"Der einstimmige Christenglaube in einem Geiste"

"Der einstimmige Christenglaube in einem Geiste"

Quellentexte zu Maria aus Magdala

Isa Sternitz


EUR 25,90
EUR 20,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 364
ISBN: 978-3-99131-508-7
Erscheinungsdatum: 28.09.2022
Wohl keine historische Person aus den kanonischen und apokryphen Evangelien und dem persönlichen Umfeld von Jesus von Nazareth ist so geheimnisumgeben wie Maria Magdalena.Wer ist diese Frau?
Vorwort

Wohl keine historische Person aus dem Kanon des Neuen Testaments und dem persönlichen Umfeld von Jesus von Nazareth ist so geheimnisumgeben wie Maria Magdalena. Keine ist mehr Ziel von Spekulationen wie sie, und kaum eine hat wohl auch gerade deshalb das Interesse von Suchenden in der Kirche wie in Kreisen von Künstlern und Musikern durch die Jahrhunderte geweckt.
Wer ist diese Frau?
In den vier klassischen Evangelien wird sie lediglich an je zwei Stellen erwähnt, während sie in den gnostischen Texten, den Evangelien nach Thomas, Petrus und Maria, klarer beschrieben und ihre Sonderstellung im Umfeld Jesu erkennbar wird.
Mutmaßung über die Art der in den Evangelien erwähnten, ausgetriebenen Dämonen, der Unmut der ausschließlich männlichen Apostel darüber, dass der auferstandene Jesus als erstem einer Frau begegnet ist und er diese darüber hinaus noch in Geheimnisse eingeweiht habe, die er ihnen vorenthalten habe, sowie das ihr zugeschriebene Evangelium, werfen Fragen auf und zeugen von einer bisher unterschätzten Rolle der Maria Magdalena im Leben und Wirken Jesu.
Der Herausgeberin ist es in einer überaus gründlichen Recherche gelungen, reichhaltige Dokumente von der Beschäftigung mit und der Ehrerweisung von Maria Magdalena zu sammeln. Der hier abgebildete Zeitraum von über 2000 Jahren ist ein Zeugnis der Bedeutung Maria Magdalenas in der christlichen Geisteswelt. Otto-Heinrich Silber
„Aufstehe der ganze holdtönende Chor der überhimmlischen Harfenspieler, der auf jede Weise Gott benedeit mit Alleluia! Zugleich erschalle in den Jubel stärker als gewöhnlich die süße lobtönende Orgel, der Reigen unserer ‚paukenschlagenden Jungfrauen‘. Und zugleich bringen alle, die der einstimmige Christenglaube in einem Geiste eint, nun Glückwünsche dar beim Fest Mariens von Magdala.“ Hermannus Contractus (1013–1054) Maria-Magdalena-Sequenz, ca. 1047
Unter dem Prior Maurus Hummel (1717–1752) erhielt die Benediktinerabtei Reichenau einen prächtigen Steckborner Kachelofen, der in reduzierter Form in der Schatzkammer von Reichenau-Mittelzell erhalten ist. Eine der Füllkacheln, die für den 1745–1746 gesetzten Ofen entworfen und gemalt wurden, zeigt Hermann den Lahmen als alten Mann mit Krücke in der Bibliothek. Er hat einen Band aufgeschlagen, in dem ‚Salve Regina‘ steht. In der Kartusche ist zu lesen: „Beatus Hermannus Contractus Monachus Augiae a devotione Mariae celebris obiit 19. Julii 1054“ „Der selige Hermann der Lahme, Mönch der Reichenau, berühmt ob seiner Marienverehrung, starb am 19. Juli 1054.“ Der Maler hat sich mit dem Schreiben schwer getan (SalvR statt Salve etc.) und auch ein falsches Todesdatum geliefert (richtig 24. September 1054), aber doch so eindrucksvoll gearbeitet, dass der Hafner „wegen schönerer als vereinbarter Malerei ein … Trinkgeld erhielt.“



~960 BC Salomo (~972–932BC)

