Fühlen.
Jeden Tag aufs Neue zu genießen und einfach nicht weiter denken, denn es hat für mich keinen Sinn mehr. Aber warum? Warum ich?
Viele Fragen kreisen in meinem Kopf wie ein Bienenschwarm. Ich habe bis heute keine Antworten dafür gefunden. Und es wird mir auch keiner diese beantworten können. Es liegt an mir, alles zu verstehen und zu erdulden. Es liegt an mir, mich jeden Tag zu fragen „was habe ich falsch gemacht, dass gerade ich dieses tragen muss?“ Stille, keine Antwort, woher auch.
Mensch, was war ich für eine Powerfrau, mich konnte nichts aus der Bahn werfen. Ich war für alles und jeden Blödsinn zu haben. Immer live und vorne dabei. Wenn irgendwo ein Event stattfand, war ich dabei, ich war hier und die Stimmung war bombig. Ob mit Ehemann oder Freunden, egal, es war einfach immer lustig.
ICH war immer lustig, ich liebte die Gesellschaft und die Menschen. Wahrscheinlich habe ich darum den Beruf eines Einrichtungsberaters gewählt. Jeder Tag ist anders, jeder Tag bringt dir eine Geschichte und verschiedene Menschen.
Ein Rauf und ein Runter, immer etwas Neues, etwas zu tun, etwas zu planen, zu erfinden, zu kreieren. Das war meins. Da fühlte ich mich wohl und glaubte auch, damit in Rente zu gehen. Mich immer weiter zu bilden und mich zu verbessern. Ich wollte einfach allen zeigen, dass ich, das Kind eines Holzfällers, nur mit Grundschule, Hauptschule und Polytechnischem Lehrgang und einem einfachen Abschluss als Einzelhandelskauffrau auch eine berufliche Leiter erklimmen kann. Und es hat alles so gut ausgesehen. Bis …
2 Ein gutes Team
Wir saßen im Aufenthaltsraum, Harry, Ina, Ly und ich. Silvi kam herein, eingepackt in einen dicken Anorak, eine Haube über die Ohren gezogen und dicke Fäustlinge an den Händen. „Mensch, heut ist es saukalt und vorkommen tu ich mir wie ein Michelin Männchen.“ Silvi schälte sich aus ihren Schichten und schimpfte dabei wie ein Rohrspatz. „Warte, bis du in die Ausstellungshalle kommst, die Heizung ist schon wieder im Arsch!“ Bine kam herein mit einer roten Nase, diese triefte wie eine alte Gießkanne. Laut und mit Begeisterung schnäuzte sich Bine. „Das darf ja nicht wahr sein, jetzt haben wir Oktober, und wir haben in der Ausstellung Temperaturen wie in Sibirien.“ Bine setzte sich zu Silvi an den Tisch, diese zündete sich eine Zigarette an. „Ok, wenn’s drin saukalt ist, werde ich heute hauptsächlich hier sitzen und eine nach der anderen heizen. Da kann der Boss sagen, was er will, mir ist kalt.“ „Ha! Der Boss wird wahrscheinlich mit dir da sitzen und eine nach der anderen rauchen, denn der hat ja keinen Speck auf den Knochen und ist genauso schnell durchgefroren, dass sein Gerippe klappert“, gab Ina fröstelnd ihren Kommentar dazu. Alles lachte, und die Stimmung war schon wieder bombig. So war es immer bei uns, wir waren ein super Team und mit guter Laune und Spaß war egal, was in der Firma passierte, wir hielten zusammen.
Heli erhob sich: „Na, dann werde ich mir das Dilemma der Heizung mal ansehen, vielleicht kann ich ja was tun.“ „Glaub ich nicht“, meinte Bine, „hin ist hin.“ Ich stand auf und stellte einen Topf auf die Herdplatte, um Tee zu machen. Meine Hände taten mir weh, als ich den schweren Topf aus dem Küchenschrank nahm. „Welche Sorte Tee wollt ihr?“, fragte ich in die Runde. „Am liebsten einen ordentlichen Schnapstee“, kam von Ina (Ina war unser Küken). Alles lachte. Ich teilte Tassen aus und stellte den Zucker auf den Tisch, schließlich hatten wir noch eine viertel Stunde, und keiner von uns war davon begeistert, in die ausgekühlte Verkaufshalle zu gehen. Der Boss kam zur Tür herein, seine Wangen glühten, und er pustete sich ständig in die Hände, um diese etwas aufzuwärmen. „Diese Temperaturen bringen mich noch ins Grab“, hustete er aus Leibeskräften. Ich goss eine Tasse Tee ein und gab sie unserem durchgefrorenen Boss. „Ihr seid ein Wahnsinn! Den kann ich jetzt gebrauchen.“ „Ja, aber ins Grab brauchen Sie nicht gleich zu kommen, Sie brauchen nur in die Ausstellung zu gehen, wir haben schon wieder mal allgemeines Frösteln im kompletten Haus.“ „Aber, nicht wirklich?“ „Doch! Wir würden unseren Boss doch niemals anlügen“, prustete Bine in ihre Tasse.
