Der Professor und das Du

Der Professor und das Du

G´schichten aus dem WSH

Fips Huber


EUR 23,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 178
ISBN: 978-3-903861-18-3
Erscheinungsdatum: 26.01.2021

Leseprobe:

Einleitung

In einem 38-jährigen Lehrer- und Erzieherdasein erlebt man einiges. Und so konnte ich bei vielen Gelegenheiten im Unterricht oder im Internat alle möglichen Geschichten erzählen. Immer öfter fragten mich Schüler oder auch LehrerkollegInnen, warum ich nicht ein Buch darüber schreibe. Schließlich habe ich diverse Episoden aus meiner Erinnerung gekramt, kleinere Geschichten, nur grob geordnet und deshalb nicht notwendigerweise von vorne nach hinten zu lesen. Und hier ist nun das Ergebnis.
Für das Verständnis mancher Episode ist vielleicht vorerst eine kurze Vorstellung „meiner“ Schule hilfreich:
Das Werkschulheim Felbertal (kurz: WSH) ist ein Gymnasium mit zusätzlicher Handwerksausbildung in der Oberstufe (5.–9. Klasse = Sekundarstufe II) sowie einem Internat. Aus dieser Konstellation (WerkSchulHeim) entwickelt sich im Laufe der Jahre ein ganz besonderes Naheverhältnis zwischen LehrerInnen/ErzieherInnen und den Schülerinnen und Schülern, das nicht selten zu Freundschaften weit über die Schulzeit hinaus führt.
Für genauere Informationen über die Schule bzw. deren Gründung und Entwicklung verweise ich auf die Schulhomepage (www.werkschulheim.at) und auf Bücher des Gründers sowie einer (Ex-)Kollegin:
Alexej M. Stachowitsch: Schule – ein Abenteuer, bzw. Ingrid Urschler: Geschichten aus dem Felbertal, beide Verlag für Kommunikation Helmut Guggenberger, 2001
Zwecks Anonymisierung habe ich alle handelnden Schüler nach ihrem Alter entweder Maxi (1.–3. Klasse, also 11- bis 13-jährig), Maxl (4.–6. Klasse) oder Max (7.–9. Klasse) genannt. Ein eventuell auftretender zweiter Schüler heißt dann folgerichtig natürlich Moritz. Da das Mädcheninternat noch relativ jung ist, kommen in den Geschichten auch dementsprechend wenige Mädchen vor. Im Bedarfsfall heißen sie Susi. Erwachsene wurden mit (falschen) Initialen bezeichnet. Für einige wenige notwendige Ausnahmen habe ich selbstverständlich die ausdrückliche Genehmigung der Betroffenen eingeholt.
Dieses Buch soll vor allem meiner Freude an der jahrelangen „Arbeit“ mit Jugendlichen Ausdruck verleihen, manchen (ehemaligen) Schülern Erinnerungen auffrischen und an (hoffentlich) schöne Zeiten erinnern. Es soll aber auch engagierten jungen Kolleginnen und Kollegen Mut machen, sich nicht durch (teilweise immer praxisfernere) Gesetze und Bestimmungen ihre Motivation nehmen zu lassen. Es zahlt sich aus.
Und nun viel Freude beim Schmökern! Möge dem Leser oder der Leserin auch das eine oder andere Lächeln entlockt werden!