Das Hohelied

3. Kapitel 1 Ich suchte des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebet. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. 2 Ich will aufstehen und in der Stadt umgehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebet. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. 3 Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umgehen: Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebet? 4 Da ich ein wenig vor ihnen über kam, da fand ich, den meine Seele liebet. Ich halte ihn und will ihn nicht lassen, bis ich ihn bringe in meiner Mutter Haus, in meiner Mutter Kammer. 5 Ich beschwöre euch, ihr Töchter zu Jerusalem, bei den Rehen oder Hinden auf dem Felde, dass ihr meine Freundin nicht aufwecket noch reget, bis dass ihr selbst gefällt. 6 Wer ist die, die heraufgehet aus der Wüste, wie ein gerader Rauch, wie ein Geräuch von Myrrhen, Weihrauch und allerlei Pulver eines Apothekers? … 11 Gehet heraus und schauet an, ihr Töchter Zions, den König Salomo in der Krone, damit ihn seine Mutter gekrönet hat am Tage seiner Hochzeit und am Tage der Freuden seines Herzens. 5. Kapitel 8 Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so saget ihm, dass ich vor Liebe krank liege. 9 Was ist dein Freund vor andern Freunden, o du Schönste unter den Weibern? Was ist dein Freund vor andern Freunden, dass du uns so beschworen hast? 6. Kapitel 1 Wo ist denn dein Freund hingegangen, o du Schönste unter den Weibern? Wo hat sich dein Freund hingewandt? So wollen wir mit dir ihn suchen. 2 Mein Freund ist hinabgegangen in seinen Garten, zu den Würzgärtlein, dass er sich weide unter den Gärten und Rosen breche. 7. Kapitel Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith! Kehre wieder, kehre wieder, dass wir dich schauen! Was sehet ihr an Sulamith? Den Reigen zu Mahanaim. 8. Kapitel Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod, und Eifer ist fest wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, dass auch viel Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte es alles nichts.
Nota bene: Man nahm an, dass der Verfasser König Salomo selbst war, der in allegorischer Form die Liebe zwischen Gott und seinem Volk Israel veranschaulichte. Auch die Propheten griffen zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gott und seinem Volk zum Bild der ehelichen Liebe: Gott als der Liebende und Schützende seiner Braut Israel.



80 Lukasevangelium

Kapitel 7,36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Alabastergefäß mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. 39 Da aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er’s beiden. Wer von ihnen wird ihn mehr lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er mehr geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44µ Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden! Kapitel 8, 1 Und es begab sich danach, dass er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, 3 und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe Kapitel 10,38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
Kapitel 24, 1 Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. 2 Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab 3 und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. 4 Und als sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer in glänzenden Kleidern. 5 Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6 Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war 7 und sprach: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. 8 Und sie gedachten an seine Worte. 9 Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den Elf und allen andern Jüngern. 10 Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln. 11 Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. 12 Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.



Josephus Flavius (~37–100)

Vita eremitica

Die „Vita eremitica“, als deren Autor im Mittelalter der jüdische Historiker Josephus Flavius (um 37–100) galt, wurde im 11. Jahrhundert weithin bekannt, besonders in den Klöstern, wo man während des Abendgottesdienstes oder bei Mahlzeiten aus ihr vorlas. Bis zum 12. Jahrhundert blieb der genaue Ort der dreißigjährigen Einsamkeit Maria Magdalenas – deren Zweck sich im Lauf der Zeit von Kontemplation in Buße wandelte – in Vézelay ungenannt, doch er wird in einem Berner Manuskript des späten 12. Jahrhunderts identifiziert. Darin heißt es, der Zufluchtsort sei eine große Höhle östlich von Marseille, unweit von Montrieux, gewesen. Hier, hoch oben im Massiv der Provence, am Berg Sainte-Baume, knapp zwanzig Kilometer von Saint-Maximin entfernt, war eine Grotte, die bis 1170 nur eine einzige Schirmherrin gehabt hatte: die Jungfrau Maria. In der Version von Vézelay verbrachte Maria Magdalena ihre letzten Tage in der Grotte am Sainte-Baume (Heiliger Balsam), starb jedoch in Aix und wurde dort von Bischof Maximinus beerdigt. Nachdem der Ort der Beisetzung festgelegt worden war, von dem der Mönch Badilon die Gebeine entwendet hatte, brauchte man nur noch eine Erklärung für das Eintreffen Maria Magdalenas in Gallien zu finden. Susan Haskins