Es half alles nichts, die Uhr zeigte kurz vor neun, und wir mussten auf unsere Arbeitsplätze. Ina verzog sich in ihre Boutique und vergrub sich in eine Ladung Ware, die sie noch übernehmen musste. Bine kam mit der Kassenlade in der Hand und hatte eine dicke Wolljacke an. „Bin doch nicht blöd und friere mir meinen Hintern ab.“ Sie kuschelte sich noch tiefer in ihre Jacke. „Das passt jetzt nicht zu unserem Firmen Outfit. Ist mir aber völlig wurscht.“ Ly kam ebenfalls mit einer dicken Steppweste und marschierte in ihre Lampenabteilung. Silvi war bereits mit ihren Stoffballen beschäftigt und begann, die Kundenbestellungen aufzuarbeiten. Ich holte mir noch meine Post und begab mich an meinem Arbeitsplatz. Dieser war die Wohnzimmerabteilung. Ein Berg von Planungen lag auf meinem Schreibtisch. Die erledigten hatte ich fein säuberlich mit Beschriftung am Nebentisch liegen. Mein PC fuhr bereits hoch und gab mir die ersten Daten durch, ich meldete mich an, und schon konnte ich loslegen. Ich bearbeitete meine E-Mails und erledigte alles, was vom Vortag noch übrig war. Dann widmete ich mich meinen Planungen. Da draußen ein Schneetreiben war, konnten wir sicher sein, dass sich relativ wenige, bis keine Kunden bei diesem Wetter aufraffen konnten, um in ein Möbelhaus zu gehen.
Ich saß mit dem Rücken zur Wand und spürte, wie ein eisiger Luftzug über meinen Körper streifte. Auch ich zog meine Steppweste fest an den Körper. Mein Kopf begann zu surren, meine Hände schmerzten immer mehr. Plötzlich fiel mir der Stift aus den Fingern. Ich versuchte, diesen vom Boden aufzuheben, es gelang mir nicht. Meine Finger gehorchten mir nicht mehr. „Diese Kälte macht meine Finger komplett steif“, dachte ich mir. Dass es nicht die Kälte war, wusste ich ja nicht. Ina kam mit einem Deco-Korb um die Ecke. „Kann ich dir helfen?“ und bückte sich sofort, um den Stift aufzuheben. „Ich glaub, ich mach mir noch einen Tee“, sagte ich und wollte aufstehen. Meine Füße gehorchten mir nicht richtig, ich torkelte von meinem Stuhl hoch. Ina packte mich sofort unter dem Arm. „He! Was machst du denn für Sachen?“ Mit Inas Hilfe schleppte ich mich in den Aufenthaltsraum, wo ich mich sofort auf einen Stuhl niederließ, der am Heizkörper stand. Ina machte mir einen Tee, den ich versuchte, mit beiden Händen zu halten und langsam zu trinken. Er tat gut, aber die Schmerzen ließen nicht nach. Silvi kam herein, „Sollen wir dich zum Arzt fahren?“ „Nein danke, wird schon wieder“, dies aber war ein Wunschdenken. „Diese unglaubliche Kälte, dass da die Firma nichts unternimmt, wir werden ja noch alle krank. Aber vielleicht sollten wir ja alle mal in den Krankenstand gehen, dass die da oben mal munter werden“, ärgerte sich Silvi und setzte sich zu mir.
Sie nahm meine Hand und begann, diese zu reiben. „Autsch, bitte nicht, ich halt das nicht aus, diese Schmerzen machen mich noch ganz verrückt.“ „Das kann aber auch nicht mehr richtig sein, dass dir sogar eine Berührung Schmerzen bereitet?“, meinte Silvi mitfühlend. Silvi wurde ausgerufen und musste wieder in ihre Abteilung gehen. Ich schlürfte meinen Tee und ließ die Gedanken schweifen. Letzte Woche hatte ich zwei Teller fallen lassen, aber aus welchem Grund? Meine Hände ließen einfach nach. Wenn mir etwas zu Boden fiel, konnte ich es nicht mehr greifen. Irgendwas stimmte bei mir absolut nicht mehr. Immer wiederkehrende Schmerzen in den Händen, immer öfter Migräne. Das kannte ich früher nicht. Mein Körper fühlte sich immer öfter taub an und diese ständigen Rückenschmerzen. „Ich werde morgen gleich zu meinem Hausarzt gehen“, dachte ich mir und wurde ein wenig ruhiger.
