Als es noch Abenteu(r)er gab

Als es noch Abenteu(r)er gab

Wilhelm Bolts als Handelsunternehmer und Koloniegründer zur Zeit Maria Theresias und Josephs II.

Bertrand Michael Buchmann


EUR 19,90
EUR 15,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 164
ISBN: 978-3-99131-815-6
Erscheinungsdatum: 17.01.2023
Die Lebensgeschichte des Unternehmers Wilhelm Bolts schickt die Leser auf eine abenteuerliche Seehandelsreise und zugleich auf eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert – an den Wiener Hof, nach Indien, in die Niederlande und zu immer einflussreicheren Briten.
DANKSAGUNG

an Frau Regina Bauer vom novum Verlag für die umsichtige Autorenbetreuung;
an Frau Mag. Wilma Buchinger für die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens;
an Frau Dr. Martina Wallisch-Lehner für das Auffinden von Quellen und ihre Beratung in allen nautischen Fragen;
an Herrn Mag. Bernhard Kollmann für die Cover-Gestaltung und für die Rekonstruktion des Schiffsbildes nach alten Skizzen.



EINLEITUNG

Wenn wir das abenteuerliche Leben von Wilhelm Bolts (1738-1808) aus gegenwärtiger Sicht beleuchten, so tauchen wir in fremde Welten ein, die heute, nach einem Vierteljahrtausend vielfach unverständlich erscheinen. Weder können wir uns ein Indien unter der zerbröckelnden Mogulherrschaft und dem zunehmend drückenden Einfluss der Briten vorstellen, noch sind uns die Gepflogenheiten des Wiener Hofes und der österreichischen Bürokratie vor zweieinhalb Jahrhunderten vertraut; gänzlich ungläubig stehen wir den Fährnissen einer Schifffahrt im 18. Jahrhundert gegenüber, die quer über die Weltmeere führte und oft viele Monate dauerte.

So kann aus der Lebensgeschichte eines einzelnen ebenso mutigen wie gerissenen Geschäftsmannes auf jene Strukturen und Alltagserfahrungen geschlossen werden, die sich nicht nur in London, Wien, Triest und Livorno, sondern auch in Moçambique und insbesondere in Kalkutta und Benares (Varanasi) abgespielt haben. Aus dem Hintergrund werfen weltpolitische Ereignisse wie der Siebenjährige Krieg (1757–1763) und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) ihre Schatten auf das Erleben der Menschen von damals.



1. WER WAR WILHELM BOLTS?

Wilhelm Bolts wurde am 7. Februar 1738 in Amsterdam geboren, war also von Geburt Niederländer. Seine Eltern, Sarah und Wilhelm Bolts, stammen aus Heidelberg, daher gab er sich bisweilen auch als Deutscher aus, obwohl er diese Sprache nicht beherrschte: Alle späteren Korrespondenzen mit dem Wiener Hof erfolgten auf Französisch. Niederländisch war jedenfalls seine Muttersprache. Mit 12 Jahren kam er nach England, sodass er sich später als von deutschen Eltern geborener Engländer (mit englischem Vornamen William) bezeichnete. Von 1753 bis 1754 arbeitete Wilhelm als Lehrling in einem Kaufmannsbüro, anschließend als Angestellter in der Lissabonner Niederlassung eines britischen Handelshauses, wo er sich hauptsächlich mit dem Diamantenhandel befasste. Beeindruckend ist seine Sprachbegabung, denn binnen Kurzem beherrschte er neben seiner Muttersprache auch Englisch, Portugiesisch und Französisch perfekt in Wort und Schrift, später erlernte er auch Bengali und Persisch sowie in Rudimenten sogar Suaheli. In Lissabon wurde Bolts Augenzeuge einer der schlimmsten Naturkatastrophen der Geschichte: Das Erdbeben vom Allerheiligentag, dem 1. November 1755, und der anschließende Tsunami zerstörten mehr als die Hälfte der Stadt; 30.000 von den 110.000 Einwohnern fanden den Tod. (Die Erdbebenwellen waren sogar in Wien bemerkbar, als während des Gottesdienstes im Wiener Stephansdom die Kronleuchter zu schwingen begannen, was sich damals niemand erklären konnte.). Von Bolts existiert keine Erzählung über das Geschehen, wie er es sah und wie er überlebte. Sein Hab und Gut verlor er allerdings. Vielleicht festigten sich in ihm gerade dadurch seine Abenteuerlust und die Gewissheit seiner eigenen Unantastbarkeit selbst bei größter Gefahr.