Schule und Unterricht

Mein erstes Jahr an der Schule

Meine pädagogische Laufbahn begann ich „schief“, das heißt, ich stieg nach dem Studium im Sommersemester ins sogenannte Probejahr ein. Dazu meldete ich mich in dem mir zugewiesenen öffentlichen Gymnasium, wo bereits ein weiterer „Anfänger“ vor der Direktionskanzlei wartete.
Nach den Sommerferien rief mich der Direktor zu sich und teilte mir mit, dass eine Privatschule nicht weit von der Stadt einen Lehrer und Internatserzieher suche. Er könne sich vorstellen, dass das für mich interessant sein könnte. Ich meldete mich telefonisch im Werkschulheim Felbertal, machte einen Vorstellungstermin aus und fuhr los. Als ich schließlich aber schon mehr als einen Kilometer durch einen Wald gefahren war, wurde ich mir immer sicherer, dass ich mich verfahren hatte. Immerhin tauchte dann ein Bauernhof auf, auf eine Schule hoffte ich schon nicht mehr. Und doch, ich war tatsächlich richtig. Auf einem Hochplateau mit herrlicher Aussicht fand ich die Schule.
Vor dem Vorstellungsgespräch traf ich zufällig wieder auf den jungen Kollegen aus der ersten Schule. Ihn hatte es ebenfalls hierher verschlagen. Nach dem Gespräch hieß es, ich möge auf einen Anruf warten. Nach zehn Tagen rief ich selbst an und erfuhr, dass man schon sehnsüchtig auf mich wartete. Und so ging es – etwas verspätet – doch noch los.
Mit 1. März 2020 wurde ich „in den Ruhestand getreten“ (das Passiv/die „Leideform“ ist nicht ganz unbeabsichtigt), genau einen Monat nach meinem „pädagogischen Zwilling“. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Gerade zwei Wochen später wurde die Schule geschlossen. Anscheinend ging es ohne mich nicht. Manche behaupteten tatsächlich, die Corona-Pandemie sei dafür verantwortlich gewesen, also war ich doch nur scheinbar der Grund. Wie auch immer.
Als ich damals ins Werkschulheim kam, fiel mir als Erstes der kameradschaftliche Umgang zwischen Lehrern/Erziehern und Schülern auf. Die Schüler sprachen den Lehrer oder die Lehrerin mit Namen an, manchmal sogar mit Vornamen, weit und breit kein Herr oder Frau Professor wie an meiner Vorgängerschule.
Ich erkundigte mich selbstverständlich danach und erfuhr, dass sich das aus der Geschichte entwickelt hatte und der Erzieher mit seiner zwölfköpfigen Gruppe eine familienähnliche Struktur bildet (und in den Familien sagt auch schon lange kein Kind mehr „Herr Vater“). Und da jeder Erzieher auch Lehrer an der Schule ist, gibt es auch keinen „Herrn ’fessa“. Das Du jedoch ist keine Selbstverständlichkeit und wird vom Lehrer/Erzieher – wenn er die Zeit gekommen sieht und das Vertrauensverhältnis passt – seinen Schülern angeboten (damals hatte noch kein Möbelhaus das „schwedische Du“ eingeführt, das heute in jedem zweiten Lokal üblich ist).
Die zweite Hälfte meines Probejahrs verlief problemlos, mir machte das Unterrichten von Anfang an Spaß. Und auch meine „einführenden Lehrer“ unterstützten mich bestens. Nur am Schluss des Probejahrs, beim Lehrauftritt in Mathematik, bekam ich noch leise Zweifel. Ich hatte, wie vorgeschrieben, eine ausführliche Stundenvorbereitung für meine Mathematikstunde geschrieben (und auch abgegeben), merkte jedoch schon nach kurzer Zeit, dass sich die Stunde ganz anders entwickelte. Die Schüler taten interessiert mit und fragten auch immer wieder nach, und so lief eine Stunde ab, die mit der Vorbereitung relativ wenig zu tun hatte. Trotzdem hatte ich nach der Stunde grundsätzlich ein gutes Gefühl, allerdings musste mein Einführender ja eine schriftliche Gesamtbeurteilung abgeben. Und dieser schrieb: „… ist in der Lage, sich bei Bedarf vom Konzept zu lösen und auf Fragen und Probleme der Schüler einzugehen.“
Das Jahr war gerettet, zumindest was das Schulische betraf. Da war ja auch noch das Internat (siehe dort!).