Am nächsten Morgen hatte ich frei, daher war ich um 8 Uhr schon in der Praxis meines Hausarztes. „Morgen Mädel“, begrüßte mich Dr. Rapl. „Na, was gibt’s?“ Ich setzte mich mit einem Ächzen auf den Untersuchungsstuhl. „Also, bewegen tust du dich wie eine Hundertjährige“, meinte Dr. Jo (wie ich ihn nannte) mit einem Lächeln. „Mach den Oberkörper frei, ich möchte dein Herz und die Lunge abhören.“ Gesagt, getan, er klopfte mich überall ab und untersuchte mich genauestens, auch meine Gelenke sah er sich an. „Bist Du eigentlich immer an den Fingern geschwollen?“, fragte er besorgt. „In letzter Zeit des Öfteren“, sagte ich und wälzte mich auf die andere Seite. „Ich möchte, dass du dich mal in der Stadt zu einem Fachmann begibst, und dich von oben bis unten untersuchen lässt. Ich schreibe dir gleich eine Überweisung, und du fährst noch diese Woche in das Krankenhaus.“ „Das geht nicht, ich habe noch so viel in der Firma zu erledigen, und der komplette Plan von Familie Hofer ist noch zu zeichnen.“ „Keine Wiederrede, deine Gesundheit geht vor, wenn du gar nicht mehr arbeiten kannst, muss deine Firma auch eine Lösung finden.“ Ich seufzte und fügte mich meinem Schicksal. Mit der Überweisung in der Hand ging ich nach Hause. Ich war auch ein bisschen froh darüber, dass jetzt endlich etwas passierte und ich nicht mehr denken musste, dass ich einfach nur schwach bin.
3 Vergangenheit und Gegenwart
Am Morgen fuhr ich ins Krankenhaus.
Meine Fahrt dauerte über eine Stunde, und ich fuhr vorsichtig. Ich hatte das Radio auf minimal zurückgedreht und ließ meinen Gedanken ihren Lauf.
Früher, ja früher, als ich noch verheiratet war … Fast zwanzig Jahre mit meinem Märchenprinzen, wie ich ihn im Geheimen immer nannte. Wir hatten uns während der Schulzeit kennengelernt. Mario, so hieß er, war der Schwarm der Mädchen. Er war nicht groß, aber er hatte etwas, was mich faszinierte. Sein Haar war blond und immer perfekt geföhnt. (Er ist überaus eitel.) Er kleidete sich lässig, und seine Lieblingsfarbe war blau. Er tanzte wie ein junger Gott und hatte strahlend blaue Augen. Wenn er lachte, bekamen seine Augenwinkel zwei kleine Falten, und ich fand ihn so reizend. Diesen jungen Mann betete ich an, und als er für mich Interesse zeigte, konnte ich es gar nicht glauben.
Wir hatten in unserem Dorf eine Disco, wenn man diese so nennen konnte. Es war ein größerer Raum in einem Landgasthof, der mit einer Discokugel aufgepeppt war und etwas verrückt ausgemalt war.
Der Sohn vom Wirt war der DJ, und es war immer eine Wahnsinnsstimmung. Ich war damals mit meiner Cousine Christl in der Disco.
So wie es meistens war, tanzte ich mit Christl gerade einen Fox. Wir wirbelten über die Tanzfläche, bis wir Mädels von zwei Jungs getrennt wurden. „So geht das nicht, zwei Mädels zusammen“, grinste Mario und seine blauen Augen strahlten, und schon tanzte ich mit Mario, Christl mit Gustl. Wir tanzten und tanzten …
Ich fuhr die Stadtausfahrt runter und orientierte mich, wo ich abbiegen musste. Langsam fuhr ich die Krankenhauseinfahrt rauf und suchte mir einen Parkplatz. Hier in der Großstadt lag fast kein Schnee, aber es war bitterkalt. Ich zog meinen dicken Parka ganz fest zu und begab mich auf die Suche nach der richtigen Station.
Der Warteraum war jetzt schon rammelvoll, mit einem Seufzer ging ich zur Anmeldung. „Guten Morgen Frau L.“, grüßte die Krankenschwester, die hinter einer Glaswand saß. „Wir haben schon auf Sie gewartet, Ihr Arzt hat uns bereits mitgeteilt, dass Sie zu uns kommen. Haben Sie Ihre Befunde mit?“ Ich gab ihr die von mir säuberlich in Klarsichthüllen geordneten Dokumente.
Die Schwester schaute die Befunde kurz durch. „Bitte nehmen Sie Platz, Sie werden sofort aufgerufen.“ Ich dankte und suchte mir einen Platz mit dem Rücken zur Mauer. Gedankenverloren lehnte ich mich zurück. Diese Schmerzen, ich kann nicht mal definieren, wo genau sie sich befinden. Ich schaute auf meine Hände. Waren sie geschwollen, oder bildete ich mir schon wieder was ein? Die Handflächen waren ganz dick und hatten weiße Flecken. Bei jedem Abbiegen der Finger durchzuckte mich ein Stromschlag. Ein ständiges Brennen im Inneren der Hände, ich zitterte am ganzen Leib. Meine Beine waren schwer, und ich kam mir vor, als hätte ich auf einmal hunderte von Kilos auf dem Körper. Eine unsichtbare Last drückte mir den Brustkorb zusammen, mein Herz hatte einen erhöhten Schlag, und ich hatte Angst. Einfach nur Angst. Plötzlich stupste mich eine ältere Dame an: „Heißen Sie L.? Sie sind dran.“
„Ja danke“, mühsam rappelte ich mich auf und verschwand hinter der weißen Tür mit der Aufschrift „Untersuchung“.