Das Evangelium nach Thomas

21: Maria sagte zu Jesus: „Mit wem sind deine Jünger zu vergleichen?“ Er sagte: „Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf einem Feld niedergelassen haben, das ihnen nicht gehört. Wenn die Besitzer des Feldes kommen, werden sie sagen: ‚Gebt uns unser Feld zurück!‘ Sie ziehen sich in ihrem Beisein aus, damit sie es ihnen lassen und ihnen ihr Feld geben. Darum sage ich: Wenn der Hausherr weiß, dass der Dieb kommt, wird er es bewachen vor dessen Kommen und es nicht zulassen, dass er in das Haus, das sein Reich ist, eindringt und seinen Besitz nimmt. Ihr aber seid auf der Hut vor der Welt! Gürtet euch über euren Hüften mit großer Kraft, dass die Räuber keinen Weg finden, zu euch zu kommen, denn den Lohn, den ihr erwartet, werden sie finden. Möge unter euch ein verständiger Mann sein! Als die Frucht reif war, kam er eilends mit seiner Sichel in seiner Hand und schnitt sie ab. Wer Ohren hat zu hören, der soll hören!“ 22: Jesus sah Kinder, die gestillt wurden. Er sagte zu seinen Jüngern: „Diese Kleinen, die gestillt werden, sie sind wie die, die in das Königreich eingehen.“ Sie fragten ihn: „Wenn wir also wie Kinder werden, werden wir in das Königreich eingehen?“ Jesus sagte zu ihnen: „Wenn ihr zwei zu einem macht und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere, und das, was oben ist, wie das, was unten ist, und wenn ihr das Männliche und Weibliche zu einem einzigen macht, damit nicht männlich männlich und weiblich weiblich sei, wenn ihr ein Auge durch ein Auge ersetzt, eine Hand durch eine Hand, einen Fuß durch einen Fuß und ein Bild durch ein Bild, dann werdet ihr in das Königreich eingehen.“ 58: Jesus sagte: „Selig ist der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefunden.“ Vers 114: Simon Petrus sagte zu ihm: „Maria soll von uns weggehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig.“ Jesus sagte: „Seht, ich werde sie anleiten, um sie männlich zu machen, damit sie zu einem lebendigen Geist wird, der euch Männern gleicht. Denn jede Frau, die sich männlich macht, wird eintreten in das Königreich im Himmel.“ … 77 Jesus sprach: „Ich bin das Licht, das über allen ist. Ich bin das All; das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist zu mir gelangt. Hebt einen Stein auf, und ihr werdet mich finden, spaltet ein Holz, und ich bin da.“ Katharina Ceming / Jürgen Werlitz



