Abydos - die Heilige Stadt des Osiris

Abydos - die Heilige Stadt des Osiris

Mr. Hans & Ali (Buchreihe)

Mr. Ali & Hans


EUR 25,90
EUR 20,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 352
ISBN: 978-3-99131-659-6
Erscheinungsdatum: 20.02.2023
Die Mythen der Götterwelt in den Tempeln Oberägyptens üben auch heute noch eine große Faszination aus. Folgen Sie Mr. Hans & Ali zu den unvergleichlichen Kulturstätten im Land am Nil und lüften Sie mit ihnen die Geheimnisse aus einer längst vergangenen Zeit.
Das Tempelgebäude


Informationen

Um den Osiristempel von Seti I. heute zu besichtigen, muss man sich ein Taxi für mindestens 100 Euro (von Luxor aus) mieten und hat damit eine Tagestour ohne Reiseleiter bei einem Taxifahrer gebucht; höhere Preise würde ich nicht bezahlen. Nun macht sich bemerkbar, dass diese Gilde die Geschichte Ägyptens niemals als ihre eigene Geschichte sah; sie wissen kaum etwas über die berühmten Kulturerbschaften. So haben die unternehmungslustigen Touristen ein Ziel: Abydos mit seinen interessanten Tempeln und einer unvorstellbar dramatischen Vergangenheit auf eigene Faust kennenzulernen. Eine besondere Gefahr für Leib und Leben besteht, abgesehen vom fehlenden Versicherungsschutz der Taxifahrer, nicht.

Der moderne Besucher glaubt oft, dass der gesamte Tempelbau „aus einem Guss“ besteht, doch normalerweise wachsen Tempel von innen nach außen. Es gibt heute immer noch kleine Tempel in Ägypten, wo nur das Allerheiligste aus einem geschlossenen, überdachten Raum besteht und ein paar Säulen im Freien davor den „Säulensaal“ bilden und eine Umfassungsmauer alles einschließt. Folglich wurde immer der Säulensaal, welcher unmittelbar hinter dem Eingang steht, als letzter gebaut. Warum Seti I. starb, bevor seine beiden Tempel in Qurna und Abydos vollendet waren, liegt im Dunkel der Geschichte.
Abdju besaß einen sehr alten Tempel etwa 1,2 Kilometer nordwestlich vom Tempel des Seti I. entfernt. Dieser war der eigentliche Osiristempel, gelegen in Mitten der alten Stadt Abdju. Im Lauf der Generationen wurde der Osiriskult mit dem Ahnenkult des Gottes Chontamenti vereint, so dass es König Seti I. aus dem Neuen Reich offensichtlich für angebracht hielt, dem über alles beliebten Gott Osiris einen eigenen Tempel zu widmen. Offensichtlich überschätzte er die ihm auf Erden verbleibende Zeit, denn als er starb, war die hintere Säulenhalle seines neuen Prachtbaus fertiggestellt. Allerdings fehlten in der vorderen Säulenhalle, welche sich unmittelbar vor dem Ausgang befindet, die Dekorationen und Beschriftungen. M. E. waren diese Elemente der Bausubstanz insgesamt bereits vorhanden und sollten nach Osten und Süden erweitert werden. Das bedeutet vielleicht, dass nur in meiner Skizze vom Tempel die blau gefärbten Flächen als Vorgängerbau vorhanden waren, die Tempelerweiterung mehr als 350 Prozent betragen hätte, ganz zu schweigen vom Osireion auf der westlichen Außenseite, sodass man schon von Seti I.-Tempel sprechen kann.
Der liebende Sohn musste das Bauwerk nach dem Tode seines Vaters fertigstellen lassen. Dabei ließ er sich in das richtige Licht setzen. Er war ein Aufschneider und ließ keine Gelegenheit aus, um sich in den Vordergrund zu drängen, alles Positive seiner eigenen Person zuzuschreiben und gleich dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Trump, alles als gigantisch, einmalig und als „noch nie dagewesen“ zu bezeichnen, was zumindest für die Größe seiner Sitzstatuen zutrifft. Er wollte von der Nachwelt niemals vergessen werden – und das hat er wahrhaftig erreicht. Kolossalstatuen aus feinstem Alabaster wurden in Memphis gefunden und der Felsentempel von Abu Simbel zeugt ebenfalls von Macht und Größe. Als die Historiker tiefer in die Geschichte von Ramses II. eindrangen, erkannten sie seine Prahlereien und seitdem wird dieser König etwas kritischer betrachtet, ohne seine tatsächlichen Verdienste zu schmälern.