Das Untersuchungszimmer war wie üblich in Weiß gehalten. Eine Liege, Schränke, ein Schreibtisch, an dem eine Krankenschwester saß. Sie hatte einen Stöpsel im Ohr und tippte wohl den Bericht des vorherigen Patienten.
Eine zweite Schwester lehnte an einem Büroschrank und ordnete irgendwelche Schreibarbeiten. Der Arzt stand neben ihr und besprach noch etwas. Ich trat in das Zimmer, grüßte und wartete mal ab.
Der Arzt beendete sein Gespräch und wandte sich mir zu. „Guten Morgen Frau L.“, begrüßte er mich freundlich. Er war mir sympathisch. „Wir haben bereits Bescheid von Ihrem Hausarzt bekommen, wir werden Sie jetzt genauestens untersuchen, und dann schauen wir weiter. Sind Sie nervös? Brauchen Sie nicht zu sein.“
Ich verneinte, aber natürlich war ich nervös, mir pochte das Herz bis zum Hals, ich hatte einen trockenen Mund, und die Zunge klebte mir am Gaumen. Es war das übliche Arztgespräch mit Fragen. „Wo tut es weh? Wie lange spüren Sie diese Schmerzen schon?“ Und so weiter. Ich beantwortete all seine Fragen wie ein Computer, der auf „Ausspucken“ programmiert war.
Ich hatte mich komplett weggeschaltet, der Arzt fachsimpelte mit seinen lateinischen Ausdrücken, und die Schwester tippte dazu.
In diesem Moment hatte ich kein Zeitgefühl, keine Wahrnehmung, mir war einfach alles egal. Ich wollte nur endlich wissen, was los war mit mir. Die Untersuchung war zu Ende.
„Wir werden jetzt das Blut sofort in das Labor bringen, und in einer guten Stunde haben wir das Ergebnis auf dem Tisch. Sie können in der Zwischenzeit etwas zu sich nehmen, Sie werden ja sicher schon Hunger haben.“
Ich dankte und verabschiedete mich. Hunger, an so was hatte ich jetzt bestimmt nicht gedacht. Aber trotzdem setzte ich mich in das Krankenhausrestaurant und bestellte mir einen grünen Tee und ein Kipferl. Lustlos knabberte ich daran und ließ die Augen über die anderen Gäste schweifen.
Am Fenster saß eine junge Mutter mit einem kleinen Jungen. Der weinte leise vor sich hin, und die Frau versuchte, ihn zu trösten. Am anderen Tisch war ein altes Paar. Der Mann hatte die alte, fleckige Hand der Frau in seiner und streichelte zärtlich darüber. „Wie schön“, dachte ich, wenn man im Alter einander noch so lieben kann und darf. Solche Bilder erfüllen mich immer mit Zufriedenheit. Es gibt mir ein Gefühl von Wärme, des Miteinanders und des Vertrauens. Auch ich wollte mit meinem Mann alt werden, glaubte ich damals, als wir uns in der Kirche das Eheversprechen gaben. Heute weiß ich: Vor dem Altar beginnst du deine erste Lüge. „Bis dass der Tod uns scheidet“, es müsste heißen: „Sofern uns nichts Besseres unterkommt.“
Eine Putzfrau ratterte mit ihrem Putzwagen vorbei und riss mich wieder aus meinen Träumereien. Es war Zeit, ich musste wieder in den Untersuchungsraum.
„So Frau L. wir haben einige Daten, die mir überhaupt nicht gefallen. Ich habe Ihnen bereits ein Bett fertig machen lassen. Schwester Sonja bringt sie dann in ihren Trakt.“
„Ich muss hier bleiben?“ „Ja, da müssen sie jetzt durch, es hilft nichts, sie wieder nach Hause zu schicken. Wir haben schon viel zu lange gewartet.“ Die Schwester nahm mich leicht beim Arm, „kommen Sie, wir haben ein schönes Bett für Sie zurechtgemacht“.
„Wieso wird man sofort wie ein kleines Kind behandelt, wenn man ein Patient ist?“, dachte ich. „Ich bin doch kein Kleinkind.“ Egal, ich gehorchte und ging mit meiner Kinderschwester in Richtung Krankenzimmer. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, dass es nicht der letzte Besuch in diesem Krankenhaus sein würde.
Das Zimmer war hell und freundlich. Es standen fünf Betten im Raum und zwei davon waren besetzt. Ich bekam ein Bett am Fenster, wofür ich wirklich dankbar war.
Wieder mal packe ich meinen Reisekoffer und warte, bis ich abgeholt werde. Ich habe noch etwas Zeit und schaue aus dem Fenster, es ist Herbst, die Bäume leuchten in allen Farben, wenn die letzten Sonnenstrahlen auf sie fallen. Es ist so schön, die Natur zu sehen und zu erkennen, wie wichtig einem dies plötzlich geworden ist, immer wieder eine neue Jahreszeit erleben zu dürfen.