Der Professor und das Du

Wenige Jahre später – ich hatte „meine“ Klasse (von wohlgesinnten Kolleginnen und Kollegen als „aufgeweckt“ bezeichnet) in Mathematik und als Klassenvorstand übernommen – wurde die Stelle des Landesschulinspektors am Landesschulrat neu besetzt.
Der neue Landesschulinspektor hatte wohl von den „Zuständen“ in dieser Schule in den Bergen gehört und kam zu einem Besuch (wohl eher zu einer Inspektion). Als ihn ein Schüler freundlich grüßte, ihn dabei aber als Herr H. bezeichnete, kam es zu einem Donnerwetter, der Schüler habe ihn gefälligst mit allen Titeln anzusprechen.
In Folge der Inspektion wurde uns bei einer einberufenen Konferenz nicht nur mitgeteilt, dass in der Schule Trainingsanzüge für Sportlehrer oder auch Jeans unpassend seien („Bei Müller-Wipperfürth gibt es Anzughosen um unter 100 Schilling“, meinte der Inspektor), sondern es wurde auch die Weisung erteilt, uns mit „Professor“ ansprechen zu lassen. Das Du mit Schülern geht sowieso nicht, auch die Lehrer untereinander sollten sich mit Sie ansprechen oder höchstens mit „Du, Herr Kollege/Frau Kollegin“.
Nachdem die Personalvertretung im Ministerium nachgefragt hatte, ob diese Weisung rechtskonform sei, kam die Antwort, dass wir zwar das Recht, aber nicht die Pflicht hätten, uns mit Professor anreden zu lassen. Dies wurde dem Landesschulinspektor mitgeteilt, mit der Folge, dass dieser sich selbst für den nächsten Maturavorsitz am Werkschulheim einteilte. Und das betraf genau meine „aufgeweckte“ Maturaklasse. Für den damaligen Direktor musste diese Besetzung wie eine gefährliche Drohung gewirkt haben.
Natürlich sprach sich die Kunde auch bei den Schülern herum, leichte Nervosität machte sich breit. Kurz vor der Matura kamen die Schüler und fragten mich, ob sie mich bei der Matura mit Sie anreden sollten. Ich verneinte aber mit der Begründung, dass wir schon lange per Du seien. „Die Matura ist eine Prüfung, bei der wir nicht Theater spielen.“
Auch wenn alle versuchten, mich – insbesondere bei der mündlichen Matura – nicht direkt anzusprechen, um nicht zu provozieren, ein paar Mal ließ es sich nicht verhindern, und manchem rutschte das Du heraus (ohne dass dies vom Vorsitzenden bemängelt wurde).
Schlussendlich ging alles bestens über die Bühne. Der Direktor kam gegen Abend sichtlich erleichtert auf mich zu und teilte mir mit, dass der Landesschulinspektor, der schon hatte abreisen müssen, ihn gebeten hatte, dem Klassenvorstand mitzuteilen, dass er nicht nur von den Leistungen, sondern auch vom Auftreten der Kandidaten sehr beeindruckt war.
Ende gut, alles gut! Das Du und der fehlende „Professor“ wurden nie wieder in Frage gestellt.
Einmal allerdings kamen bei mir in Bezug auf das Du nochmals Zweifel auf. Ein ehemaliger Schüler, der in meinem Anfangsjahr in der Maturaklasse gewesen war, war inzwischen Direktor eines Gymnasiums in der Stadt und als Maturavorsitzender an unserer Schule eingeteilt. Grundsätzlich sprechen sich alle „Altfelbertaler“, also ehemaligen Schüler der Schule, mit Du an, in diesem Fall war ich mir aber nicht sicher, ob das angebracht war.
Erste Besprechung mit dem Vorsitzenden, ich kam – weil ich in der dislozierten Klasse Unterricht hatte – etwas zu spät. Als ich die Tür zum Konferenzzimmer öffnete, stand der Vorsitzende vorne und sprach offensichtlich gerade. Er sah mich eintreten, unterbrach sich und meinte: „Ah, noch ein altbekanntes Gesicht! Hallo, Fips!“ (Ich hoffe, er meinte das mit dem alten Gesicht nicht allzu wörtlich!)
Meine Bedenken waren ausgeräumt, der Werkschulheimgeist hatte sich wieder einmal durchgesetzt.
Wie überzeugend das Du sein kann, zeigt auch folgende Begebenheit:
Max war immer schon ein aufgeweckter Bursch, ab der Pubertät hatte er jedoch nur noch Mädchen im Kopf. Und das fiel ihm dann auch auf denselben. Bei einem Stadtausflug sah er auf der anderen Straßenseite ein offensichtlich attraktives Mädchen und lief umgehend über die Straße. Das Auto hatte er nicht bemerkt, er landete im Spital. Dort regierte eine Oberschwester mit eiserner Hand (wie mir ein befreundeter Arzt erzählte). Niemand wagte gegen sie ein Wort, auch nicht die Ärzte. Selbstverständlich war sie auch mit niemandem per Du. Das allerdings sollte sich nun ändern. Max war das Du vom Werkschulheim gewohnt und wandte das auch weiterhin an. Anscheinend erlag die Oberschwester seinem Charme und ergab sich ihrem Schicksal.
Auf der Station war das angeblich noch lange das Gesprächsthema Nummer eins.



