Fünfundvierzig Jahre Adria und Mittelmeer

Fünfundvierzig Jahre Adria und Mittelmeer

Ein Seglertraum

Alfred Gruber


EUR 18,90
EUR 15,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 346
ISBN: 978-3-99131-267-3
Erscheinungsdatum: 13.04.2022
Der leidenschaftliche Hobbysegler Alfred Gruber gibt mit seinem Werk einen liebevollen Einblick in die Welt des Segelns und entführt die Leserschaft mit seiner „Santorin“ auf unvergessliche Segeltörns in den adriatischen und mediterranen Raum.
1. Kapitel
Wen eine Sehnsucht treibt,
der erreicht sein Ziel!

Normalerweise wird einer Landratte nicht an der Wiege gesungen, den größten Teil ihrer Freizeit am Wasser zu verbringen. Ich wurde 1935 in Bozen, Südtirol geboren. Nun sind die Südtiroler ja bekanntlich mehr den Bergen zugewandt. Schließlich haben sie laut dem Architekten Le Corbusier Gottes hervorragendste Architektur in Form der Dolomiten vor der Haustüre. Zudem sollen die meisten Südtiroler sich angeblich weigern, mehr als einmal pro Woche unter die Dusche zu gehen oder in eine Wanne zu steigen. Aber das hat nicht unbedingt etwas mit dem Hang zur Seefahrt zu tun. Diese spielt sich ja am und nicht im Wasser ab.
Mit fünf Jahren wurde ich ins schöne Land Kärnten transferiert. Dank Adolf, dem „Größten“, und seinem Freund Benito. In Kärnten ist – dank den vielen Seen mit Badetemperatur im Sommer und einigen im Land verteilten Thermalbädern – ja seit jeher das „Pritscheln“ angesagt. Trotzdem erlernte ich das Schwimmen, gemessen an den geborenen Kärntnern, erst spät, nämlich in meinem 14. Lebensjahr und nachdem ich dreimal fast abgesoffen und ertrunken wäre.
Etwas ganz anderes war mein Basteltrieb. Unzählige Rindenschiffchen, die mitilfe meines Taschenmessers entstanden waren und die mit der Zeit immer besser gediehen, übergab ich dem nassen Element. Fast immer mussten sie auch Mast und Segel tragen. Anscheinend war dies ein ursprünglicher Trieb in mir.
Durch Zufall fiel mir einmal die kleine gedruckte Skizze eines Segelschiffes in die Hände. „Segelriss der Viermastbark Pamir“ war darunter geschrieben. Und tatsächlich standen auch die Bezeichnungen aller Segel sowie des stehenden und laufenden Gutes auf diesem Zettel.
Das war der Beginn meiner Beschäftigung mit einem Metier, das mir eigentlich nicht in die Wiege gelegt worden war – oder doch? Wie auch immer: Die Sucht, mehr über die Seefahrt unter Segeln zu erkunden, steckte mir scheinbar im Blut. Richtig besitzergreifend wurde mein Schicksal in dieser Hinsicht aber durch den Zufall zweier Begegnungen, die fast zehn Jahre auseinanderlagen.
In meinem 14. Lebensjahr bekam ich ein altes, gebrauchtes Steyr-Waffenrad geschenkt. Mein Vater hatte es von einem Arbeitskollegen erworben. Bei einem Radausflug an das Südufer des Wörthersees sah ich in Dellach bei einer Werft eine Segelyacht liegen – eine respektable Yawl! Mit einer kleinen Kajüte und dem Steuerrad an einer Kompasssäule in einer großen Plicht lag sie majestätisch an der Bootsbrücke der Werft. Meinen Begleiter, einen Schulfreund, versetzte ich mit meinem Wissen über Takelage und Besegelung ins Staunen. Er fragte mich, ob ich mir später eine solche Yacht zulegen würde. Traurig gestand ich, dass ich dazu vielleicht nie in der Lage sein würde. Das Zutrauen in die eigene Kraft war bei meiner Erziehung wohl eher nicht sehr geprägt worden.