Früher ist mir dies gar nicht aufgefallen, dass unsere Erde etwas ganz Besonderes ist. Dass das Wechselspiel der Jahreszeiten einem Wunder gleicht. Wie funktioniert es, dass die Natur alles selber regelt? Aufzustehen und zu erwachen, wenn die Erde warm genug ist und der Frost der Kraft der Sonne weicht, im Sommer, wenn es heiß ist, blühen nur diese Pflanzen, die die Hitze ertragen, im Herbst befreien sich die Bäume von ihrem Blätterkleid, das im Winter zu schwer durch die Massen von Schnee wäre. Alles hat im Leben einen Sinn, auch der Winter, der uns die heilige Zeit bringt, wenn die Kälte uns Menschen wieder näher zusammenrücken lässt. Es ist einfach schön, das Spiel der Natur nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren. Dieses auch wirklich wahrzunehmen. Das habe ich in den letzten Jahren gelernt, das Wahrnehmen, Spüren, Riechen und Fühlen.
Jeden Tag aufs Neue zu genießen und einfach nicht weiter denken, denn es hat für mich keinen Sinn mehr. Aber warum? Warum ich?
Viele Fragen kreisen in meinem Kopf wie ein Bienenschwarm. Ich habe bis heute keine Antworten dafür gefunden. Und es wird mir auch keiner diese beantworten können. Es liegt an mir, alles zu verstehen und zu erdulden. Es liegt an mir, mich jeden Tag zu fragen „was habe ich falsch gemacht, dass gerade ich dieses tragen muss?“ Stille, keine Antwort, woher auch.
Mensch, was war ich für eine Powerfrau, mich konnte nichts aus der Bahn werfen. Ich war für alles und jeden Blödsinn zu haben. Immer live und vorne dabei. Wenn irgendwo ein Event stattfand, war ich dabei, ich war hier und die Stimmung war bombig. Ob mit Ehemann oder Freunden, egal, es war einfach immer lustig.
ICH war immer lustig, ich liebte die Gesellschaft und die Menschen. Wahrscheinlich habe ich darum den Beruf eines Einrichtungsberaters gewählt. Jeder Tag ist anders, jeder Tag bringt dir eine Geschichte und verschiedene Menschen.
Ein Rauf und ein Runter, immer etwas Neues, etwas zu tun, etwas zu planen, zu erfinden, zu kreieren. Das war meins. Da fühlte ich mich wohl und glaubte auch, damit in Rente zu gehen. Mich immer weiter zu bilden und mich zu verbessern. Ich wollte einfach allen zeigen, dass ich, das Kind eines Holzfällers, nur mit Grundschule, Hauptschule und Polytechnischem Lehrgang und einem einfachen Abschluss als Einzelhandelskauffrau auch eine berufliche Leiter erklimmen kann. Und es hat alles so gut ausgesehen. Bis …
2 Ein gutes Team
Wir saßen im Aufenthaltsraum, Harry, Ina, Ly und ich. Silvi kam herein, eingepackt in einen dicken Anorak, eine Haube über die Ohren gezogen und dicke Fäustlinge an den Händen. „Mensch, heut ist es saukalt und vorkommen tu ich mir wie ein Michelin Männchen.“ Silvi schälte sich aus ihren Schichten und schimpfte dabei wie ein Rohrspatz. „Warte, bis du in die Ausstellungshalle kommst, die Heizung ist schon wieder im Arsch!“ Bine kam herein mit einer roten Nase, diese triefte wie eine alte Gießkanne. Laut und mit Begeisterung schnäuzte sich Bine. „Das darf ja nicht wahr sein, jetzt haben wir Oktober, und wir haben in der Ausstellung Temperaturen wie in Sibirien.“ Bine setzte sich zu Silvi an den Tisch, diese zündete sich eine Zigarette an. „Ok, wenn’s drin saukalt ist, werde ich heute hauptsächlich hier sitzen und eine nach der anderen heizen. Da kann der Boss sagen, was er will, mir ist kalt.“ „Ha! Der Boss wird wahrscheinlich mit dir da sitzen und eine nach der anderen rauchen, denn der hat ja keinen Speck auf den Knochen und ist genauso schnell durchgefroren, dass sein Gerippe klappert“, gab Ina fröstelnd ihren Kommentar dazu. Alles lachte, und die Stimmung war schon wieder bombig. So war es immer bei uns, wir waren ein super Team und mit guter Laune und Spaß war egal, was in der Firma passierte, wir hielten zusammen.
Heli erhob sich: „Na, dann werde ich mir das Dilemma der Heizung mal ansehen, vielleicht kann ich ja was tun.“ „Glaub ich nicht“, meinte Bine, „hin ist hin.“ Ich stand auf und stellte einen Topf auf die Herdplatte, um Tee zu machen. Meine Hände taten mir weh, als ich den schweren Topf aus dem Küchenschrank nahm. „Welche Sorte Tee wollt ihr?“, fragte ich in die Runde. „Am liebsten einen ordentlichen Schnapstee“, kam von Ina (Ina war unser Küken). Alles lachte. Ich teilte Tassen aus und stellte den Zucker auf den Tisch, schließlich hatten wir noch eine viertel Stunde, und keiner von uns war davon begeistert, in die ausgekühlte Verkaufshalle zu gehen. Der Boss kam zur Tür herein, seine Wangen glühten, und er pustete sich ständig in die Hände, um diese etwas aufzuwärmen. „Diese Temperaturen bringen mich noch ins Grab“, hustete er aus Leibeskräften. Ich goss eine Tasse Tee ein und gab sie unserem durchgefrorenen Boss. „Ihr seid ein Wahnsinn! Den kann ich jetzt gebrauchen.“ „Ja, aber ins Grab brauchen Sie nicht gleich zu kommen, Sie brauchen nur in die Ausstellung zu gehen, wir haben schon wieder mal allgemeines Frösteln im kompletten Haus.“ „Aber, nicht wirklich?“ „Doch! Wir würden unseren Boss doch niemals anlügen“, prustete Bine in ihre Tasse.
