Die Frau des Wanderpredigers

Die Frau des Wanderpredigers

Linus Lang


EUR 23,90
EUR 19,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 158
ISBN: 978-3-99130-268-1
Erscheinungsdatum: 20.06.2023
Alem steht stellvertretend für viele Frauen in Äthiopien. Das Leben einer tüchtigen Frau, wunderbaren Mutter und tiefgläubigen Christin, die sich stets für Benachteiligte und Schwächere einsetzte, wurde durch einen sinnlosen Bürgerkrieg beendet …
Die Frau des Wanderpredigers


Dies ist die Geschichte von Alem, einer äthiopischen Frau und Mutter. Im Norden Äthiopiens in armen Verhältnissen aufgewachsen und dann mit einem Mann aus der Nachbarschaft verheiratet, der sich nebst seiner Arbeit als Bauer zum Wanderpriester ausbilden ließ. Diese „Wanderpriesterschaft“ bestimmte sein Schicksal und beendete sein Leben. Zurück blieb Alem mit vier eigenen und drei angenommenen Kindern. Als Alleinstehende galt es, sich durchzuschlagen, und als Priesterwitwe war für sie eine Wiederverheiratung ausgeschlossen.

Tapfer, mit unermüdlichem Einsatz und unter Inkaufnahme widriger Umstände kämpft Alem für das Durchkommen ihrer Familie und schafft es, alle aus eigenem Anbau zu ernähren und den Kindern Schulbildung zu bieten. Schritt für Schritt verbessert sich die Lebenssituation und es wächst die Zuversicht, dass ihre Kinder einst ein besseres Leben haben dürfen. Diese Hoffnung erlischt aber beinahe, als nach dem Tode ihres Mannes auch noch einer ihrer Söhne stirbt. Dies bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Doch sie fasst neuen Lebensmut.

Gestärkt durch einen unerbittlichen Glauben an Gott und durch harte Arbeit kämpft Alem weiter und wird zunehmend als Leitfigur im Dorf und in der Region erkannt und bewundert. Sie schafft den Ausstieg aus tiefster Armut. Doch sie bleibt auf der Suche danach, weshalb sie das Schicksal derart geprüft hat, und ringt um die Frage nach Schuld und Sühne. Als vieles sich zum Guten wendete, brach der Krieg zwischen der Region und der Zentralregierung aus, der in seiner Unbarmherzigkeit auch Alems Schicksal besiegelte.



Vorbemerkung des Autors


Dieses Buch ist ein fiktives Werk auf Grundlage tatsächlicher Begebenheiten. Alle darin erwähnten Personen leben, oder lebten, zu Beginn 21. Jahrhunderts in Äthiopien. Zum Schutz der Protagonisten sind sämtliche Namen geändert. Die Dialoge und Schilderungen der Details sind frei erfunden, basieren aber auf Jahrzehntelanger Erfahrung des Autors in Kontakten mit den Menschen dieser Geschichte und in der Region, wo diese sich ereignet hat.

Der Autor, November 2022



Fußpfade


„Wenn du mir nachher etwas von deinem Feuerholz gibst, trage ich dir die Schulsachen“, rief etwas neckisch der leichtfüßig über den Stolperweg nebenher tänzelnde Sisay seiner Schulkollegin Alem zu, als diese gemeinsam den langen Weg von der Schule nach Hause gingen. Wie immer hatte Alem auch heute wieder jedes Holzästchen, das sie auf dem Nachhauseweg erblickte, aufgelesen und klemmte es unter ihren linken Arm, unter dem rechten Arm die Schulhefte in losem Bündel. Schon seit 10 Jahren hatten sie den gemeinsamen Schulweg, teilweise mit Kindern der Nachbarschaft, nur den letzten Teil ihres Weges gingen sie beide allein. Alem und Sisay genossen diese vertraute Wegstrecke. Nie verlegen um Konversation erzählten sie sich ihre zwar ohnehin schon bekannten Familien- und Erlebnisgeschichten immer wieder, einfach das, was in ihrer kleinen Welt passierte. Sisay, eines der Kinder aus dem benachbarten Kral, war mit seinen 15 Jahren ein aufgeweckter, durch strenggläubige Erziehung anständiger Bursche. Sein zartgliedriger Körper war von der vielen Arbeit und den langen Märschen zur Schule und das Viehhüten athletisch und ein krauses, schwarzes Haar verlieh ihm ein stattliches Ansehen.