Sprüche aus dem Unterricht

Lehrer: „Wer will das an der Tafel machen?“
Max: „Ich will.“
Lehrer: „Bitte jemand, der sich auch auskennt.“


Großer Aufruhr in der Klasse. Ein Schüler der Maturaklasse war am Wochenende zu Hause wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Kommentar von Max: „Wer wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus fährt, der fährt auch zum Duschen in die Therme.“


Ein Lehrer hat ein größeres Kontingent Theaterkarten bekommen und fragt in der Klasse: „Wer will kostenlos ein Theater besuchen?“
Alle zeigen auf.
„Es wäre aber in eurer Freizeit.“ Alle Hände gehen wieder runter.


Wegen meiner Vorliebe für „Austrian English“ hatten mir meine Anglistikkolleginnen „verboten“, in Mathematik Englisch zu sprechen. Zwei dieser Sprüche haben es auch in die Maturazeitung geschafft:
„Please close the window, it pulls!“ und „I think I spider!“
Das sollte doch wohl jeder verstehen (zumindest, wenn er kein English Native Speaker ist)!


Wenige Wochen vor dem Semesterende:
Lehrer: „Max, wenn du noch einen Dreier willst, musst du eine Prüfung machen.“
Max: „Herr N., ich mache keine Prüfung. Glauben Sie mir, das wollen Sie genauso wenig wie ich.“


Max kommt zu spät.
Lehrer: „Warum bist du zu spät?“
Max: „Die Putzfrau ist schuld.“
Lehrer: „Bitte? Wieso das denn?“
Max: „Ich hätte jetzt nicht gerechnet, dass Sie noch weiter nachfragen.“


Ein etwas fülliger Schüler hat die letzte Stunde gefehlt. Tags darauf fragt der Klassenvorstand: „Max, wo warst du gestern?“
Max: „Beim Arzt.“
Klassenvorstand: „Was hat er gesagt?“
Max: „Schwanger im 4. Monat.“


Lehrer am Beginn der Stunde, zwei Schüler fehlen: „Was ist mit Alex los?“
Maxl: „Der ist krank!“
Lehrer: „Und was ist mit Berni?“
Maxl: „Der ist wirklich krank!“


Max im Psycho-Unterricht: „Erleben Männer und Frauen den Krieg unterschiedlich?“
Lehrer: „Ja, die Männer gehen drauf, die Frauen zahlen drauf!“