Es half alles nichts, die Uhr zeigte kurz vor neun, und wir mussten auf unsere Arbeitsplätze. Ina verzog sich in ihre Boutique und vergrub sich in eine Ladung Ware, die sie noch übernehmen musste. Bine kam mit der Kassenlade in der Hand und hatte eine dicke Wolljacke an. „Bin doch nicht blöd und friere mir meinen Hintern ab.“ Sie kuschelte sich noch tiefer in ihre Jacke. „Das passt jetzt nicht zu unserem Firmen Outfit. Ist mir aber völlig wurscht.“ Ly kam ebenfalls mit einer dicken Steppweste und marschierte in ihre Lampenabteilung. Silvi war bereits mit ihren Stoffballen beschäftigt und begann, die Kundenbestellungen aufzuarbeiten. Ich holte mir noch meine Post und begab mich an meinem Arbeitsplatz. Dieser war die Wohnzimmerabteilung. Ein Berg von Planungen lag auf meinem Schreibtisch. Die erledigten hatte ich fein säuberlich mit Beschriftung am Nebentisch liegen. Mein PC fuhr bereits hoch und gab mir die ersten Daten durch, ich meldete mich an, und schon konnte ich loslegen. Ich bearbeitete meine E-Mails und erledigte alles, was vom Vortag noch übrig war. Dann widmete ich mich meinen Planungen. Da draußen ein Schneetreiben war, konnten wir sicher sein, dass sich relativ wenige, bis keine Kunden bei diesem Wetter aufraffen konnten, um in ein Möbelhaus zu gehen.
Ich saß mit dem Rücken zur Wand und spürte, wie ein eisiger Luftzug über meinen Körper streifte. Auch ich zog meine Steppweste fest an den Körper. Mein Kopf begann zu surren, meine Hände schmerzten immer mehr. Plötzlich fiel mir der Stift aus den Fingern. Ich versuchte, diesen vom Boden aufzuheben, es gelang mir nicht. Meine Finger gehorchten mir nicht mehr. „Diese Kälte macht meine Finger komplett steif“, dachte ich mir. Dass es nicht die Kälte war, wusste ich ja nicht. Ina kam mit einem Deco-Korb um die Ecke. „Kann ich dir helfen?“ und bückte sich sofort, um den Stift aufzuheben. „Ich glaub, ich mach mir noch einen Tee“, sagte ich und wollte aufstehen. Meine Füße gehorchten mir nicht richtig, ich torkelte von meinem Stuhl hoch. Ina packte mich sofort unter dem Arm. „He! Was machst du denn für Sachen?“ Mit Inas Hilfe schleppte ich mich in den Aufenthaltsraum, wo ich mich sofort auf einen Stuhl niederließ, der am Heizkörper stand. Ina machte mir einen Tee, den ich versuchte, mit beiden Händen zu halten und langsam zu trinken. Er tat gut, aber die Schmerzen ließen nicht nach. Silvi kam herein, „Sollen wir dich zum Arzt fahren?“ „Nein danke, wird schon wieder“, dies aber war ein Wunschdenken. „Diese unglaubliche Kälte, dass da die Firma nichts unternimmt, wir werden ja noch alle krank. Aber vielleicht sollten wir ja alle mal in den Krankenstand gehen, dass die da oben mal munter werden“, ärgerte sich Silvi und setzte sich zu mir.
Sie nahm meine Hand und begann, diese zu reiben. „Autsch, bitte nicht, ich halt das nicht aus, diese Schmerzen machen mich noch ganz verrückt.“ „Das kann aber auch nicht mehr richtig sein, dass dir sogar eine Berührung Schmerzen bereitet?“, meinte Silvi mitfühlend. Silvi wurde ausgerufen und musste wieder in ihre Abteilung gehen. Ich schlürfte meinen Tee und ließ die Gedanken schweifen. Letzte Woche hatte ich zwei Teller fallen lassen, aber aus welchem Grund? Meine Hände ließen einfach nach. Wenn mir etwas zu Boden fiel, konnte ich es nicht mehr greifen. Irgendwas stimmte bei mir absolut nicht mehr. Immer wiederkehrende Schmerzen in den Händen, immer öfter Migräne. Das kannte ich früher nicht. Mein Körper fühlte sich immer öfter taub an und diese ständigen Rückenschmerzen. „Ich werde morgen gleich zu meinem Hausarzt gehen“, dachte ich mir und wurde ein wenig ruhiger.