Was wissen wir von der Persönlichkeit Wilhelms? Eine treffende, wenn auch wenig schmeichelnde Personenbeschreibung gab Erzherzog-Großherzog Leopold von Toskana 1775 (der spätere Kaiser Leopold II.) ab: „Er ist ein Mann von unendlichem Talent, großer Aktivität und Lokalkenntnis der Sprachen und des Indienhandels, […]
ein geschickter, kühner Unternehmer, aber ich glaube abenteuerlustig, schwärmerisch und von dem, was er darlegt und dasselbe schreibt, weder wahrheitsliebend noch aufrichtig. […] Ich glaube, alle seine Wege dienen nur seinem eigenen Interesse.“ Damit ist über ihn eigentlich alles gesagt: hochbegabt, gewandt im Umgang mit Fürsten, mit großem Verhandlungsgeschick ausgestattet, sehr selbstbewusst, phantasiereich und nicht immer aufrichtig. Dass ihn sein subjektives Rechtsempfinden bisweilen zu einem wahren Michael Kohlhaas werden ließ, wird noch zu zeigen sein. Bemerkenswert ist jedenfalls seine Akribie, mit der er alle ihn betreffenden Verträge, Zahlungen und Bilanzen festhielt und penibel aufbewahrte.

Im November 1759 heuerte Wilhelm Bolts bei der britischen East India Company (EIC) an. Er war erst 25 Jahre alt, als er im Sommer 1760 in Kalkutta landete. Über die Geschäfte von Bolts sind wir – vor allem durch seinen Briefwechsel mit der Kompanie – besser unterrichtet als über sein Privatleben. Bekannt ist, dass er am 11. Februar 1764 die blutjunge Ann Aston heiratete. Er war 29 Jahre alt, sie angeblich erst 12 (aber in Indien heirateten die Frauen sehr früh). Über die Eltern der Braut wissen wir nichts, gewiss waren sie Briten. Die Ehe wurde in der St. John’s Chapel in Kalkutta geschlossen (die Kirche stand in den Ruinen des alten Forts William und wurde 1787 abgebrochen). Wenn die Jahresangaben stimmen, so starb Ann 1821 mit 69 Jahren in Chandernagore (Chandannagar; Stadt am Hugli-Ufer, 35 km nördl. von Kalkutta). Aus der Ehe stammt ein Sohn, John Carel Bolts, der allerdings noch vor seiner Mutter und nur ein Jahr nach seinem Vater schon 1809 starb. Er muss der Stammvater einer großen Familie gewesen sein, denn anno 1908 gab es in Bengalen 25 Nachkommen von Bolts.

Wilhelm und Ann dürften nach ihrer Hochzeit nur zwei ungestörte Ehejahre miteinander verbracht haben, und zwar in Benares (Varanasi), wohin Bolts sich 1764 versetzen ließ. Sein inzwischen offen ausgetragener Zwist mit dem EIC-Gouverneur von Bengalen (ausführlich siehe unten) führte zu einer bizarren Begebenheit: Als dieser Bolts aufforderte, nach Kalkutta zurückzukehren und Bolts sich weigerte, wurde Ann auf Befehl der EIC von einem gewissen Isaac Sage entführt und in einer Art Wohnwagen in die „Heilige Stadt“ Patna am Ganges (200 km östl. Benares) gebracht. In einem wütenden Brief vom 6. November 1766, den ihr vielleicht Bolts sogar selbst diktiert hatte, klagt sie, wie ihr als unschuldigem Opfer der Hausfrieden zerstört worden wäre. Nach diesem Schreiben verliert sich für einige Jahre die Spur von Ann. Es ist nicht bekannt, ob sie dann nach Bolts’ Rückkehr wieder zu ihm kam und ob sie bis zu seiner erzwungenen Abreise im September 1768 bei ihm geblieben war. Jedenfalls monierte Bolts, dass er durch seine Verhaftung und gewaltsame Einschiffung nach Europa „von seiner Familie“ getrennt worden wäre. Neun Jahre sahen einander die Eheleute nicht. Erst nachdem Bolts 1777 als „Generaldirektor der kaiserlichen asiatisch-Triestiner Handelskompanie“ sowie als „Oberstleutnant im Dienste der kaiserlichen Majestäten“ nach Indien zurückkehrte, wird Ann als seine Begleiterin genannt und genoss mit ihm die Gastfreundschaft des französischen Konsuls in Surat, Monsieur Anquetil de Briancourt. Ob dieses Wiedersehen auf wenige Tage beschränkt blieb oder ob Ann ihren Gemahl noch mehrmals auf seinen ausgedehnten Fahrten begleitete, ist nicht bekannt. Spätestens 1781 trennten sich Wilhelm und Ann abermals und für immer. Wovon lebten Ann und ihr Sohn? Unterstützten sie ihre Eltern? Oder hinterließ ihnen Bolts ein entsprechendes Kapital? Wir wissen es nicht. Bolts machte auch als Direktor der „Societé Impériale pour le Commerce Asiatique de Trieste et d’Anvers“ keine Anstalten, selbst noch einmal nach Indien zu fahren. Er hatte seinen Wohnsitz in Triest aufgeschlagen, reiste aber unstet zwischen Wien, Livorno, London, Paris, Antwerpen, Stockholm und Göteborg hin und her. Vielleicht hatte er in Paris versucht, ein neues Unternehmen zu gründen, das sich vermutlich abermals – so wie die gescheiterte österreichische Handelskompanie – als Konkurrent zur Britischen Ostindien-Kompanie positionieren sollte. Doch der Krieg zwischen Frankreich und England (seit 1793) machte alle Handelsgeschäfte hinfällig: Zweimal vernichtete Englands Admiral Horatio Nelson (1758-1805) die französische Flotte. Erstmals 1802 bei Abukir, das zweite Mal 1805 bei Trafalgar. Damit waren die britische Seeherrschaft und ihr Seeweg nach Indien gesichert. Gegen die überwältigende Macht der britischen Flotte, welche alle französischen Häfen blockierte und französische, aber auch neutrale Handelsschiffe kaperte, kam keine andere Nation auf. Als Napoleon 1806 die Kontinentalsperre verkündete, förderte er zwar in den europäischen Staaten die Substitutionswirtschaft (Eigenproduktion statt Import), blockierte aber den Seehandel. Unter solchen Rahmenbedingungen hätte ein französisches, von Bolts geleitetes Schifffahrtsunternehmen keine Chance gehabt.