In den Jahren nach dieser Begegnung konnte ich meine Freizeit mehr der Bestimmung eines Südtirolers gemäß nutzen. Ein Mitbewohner unseres Hauses suchte einen Bergkameraden. Er führte mich in die Welt der Bergwanderwege in den Hohen Tauern ein. So lernte ich die Gegend um Mallnitz kennen. Trotz verschiedener Arbeitsstellen, die ich in den Ferien bis zu meiner Matura hinter mich brachte, konnte ich jedes Jahr einige Touren in diesem Gebiet absolvieren und auch Freunde und Verwandte in die wunderbare Welt der Berge einführen – keine großartigen Klettertouren, aber doch jedes Jahr zwei, drei Dreitausendergipfel auf den vom Alpenverein gepflegten Klettersteigen.
Mit dem Studium begann neben dem Ernst des Lernens auch die fröhliche Zeit des freien Studentenlebens. Zu den Ballsaisonen besuchten wir eifrig die Bälle. In der Bergmannstracht, welche die Uniform unserer Alma Mater war, waren wir Leobener Studenten immer gern gesehen. Auf diese Weise, das heißt auf einem Ball, lernte ich ein Mädchen kennen, das schließlich meine Frau wurde, mit der ich nun schon seit über sechzig Jahren verheiratet bin.
Als das Frühjahr näherkam und wir uns durch einige Rendezvous besser kannten, wollte mein Herzblatt mir etwas mitteilen, wusste aber nicht recht, wie sie es mir beibringen sollte. Auf meine Frage, ob die betreffende Angelegenheit ihr peinlich oder für mich sehr verwunderlich sei, war ihre Antwort: „Nein, das nicht! Aber wir haben ein Segelboot am Wörthersee. Ich fürchte, du könntest kein Interesse an der Segelei haben. Schließlich hast du immer so begeistert von deinen Bergtouren erzählt!“ Freudig berichtete ich ihr daraufhin von meiner Leidenschaft für dieses Hobby. An diesem Abend konnte ich anhand von Fotografien nun feststellen, dass ihr Segelboot, beziehungsweise das ihres Vaters, genau die Yacht war, die ich vor beinahe zehn Jahren in Dellach am Wörthersee bewundert hatte. Ob Zufall oder herbeigesehntes Schicksal im Spiel waren, dieses zu beurteilen überlasse ich dem Leser. Jedenfalls dürfte ein Hauptgewinn in einer Lotterie eher eintreten, als so ein Zusammentreffen.



2. Kapitel
Beweis der Kenntnisse oder:
Von der Theorie zur Praxis

Meine ersten Einblicke ergaben, dass es mit einigen Dingen an Bord der Yacht nicht zum Besten stand. Vor allem die Segel waren so ziemlich am Ende ihrer Bestimmung. Das Material, zwar beste Mako‑Baumwolle, stammte noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die neuen Textilien aus Kunststoff gab es noch nicht sehr lange. Dacron war sehr teuer und für unsere Familie unerschwinglich. Dieses Material leisteten sich gerade einmal die zwei betuchtesten Mitglieder des Yachtklubs. Wir mussten uns mit geflickter Wäsche zufriedengeben, falls wir in die Saison des Jahres 1957 segeln wollten. An die Teilnahme an Wettfahrten war jedenfalls nicht zu denken.
Nun hatte mein zukünftiger Schwiegervater ein sehr gutes Lehrbuch für Matrosen zu Hause. Der Titel des Buches lautete „Decksarbeit. Ein Handbuch für Seeleute“ von Kapitän Ernst Wagner. Er gab mir das Buch mit dem Zusatz: „Damit lege ich hoffentlich die ‚Drecksarbeit‘ in bewährte Hände!“ Ich versprach ihm, seinen mir gegebenen Vertrauensvorschuss jedenfalls zu rechtfertigen.