„Du kannst mir die Sachen auch so tragen, ich habe dir schon viel geholfen und Wasser geben wir euch auch immer wieder, weil du zu faul bist, selbst welches zu holen“, entgegnete ihm Alem recht selbstbewusst und bestimmt. Gleichaltrig wie Sisay war Alem nicht mehr das kleine Mädchen, das nur gehorchte und sich duckte. Nein, sie war gereift und an der Schwelle vom Kind zur jungen Frau und da galt es, sich abzugrenzen und – bei allem Respekt vor der männlichen Dominanz – die eigene Meinung zu sagen.

„Nun, so gib mir deine Sachen“, lenkte Sisay ein und nach wenigen Minuten erreichten sie den Kral von Alem, wo sie sich blick- und formlos voneinander verabschiedeten und Sisay noch weitere 15 Minuten allein nach Hause ging.

Die in den gemeinsamen Schuljahren gewachsene Vertrautheit zwischen Alem und Sisay glich anfänglich derjenigen guter Kollegen, ja fast Geschwister. Doch mit den Jahren erwuchs eine innere Verbindung, die sich zu einer vertrauten Zuneigung entwickelte und in beiden das Verlangen nach dem andern nährte. Doch darüber wurde nie gesprochen und jede Annäherung hätte einem Bruch mit der so hochgehaltenen Tradition entsprochen. Das hätte sich nicht gehört! Es verband die beiden die familiäre Nachbarschaft, die tiefe Armut beider Bauernfamilien, das Aufeinander-angewiesen-Sein, das sich Aufeinander-verlassen-Können, das gemeinsame Feiern der religiösen Feiertage, das Teilen von Ochsen zum Pflügen, das Teilen von Wasser, das sich in Not gegenseitige Helfen und auch das miteinander Trauern, wenn wieder einmal ein Kind oder ein Großelternteil starb.

Für Alem endete mit dem 10. Schuljahr ihre Ausbildung. Ihr Los war die Hausarbeit aus dem immer gleichen Ritual von kochen, Brot (Injera, das äthiopische Fladenbrot) backen, Wasser tragen, Holz sammeln, waschen unten am Fluss, auf Geschwister aufpassen, Kuh-Dung sammeln und trocknen, Mithilfe beim Getreide schneiden und Körner mörsern, den Brüdern mit dem Vieh behilflich sein und dem morgendlichen langen Marsch mit der Mutter zum Gebet in der Kirche.

