Freuden, Leid und Liebe
Manfred Pöll
EUR 16,90
EUR 10,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 218
ISBN: 978-3-99038-490-9
Erscheinungsdatum: 18.05.2015
Ich liebte meine Mutter, aber sie schlug mich, weil ich anscheinend ein schlimmer Junge war. Mit meiner Krankheit war ich für die Ärzte ein Versuchskaninchen, über die Fehler der Klinik wurde geschwiegen. Als Erwachsener gab es Alkohol und Frauen im Überfluss - aber das Glück war noch nie auf meiner Seite…
1. KAPITEL
Ich wurde geboren in einer nicht reichen, aber gutbürgerlichen Familie und hatte noch zwei Schwestern, die 4 und 5 Jahre älter waren als ich. Als ich geboren wurde, schrie ich so laut, dass alle Angst vor mir hatten. Ich schaute aus wie ein alter Mann, so faltig war ich im Gesicht. Wir lebten in einem schönen großen Haus und gleich daneben wohnte unsere Oma in ihrem Haus. Mein Vater war Kranführer und unsere Mutter schaute auf uns Kinder, dass es uns an nichts fehlte. Mein Leben verlief anfangs normal so wie bei den meisten Kindern. Bis zu meinem 5. Lebensjahr kann ich mich an fast nichts erinnern, außer dass ich mal eine Maus retten wollte vor unserer Katze. Als Dank hat sie mich in den Finger gebissen. Mit 6 Jahren kam ich dann in die Schule. Oh Gott, war ich aufgeregt – und nicht gerade begeistert. Unsere Direktorin war schon sehr alt und ich saß genau beim Lehrer-Tisch. Immer wenn sie sprach, spuckte sie auf mein Heft. Und wenn sie meine Schreibarbeiten anschaute, wischte sie mit der Hand über mein Heft, verschmierte mir alles und sagte: Manfred, warum schmierst du so beim Schreiben? Ich traute mich natürlich nicht, etwas zu sagen. Aber ich dachte immer: Was will diese Frau von mir?
Dann war da noch eine Lehrerin, ich kann mich gut an sie erinnern. Wir mochten sie gerne, sie war sehr hübsch und hatte ein sehr vertrautes Lächeln in ihrem Gesicht. Wenn wir mal Unfug gemacht hatten im Unterricht, dann mussten wir eine Stunde nachsitzen. Aber das Schöne daran war, dass wir gerne bei ihr nachgesessen haben, weil sie anschließend mit uns zu einem Gasthaus ging, das fantastische Creme-Eissorten hatte. Wir durften uns aussuchen, was wir wollten. So verlief mein Leben einigermaßen normal, außer wenn jemand mal vom Baum fiel oder sich verletzte. So wie ich. Es kamen natürlich auch Tage, an denen ich nicht brav war. Genau an diesen Tagen musste ich immer baden gehen. Meine Schwester holten dann vom Garten sehr saftige Ruten, die wirklich wehtaten, und wenn ich dann nackt aus der Badewanne stieg, schlug mich meine Mutter mit dieser Rute. Erst dann durfte ich schlafen gehen.
Eines Tages wachte ich auf und hatte schreckliche Halsschmerzen. Meine Mutter fuhr dann gleich mit mir zum Arzt. Der schaute in meinen Hals, runzelte die Stirn und sagte: Es sind die Mandeln, die müssen raus.
Wir machten dann einen Termin aus. Nun saß ich im Warteraum. Bald würde man mich aufrufen. Als es soweit war, wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde. Meine Mutter und ich gingen in den Raum, wo der Arzt operierte. Man zeigte mir einen Stuhl, auf den ich mich setzen sollte. Rechts von mir war ein längerer Metallarm und am Ende dieses Armes eine Nierenschüssel. Ich dachte mir nichts dabei und schaute in die Schüssel hinein. Auf einmal wurde es mir ganz anders. Ich sah in dieser Schüssel anfangs zwei ganz kleine runde Erdbeeren. Bis ich merkte: Das waren zwei Mandeln von dem Kind, das sie vorher behandelt hatten. Ich hatte plötzlich Panik und wollte abhauen. Doch als der Arzt und seine Assistentinnen das sahen, packten sie mich fest an meinen Armen und schnallten mich ganz fest an den Stuhl. Dann drückten sie mir die Betäubungsmaske aufs Gesicht. Ein paar Stunden später wurde ich dann im Aufwachraum wach. Mir tat alles weh, nicht nur der Hals. Ich zog die Decke weg und sah, dass ich Abdrücke hatte an meinem Körper von den Riemen, mit denen man mich festgebunden hatte. Meine Mutter erzählte mir, dass ich sogar noch in der Narkose auf dem Stuhl gezappelt hätte.
Dann passierte mit meiner Oma etwas Schreckliches. Sie hatte den Schlüssel für das Wochenendhaus von nebenan. Wenn der Stromableser kam, ging sie mit ihm, um ihm aufzusperren. Es war eine Eisentreppe mit acht Stufen, die zu dem Wochenendhaus führte, mit einem kleinen Stehplatz vor dem Eisentor, das geöffnet werden musste. Meine Oma versuchte es aufzusperren, aber es war ein wenig verrostet und ging nicht auf. Sie bemühte sich mit aller Kraft, aber vergebens. Dann sagte der Mann: Lassen Sie es mich versuchen, und meine Oma stellte sich hinter ihn. Der Mann drehte den Schlüssel um, aber es ging nicht auf. Dann versucht er es mit Schwung. Er ging schnell zurück und wollte gegen das Tor schlagen, aber er hatte vergessen, dass meine Oma hinter ihm stand und stieß sie die Treppe hinunter. Sie schlug unten mit dem Kopf auf einen Stein. Ihre Hand war gebrochen. Die Rettung brachte sie sofort ins Krankenhaus. Von da an ging es mit ihr bergab. Sie hatte sich am Kopf verletzt und konnte sich an fast nichts mehr erinnern. Von nun an wohnte sie bei uns. Sie fragte uns: Wer seid ihr? Und zu meiner Mutter sagte sie: Ich kenne dich nicht.