Die Reparatur des Großsegels, das besonders mitgenommen war, beschäftigte mich in der ganzen Karwoche. Dafür ließ sich das Ergebnis sehen. Der Anblick des im Wind gespannten Segels würde einigermaßen erträglich sein. Bei den Vorsegeln und am Besansegel waren die Ausbesserungsarbeiten – Gott sei Dank – nicht so arbeitsintensiv.
Für dieselbe Saison war auch der Einbau eines neueren Hilfsmotors vorgesehen. Der alte Perl-Auhof 12 PS Motor war unbrauchbar geworden. Damals kamen am Wörthersee natürlich nur überholte PKW-Motoren infrage. Selbst die in der Werft hergestellten brandneuen Motorboote bekamen gebrauchte Motoren der damaligen sehr stark motorisierten „Ami-Schlitten“ verpasst. Für unsere Yawl hatte der Bootsbauer die Maschine eines Ford Eifel mit 34 PS besorgt. Dazu baute mein Kapitän noch einen Dynastarter – eine Kombination aus Dynamo und Startermotor – ein, der durch die Welle angetrieben wurde, aber auch umgekehrt über Batteriestrom die Welle antrieb. So konnte die Yacht mithilfe einer LKW‑Starterbatterie etwa eineinhalb Stunden geräuschlos das Wasser durchpflügen.
Ein in Kraweelbauweise beplanktes Holzschiff, welches in einem Bootsschuppen überwintert, muss zunächst wie ein Fass etwa eine Woche unter Wasser getaucht werden, damit die Planken wieder dicht werden und der Rumpf nicht mehr leckt. Auch musste der Lack am Rumpf jedes Jahr „totgeschliffen“ und danach neuer Bootslack aufgebracht werden. Erst dann wurde das Schiff endgültig zu Wasser gelassen. Danach wurden die Masten gesetzt. Es war wahrlich viel Arbeitseinsatz zu leisten, um dem Vergnügen des Segelns nachgehen zu können. Sobald die Yawl im Wasser lag und für die Saison vorbereitet werden konnte, war ich an den Wochenenden in der Werft und schlief an Bord.
Es war Samstag, die Masten waren provisorisch befestigt. Erst am Sonntag sollte weitergearbeitet werden. Ich wurde allein in der Werft zurückgelassen und machte es mir für die Nacht in der Kajüte bequem. Die Familie – Vater, Mutter und Tochter - sollte am Sonntag erst am späten Vormittag wieder in der Werft eintreffen, denn mit einem Milchgeschäft hatte man in diesen Jahren die Pflicht, auch sonntags von sieben bis elf Uhr geöffnet zu haben.
Als Frühaufsteher, aber auch begierig, die Takelage in Ordnung zu bringen, war ich schon nach dem Morgengrauen damit beschäftigt, zunächst Stage und Wanten zu befestigen und zu spannen. Dann klarte ich die Fallen auf. Bei drei Vorsegeln plus Großsegel und der Masthöhe von 15,8 Metern immerhin einiges an Herausforderung, waren es doch alles gleichaussehende Hanfseile, welche frei laufen mussten. Um sicherzugehen, dass die ganze Takelage korrekt gesetzt war, kletterte ich in den Masttopp. Dort saß ich, als die Familie ankam. „Mastgut gesetzt und aufgeklart!“, meldete ich. Der Kapitän kontrollierte mein Werk und war erstaunt darüber, alles in Ordnung vorzufinden. Er hatte nämlich in dem Augenblick, in dem er mich beim Herannahen auf der Mastspitze erspähte, noch im Auto zu Frau und Tochter verlautet: „So, jetzt sitzt der Affe da oben, hat sicher alles durcheinandergebracht und ich darf die ganze Wuling aufklaren!“ Er wusste eben noch nichts von meinen Qualitäten in Seemannschaft. Weniger Begeisterung zeigte der Bootsbauer, als er herausfand, dass auch alle Spleiß- und Takelarbeiten hinkünftig von mir ausgeführt wurden.