Am nächsten Morgen hatte ich frei, daher war ich um 8 Uhr schon in der Praxis meines Hausarztes. „Morgen Mädel“, begrüßte mich Dr. Rapl. „Na, was gibt’s?“ Ich setzte mich mit einem Ächzen auf den Untersuchungsstuhl. „Also, bewegen tust du dich wie eine Hundertjährige“, meinte Dr. Jo (wie ich ihn nannte) mit einem Lächeln. „Mach den Oberkörper frei, ich möchte dein Herz und die Lunge abhören.“ Gesagt, getan, er klopfte mich überall ab und untersuchte mich genauestens, auch meine Gelenke sah er sich an. „Bist Du eigentlich immer an den Fingern geschwollen?“, fragte er besorgt. „In letzter Zeit des Öfteren“, sagte ich und wälzte mich auf die andere Seite. „Ich möchte, dass du dich mal in der Stadt zu einem Fachmann begibst, und dich von oben bis unten untersuchen lässt. Ich schreibe dir gleich eine Überweisung, und du fährst noch diese Woche in das Krankenhaus.“ „Das geht nicht, ich habe noch so viel in der Firma zu erledigen, und der komplette Plan von Familie Hofer ist noch zu zeichnen.“ „Keine Wiederrede, deine Gesundheit geht vor, wenn du gar nicht mehr arbeiten kannst, muss deine Firma auch eine Lösung finden.“ Ich seufzte und fügte mich meinem Schicksal. Mit der Überweisung in der Hand ging ich nach Hause. Ich war auch ein bisschen froh darüber, dass jetzt endlich etwas passierte und ich nicht mehr denken musste, dass ich einfach nur schwach bin.
3 Vergangenheit und Gegenwart
Am Morgen fuhr ich ins Krankenhaus.
Meine Fahrt dauerte über eine Stunde, und ich fuhr vorsichtig. Ich hatte das Radio auf minimal zurückgedreht und ließ meinen Gedanken ihren Lauf.
Früher, ja früher, als ich noch verheiratet war … Fast zwanzig Jahre mit meinem Märchenprinzen, wie ich ihn im Geheimen immer nannte. Wir hatten uns während der Schulzeit kennengelernt. Mario, so hieß er, war der Schwarm der Mädchen. Er war nicht groß, aber er hatte etwas, was mich faszinierte. Sein Haar war blond und immer perfekt geföhnt. (Er ist überaus eitel.) Er kleidete sich lässig, und seine Lieblingsfarbe war blau. Er tanzte wie ein junger Gott und hatte strahlend blaue Augen. Wenn er lachte, bekamen seine Augenwinkel zwei kleine Falten, und ich fand ihn so reizend. Diesen jungen Mann betete ich an, und als er für mich Interesse zeigte, konnte ich es gar nicht glauben.
Wir hatten in unserem Dorf eine Disco, wenn man diese so nennen konnte. Es war ein größerer Raum in einem Landgasthof, der mit einer Discokugel aufgepeppt war und etwas verrückt ausgemalt war.
Der Sohn vom Wirt war der DJ, und es war immer eine Wahnsinnsstimmung. Ich war damals mit meiner Cousine Christl in der Disco.
So wie es meistens war, tanzte ich mit Christl gerade einen Fox. Wir wirbelten über die Tanzfläche, bis wir Mädels von zwei Jungs getrennt wurden. „So geht das nicht, zwei Mädels zusammen“, grinste Mario und seine blauen Augen strahlten, und schon tanzte ich mit Mario, Christl mit Gustl. Wir tanzten und tanzten …
Ich fuhr die Stadtausfahrt runter und orientierte mich, wo ich abbiegen musste. Langsam fuhr ich die Krankenhauseinfahrt rauf und suchte mir einen Parkplatz. Hier in der Großstadt lag fast kein Schnee, aber es war bitterkalt. Ich zog meinen dicken Parka ganz fest zu und begab mich auf die Suche nach der richtigen Station.
Der Warteraum war jetzt schon rammelvoll, mit einem Seufzer ging ich zur Anmeldung. „Guten Morgen Frau L.“, grüßte die Krankenschwester, die hinter einer Glaswand saß. „Wir haben schon auf Sie gewartet, Ihr Arzt hat uns bereits mitgeteilt, dass Sie zu uns kommen. Haben Sie Ihre Befunde mit?“ Ich gab ihr die von mir säuberlich in Klarsichthüllen geordneten Dokumente.