Normalerweise besuchten sie die einfache Bergkirche, die nach etwa 30 Minuten Fußmarsch zu erreichen war. Nur an speziellen kirchlichen Feiertagen, vor allem aber an Timkat, dem höchsten Kirchenfest (Tauffest) der äthiopisch christlich-orthodoxen Kirche, hieß es, den langen Weg zur Provinzhauptstadt unter die Füße zu nehmen und dort in der schönen Kathedrale diesen Tag in Gemeinschaft mit Tausenden zu feiern. Seit Kindheit war dies für Alem das schönste der Feste und sie fieberte jeweils schon lange vorher darauf hin, wieder Teil dieser Christengemeinschaft zu sein. Alle Frauen in ihren frisch gewaschenen Festtagsgewändern, mit denen sie sich von Kopf bis Fuß in Weiß bedeckten, auch die Männer mit ihren weißen Umhängen, das Umschlagtuch meist zu kunstvollen Turbanen gewickelt, die den Männern ein so würdiges Aussehen verleihen. Und dann die Priester mit ihren brokatgeschmückten farbigen Umhängen, mit ihren Kronen und Kreuzen, die sie trugen, teilweise dabei die Trommeln schlugen und immer wieder Choralgesänge zur Ehrung Gottes sangen. All dies war zauberhaft für Alem und tief beeindruckend. In der Kirche lagen Teppiche am Boden und die Wände waren mit Malereien verziert. Diese alt-biblischen Darstellungen gruben sich tief in Alems Bewusstsein ein: etwa die Engel, die dem gütigen Gottvater-Gesicht entgegen schwebten. Engel zu sehen? Das konnte man zu Hause nicht, da gab es nur die Vögel, die fliegen konnten. Dann aber auch grausame Darstellungen von der Verdammnis, der Hölle. Auch einmal in eine solche Situation zu geraten, war für Alem unvorstellbar und bei jedem Anblick schwor sie sich, gewiss ein gutes Leben führen zu wollen, um niemals in solchem Verderben schmachten zu müssen. Bei diesen Kirchenbesuchen festigte sich in Alem die Gewissheit, dass alles Leben von Gott gelenkt wird. Dass Er den Lebensweg bestimmt und dass Er es in Händen hat, die Zukunft zu lenken. Ja, schon im kindlichen Alter festigte sich in Alem die Überzeugung, dass es im Leben das Gute und aber auch das Böse gibt. Nichts weiter, nichts dazwischen. Dieses christliche Weltbild prägt seither Alems Denken, Fühlen und Tun.

Sisay hatte die Chance, zwei weitere Jahre zur Schule gehen zu dürfen, bis er 12. Graduate war. Zwar hatte der lange Schulweg auf dem Pfad, auf dem schon die Ahnen den Weg ins Dorf gingen, viel an Freude verloren, seit er ohne Alems Begleitung war. Doch er war stolz, zu den wenigen zu gehören, die weiter zur Schule gehen durften. Die Zeit vor und nach der Schule galt der Erledigung seiner Pflichten, der Sorge um die wenigen Tiere. Ziege melken, Kuh und Kalb zur Wasserstelle führen. Dabei galt es stets zu schauen, dass es irgendwo ein Büschel Gras oder Zweige von Sträuchern und Bäumen als Nahrung für die Kuh gibt. Nach dem frühen Einbruch der Nacht galt es dann noch, den Kral abzuschreiten und sicher zu stellen, dass nicht irgendwo ein Loch im Dornenzaun einem Wüstenfuchs oder gar einer Hyäne nachts Durchgang böte, um sich zum Lehmhäuschen der Hühner zu schleichen. Auch Sisays Familie war streng gläubig und so galten gelegentliche Kirchenbesuche auch den männlichen Familienmitgliedern. Was Sisay dabei besonders in den Bann zog, waren die Priester. Diese äußerst einfach lebenden, eine große Würde, Ruhe, Sicherheit und Festigkeit ausstrahlenden Männer waren ihm Vorbild und verliehen ihm eine innere Kraft. Hingebungsvoll und ehrerbietig küsste er mit Inbrunst deren Kreuz, in der Gewissheit, dass ihm dadurch alle Verfehlungen vergolten und der Zukunftssegen sicher sei. Diese Innigkeit blieb auch den Priestern nicht verborgen, sie ermunterten ihn immer wieder, doch noch mehr für die Kirche zu tun. Das sollte sich später ergeben.



Zartes Glück der Liebe


„Food for Work“ (Lebensmittelhilfe gegen Arbeitsleistung) nennt sich jenes staatliche Programm, das Bauern verpflichtet, Freiwilligenarbeit zu leisten, wenn sie in den Genuss von ausländischer Nahrungsmittelhilfe kommen wollen. In Gemeinschaftsarbeit werden so Wege gebaut, Hügel und Berghänge terrassiert, um das Überschwemmen der Felder während der Regenzeit zu verhindern, oder das Ausgraben von großen Teichen, um während der Regenzeit Wasser aufzufangen.