Für uns Kinder war das unverständlich, dass unsere Oma uns nicht mehr kannte – und auch nicht ihre eigene Tochter. Es war nur noch ein Dahinleiden. Wenn sie auf die Toilette ging, warf sie die Tausend-Schilling-Scheine hinein und drückte die Spülung.
So ging es einige Jahre dahin, bis meine Mutter mit Tränen in den Augen sagte, dass Oma gestorben sei. Es war eine richtige Totenstille vor ihrem Bett.
Sie lag einfach nur da, und ich hatte so ein seltsames Gefühl in mir, das ich nicht beschreiben konnte. Wir standen nur da und keiner sprach ein Wort. Jeder weinte und fand keine Worte des Trostes. Wir Kinder mit 8 Jahren waren immer in Banden aufgeteilt und unterwegs. An diesem Tag waren wir Kastanien sammeln und hatten prall gefühlte Plastiktüten. Wir hatten große Freude, dass wir so viele gefunden hatten, und waren auf dem Weg nach Hause. Als plötzlich die anderen Kinder von der anderen Bande auftauchten und unsere Kastanien wollten, wollten wir uns natürlich verteidigen. Sie hatten Messer dabei und stachen auf unsere Tüten ein. Eines der Kinder stach auf meine Tüte ein und schnitt mir dabei innen über die ganze Fläche meiner Hand. Als sie das sahen, liefen sie davon. Ich ging nach Hause, und meine Mutter verband mich. Am nächsten Tag am Morgen war noch alles normal, bis ich auf dem Weg zur Schule war. Ich ballte meine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten, weil es Herbst war und sehr kalt. Die Schultasche auf dem Rücken, kam ich in der Schule an. Aber ich brachte meine Hände nicht auf, um nach der Schultasche zu greifen. Es dauerte eine Minute, bis meine Finger wieder gestreckt waren. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und blieb in der Schule. Als ich nach der Schule nach Hause ging, konnte ich nur sehr langsam gehen, und ich bekam Angst. Zu Hause angekommen, erzählte ich es meiner Mutter. Sie fuhr sofort mit mir zum Arzt, und der stellte Scharlach fest. Die Ärztin in unserem Ort gab mir gleich eine Penicillin-Spritze. Danach stellte sie fest, dass ich auf Penicillin allergisch reagiere. Ich war völlig fertig, und man brachte mich mit der Rettung in die Kinderklinik nach Graz. Dort konnte niemand die Schrift von unserer Ärztin lesen, weil sie so schlecht war, dass sogar die Angestellten in der Apotheke bei meiner Ärztin anrufen mussten, wenn sie ein Rezept ausstellte. Ich bekam gleich noch mal Penicillin gespritzt. Danach ging es bergab für mich. Ich kam auf die Intensivstation, und innerhalb von einer Woche bekam ich Blutvergiftung, Lungenentzündung und noch dazu Gelbsucht. Das schlug mir auf die Leber, und bewegen konnte ich mich auch nicht mehr. Als meine Familie mich besuchte, brachte man mich mit einem Rollstuhl zu einer Fensterscheibe, weil ich nicht mehr gehen konnte. Dort war ein Telefon, und so konnte ich mich mit meiner Familie unterhalten. Als meine Eltern beim ersten Besuch vor meinem Bett standen, sagte der Arzt, ich würde das Wochenende nicht überleben. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, und mein Vater blickte verzweifelt. Aber als ich hörte, dass ich sterben muss, fühlte ich nichts. Ich empfand es so, als würde es sich um einen anderen handeln, den ich gar nicht kenne. Meine Empfindungen existierten nicht mehr. Ab diesem Zeitpunkt versuchte die Klinik natürlich alles. Ich war ein richtiges Versuchskaninchen. Sie brachte mich von einem Labor zum anderen und konnten einfach nicht feststellen, was ich hatte, weil meine Leberwerte mehr als schlecht waren. Die Ärzte rätselten, was es sein konnte – vielleicht ein Leberegel. Mir wurde so oft Blut abgenommen, dass ich auf beiden Armen innen nicht mehr gestochen werden konnte. Sie stachen auf den Händen weiter. Am schlimmsten war der Arzt, der Alkoholiker war. Er hatte die Nadel in der Hand und zitterte vor meiner Vene herum. Dann stach er zu und sagte: ach, daneben. Und dann versuchte er es gleich wieder – bis er sie endlich traf. Ich traute mich nicht, etwas zu sagen, denn er war ja Arzt. Ich konnte auch nichts mehr essen, und darum bekam ich eine künstliche Vene. Ich hatte auch strenge Diät, konnte nichts Fettes und Gebratenes mehr essen – nur Rohkost, und ohne zu würzen. Meine Mutter fuhr jeden Tag von zu Hause nach Graz. Eine Strecke waren fast hundert Kilometer. Sie machte sich schreckliche Sorgen, dass ich jeden Moment sterben könnte. In dieser Zeit war sie sicher die beste Mutter der Welt. Das Heimweh war auch schlimm. Ich wartete jeden Tag, dass meine Mutter kam. Ich musste mehr als zwei Monate in der Klinik bleiben. Als es mir dann langsam ein wenig besser ging und ich aufstehen konnte, waren alle Schwestern sehr nett zu mir, weil ich das Sorgenkind der Station war. Ich half den Schwestern ein wenig in der Küche und beim Bodenreinigen. Ich half ihnen gern, weil mir langweilig war und sie immer mit mir spielten. Eine Schwester spielte mit mir immer Karten und ließ mich gewinnen. Ich merkte das natürlich, und sie musste lachen. Ich sagte zu ihr: Dieses Mal brauchst du nicht zu mogeln – ich gewinne sowieso. Inzwischen unterschrieb meine Mutter einen Revers, dass ich früher nach Hause fahren konnte und die Klinik verlassen durfte. Aber das ging nur ein paar Tage gut. Ich musste wieder in die Klinik zurück, weil es mir voll schlecht ging. Ich sehnte mich so sehr nach einem normalen Essen – aber die nächsten acht Jahre musste ich streng Diät leben. Ich probierte meine erste Cola mit 16 Jahren – und viele andere Dinge, die für andere ganz normal sind. Ich musste auch ein Jahr mit der Schule aussetzen. Ich durfte mich nicht anstrengen – kein Turnen, nicht laufen, nichts Schweres heben. Ich musste bei allem aufpassen, was ich tat.