Die Schreckensjahre der Französischen Revolution (1793-1794) dürfte Wilhelm Bolts außerhalb Frankreichs verbracht haben. Von 1800 bis 1801 weilte er in England, danach in Lissabon und ab 1805 in Paris. Dort starb er „völlig verarmt“ am 8. April 1808 in einem Krankenhaus. Er hatte ein für die damalige Zeit beachtliches Alter von 70 Jahren erreicht, was angesichts seiner gefährlichen Reisen in ungesunden Klimazonen für seine unverwüstliche Konstitution spricht. Seine Biografie verdient Beachtung, auch wenn er als Geschäftsmann und Unternehmer scheiterte. Zu seiner Zeit erregte er bisweilen großes Aufsehen, aber die Historiografie würdigt ihn heute bestenfalls als Fußnote. Gleichwohl schuf er mit seiner ethnografisch-historischen Beschreibung von Indien („Gegenwärtiger Zustand von Bengalen“, siehe unten) auch Bleibendes.



2. INNERE ZUSTÄNDE INDIENS IM 18. JAHRHUNDERT

Unter dem Begriff „Ostindien“ verstand man lange Zeit alle Länder Asiens östlich von Iran und südlich von Tibet; sie erhielten diese sehr unpräzise Bezeichnung als Gegensatz zu den von Kolumbus entdeckten „Westindischen Inseln“; zur genaueren Definition unterschied man dann „Vorderindien“, das Land südlich des Himalaya, östlich des Indus und westlich des Ganges–Brahmaputra-Deltas von dem im Osten gelegenen „Hinterindien“, zu dem auch China zählte. Im ausgehenden 18. Jahrhundert siedelten in Vorderindien bereits geschätzte 150 Millionen Menschen verschiedenster Ethnien, Sprachen und Religionen. Die Mehrzahl bildeten die Hindus – der Buddhismus war in seinem eigentlichen Mutterland schon im 7. Jahrhundert bedeutungslos geworden. Da um die Jahrtausendwende der indische Subkontinent in verschiedene Regionalreiche aufgeteilt war, gelang es immer wieder moslemischen Fürsten in das Land einzufallen und sich der sagenhaften Reichtümer zu bemächtigen. Mit der Errichtung des Sultanats von Delhi um 1200 (Dynastie der Rajputen) begann die fünfhundertjährige islamische Herrschaft über Nordindien, wobei der territorialen Zersplitterung Indiens nicht Einhalt geboten werden konnte. Mit dem Ansturm der Mongolen unter Timur Lenk (Tamerlan 1336-1405) brach 1398 das Sultanat von Delhi zusammen. Babur (1483-1530), ein Nachfahre Timur Lenks, begründete die mongolische Dynastie der „Moguln“ und schuf ab 1526 ein zusammenhängendes Kaiserreich, dem sich die meisten Maharadschas – oft gegen fürstliche Belohnung – unterstellten. Ein Großteil der Maharadschas bekannte sich zum Hinduismus, es gab aber auch Moslems unter ihnen. Großmogul (Kaiser) Akbar (1556-1605) übte sich in religiöser Toleranz, um die Machtstellung der Moslems trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit (nur etwa ein Achtel der Bevölkerung) zu sichern. Von einem seiner Nachfolger, Schah Jahan (1628-1658), stammt mit dem Taj Mahal (in Agra) das großartigste kulturelle Zeugnis jener Zeit. Dessen Sohn Aurangzeb (1658-1707) war allerdings ein religiöser Eiferer: In seiner rücksichtslosen Islamisierungspolitik ließ er Tausende Hinduheiligtümer zerstören, während er gewaltsam bis zum äußersten Süden Indiens vordrang. Doch dabei überdehnte er seine Macht, weil Revolten der kriegerischen Sikh (im Pandschab) sowie