Auch die Eltern von Sisay und Alem beteiligten sich an dieser Arbeit, um die Ernährung ihrer Familien mit dem als Kompensation erhaltenen Getreide und Öl überhaupt zu ermöglichen. Während einer Verschnaufpause setzten sich die beiden Elternpaare von Sisay und Alem zusammen an einen Busch, teilten sich Wasser, einige Bohnenkerne und setzten Gespräche fort, die sie schon öfters ansatzweise, doch noch nie zum Ziele führend hatten. „Warum soll die Verheiratung unserer Kinder am traditionellen Brautpreis scheitern?“, begehrte Alems Mutter, Tigist, auf! „Was bringt es, wenn wir unser Schaf gegen eure Ziege tauschen? Wie lange sollen die Kinder noch warten? Wir sind nun mal arm und wir haben nichts, das wir uns gegenseitig geben könnten. Wir wissen aber, dass die beiden eine tiefe Liebe zueinander empfinden und gewiss ein gutes Paar abgeben werden. Und gemeinsam werden wir auch genügend Esswaren zusammenbringen, um die Hochzeit mit einem kleinen Familienfest zu begehen. Das einzige Problem sind neue Kleider, welche das Hochzeitspaar benötigt. Doch wenn wir die Hochzeit auf Januar verlegen, dann können wir etwas vom Getreide verkaufen und beim Schneider etwas Stoff kaufen. Und für das Schneidern werden wir ihm nach der Ernte etwas Korn geben.“ Alle Beteiligten waren froh, so bestimmt vorgebrachte Vorschläge diskutieren zu können. Es schien sich also eine Lösung abzuzeichnen. Doch dann brachte Sisays Vater, Gebrewahid, das Gespräch auf die für das Brautpaar zu bauende Hütte. „Hinten im Wadi, gleich neben dem großen Felsen und etwas oberhalb des kleinen Bächleins, wäre ein schöner Platz, wo wir den beiden eine Hütte erstellen könnten. Das wäre nicht allzu weit von uns entfernt, sie könnten dort die halben Hektare Land nutzen, welches uns vom Dorfältesten schon vor Längerem für unsere Kinder zugesprochen wurde. Die Steine für den Hüttenbau können wir aus dem Fels rausschlagen und für das Dach müssen wir halt jetzt schon beginnen, einige dickere Äste des harten Kossobaums zu sammeln. Und wenn wir uns bald einig werden, können wir schon in der kommenden Regenzeit etwas Zweige vom Kontir-Dornbusch um den Kral einpflanzen, damit dort ein Zaun wächst und das Haus geschützt ist.“ „Wir müssen wieder!“, forderte Tigist auf – und beendete damit die Diskussion. Es war aber allen klar, dass man nun wusste, wie es weitergehen sollte. Wie üblich in der kleinen Erlebniswelt im abgelegenen Tigray wurde die anstehende Hochzeit noch oft diskutiert, besprochen, geschwätzig abgewogen, ja es gab eine Fülle von Gesprächsstoff, der in den folgenden Wochen das Leben dieser beiden Familien auf schöne Art belebte. Bald auch schon begann man, gemeinsam Steine zu sammeln, sie zurecht zu schlagen und als die Ernte fertig und das Getreide gedroschen war, begannen die beiden Väter der Brautleute, das künftige Haus zu bauen. Ein Steinhaus mit weniger Quadratmetern Fläche, eine Öffnung als Türeingang, den Boden mit lehmigem Sand glattgestrichen und das Dach nach traditioneller Bauart mit Holz und Steinen bedeckt und darüber etwas Humus gestreut, damit dort mit der Zeit Pflanzen Wurzeln schlagen und mit ihrem Wurzelwerk die Sonneneinstrahlung dämmen.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Die Frau des Wanderpredigers

Gerhard Schmidberger

Die Oama-Bauern und ihre Familien

Buchbewertung:
*Pflichtfelder