Der Arzt sagte zur Vorsicht zu meiner Mutter: Bitte schlagen Sie Ihren Sohn nicht. Wenn Sie ihn an der Leber treffen, könnte er sterben. Mir war das natürlich sehr recht, weil es von nun an keine Schläge mehr gab.
Mit 9 Jahren gingen wir Kinder auf eine nahe gelegene Skiwiese, um ein wenig zu fahren. Als wir oben standen, fuhr einer von meinen Freunden den Hang hinunter und stürzte. Dann fuhr ich gleich danach los und stürzte auch. Ich lag auf meiner linken Seite und die Beine waren geschlossen. Das war nichts Besonderes, aber als ich aufstehen wollte, sah ich, dass meine linke Skispitze fehlte. Und dann schaute ich zurück und sah sie hinter mir liegen.
Da wurde mir erst bewusst, dass mein Bein gebrochen war und um 180 Grad umgedreht. Oh Gott, ich wurde weiß im Gesicht und mir wurde schlecht. Ein Freund kam zu mir und machte mir die Bindung auf. Dann drehte sich mein Unterschenkel durch den Muskel wieder zurück. Mein Vater kam dann auch in kurzer Zeit zu mir und trug mich nach Hause. Dann kam gleich die Rettung und brachte mich ins Krankenhaus. Da bekam ich einen Liegegips für eineinhalb Monate. Nach dieser Zeit bekam ich einen Gehgips und man sagte mir: Es heilt alles normal. Als dann der Gips abgenommen wurde, wurde mein Bein noch mal geröntgt und es wurde festgestellt, dass es nicht gerade zusammengewachsen sei.
Der Arzt gab mir zu verstehen, dass es noch mal gebrochen werden müsste. Ich sagte natürlich: Ja, wenn es sein muss … Und dann brachten mich die Schwestern in den Gipsraum, aber da lag schon eine Frau, und zwei Schwestern waren mit ihr beschäftigt. Ich schaute interessiert zu.
Sie legten die Hand von der Frau auf ein Dreiecksgestell. Eine der Schwestern hielt ihren Ellbogen, die andere das Handgelenk. Dann schauten sie sich an und nickten. Eine der Schwestern machte einen schnellen Ruck nach unten. Sie brachen der Frau den Arm vor meinen Augen. Ich hatte einen Schock, suchte meine Turnschuhe und rannte wie der Blitz aus dem Krankenhaus. Ich versteckte mich hinter einem Rettungsauto. Alle suchten mich, und als sie mich fanden, wollte ich nicht mehr zurück. Ich konnte einfach nicht mehr, das war zu wild. Bis heute kann ich das Geräusch nicht mehr vergessen, es krachte so schrecklich – als ob man einen dicken Holzpfosten in der Mitte auseinanderreißen würde. Diese Frau jammerte vor Schmerzen – weil solche Sachen früher ohne Narkose gemacht wurden.
Meine Tante Rosa starb mit zweiundneunzig Jahren, sie lebte in einem sehr alten Haus, ohne Heizung und elektrischem Licht. Sie ging jeden Tag zu Fuß sechs Kilometer zum Einkaufen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie einmal krank war. Mit ihrem Hund lebte sie in diesem alten Haus allein. Sie hatte ein paar Hühner und wollte dieses Haus nicht verlassen. Meine Eltern sagten zu ihr, sie solle doch zu uns kommen, aber es war unmöglich, sie davon zu überzeugen. Ich verbrachte Stunden mit meiner alten Tante und hörte immer sehr aufmerksam zu, was sie mir erzählte. Es waren sehr interessante Geschichten von früher, vom Krieg. Sie überlebte alle zwei Weltkriege und konnte natürlich viel von ihrem Leben berichten. Mich mochte sie gerne, meine Schwestern nicht so sehr.
Ihre Hände zitterten schon, und die Finger waren groß und dick. Meine Mutter sagte immer: Das kommt von der Gicht, dass die Gelenke so angeschwollen sind. Jetzt lag sie da und ich war sehr traurig. Aus ihrem Mund trat eine schwarze Flüssigkeit, weil sie erbrochen hatte, bevor sie starb. Im Zimmer war eine eisige Kälte. Man konnte den Rauch von unserem Atem sehen, weil sie in ihrem Schlafzimmer nie einheizte. Man hörte auch das alte Holz knarren vom Haus. Sie war verwachsen mit diesem Haus und wäre früher gestorben, wenn sie es verlassen hätte. In diesem Haus waren all ihre Erinnerungen, ihre Ängste und Freuden, die sie in ihrem Leben erlebt hatte. Es tat mir sehr weh, als sie da lag, von der Arbeit zerschunden und vom Leben geprägt. Ich denke heute immer noch an sie und werde sie auch nie vergessen. Ich habe oft das Gefühl, dass sie in meiner Nähe ist. In Gedanken sage ich oft: Ich hoffe, es geht dir gut, Tante Rosa.