Die Yacht war bald darauf seeklar, und endlich konnte die Saison angesegelt werden. Wie würde ich wohl mit dem Kahn zurechtkommen? Schließlich war eine Yawl von zwölf Metern Länge über alles mit dreifachem Vorgeschirr, Groß- und Besansegel zu beherrschen. Normalerweise beginnt man auf kleinen Jollen mit der Segelei.
Das Wetter am Wörthersee war in diesen Jahren für die Segler selten günstig. Sehr oft war man von Flauten geplagt. Um trotzdem etwas Spaß zu haben, fuhren wir unter Maschine. Mir kam das gerade recht, konnte ich doch auf diese Weise das Verhalten des Schiffes bei ruhigem Wasser in mich aufnehmen. In kurzer Zeit gelangen mir so die Ab- und Anlegemanöver tadellos. Als ich herausfand, dass am frühen Morgen fast immer ein leichter und konstanter Westwind blies, beschloss ich, diesen auch zu nutzen. Diese Morgenbrise kam zwischen fünf und halb sechs Uhr auf und wehte bis etwa acht. Da ich allein an Bord übernachtete, war es kein Problem, um diese Zeit zunächst in Schleichfahrt den Liegeplatz zu verlassen. Mit immer mehr gesetzten Segeln tastete ich mich vor und erlangte so bald auch eine Praxis beim Segeln.
Ein besonders begeisterter Segler war der Schwager meines Schwiegervaters. Er war mit der Schwester der Mutter meiner Braut verheiratet. Er hatte sich das ehemalige Rettungsboot eines Passagierdampfers zu einer Yawl um- und ausgebaut. Die Offiziere der Besatzungsmacht hatten die Bootshülle von Triest an den Wörthersee gebracht, dann aber ihr Interesse daran verloren. Onkel Fredl, wie er von uns genannt wurde, setzte seinen ganzen Ehrgeiz daran, daraus eine kleine Kostbarkeit zu schaffen. Der aus Stahlblech bestehende Rumpf war so in Form gepresst worden, dass er einem geklinkerten Holzboot ähnlich sah. Durch die weiße Lackierung und das aufgesetzte Holzdeck war die Illusion einer klassischen Holzkonstruktion gegeben. Der neun Meter lange und circa zwei Meter breite Spitzgatter bekam zur Stabilisierung einen Betonboden verpasst. Das aufholbare Schwert wirkte der Abdrift entgegen. Die Kajüte hatte Platz für zwei Bänke, die auch als Kojen verwendet wurden. Der Tisch zwischen beiden war auf dem Schwertkasten aufgesetzt. Am feststehenden Mittelteil konnten die Seitenteile hinuntergeklappt werden. Sogar eine kleine Kombüse war eingerichtet. In der Plicht war – von oben offen zugänglich – ein Einzylinder-Glühkopf-Dieselmotor eingelassen. Diese Art Motor wurde mit einer Starterleine angelassen, welche um das Schwungrad gewickelt wurde. Vorher musste man aber Petroleum in eine Vertiefung des Zylinderkopfes gießen und anzünden, um eine Vorwärmung des Zylinders zu erreichen. Mit einem sonoren Tock-Tock-Tock lief der Motor dann an und wurde weit über den See hinweg vernommen.
Die Takelage war traditionell den Küstenseglern der Nordsee angeglichen. Der Hauptmast trug das Gaffelgroßsegel, das von Mastringen gehalten wurde, und ein Gaffeltoppsegel, Fock und Klüver waren an einem kurzen Bugspriet angeschlagen. Am Besanmast wurde das Treibersegel über einen Papageienstock geführt. Später kam für die Vorwindfahrt statt eines Ballons noch eine Breitfock an einer Rah dazu, welche bis in Höhe der Saling hochgeholt wurde. Onkel Fredl gelangte mit diesem Boot sogar in das Programm des ORF. Unter dem Titel „Der alte Mann und sein Boot“ sendeten sie einmal einen sehr romantischen Beitrag im Vorabendprogramm.