Feldzüge gegen die nicht minder kriegerischen Rajputen (heutiger Bundesstaat Rajasthan) und Marathen (heutiger Bundesstaat Maharashtra) die Finanzkraft des Reiches derart erschöpften, dass sich nach seinem Tod neue lokale Machtzentren bilden konnten. Den großen Umsturz brachte dann der persische Schah und Heerführer Nadir Schah (1688-1747): Er eroberte und plünderte im Jahr 1736 Delhi, brannte die meisten Wohnstätten nieder und ermordete einen Großteil der Einwohner. Auch ließ er den berühmten Pfauenthron und den Koh-i-Noor-Diamanten nach Persien bringen. Damit endete die unumschränkte Herrschaft der einst als unbesiegbar geltenden Moguln. Fortan fristeten sie nur mehr ein Schattendasein. Was ihnen blieb, war der großherrliche Titel, eine Pension und die Oberlehensherrschaft über die lokalen Machthaber. Das einstige Gesamtreich blieb zwar dem Namen nach bestehen, doch glich es nur mehr einem lockeren Staatenbund, in dem Anarchie und Empörung auf der Tagesordnung standen. Es begann ein eineinhalb Jahrhunderte währender allgemeiner Kriegszustand, in dem sich die lokalen Fürsten gegenseitig zerfleischten.

Die Masse der Bevölkerung Indiens hat die fast tausendjährige Knechtschaft unter fremden Eroberern groß im Dulden und Harren gemacht und hat ihr jede Hoffnung auf eine selbstständige Verbesserung des Daseins und Linderung des Leidens genommen. Aber sie hielt mit bewundernswerter Zähigkeit an ihrem alten Glauben fest und wehrte sich nicht gegen die Unfreiheit, die ihr das religiös begründete Kastenwesen aufzwang. Der durchschnittliche Inder lebte in seiner Götterwelt, er arbeitete hart, aber ineffizient, fristete sein Dasein und hoffte schicksalsergeben auf ein besseres nächstes Leben. Der Zeitzeuge Wilhelm Bolts gibt in seiner authentischen, zwar polemischen, aber zugleich wertvollen historisch-ethnografischen Darstellung „Gegenwärtiger Zustand von Bengalen“ folgende Beschreibung: „Es gibt vielleicht kein Volk der Welt, das mit so viel Duldsamkeit, Mut und Unerschrockenheit die großen Drückungen erlitten hat wie die Inder. Die Strenge und die Martern, die sie sich zur Büßung ihrer Sünden aus frommem Religionseifer freiwillig auferlegten, sind unglaublich. Zuweilen sterben sie lieber unter der Folter und lassen sich zerstückeln, als dass sie ihre verborgenen Schätze anzeigen und dadurch ihre Familien in Armut versetzen. Selbst die Frauen, die von der Welt getrennt einsam leben, […] geben Proben von Heldenmut und Unerschrockenheit […] und weihen sich freiwillig [?] dem schmerzhaften Tode: Sie verbrennen sich lebendig auf dem Grabhügel ihres Gatten. […] Alle Provinzen Bengalens schmachten unter dem Elend der Unterdrückung. […] Gesetze und Gerechtigkeit werden in diesem Lande verkannt, und die unglücklichen Inder finden nirgends einen Zufluchtsort. Sonder Zweifel würden die Ackersleute und Manufakturisten, die den größten Teil der Einwohner ausmachen, sich gern einer Regierung unterwerfen, die sie mit einiger Menschlichkeit behandelt und ihnen ein ruhiges Leben für die Früchte ihrer Arbeiten verschaffte.“

Das könnte ihnen auch gefallen :

Als es noch Abenteu(r)er gab

Dieter von Herz

Westallee 1950

Buchbewertung:
*Pflichtfelder