Mit 10 Jahren machte ich meine ersten Erfahrungen mit Frauen, wir küssten und berührten uns. Das Herz pochte und wir waren sehr nervös. Wir wussten natürlich aus Zeitschriften ein wenig Bescheid. Das, was wir gelesen hatten, versuchten wir auszuprobieren. Wir waren dann mit elf Jahren ständig hinter den Mädchen her. Und es war unkompliziert. Wir fragten einfach, willst du mit mir gehen, und das war es dann auch schon.
Dieses Miteinandergehen dauerte dann meistens nicht länger als eine Woche. Wir bauten auch mehrere Lager im Wald, wo wir uns mit den Freundinnen trafen. Unsere Eltern waren alle ahnungslos und wären nie auf die Idee gekommen, dass wir schon küssten, uns berührten, auch Zigaretten rauchten und uns wahnsinnig erwachsen fühlten. Zum Rauchen gingen wir immer in den Wald oder zu dem nahe gelegenen Kriegerdenkmal. Dort waren mehrere Verstecke und auch ein Geheimgang, der zu einem ca. einen Kilometer entfernten Kloster führte. Dieser Geheimtunnel war aber schon an mehreren Stellen eingestürzt und diente früher als Fluchtweg vom Kloster in die ehemalige Burg. An diesem Ort verbrachten wir Kinder immer viel Zeit und rauchten meistens die ganze Packung Zigaretten, weil wir uns nicht trauten, welche mit nach Hause zu nehmen. Doch manchmal stecken wir die Schachtel in unsere Socken und zogen die Hose darüber. Meine Mutter hatte natürlich einen Verdacht, weil sie es manchmal roch. Sie war Nichtraucherin, und darum musste ich immer viel mit Kaugummi arbeiten. Einmal, als ich wieder mal vom Rauchen nach Hause kam, wollte ich die Zigaretten außerhalb des Hauses verstecken, als plötzlich meine Mutter vor mir stand. Ich erschreckte mich. Meine Mutter packte mich an den Haaren und gab mir mehrere Ohrfeigen. Sie schimpfte fürchterlich mit mir, aber das Rauchen gab ich trotzdem nicht auf.
Kurz vor meinem 13. Geburtstag sagte ich zu meiner Mutter: Bitte bringe mich zu meiner Freundin. Was sie dann auch tat. Da passierte es das erste Mal. Ich war sehr aufgeregt. Sie war älter als ich.
Wir legten langsam die Kleidung ab und berührten uns zärtlich. Sie duftete sehr gut und ich dachte in meinem jugendlichen Dasein: Das ist die Frau für das ganze Leben. Dem war aber natürlich nicht so. Meine Mutter war natürlich ahnungslos und wusste von nichts, als sie mich dann wieder abholte. Als 13-Jähriger musste ich natürlich cool sein. Wir fühlen uns sehr erwachsen und dachten, die Welt gehöre uns. In dem alten Haus meiner verstorbenen Oma war ein Heuboden, auf dem wir ein ein Lager bauten, sehr komfortabel, ausgestattet mit Ofen, TV und Plattenspieler. Ein Bett durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Heuboden war nur von außen über eine lange Leiter zu erreichen. Von da an verlief mein Leben ziemlich aufregend. Die Schule war für mich nicht mehr interessant. Mit 12 Jahren bekam ich mein erstes Moped, mit dem ich natürlich nicht auf öffentlichen Straßen fahren durfte. Aber das interessierte mich nicht. Mein Vater und ich fuhren überall damit rum. Wir bastelten an diesem Moped ständig herum. Es war ein Einsitzer, wie ihn die Postboten hatten. Wir machten einen Zweisitzer daraus, lackierten es rot, und der Kotflügel musste auch ab. Ich war sehr stolz auf dieses Moped und nahm meine Freunde mit – bis plötzlich die Polizei vor uns stand und uns stoppte. Der Polizist fragte mich: Bist du schon 16 Jahre? Und auf wen ist es zugelassen? Ich sagte zu ihm mit leiser Stimme: Nein, ich bin erst 12 Jahre. Und es ist auch nicht zugelassen.
Wir hatten große Angst und fragten, was jetzt passieren wird. Der Polizist sagte: Schiebt es nach Hause. Wir werden bei deinen Eltern vorbeikommen. Ich machte das, und zu Hause angekommen, berichtete ich alles gleich meiner Mutter. Die schimpfte sehr mit mir. Aber zum Glück kam die Polizei nie vorbei.
Dann kaufte ich mein erstes Auto mit 14 Jahren für 550 Schilling. Es war ein Simca 1000 und eine totale Schrottmühle. Mein Vater und ich richteten das Auto her und verkauften es dann gewinnbringend. In der Zwischenzeit fuhren wir selber – auch wenn meine Eltern nicht da waren. Ich konnte es sehr gut. Und dann überredete mich ein Freund, mit dem Auto meines Vaters eine Spritztour zu machen. Meine Eltern waren auf einer Hochzeit. Die Gelegenheit war bestens. Wir fuhren auf die Straße und dann auf einen Waldweg, als plötzlich das Auto außer Kontrolle geriet und wir gegen Baumstämme krachten. Es war vorne alles kaputt, aber wir schafften es noch bis nach Hause. Als wir das Auto in die Garage stellen wollten, tauchten meine Eltern auf und sahen, was passiert war. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und rannte schnell zu meinem Lager auf dem Heuboden, stieg die Leiter hinauf und sagte: Ich springe runter.