Einleitung

In einem 38-jährigen Lehrer- und Erzieherdasein erlebt man einiges. Und so konnte ich bei vielen Gelegenheiten im Unterricht oder im Internat alle möglichen Geschichten erzählen. Immer öfter fragten mich Schüler oder auch LehrerkollegInnen, warum ich nicht ein Buch darüber schreibe. Schließlich habe ich diverse Episoden aus meiner Erinnerung gekramt, kleinere Geschichten, nur grob geordnet und deshalb nicht notwendigerweise von vorne nach hinten zu lesen. Und hier ist nun das Ergebnis.
Für das Verständnis mancher Episode ist vielleicht vorerst eine kurze Vorstellung „meiner“ Schule hilfreich:
Das Werkschulheim Felbertal (kurz: WSH) ist ein Gymnasium mit zusätzlicher Handwerksausbildung in der Oberstufe (5.–9. Klasse = Sekundarstufe II) sowie einem Internat. Aus dieser Konstellation (WerkSchulHeim) entwickelt sich im Laufe der Jahre ein ganz besonderes Naheverhältnis zwischen LehrerInnen/ErzieherInnen und den Schülerinnen und Schülern, das nicht selten zu Freundschaften weit über die Schulzeit hinaus führt.
Für genauere Informationen über die Schule bzw. deren Gründung und Entwicklung verweise ich auf die Schulhomepage (www.werkschulheim.at) und auf Bücher des Gründers sowie einer (Ex-)Kollegin:
Alexej M. Stachowitsch: Schule – ein Abenteuer, bzw. Ingrid Urschler: Geschichten aus dem Felbertal, beide Verlag für Kommunikation Helmut Guggenberger, 2001
Zwecks Anonymisierung habe ich alle handelnden Schüler nach ihrem Alter entweder Maxi (1.–3. Klasse, also 11- bis 13-jährig), Maxl (4.–6. Klasse) oder Max (7.–9. Klasse) genannt. Ein eventuell auftretender zweiter Schüler heißt dann folgerichtig natürlich Moritz. Da das Mädcheninternat noch relativ jung ist, kommen in den Geschichten auch dementsprechend wenige Mädchen vor. Im Bedarfsfall heißen sie Susi. Erwachsene wurden mit (falschen) Initialen bezeichnet. Für einige wenige notwendige Ausnahmen habe ich selbstverständlich die ausdrückliche Genehmigung der Betroffenen eingeholt.
Dieses Buch soll vor allem meiner Freude an der jahrelangen „Arbeit“ mit Jugendlichen Ausdruck verleihen, manchen (ehemaligen) Schülern Erinnerungen auffrischen und an (hoffentlich) schöne Zeiten erinnern. Es soll aber auch engagierten jungen Kolleginnen und Kollegen Mut machen, sich nicht durch (teilweise immer praxisfernere) Gesetze und Bestimmungen ihre Motivation nehmen zu lassen. Es zahlt sich aus.
Und nun viel Freude beim Schmökern! Möge dem Leser oder der Leserin auch das eine oder andere Lächeln entlockt werden!



Schule und Unterricht

Mein erstes Jahr an der Schule

Meine pädagogische Laufbahn begann ich „schief“, das heißt, ich stieg nach dem Studium im Sommersemester ins sogenannte Probejahr ein. Dazu meldete ich mich in dem mir zugewiesenen öffentlichen Gymnasium, wo bereits ein weiterer „Anfänger“ vor der Direktionskanzlei wartete.