Wir hatten jedenfalls mit den beiden Yachten in den Sommern der späten Fünfzigerjahre unsere Abenteuer. Gut erinnere ich mich an eine Reise, die fünf Tage dauerte. An Bord waren neben Onkel Fredl als Kapitän seine beiden Söhne, mein Bruder und ich. In diesen fünf Tagen befuhren wir den ganzen See längs und auch quer. An interessanten Stellen hielten wir, machten auch Landgänge, wie zum Beispiel in Maria Wörth, gingen auch einmal in ein Gasthaus oder versorgten uns mit Proviant. Kurzum, die Illusion einer großen Seereise war perfekt; besonders für die drei Teenager an Bord.
Das Leben war streng seemännisch geregelt, mit Onkel Fredl als Kapitän, mir selbst als erstem Offizier und meinem Bruder als Maat. Matrose und Moses waren der ältere Sohn des „Käptn“ und sein kleiner Bruder. Diese Rollenverteilung wurde auch einigermaßen eingehalten. Morgens und abends gab es zum Setzen und Einholen der Nationale einen Flaggenappell. Dazu musste der Maat mit der Bootsmannspfeife „Seite pfeifen“. Die Mannschaft war angetreten und wurde auf korrektes Aussehen vom „Ersten“ unter den strengen Augen des „Käptn“ kontrolliert. Nach dem Weckruf „Reise, reise, überall zurrt Hängematten“ wurde besonders darauf geachtet, dass die Morgentoilette nicht zu kurz gekommen war und die Kojen in Ordnung gebracht waren. Ebenso musste nach dem Befehl „Licht aus, Lunten aus! Ruhe im Schiff!“ die Mannschaft in der Koje liegen, während der Käptn dem Ersten noch manches Seemannnsgarn verklickerte oder über Bootskonstruktionen fachsimpelte. Dabei lagen wir in einer netten Bucht vor Anker, bewunderten den Sternenhimmel und ließen den Tag bei einem Glas Rotwein oder auch etwas Stärkerem ausklingen.
Heute verbringt Onkel Fredls „Elisabeth“ ihr Ausgedinge im Technikmuseum „Historama“ in der Büchsenmacherstadt Ferlach.
Die Jahre am Wörthersee mit unserer Yacht endeten vorerst mit dem Ende des Sommers 1960. Im Herbst des Jahres 1958 heirateten wir. Mitten im Sommer 1959 kam unser erster Sohn Michael zur Welt und im Sommer darauf machte er in der Plicht unserer Yacht während einer Ausfahrt seine ersten selbständigen Schritte. So schnell waren ihm Seebeine gewachsen.
Ich verbesserte in diesen drei Jahren meine praktischen Segelkenntnisse ebenfalls. Bei den österreichischen Meisterschaften, welche 1958 am Wörthersee ausgetragen wurden, durfte ich in der Starbootklasse als Vorschoter mitfahren. Leider konnten wir nicht die ganzen Wettfahrten bestreiten, da mein Steuermann aus beruflichen Gründen seinen Urlaub abbrechen musste. Die erste der drei Wettfahrten beschlossen wir nach einem katastrophalen Fehlstart und einer sagenhaften Aufholjagd auf dem dritten Platz. Kurz nach der Startlinie war in unserem Boot die Fock an Deck gekommen. Der Schäkel am Kopf des Segels war gebrochen. Was tun? Ich enterte den Mast hinauf und holte schnell das Fockfall an Deck. Mit einem anderen Schäkel setzte ich mein Segel erneut. Bis es soweit war, war das Feld der anderen Teilnehmer an der Regatta weit voraus. Trotzdem verloren wir nicht den Mut und konnten uns bis zum Ziel an die dritte Stelle vorkämpfen. Und das bei einem Feld von ungefähr vierzig Teilnehmern, darunter etliche Boote neuester Konstruktion, sogenannte „Eichenlaub-Stars“, die aus den USA importiert und von Salzburgern und Wienern gesegelt wurden. Schade, dass mein Skipper von der Pflicht seiner Stellung – er war CEO der Tyrolit Schleifmittelwerke – eingeholt wurde.