Meine Eltern hatten natürlich Angst und sagten in der Panik: Das macht ja nichts, ist ja nur ein Blechschaden. So rettete ich mich vor einer Bestrafung!
Ich wurde geboren in einer nicht reichen, aber gutbürgerlichen Familie und hatte noch zwei Schwestern, die 4 und 5 Jahre älter waren als ich. Als ich geboren wurde, schrie ich so laut, dass alle Angst vor mir hatten. Ich schaute aus wie ein alter Mann, so faltig war ich im Gesicht. Wir lebten in einem schönen großen Haus und gleich daneben wohnte unsere Oma in ihrem Haus. Mein Vater war Kranführer und unsere Mutter schaute auf uns Kinder, dass es uns an nichts fehlte. Mein Leben verlief anfangs normal so wie bei den meisten Kindern. Bis zu meinem 5. Lebensjahr kann ich mich an fast nichts erinnern, außer dass ich mal eine Maus retten wollte vor unserer Katze. Als Dank hat sie mich in den Finger gebissen. Mit 6 Jahren kam ich dann in die Schule. Oh Gott, war ich aufgeregt – und nicht gerade begeistert. Unsere Direktorin war schon sehr alt und ich saß genau beim Lehrer-Tisch. Immer wenn sie sprach, spuckte sie auf mein Heft. Und wenn sie meine Schreibarbeiten anschaute, wischte sie mit der Hand über mein Heft, verschmierte mir alles und sagte: Manfred, warum schmierst du so beim Schreiben? Ich traute mich natürlich nicht, etwas zu sagen. Aber ich dachte immer: Was will diese Frau von mir?
Dann war da noch eine Lehrerin, ich kann mich gut an sie erinnern. Wir mochten sie gerne, sie war sehr hübsch und hatte ein sehr vertrautes Lächeln in ihrem Gesicht. Wenn wir mal Unfug gemacht hatten im Unterricht, dann mussten wir eine Stunde nachsitzen. Aber das Schöne daran war, dass wir gerne bei ihr nachgesessen haben, weil sie anschließend mit uns zu einem Gasthaus ging, das fantastische Creme-Eissorten hatte. Wir durften uns aussuchen, was wir wollten. So verlief mein Leben einigermaßen normal, außer wenn jemand mal vom Baum fiel oder sich verletzte. So wie ich. Es kamen natürlich auch Tage, an denen ich nicht brav war. Genau an diesen Tagen musste ich immer baden gehen. Meine Schwester holten dann vom Garten sehr saftige Ruten, die wirklich wehtaten, und wenn ich dann nackt aus der Badewanne stieg, schlug mich meine Mutter mit dieser Rute. Erst dann durfte ich schlafen gehen.
Eines Tages wachte ich auf und hatte schreckliche Halsschmerzen. Meine Mutter fuhr dann gleich mit mir zum Arzt. Der schaute in meinen Hals, runzelte die Stirn und sagte: Es sind die Mandeln, die müssen raus.
Wir machten dann einen Termin aus. Nun saß ich im Warteraum. Bald würde man mich aufrufen. Als es soweit war, wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde. Meine Mutter und ich gingen in den Raum, wo der Arzt operierte. Man zeigte mir einen Stuhl, auf den ich mich setzen sollte. Rechts von mir war ein längerer Metallarm und am Ende dieses Armes eine Nierenschüssel. Ich dachte mir nichts dabei und schaute in die Schüssel hinein. Auf einmal wurde es mir ganz anders. Ich sah in dieser Schüssel anfangs zwei ganz kleine runde Erdbeeren. Bis ich merkte: Das waren zwei Mandeln von dem Kind, das sie vorher behandelt hatten. Ich hatte plötzlich Panik und wollte abhauen. Doch als der Arzt und seine Assistentinnen das sahen, packten sie mich fest an meinen Armen und schnallten mich ganz fest an den Stuhl. Dann drückten sie mir die Betäubungsmaske aufs Gesicht. Ein paar Stunden später wurde ich dann im Aufwachraum wach. Mir tat alles weh, nicht nur der Hals. Ich zog die Decke weg und sah, dass ich Abdrücke hatte an meinem Körper von den Riemen, mit denen man mich festgebunden hatte. Meine Mutter erzählte mir, dass ich sogar noch in der Narkose auf dem Stuhl gezappelt hätte.
Dann passierte mit meiner Oma etwas Schreckliches. Sie hatte den Schlüssel für das Wochenendhaus von nebenan. Wenn der Stromableser kam, ging sie mit ihm, um ihm aufzusperren. Es war eine Eisentreppe mit acht Stufen, die zu dem Wochenendhaus führte, mit einem kleinen Stehplatz vor dem Eisentor, das geöffnet werden musste. Meine Oma versuchte es aufzusperren, aber es war ein wenig verrostet und ging nicht auf. Sie bemühte sich mit aller Kraft, aber vergebens. Dann sagte der Mann: Lassen Sie es mich versuchen, und meine Oma stellte sich hinter ihn. Der Mann drehte den Schlüssel um, aber es ging nicht auf. Dann versucht er es mit Schwung. Er ging schnell zurück und wollte gegen das Tor schlagen, aber er hatte vergessen, dass meine Oma hinter ihm stand und stieß sie die Treppe hinunter. Sie schlug unten mit dem Kopf auf einen Stein. Ihre Hand war gebrochen. Die Rettung brachte sie sofort ins Krankenhaus. Von da an ging es mit ihr bergab. Sie hatte sich am Kopf verletzt und konnte sich an fast nichts mehr erinnern. Von nun an wohnte sie bei uns. Sie fragte uns: Wer seid ihr? Und zu meiner Mutter sagte sie: Ich kenne dich nicht.