Nach den Sommerferien rief mich der Direktor zu sich und teilte mir mit, dass eine Privatschule nicht weit von der Stadt einen Lehrer und Internatserzieher suche. Er könne sich vorstellen, dass das für mich interessant sein könnte. Ich meldete mich telefonisch im Werkschulheim Felbertal, machte einen Vorstellungstermin aus und fuhr los. Als ich schließlich aber schon mehr als einen Kilometer durch einen Wald gefahren war, wurde ich mir immer sicherer, dass ich mich verfahren hatte. Immerhin tauchte dann ein Bauernhof auf, auf eine Schule hoffte ich schon nicht mehr. Und doch, ich war tatsächlich richtig. Auf einem Hochplateau mit herrlicher Aussicht fand ich die Schule.
Vor dem Vorstellungsgespräch traf ich zufällig wieder auf den jungen Kollegen aus der ersten Schule. Ihn hatte es ebenfalls hierher verschlagen. Nach dem Gespräch hieß es, ich möge auf einen Anruf warten. Nach zehn Tagen rief ich selbst an und erfuhr, dass man schon sehnsüchtig auf mich wartete. Und so ging es – etwas verspätet – doch noch los.
Mit 1. März 2020 wurde ich „in den Ruhestand getreten“ (das Passiv/die „Leideform“ ist nicht ganz unbeabsichtigt), genau einen Monat nach meinem „pädagogischen Zwilling“. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Gerade zwei Wochen später wurde die Schule geschlossen. Anscheinend ging es ohne mich nicht. Manche behaupteten tatsächlich, die Corona-Pandemie sei dafür verantwortlich gewesen, also war ich doch nur scheinbar der Grund. Wie auch immer.
Als ich damals ins Werkschulheim kam, fiel mir als Erstes der kameradschaftliche Umgang zwischen Lehrern/Erziehern und Schülern auf. Die Schüler sprachen den Lehrer oder die Lehrerin mit Namen an, manchmal sogar mit Vornamen, weit und breit kein Herr oder Frau Professor wie an meiner Vorgängerschule.
Ich erkundigte mich selbstverständlich danach und erfuhr, dass sich das aus der Geschichte entwickelt hatte und der Erzieher mit seiner zwölfköpfigen Gruppe eine familienähnliche Struktur bildet (und in den Familien sagt auch schon lange kein Kind mehr „Herr Vater“). Und da jeder Erzieher auch Lehrer an der Schule ist, gibt es auch keinen „Herrn ’fessa“. Das Du jedoch ist keine Selbstverständlichkeit und wird vom Lehrer/Erzieher – wenn er die Zeit gekommen sieht und das Vertrauensverhältnis passt – seinen Schülern angeboten (damals hatte noch kein Möbelhaus das „schwedische Du“ eingeführt, das heute in jedem zweiten Lokal üblich ist).
Die zweite Hälfte meines Probejahrs verlief problemlos, mir machte das Unterrichten von Anfang an Spaß. Und auch meine „einführenden Lehrer“ unterstützten mich bestens. Nur am Schluss des Probejahrs, beim Lehrauftritt in Mathematik, bekam ich noch leise Zweifel. Ich hatte, wie vorgeschrieben, eine ausführliche Stundenvorbereitung für meine Mathematikstunde geschrieben (und auch abgegeben), merkte jedoch schon nach kurzer Zeit, dass sich die Stunde ganz anders entwickelte. Die Schüler taten interessiert mit und fragten auch immer wieder nach, und so lief eine Stunde ab, die mit der Vorbereitung relativ wenig zu tun hatte. Trotzdem hatte ich nach der Stunde grundsätzlich ein gutes Gefühl, allerdings musste mein Einführender ja eine schriftliche Gesamtbeurteilung abgeben. Und dieser schrieb: „… ist in der Lage, sich bei Bedarf vom Konzept zu lösen und auf Fragen und Probleme der Schüler einzugehen.“
Das Jahr war gerettet, zumindest was das Schulische betraf. Da war ja auch noch das Internat (siehe dort!).