160 Evangelium nach Maria

Seiten 1–6 fehlen – Seite 7 […] „Was ist die Materie? Wird sie ewig währen?“ Der Erlöser antwortete: „Alles Geborene, alles Geschaffene, alle Elemente der Natur sind miteinander verwoben und verbunden. Alles Zusammengesetzte wird sich auflösen; alles geht zu seinen Wurzeln zurück; die Materie wird zu den Ursprüngen der Materie zurückkehren. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Petrus sprach zu ihm: „Da du uns die Elemente und Ereignisse der Welt deutest, so sage uns: Was ist die Sünde der Welt?“ Der Erlöser sprach: „Es gibt keine Sünde. Ihr seid es, die der Sünde Bestand verleiht, wenn ihr den Gewohnheiten eurer ehebrecherisch verderbten Natur folgt; da ist die Sünde. Deshalb ist die Güte in eurer Mitte erschienen; sie hat sich mit den Elementen eurer Natur verbunden, um sie wieder mit ihren Wurzeln zu vereinen.“ Weiter fuhr er fort und sprach: „Deshalb leidet ihr und deshalb werdet ihr sterben, das ist die Folge eurer Taten; ihr tut, was euch entfernt … Wer es fassen kann, der fasse es!“ Seite 8 „Das Haften an der Materie erzeugt eine Leidenschaft gegen die Natur. So entsteht im ganzen Leib Verwirrung; deshalb sage ich euch: Seid in Harmonie! Wenn ihr verwirrt seid, lasst euch von den Bildern eurer wahren Natur leiten. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Als der Selige dies gesagt hatte, segnete er sie alle und sprach: „Friede sei mit euch – möge mein Friede in euch erweckt und vollendet werden! Seid wachsam, damit niemand euch in die Irre führe, mit Worten wie: ‚Seht hier, seht da.‘ Denn in eurem Innern wohnt der Menschensohn; folget ihm nach: Wer ihn sucht, der wird ihn finden. Erhebt euch! Verkündet das Evangelium vom Reich Gottes!“
Seite 9 „Stellt keine Regel auf, außer der, deren Zeuge ich war. Fügt den Gesetzen dessen, der die Thora gegeben hat, keine Gesetze hinzu, um nicht zu ihren Sklaven zu werden.“ Nach diesen Worten verließ er sie. Die Jünger aber waren betrübt; sie vergossen viele Tränen und sagten: „Wie sollen wir uns zu den Heiden begeben und ihnen das Evangelium vom Reiche des Menschensohns verkünden? Sie haben ihn nicht verschont; wie sollten sie uns dann verschonen?“ Da erhob sich Maria, umarmte sie alle und sprach zu ihren Geschwistern: „Seid nicht in Sorge und Zweifel, denn seine Gnade wird euch begleiten und beschützen. Lasst uns vielmehr seine Größe preisen, denn er hat uns bereit gemacht. Er ruft uns auf, vollkommene Menschen zu werden.“ Mit diesen Worten wendete Maria ihren Sinn zur Güte, und sie ließen sich von den Worten des Erlösers erleuchten. Seite 10 Da sprach Petrus zu Maria: „Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich geliebt hat, anders als die übrigen Frauen. Sage uns die Worte, die er dir anvertraut hat, an die du dich erinnerst und von denen wir keine Kenntnis haben.“ Maria antwortete und sprach zu ihnen: „Was euch zu hören verwehrt blieb, das will ich euch verkündigen. Ich sah den Erlöser in einer Vision, und ich sagte zu ihm: ‚Herr, ich schaue dich heute in dieser Erscheinung.‘ Er antwortete: ‚Selig bist du, die dich mein Anblick nicht verwirrt. Denn wo der Nous ist, da ist der Schatz.‘ Da sprach ich zu ihm: ‚Herr, sage mir nun, wer deine Erscheinung schaut, in diesem Moment, sieht er sie durch die Psyche [Seele] oder durch das Pneuma [Geist]?‘ Der Erlöser antwortete und sprach: ‚Weder durch Seele noch durch Pneuma; sondern durch den Nous, der zwischen diesen beiden steht, er ist es, der sieht, und er ist es auch, der‘“ [… Seiten 11–14 fehlen] Seite 15 „‚Ich habe dich nicht herabsteigen sehen, nun aber sehe ich dich aufsteigen‘, sprach die Begierde. ‚Warum lügst du, wo du doch zu mir gehörst?‘ Die Seele antwortete: ‚Ich habe dich wohl gesehen, aber du, du hast mich nicht gesehen. Du hast mich nicht erkannt; ich war mit dir wie mit einem Gewand, und du hast mich nicht gespürt.‘ Als sie das gesagt hatte, zog sie jubelnd weiter. Darauf gelangte sie zum dritten Klima, das Unwissenheit heißt; die wollte die Seele aushorchen und fragte sie: ‚Wohin gehst du? Bist du nicht einer schlechten Neigung gefolgt? Ja, du warst ohne Verstand, und du warst unterjocht.