Für uns Kinder war das unverständlich, dass unsere Oma uns nicht mehr kannte – und auch nicht ihre eigene Tochter. Es war nur noch ein Dahinleiden. Wenn sie auf die Toilette ging, warf sie die Tausend-Schilling-Scheine hinein und drückte die Spülung.
So ging es einige Jahre dahin, bis meine Mutter mit Tränen in den Augen sagte, dass Oma gestorben sei. Es war eine richtige Totenstille vor ihrem Bett.
Sie lag einfach nur da, und ich hatte so ein seltsames Gefühl in mir, das ich nicht beschreiben konnte. Wir standen nur da und keiner sprach ein Wort. Jeder weinte und fand keine Worte des Trostes. Wir Kinder mit 8 Jahren waren immer in Banden aufgeteilt und unterwegs. An diesem Tag waren wir Kastanien sammeln und hatten prall gefühlte Plastiktüten. Wir hatten große Freude, dass wir so viele gefunden hatten, und waren auf dem Weg nach Hause. Als plötzlich die anderen Kinder von der anderen Bande auftauchten und unsere Kastanien wollten, wollten wir uns natürlich verteidigen. Sie hatten Messer dabei und stachen auf unsere Tüten ein. Eines der Kinder stach auf meine Tüte ein und schnitt mir dabei innen über die ganze Fläche meiner Hand. Als sie das sahen, liefen sie davon. Ich ging nach Hause, und meine Mutter verband mich. Am nächsten Tag am Morgen war noch alles normal, bis ich auf dem Weg zur Schule war. Ich ballte meine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten, weil es Herbst war und sehr kalt. Die Schultasche auf dem Rücken, kam ich in der Schule an. Aber ich brachte meine Hände nicht auf, um nach der Schultasche zu greifen. Es dauerte eine Minute, bis meine Finger wieder gestreckt waren. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und blieb in der Schule. Als ich nach der Schule nach Hause ging, konnte ich nur sehr langsam gehen, und ich bekam Angst. Zu Hause angekommen, erzählte ich es meiner Mutter. Sie fuhr sofort mit mir zum Arzt, und der stellte Scharlach fest. Die Ärztin in unserem Ort gab mir gleich eine Penicillin-Spritze. Danach stellte sie fest, dass ich auf Penicillin allergisch reagiere. Ich war völlig fertig, und man brachte mich mit der Rettung in die Kinderklinik nach Graz. Dort konnte niemand die Schrift von unserer Ärztin lesen, weil sie so schlecht war, dass sogar die Angestellten in der Apotheke bei meiner Ärztin anrufen mussten, wenn sie ein Rezept ausstellte. Ich bekam gleich noch mal Penicillin gespritzt. Danach ging es bergab für mich. Ich kam auf die Intensivstation, und innerhalb von einer Woche bekam ich Blutvergiftung, Lungenentzündung und noch dazu Gelbsucht. Das schlug mir auf die Leber, und bewegen konnte ich mich auch nicht mehr. Als meine Familie mich besuchte, brachte man mich mit einem Rollstuhl zu einer Fensterscheibe, weil ich nicht mehr gehen konnte. Dort war ein Telefon, und so konnte ich mich mit meiner Familie unterhalten. Als meine Eltern beim ersten Besuch vor meinem Bett standen, sagte der Arzt, ich würde das Wochenende nicht überleben. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, und mein Vater blickte verzweifelt. Aber als ich hörte, dass ich sterben muss, fühlte ich nichts. Ich empfand es so, als würde es sich um einen anderen handeln, den ich gar nicht kenne. Meine Empfindungen existierten nicht mehr. Ab diesem Zeitpunkt versuchte die Klinik natürlich alles. Ich war ein richtiges Versuchskaninchen. Sie brachte mich von einem Labor zum anderen und konnten einfach nicht feststellen, was ich hatte, weil meine Leberwerte mehr als schlecht waren. Die Ärzte rätselten, was es sein konnte – vielleicht ein Leberegel. Mir wurde so oft Blut abgenommen, dass ich auf beiden Armen innen nicht mehr gestochen werden konnte. Sie stachen auf den Händen weiter. Am schlimmsten war der Arzt, der Alkoholiker war. Er hatte die Nadel in der Hand und zitterte vor meiner Vene herum. Dann stach er zu und sagte: ach, daneben. Und dann versuchte er es gleich wieder – bis er sie endlich traf. Ich traute mich nicht, etwas zu sagen, denn er war ja Arzt. Ich konnte auch nichts mehr essen, und darum bekam ich eine künstliche Vene. Ich hatte auch strenge Diät, konnte nichts Fettes und Gebratenes mehr essen – nur Rohkost, und ohne zu würzen. Meine Mutter fuhr jeden Tag von zu Hause nach Graz. Eine Strecke waren fast hundert Kilometer. Sie machte sich schreckliche Sorgen, dass ich jeden Moment sterben könnte. In dieser Zeit war sie sicher die beste Mutter der Welt. Das Heimweh war auch schlimm. Ich wartete jeden Tag, dass meine Mutter kam. Ich musste mehr als zwei Monate in der Klinik bleiben. Als es mir dann langsam ein wenig besser ging und ich aufstehen konnte, waren alle Schwestern sehr nett zu mir, weil ich das Sorgenkind der Station war. Ich half den Schwestern ein wenig in der Küche und beim Bodenreinigen. Ich half ihnen gern, weil mir langweilig war und sie immer mit mir spielten. Eine Schwester spielte mit mir immer Karten und ließ mich gewinnen. Ich merkte das natürlich, und sie musste lachen. Ich sagte zu ihr: Dieses Mal brauchst du nicht zu mogeln – ich gewinne sowieso. Inzwischen unterschrieb meine Mutter einen Revers, dass ich früher nach Hause fahren konnte und die Klinik verlassen durfte. Aber das ging nur ein paar Tage gut. Ich musste wieder in die Klinik zurück, weil es mir voll schlecht ging. Ich sehnte mich so sehr nach einem normalen Essen – aber die nächsten acht Jahre musste ich streng Diät leben. Ich probierte meine erste Cola mit 16 Jahren – und viele andere Dinge, die für andere ganz normal sind. Ich musste auch ein Jahr mit der Schule aussetzen. Ich durfte mich nicht anstrengen – kein Turnen, nicht laufen, nichts Schweres heben. Ich musste bei allem aufpassen, was ich tat.