Der Professor und das Du

Wenige Jahre später – ich hatte „meine“ Klasse (von wohlgesinnten Kolleginnen und Kollegen als „aufgeweckt“ bezeichnet) in Mathematik und als Klassenvorstand übernommen – wurde die Stelle des Landesschulinspektors am Landesschulrat neu besetzt.
Der neue Landesschulinspektor hatte wohl von den „Zuständen“ in dieser Schule in den Bergen gehört und kam zu einem Besuch (wohl eher zu einer Inspektion). Als ihn ein Schüler freundlich grüßte, ihn dabei aber als Herr H. bezeichnete, kam es zu einem Donnerwetter, der Schüler habe ihn gefälligst mit allen Titeln anzusprechen.
In Folge der Inspektion wurde uns bei einer einberufenen Konferenz nicht nur mitgeteilt, dass in der Schule Trainingsanzüge für Sportlehrer oder auch Jeans unpassend seien („Bei Müller-Wipperfürth gibt es Anzughosen um unter 100 Schilling“, meinte der Inspektor), sondern es wurde auch die Weisung erteilt, uns mit „Professor“ ansprechen zu lassen. Das Du mit Schülern geht sowieso nicht, auch die Lehrer untereinander sollten sich mit Sie ansprechen oder höchstens mit „Du, Herr Kollege/Frau Kollegin“.
Nachdem die Personalvertretung im Ministerium nachgefragt hatte, ob diese Weisung rechtskonform sei, kam die Antwort, dass wir zwar das Recht, aber nicht die Pflicht hätten, uns mit Professor anreden zu lassen. Dies wurde dem Landesschulinspektor mitgeteilt, mit der Folge, dass dieser sich selbst für den nächsten Maturavorsitz am Werkschulheim einteilte. Und das betraf genau meine „aufgeweckte“ Maturaklasse. Für den damaligen Direktor musste diese Besetzung wie eine gefährliche Drohung gewirkt haben.
Natürlich sprach sich die Kunde auch bei den Schülern herum, leichte Nervosität machte sich breit. Kurz vor der Matura kamen die Schüler und fragten mich, ob sie mich bei der Matura mit Sie anreden sollten. Ich verneinte aber mit der Begründung, dass wir schon lange per Du seien. „Die Matura ist eine Prüfung, bei der wir nicht Theater spielen.“
Auch wenn alle versuchten, mich – insbesondere bei der mündlichen Matura – nicht direkt anzusprechen, um nicht zu provozieren, ein paar Mal ließ es sich nicht verhindern, und manchem rutschte das Du heraus (ohne dass dies vom Vorsitzenden bemängelt wurde).
Schlussendlich ging alles bestens über die Bühne. Der Direktor kam gegen Abend sichtlich erleichtert auf mich zu und teilte mir mit, dass der Landesschulinspektor, der schon hatte abreisen müssen, ihn gebeten hatte, dem Klassenvorstand mitzuteilen, dass er nicht nur von den Leistungen, sondern auch vom Auftreten der Kandidaten sehr beeindruckt war.
Ende gut, alles gut! Das Du und der fehlende „Professor“ wurden nie wieder in Frage gestellt.
Einmal allerdings kamen bei mir in Bezug auf das Du nochmals Zweifel auf. Ein ehemaliger Schüler, der in meinem Anfangsjahr in der Maturaklasse gewesen war, war inzwischen Direktor eines Gymnasiums in der Stadt und als Maturavorsitzender an unserer Schule eingeteilt. Grundsätzlich sprechen sich alle „Altfelbertaler“, also ehemaligen Schüler der Schule, mit Du an, in diesem Fall war ich mir aber nicht sicher, ob das angebracht war.
Erste Besprechung mit dem Vorsitzenden, ich kam – weil ich in der dislozierten Klasse Unterricht hatte – etwas zu spät. Als ich die Tür zum Konferenzzimmer öffnete, stand der Vorsitzende vorne und sprach offensichtlich gerade. Er sah mich eintreten, unterbrach sich und meinte: „Ah, noch ein altbekanntes Gesicht! Hallo, Fips!“ (Ich hoffe, er meinte das mit dem alten Gesicht nicht allzu wörtlich!)
Meine Bedenken waren ausgeräumt, der Werkschulheimgeist hatte sich wieder einmal durchgesetzt.
Wie überzeugend das Du sein kann, zeigt auch folgende Begebenheit:
Max war immer schon ein aufgeweckter Bursch, ab der Pubertät hatte er jedoch nur noch Mädchen im Kopf. Und das fiel ihm dann auch auf denselben. Bei einem Stadtausflug sah er auf der anderen Straßenseite ein offensichtlich attraktives Mädchen und lief umgehend über die Straße. Das Auto hatte er nicht bemerkt, er landete im Spital. Dort regierte eine Oberschwester mit eiserner Hand (wie mir ein befreundeter Arzt erzählte). Niemand wagte gegen sie ein Wort, auch nicht die Ärzte. Selbstverständlich war sie auch mit niemandem per Du. Das allerdings sollte sich nun ändern. Max war das Du vom Werkschulheim gewohnt und wandte das auch weiterhin an. Anscheinend erlag die Oberschwester seinem Charme und ergab sich ihrem Schicksal.
Auf der Station war das angeblich noch lange das Gesprächsthema Nummer eins.



Sprüche aus dem Unterricht

Lehrer: „Wer will das an der Tafel machen?“
Max: „Ich will.“
Lehrer: „Bitte jemand, der sich auch auskennt.“


Großer Aufruhr in der Klasse. Ein Schüler der Maturaklasse war am Wochenende zu Hause wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Kommentar von Max: „Wer wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus fährt, der fährt auch zum Duschen in die Therme.“


Ein Lehrer hat ein größeres Kontingent Theaterkarten bekommen und fragt in der Klasse: „Wer will kostenlos ein Theater besuchen?“
Alle zeigen auf.
„Es wäre aber in eurer Freizeit.“ Alle Hände gehen wieder runter.


Wegen meiner Vorliebe für „Austrian English“ hatten mir meine Anglistikkolleginnen „verboten“, in Mathematik Englisch zu sprechen. Zwei dieser Sprüche haben es auch in die Maturazeitung geschafft:
„Please close the window, it pulls!“ und „I think I spider!“
Das sollte doch wohl jeder verstehen (zumindest, wenn er kein English Native Speaker ist)!