Die Schwester schaute die Befunde kurz durch. „Bitte nehmen Sie Platz, Sie werden sofort aufgerufen.“ Ich dankte und suchte mir einen Platz mit dem Rücken zur Mauer. Gedankenverloren lehnte ich mich zurück. Diese Schmerzen, ich kann nicht mal definieren, wo genau sie sich befinden. Ich schaute auf meine Hände. Waren sie geschwollen, oder bildete ich mir schon wieder was ein? Die Handflächen waren ganz dick und hatten weiße Flecken. Bei jedem Abbiegen der Finger durchzuckte mich ein Stromschlag. Ein ständiges Brennen im Inneren der Hände, ich zitterte am ganzen Leib. Meine Beine waren schwer, und ich kam mir vor, als hätte ich auf einmal hunderte von Kilos auf dem Körper. Eine unsichtbare Last drückte mir den Brustkorb zusammen, mein Herz hatte einen erhöhten Schlag, und ich hatte Angst. Einfach nur Angst. Plötzlich stupste mich eine ältere Dame an: „Heißen Sie L.? Sie sind dran.“
„Ja danke“, mühsam rappelte ich mich auf und verschwand hinter der weißen Tür mit der Aufschrift „Untersuchung“.
Das Untersuchungszimmer war wie üblich in Weiß gehalten. Eine Liege, Schränke, ein Schreibtisch, an dem eine Krankenschwester saß. Sie hatte einen Stöpsel im Ohr und tippte wohl den Bericht des vorherigen Patienten.
Eine zweite Schwester lehnte an einem Büroschrank und ordnete irgendwelche Schreibarbeiten. Der Arzt stand neben ihr und besprach noch etwas. Ich trat in das Zimmer, grüßte und wartete mal ab.
Der Arzt beendete sein Gespräch und wandte sich mir zu. „Guten Morgen Frau L.“, begrüßte er mich freundlich. Er war mir sympathisch. „Wir haben bereits Bescheid von Ihrem Hausarzt bekommen, wir werden Sie jetzt genauestens untersuchen, und dann schauen wir weiter. Sind Sie nervös? Brauchen Sie nicht zu sein.“
Ich verneinte, aber natürlich war ich nervös, mir pochte das Herz bis zum Hals, ich hatte einen trockenen Mund, und die Zunge klebte mir am Gaumen. Es war das übliche Arztgespräch mit Fragen. „Wo tut es weh? Wie lange spüren Sie diese Schmerzen schon?“ Und so weiter. Ich beantwortete all seine Fragen wie ein Computer, der auf „Ausspucken“ programmiert war.
Ich hatte mich komplett weggeschaltet, der Arzt fachsimpelte mit seinen lateinischen Ausdrücken, und die Schwester tippte dazu.
In diesem Moment hatte ich kein Zeitgefühl, keine Wahrnehmung, mir war einfach alles egal. Ich wollte nur endlich wissen, was los war mit mir. Die Untersuchung war zu Ende.
„Wir werden jetzt das Blut sofort in das Labor bringen, und in einer guten Stunde haben wir das Ergebnis auf dem Tisch. Sie können in der Zwischenzeit etwas zu sich nehmen, Sie werden ja sicher schon Hunger haben.“
Ich dankte und verabschiedete mich. Hunger, an so was hatte ich jetzt bestimmt nicht gedacht. Aber trotzdem setzte ich mich in das Krankenhausrestaurant und bestellte mir einen grünen Tee und ein Kipferl. Lustlos knabberte ich daran und ließ die Augen über die anderen Gäste schweifen.
Am Fenster saß eine junge Mutter mit einem kleinen Jungen. Der weinte leise vor sich hin, und die Frau versuchte, ihn zu trösten. Am anderen Tisch war ein altes Paar. Der Mann hatte die alte, fleckige Hand der Frau in seiner und streichelte zärtlich darüber. „Wie schön“, dachte ich, wenn man im Alter einander noch so lieben kann und darf. Solche Bilder erfüllen mich immer mit Zufriedenheit. Es gibt mir ein Gefühl von Wärme, des Miteinanders und des Vertrauens. Auch ich wollte mit meinem Mann alt werden, glaubte ich damals, als wir uns in der Kirche das Eheversprechen gaben. Heute weiß ich: Vor dem Altar beginnst du deine erste Lüge. „Bis dass der Tod uns scheidet“, es müsste heißen: „Sofern uns nichts Besseres unterkommt.“
Eine Putzfrau ratterte mit ihrem Putzwagen vorbei und riss mich wieder aus meinen Träumereien. Es war Zeit, ich musste wieder in den Untersuchungsraum.
„So Frau L. wir haben einige Daten, die mir überhaupt nicht gefallen. Ich habe Ihnen bereits ein Bett fertig machen lassen. Schwester Sonja bringt sie dann in ihren Trakt.“
„Ich muss hier bleiben?“ „Ja, da müssen sie jetzt durch, es hilft nichts, sie wieder nach Hause zu schicken. Wir haben schon viel zu lange gewartet.“ Die Schwester nahm mich leicht beim Arm, „kommen Sie, wir haben ein schönes Bett für Sie zurechtgemacht“.
„Wieso wird man sofort wie ein kleines Kind behandelt, wenn man ein Patient ist?“, dachte ich. „Ich bin doch kein Kleinkind.“ Egal, ich gehorchte und ging mit meiner Kinderschwester in Richtung Krankenzimmer. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, dass es nicht der letzte Besuch in diesem Krankenhaus sein würde.
Das Zimmer war hell und freundlich. Es standen fünf Betten im Raum und zwei davon waren besetzt. Ich bekam ein Bett am Fenster, wofür ich wirklich dankbar war.