Der Arzt sagte zur Vorsicht zu meiner Mutter: Bitte schlagen Sie Ihren Sohn nicht. Wenn Sie ihn an der Leber treffen, könnte er sterben. Mir war das natürlich sehr recht, weil es von nun an keine Schläge mehr gab.
Mit 9 Jahren gingen wir Kinder auf eine nahe gelegene Skiwiese, um ein wenig zu fahren. Als wir oben standen, fuhr einer von meinen Freunden den Hang hinunter und stürzte. Dann fuhr ich gleich danach los und stürzte auch. Ich lag auf meiner linken Seite und die Beine waren geschlossen. Das war nichts Besonderes, aber als ich aufstehen wollte, sah ich, dass meine linke Skispitze fehlte. Und dann schaute ich zurück und sah sie hinter mir liegen.
Da wurde mir erst bewusst, dass mein Bein gebrochen war und um 180 Grad umgedreht. Oh Gott, ich wurde weiß im Gesicht und mir wurde schlecht. Ein Freund kam zu mir und machte mir die Bindung auf. Dann drehte sich mein Unterschenkel durch den Muskel wieder zurück. Mein Vater kam dann auch in kurzer Zeit zu mir und trug mich nach Hause. Dann kam gleich die Rettung und brachte mich ins Krankenhaus. Da bekam ich einen Liegegips für eineinhalb Monate. Nach dieser Zeit bekam ich einen Gehgips und man sagte mir: Es heilt alles normal. Als dann der Gips abgenommen wurde, wurde mein Bein noch mal geröntgt und es wurde festgestellt, dass es nicht gerade zusammengewachsen sei.
Der Arzt gab mir zu verstehen, dass es noch mal gebrochen werden müsste. Ich sagte natürlich: Ja, wenn es sein muss … Und dann brachten mich die Schwestern in den Gipsraum, aber da lag schon eine Frau, und zwei Schwestern waren mit ihr beschäftigt. Ich schaute interessiert zu.
Sie legten die Hand von der Frau auf ein Dreiecksgestell. Eine der Schwestern hielt ihren Ellbogen, die andere das Handgelenk. Dann schauten sie sich an und nickten. Eine der Schwestern machte einen schnellen Ruck nach unten. Sie brachen der Frau den Arm vor meinen Augen. Ich hatte einen Schock, suchte meine Turnschuhe und rannte wie der Blitz aus dem Krankenhaus. Ich versteckte mich hinter einem Rettungsauto. Alle suchten mich, und als sie mich fanden, wollte ich nicht mehr zurück. Ich konnte einfach nicht mehr, das war zu wild. Bis heute kann ich das Geräusch nicht mehr vergessen, es krachte so schrecklich – als ob man einen dicken Holzpfosten in der Mitte auseinanderreißen würde. Diese Frau jammerte vor Schmerzen – weil solche Sachen früher ohne Narkose gemacht wurden.
Meine Tante Rosa starb mit zweiundneunzig Jahren, sie lebte in einem sehr alten Haus, ohne Heizung und elektrischem Licht. Sie ging jeden Tag zu Fuß sechs Kilometer zum Einkaufen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie einmal krank war. Mit ihrem Hund lebte sie in diesem alten Haus allein. Sie hatte ein paar Hühner und wollte dieses Haus nicht verlassen. Meine Eltern sagten zu ihr, sie solle doch zu uns kommen, aber es war unmöglich, sie davon zu überzeugen. Ich verbrachte Stunden mit meiner alten Tante und hörte immer sehr aufmerksam zu, was sie mir erzählte. Es waren sehr interessante Geschichten von früher, vom Krieg. Sie überlebte alle zwei Weltkriege und konnte natürlich viel von ihrem Leben berichten. Mich mochte sie gerne, meine Schwestern nicht so sehr.
Ihre Hände zitterten schon, und die Finger waren groß und dick. Meine Mutter sagte immer: Das kommt von der Gicht, dass die Gelenke so angeschwollen sind. Jetzt lag sie da und ich war sehr traurig. Aus ihrem Mund trat eine schwarze Flüssigkeit, weil sie erbrochen hatte, bevor sie starb. Im Zimmer war eine eisige Kälte. Man konnte den Rauch von unserem Atem sehen, weil sie in ihrem Schlafzimmer nie einheizte. Man hörte auch das alte Holz knarren vom Haus. Sie war verwachsen mit diesem Haus und wäre früher gestorben, wenn sie es verlassen hätte. In diesem Haus waren all ihre Erinnerungen, ihre Ängste und Freuden, die sie in ihrem Leben erlebt hatte. Es tat mir sehr weh, als sie da lag, von der Arbeit zerschunden und vom Leben geprägt. Ich denke heute immer noch an sie und werde sie auch nie vergessen. Ich habe oft das Gefühl, dass sie in meiner Nähe ist. In Gedanken sage ich oft: Ich hoffe, es geht dir gut, Tante Rosa.