Wenige Wochen vor dem Semesterende:
Lehrer: „Max, wenn du noch einen Dreier willst, musst du eine Prüfung machen.“
Max: „Herr N., ich mache keine Prüfung. Glauben Sie mir, das wollen Sie genauso wenig wie ich.“


Max kommt zu spät.
Lehrer: „Warum bist du zu spät?“
Max: „Die Putzfrau ist schuld.“
Lehrer: „Bitte? Wieso das denn?“
Max: „Ich hätte jetzt nicht gerechnet, dass Sie noch weiter nachfragen.“


Ein etwas fülliger Schüler hat die letzte Stunde gefehlt. Tags darauf fragt der Klassenvorstand: „Max, wo warst du gestern?“
Max: „Beim Arzt.“
Klassenvorstand: „Was hat er gesagt?“
Max: „Schwanger im 4. Monat.“


Lehrer am Beginn der Stunde, zwei Schüler fehlen: „Was ist mit Alex los?“
Maxl: „Der ist krank!“
Lehrer: „Und was ist mit Berni?“
Maxl: „Der ist wirklich krank!“


Max im Psycho-Unterricht: „Erleben Männer und Frauen den Krieg unterschiedlich?“
Lehrer: „Ja, die Männer gehen drauf, die Frauen zahlen drauf!“
4 Sterne
Kurzweiliges Lesevergnügen, besonders für Insider - 05.03.2021
Petz

Heitere aber auch durchaus ernstzunehmende Anekdoten aus einem langen Lehrer und Erzieherleben. Es ist eine Freude in diese Welt einzutauchen. Für mich als WSH Absolventen der 60er Jahre ist es schön zu sehen, wohin sich die Schule nach durchaus turbulenten Jahren entwickelt hat. Ein Stern Abzug muß ich für die Vermaxung aller Schüler abziehen, das stört das Lesen und aus dem Unterbewußtsein meldet sich ständig die Erkenntnis: „Was schon wieder der…“ und stört den Lesefluss. Es sind ja nicht viele Namen, da hätte die eine oder andere Einverständniserklärungen wohl manchen stolz gemacht. Individuelle Fantasienamen wären auch übersichtlicher. Ich fand mich im Buch von Ingrid (Dr.Urschler) mit meinem Spitznamen erwähnt und habe mich darüber sehr gefreut.

5 Sterne
Nostalgie - 20.02.2021
Clemens Treul

Habe das Buch sofort bestellt und in einem Satz gelesen. Wenn ich bloß damals die Klassenlektüren genauso schnell gelesen hätte! ;-) So talentfrei ich in Mathe auch war, dein Unterricht war von allen der unterhaltsamste!Danke Fips für deine spannenden und recht amüsanten G'schichten und dass du uns damit die Zeit nochmal durchleben lässt!

5 Sterne
Geschichten die das Leben schrieb - 20.02.2021
Brigitte

Viele Anekdoten aus einem langen Lehrer- bzw. Erzieherleben, manchmal ernst und manchmal zum Niederknien lustig. Durchsetzt mit Mathe-Aufgaben samt hoch kreativer Lösungen. Schade, dass die Rahmenbedinungen für Lehrer, die das Herz am rechten Fleck haben, immer schwieriger werden....

5 Sterne
Ansteckende Begeisterung - 10.02.2021
Meinhard Leitich

"Der Professor und das Du" von Fips Huber ist eine köstliche Hommage an das Werkschulheim Felbertal. Fips hat Anekdoten aus fast 40 Jahren gesammelt, ich habe beim Lesen oft herzlich gelacht. Kürzere heitere Begebenheiten und Sprüche wechseln sich ab mit ebenfalls heiteren kürzeren Erzählungen, manche davon auch wirklich berührend, alle jedoch treffen genau das Wesen des Werkschulheims und stecken an in ihrer Begeisterung für diese Schule!Und nicht zuletzt: Fips ist als scharfzüngig bekannt, in seinem Buch nimmt er natürlich anonymisiert so manchen Schüler (so manche Schülerin) oder Kollegen (Kollegin) aufs Korn, aus meiner Sicht jedoch nie verletzend!Eine Pflichtlektüre für jeden WSHler!Meinhard Leitich

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