Im Oktober 1960 verstarb mein Schwiegervater in nach heutigen Begriffen sehr jungen Jahren. Meine Schwiegermutter war sofort sehr darum bemüht, die Yacht loszuwerden. Eine Segelschule kaufte unser Boot. Leider war damit auch das Winterlager verloren. Da wir als Klubmitglieder des UYC die Yacht im Bootshangar des Vereins überwinterten, dies dem Besitzer der Segelschule jedoch verwehrt wurde, blieb das Boot im Wasser. Eines Abends verabsäumte man das Freihacken des Bootes vom Eis. Und gerade diese Nacht war sehr kalt. Das Eis wuchs stark und drückte auf den Rumpf. Der Schaden war nicht mehr gutzumachen. Im nächsten Sommer hatte man laufend Probleme mit den lecken Planken. Das ständige Auspumpen - des Schiffes war für die Segelschule nicht tragbar. Im Sommer darauf bekam mein späterer Arbeitskollege Gustav unser ehemals stolzes Schiff als ein „Beinahewrack“ um den sogenannten „Kaufschilling“ geschenkt. Lange rackerte er sich nicht mit dem ständig leckenden Boot ab. Schließlich zerteilte er den Rumpf mit der Motorsäge und entsorgte Holz und Schrott.
Das also war das unrühmliche Ende eines neun Meter R-Jollenkreuzers Baujahr 1911, gebaut am Wörthersee aus Zedernholz in Kraweelbeplankung mit Mahagonideck. Er wurde 1936 vom Bootsbaumeister Andreas Feinig zu einer yawlgetakelten Kielyacht umgebaut. Das Schwert wurde gegen einen Ballastkiel (800 kg Blei) getauscht, durch Bugspriet und Papageienstock stieg die Länge auf zwölf Meter zwischen den Loten. Dies alles geschah in der Feinigwerft, jetzt Schmalzl, in Velden am Wörthersee.



3. Kapitel
Ein Hobby auf der Durststrecke

Mit meinem noch nicht abgeschlossenen Studium, einer jungen Frau und meinem kleinen Sohn hatte ich in dieser Zeit eher Sorgen als Freude. Das Geschäft gab die Schwiegermutter nach dem Tod des Schwiegervaters auf. Gleichzeitig drängte der Magistrat der Stadt Villach auf den Verkauf einer der Schwiegermutter gehörenden Liegenschaft an die Stadt. Der Kaufpreis war entspechend niedrig angesetzt. Da ich mich immer auch für das Bauwesen interessiert hatte, überließ meine Schwiegermutter mir die Aufgabe, die Verhandlungen zu führen, um eine bessere Ablöse zu erzielen.
In einigen Sitzungen mit dem Senatsrat der Stadt kam es endlich zur entscheidenden Aussprache mit dem Bürgermeister. Ich hatte immer ins Treffen geführt, dass wir nicht an einer festen Kaufsumme interessiert wären. Wir wollten für das etwa 400 m² Wohnfläche messende – zugegeben sehr alte – Haus, welches aber mitten in der Stadt stand, als Gegenleistung ein Einfamilienhaus auf eigenem Grund außerhalb der Stadt. Noch dazu wurde der von mir verfasste Plan bei den Verhandlungen vorgelegt. Somit wurde das Architektenhonorar auch noch dazu eingespart. Auf diese Weise konnte ich den vom Magistrat vorgeschlagenen Kaufpreis wenigstens um ein gutes Drittel steigern. Für den Bau des Hauses reichte das Geld trotz vieler eigener Arbeitsleistungen dann trotzdem nicht ganz. Die zerbombte Ruine des Hauses, in der meine Schwiegereltern und meine Frau in Villach bisher gelebt hatten, sollte auch endlich im Wiederaufbauprogramm zum Zug kommen. So kam uns das neue Haus als Ausweichquartier gerade recht. Einige Jahre wohnte meine junge Familie zusammen mit meiner Schwiegermutter in Drobollach am Faaker See. Ich lebte in Leoben und führte eine Wochenendehe.

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