‘ Da sprach die Seele: ‚Warum richtest du mich? Ich habe nicht gerichtet. Man hat mich beherrscht, obwohl ich nicht beherrscht habe; man hat mich nicht erkannt, aber ich selbst habe erkannt, dass alles Zusammengesetzte zerfallen wird, sowohl die irdischen als auch die himmlischen Dinge.‘“ Seite 16 „Vom dritten Klima befreit setzte die Seele ihren Aufstieg fort. Sie erblickte das vierte Klima. Das hatte sieben Gestalten: Die erste Gestalt ist die Finsternis; die zweite die Begierde; die dritte die Unwissenheit; die vierte die tödliche Eifersucht; die fünfte die Herrschaft des Fleisches; die sechste der törichte Wahn; die siebte die arglistige Klugheit. Dies sind die sieben Gestalten des Zorns, welche die Seele mit Fragen bedrängen: ‚Woher kommst du, Menschentöterin? Wohin gehst du, Raumüberwinderin?‘ Die Seele antwortete und sprach: ‚Was mich bedrängte, ist beseitigt worden; was mich umstellte, ist verschwunden, meine Begierde ist nun besänftigt, und ich wurde von meiner Unwissenheit befreit.‘“ Seite 17 „‚Die eine Welt verließ ich dank einer anderen Welt; die eine Gestalt ist verblichen durch eine höhere Gestalt. Künftig werde ich die Ruhe erlangen, dort, wo die Zeit in der Ewigkeit der Zeit ruht. Ich werde in die Stille eingehen.‘“ Nach diesen Worten schwieg Maria. Denn das war alles, was der Erlöser mit ihr gesprochen hatte. Da ergriff Andreas das Wort und wandte sich an seine Brüder: „Sagt, was denkt ihr über das, was sie uns gerade erzählt hat? Ich jedenfalls glaube nicht, dass der Erlöser so gesprochen hat; diese Gedanken sind anders als die, die wir gekannt haben.“ Petrus fügte hinzu: „Ist es möglich, dass der Erlöser so mit einer Frau geredet hat, über Geheimnisse, die wir nicht kennen? Sollen wir unsere Gewohnheiten ändern und alle auf diese Frau hören? Hat er sie wirklich erwählt und uns vorgezogen?“ Seite 18 Da weinte Maria. Sie sprach zu Petrus: „Mein Bruder Petrus, was geht in deinem Kopf vor? Glaubst du, ich hätte mir ganz allein in meinem Sinn diese Vision ausgedacht oder ich würde über unseren Erlöser Lügen verbreiten?“ Da ergriff Levi das Wort: „Petrus, du bist schon immer aufbrausend gewesen, und jetzt sehe, wie du dich gegen diese Frau ereiferst, so wie es unsere Widersacher tun. Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist dann du, sie zurückzuweisen? Gewiss kennt der Erlöser sie ganz genau. Deshalb hat er sie mehr geliebt als uns. Vielmehr sollten wir Reue zeigen und das menschliche Wesen in seiner Vollkommenheit verwirklichen; Möge es Wurzel in uns fassen und wachsen, wie er uns aufgetragen hat. Lasst uns aufbrechen, das Evangelium zu verkünden, ohne andere Regeln und Gesetze aufstellen zu wollen als die, deren Zeuge er war.“ Seite 19 Als Levi diese Worte gesprochen hatte, machten sie sich auf den Weg, um das Evangelium zu verkünden.
Zum Abschluss sollte aber noch das im Jahr 1954 publizierte Evangelium der Maria der Berliner Papyrussammlung erwähnt werden (aus Papyrus Berolinensis 8502). Unabhängig von der koptischen Übersetzung existieren noch zwei kleinere griechische Fragmente aus dem 3. Jh. n. Chr., entstanden ist die Schrift wahrscheinlich schon im 2. Jh. n. Chr. entweder in Ägypten oder Syrien. Maria ist dort nicht nur diejenige, die der Erlöser mehr liebte als die anderen Frauen, sondern die auch mehr Wissen von ihm erhalten hat als die anderen Jünger. Am Ende ist der arme Petrus richtig eifersüchtig und wird von einem der Jünger zurechtgewiesen:
„Petrus, du bist von je her aufbrausend. Nun sehe ich, wie du dich gegen die Frau ereiferst wie die Widersacher. Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist denn du, dass du sie verwirfst? Sicher kennt der Erlöser sie ganz genau. Deshalb hat er sie mehr als uns geliebt …“
Die moderne Geschichte dieser alten Bücher aus dem Morgenland könnte Bibliotheken füllen. Papyrus Berolinensis 8502 wurde bereits 1896 im Antikenhandel in Kairo erworben. Der in Wien wirkende Koptologe Carl Schmidt (liebevoll „Kopten-Schmidt“ genannt) kündigte 1905 die nahende Publikation an, doch zerstörte 1912 ein Rohrbruch in der Druckerei das Werk. Der I. Weltkrieg verhinderte die Wiederaufnahme der Arbeit und als diese neu aufgenommen wurde, verstarb der große Gelehrte 1938 in Kairo. Nach weiteren Verzögerungen erschien die erste Auflage fast 60 Jahre nach dem Fund. Siegfried Richter

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