Mit 10 Jahren machte ich meine ersten Erfahrungen mit Frauen, wir küssten und berührten uns. Das Herz pochte und wir waren sehr nervös. Wir wussten natürlich aus Zeitschriften ein wenig Bescheid. Das, was wir gelesen hatten, versuchten wir auszuprobieren. Wir waren dann mit elf Jahren ständig hinter den Mädchen her. Und es war unkompliziert. Wir fragten einfach, willst du mit mir gehen, und das war es dann auch schon.
Dieses Miteinandergehen dauerte dann meistens nicht länger als eine Woche. Wir bauten auch mehrere Lager im Wald, wo wir uns mit den Freundinnen trafen. Unsere Eltern waren alle ahnungslos und wären nie auf die Idee gekommen, dass wir schon küssten, uns berührten, auch Zigaretten rauchten und uns wahnsinnig erwachsen fühlten. Zum Rauchen gingen wir immer in den Wald oder zu dem nahe gelegenen Kriegerdenkmal. Dort waren mehrere Verstecke und auch ein Geheimgang, der zu einem ca. einen Kilometer entfernten Kloster führte. Dieser Geheimtunnel war aber schon an mehreren Stellen eingestürzt und diente früher als Fluchtweg vom Kloster in die ehemalige Burg. An diesem Ort verbrachten wir Kinder immer viel Zeit und rauchten meistens die ganze Packung Zigaretten, weil wir uns nicht trauten, welche mit nach Hause zu nehmen. Doch manchmal stecken wir die Schachtel in unsere Socken und zogen die Hose darüber. Meine Mutter hatte natürlich einen Verdacht, weil sie es manchmal roch. Sie war Nichtraucherin, und darum musste ich immer viel mit Kaugummi arbeiten. Einmal, als ich wieder mal vom Rauchen nach Hause kam, wollte ich die Zigaretten außerhalb des Hauses verstecken, als plötzlich meine Mutter vor mir stand. Ich erschreckte mich. Meine Mutter packte mich an den Haaren und gab mir mehrere Ohrfeigen. Sie schimpfte fürchterlich mit mir, aber das Rauchen gab ich trotzdem nicht auf.
Kurz vor meinem 13. Geburtstag sagte ich zu meiner Mutter: Bitte bringe mich zu meiner Freundin. Was sie dann auch tat. Da passierte es das erste Mal. Ich war sehr aufgeregt. Sie war älter als ich.
Wir legten langsam die Kleidung ab und berührten uns zärtlich. Sie duftete sehr gut und ich dachte in meinem jugendlichen Dasein: Das ist die Frau für das ganze Leben. Dem war aber natürlich nicht so. Meine Mutter war natürlich ahnungslos und wusste von nichts, als sie mich dann wieder abholte. Als 13-Jähriger musste ich natürlich cool sein. Wir fühlen uns sehr erwachsen und dachten, die Welt gehöre uns. In dem alten Haus meiner verstorbenen Oma war ein Heuboden, auf dem wir ein ein Lager bauten, sehr komfortabel, ausgestattet mit Ofen, TV und Plattenspieler. Ein Bett durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Heuboden war nur von außen über eine lange Leiter zu erreichen. Von da an verlief mein Leben ziemlich aufregend. Die Schule war für mich nicht mehr interessant. Mit 12 Jahren bekam ich mein erstes Moped, mit dem ich natürlich nicht auf öffentlichen Straßen fahren durfte. Aber das interessierte mich nicht. Mein Vater und ich fuhren überall damit rum. Wir bastelten an diesem Moped ständig herum. Es war ein Einsitzer, wie ihn die Postboten hatten. Wir machten einen Zweisitzer daraus, lackierten es rot, und der Kotflügel musste auch ab. Ich war sehr stolz auf dieses Moped und nahm meine Freunde mit – bis plötzlich die Polizei vor uns stand und uns stoppte. Der Polizist fragte mich: Bist du schon 16 Jahre? Und auf wen ist es zugelassen? Ich sagte zu ihm mit leiser Stimme: Nein, ich bin erst 12 Jahre. Und es ist auch nicht zugelassen.
Wir hatten große Angst und fragten, was jetzt passieren wird. Der Polizist sagte: Schiebt es nach Hause. Wir werden bei deinen Eltern vorbeikommen. Ich machte das, und zu Hause angekommen, berichtete ich alles gleich meiner Mutter. Die schimpfte sehr mit mir. Aber zum Glück kam die Polizei nie vorbei.
Dann kaufte ich mein erstes Auto mit 14 Jahren für 550 Schilling. Es war ein Simca 1000 und eine totale Schrottmühle. Mein Vater und ich richteten das Auto her und verkauften es dann gewinnbringend. In der Zwischenzeit fuhren wir selber – auch wenn meine Eltern nicht da waren. Ich konnte es sehr gut. Und dann überredete mich ein Freund, mit dem Auto meines Vaters eine Spritztour zu machen. Meine Eltern waren auf einer Hochzeit. Die Gelegenheit war bestens. Wir fuhren auf die Straße und dann auf einen Waldweg, als plötzlich das Auto außer Kontrolle geriet und wir gegen Baumstämme krachten. Es war vorne alles kaputt, aber wir schafften es noch bis nach Hause. Als wir das Auto in die Garage stellen wollten, tauchten meine Eltern auf und sahen, was passiert war. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und rannte schnell zu meinem Lager auf dem Heuboden, stieg die Leiter hinauf und sagte: Ich springe runter.
Meine Eltern hatten natürlich Angst und sagten in der Panik: Das macht ja nichts, ist ja nur ein Blechschaden. So rettete ich mich vor einer Bestrafung!