Abbildung 10: Typische alte Tempelform Naos,
freier Platz und Umfassungsmauer

Dass sich der ägyptische König Seti I. diesen Tempel zu Erweiterungsarbeiten vornahm, zeugt eindeutig von dem hohen Ansehen der Ahnen und des Gottes Osiris. Dabei ist die Geschichte viel umfangreicher, als es je ein Reiseführer erklären wird. Der antike Geograf und Geschichtsschreiber Strabon erzählt von einem Brunnen, der sich in dem Osireion von Abdju befand. Er beschreibt:

„… ihn als unter dem Memnonium gelegen; mit niedrigen Gewölbebögen, die aus einem einzigen Stein erbaut sind …“,

womit er wahrscheinlich meinte, dass die Steinbalken über die Hallen und Kammern in einer einzigen Spanne gingen. Diese Art, einen Bogen zu bauen, sehe ich später noch im Osiristempel. Es wurde sozusagen ein genügend dicker Balken ausgesucht und später von den Handwerkern so lange von „unten ausgeschlagen“, bis ein perfekter Bogen entstand.
Der provisorische Eingang, der heute von der oberen Außenseite der Hintertür des Tempels erfolgt, zeigt eindeutig, dass der wahre Zugang bis heute nicht ermittelt werden konnte, obwohl alle Anzeichen auf eine Passage zwischen diesem unterirdischen Bauwerk und dem Tempel von Seti I. hinwiesen, die eher aber der zugeschüttete Graben für den Transport der Granitblöcke darstellt. Es gibt einen Außenzugang von der nördlichen Seite der Wüste her, der durch einen langen, mit Reliefs geschmückten Gang von ca. 150 Metern Länge zum Osireion führt, aber für Besucher geschlossen ist. Was die erwähnte Quelle von Strabon betrifft, könnte es sich dabei um einen Trugschluss handeln, da offensichtlich der untere Teil der unterirdischen Grabkammer unter dem hohen Niveau des Nils liegt oder Grundwasser regelmäßig den Wasserspiegel ansteigen lässt, und der Reisende aus antiken Tagen dachte, dass es sich um eine natürliche Quelle handeln muss. Ebenso muss man sich damit abfinden, dass der Osiristempel von Usertesen I. durch seinen Baumeister Mentu-hotep ausgeführt wurde. Bereits vor 150 Jahren fand man dazu einen Hinweis in einer Denkschrift des Louvre in Paris, welche bereits in der XIII. Dynastie von einem König des Thebanischen Herrscherhauses verfasst wurde. Es war der sonst unbekannte Königs Râ-cha-n-Ma’at Râ-n-ter. Heinrich Brugsch zitiert einen Vorsteher des Tempels zu Abdju mit Namen Ameni-Seneb, welcher in den Tagen des oben erwähnten Herrschers lebte:

„Es kam zu dem Schreiber des Landesträgers Seneb, ein Sohn des Landschlägers, um mich zu rufen wegen eines Auftrages des Landpflegers. Und ich ging mit ihm und ich fand den Landpfleger, welcher weiter in seinem Amtshaus lebte. Und es gab mir dieser Fürst in meinem Angesicht, in dem er also redete: ‚Du bist beauftragt den Tempel von Abdju zu reinigen und zu eröffnen. Arbeiter sind dir zu diesem Zweck zugeteilt und Tempeldiener des heiligen Bezirks sind bereit in ihren Werkstätten.‘
Und ich reinigte alles von unten bis nach oben und die Wände, die alles Innere umgeben. Und die Schriften waren mit Farben gefüllt, mit Sinnbildern und anderes Schmuckwerk ebenso; und so wurde erneuert, was König S-en-wosret I. erbaute.“


Somit hätten wir das Missverständnis geklärt, wonach durch König Seti I. ein gesamter Neubau errichtet wurde, abgesehen von dem südlichen und vielleicht auch westlichen Anbau, welcher tatsächlich von Ramses‘ II. Vater errichtet wurde. Kurioserweise schweigen aber neuere Berichte darüber und orientieren sich weiter an der Meinung, dass Seti I. diesen Tempel gründete. Das Tempelbauwerk von Baumeister Mentu-hotep war also zumindest noch so intakt, dass man von einem „Untergang des Tempels“ nicht sprechen kann. Es passt aber in die Propagandapolitik der Ramessiden, immer „die Ersten“ in allem sein zu wollen. Wir werden auch später noch sehen, dass die Bezeichnung „Tempel des Osiris“ nicht ganz der Wahrheit entspricht, zumindest wurde erst aus ihm ein Tempel für Osiris gemacht. Das Bauwerk wurde außen wieder freigelegt und im Inneren vom eindringenden Sand der Wüste befreit.
Offensichtlich hatte der Vorgängerbau kaum das Aussehen des heutigen Tempels. Petrie beschrieb bei seinen Ausgrabungsarbeiten in Chemenu die wenigen Reste eines Tempels aus der XII. Dynastie:

„Die Idee, die wir so vom Aussehen des Tempels der XII. Dynastie bekommen, ist sehr anders als die des späteren Tempels. Es gibt nur kleine Blöcke des sehr umfangreichen Gebäudes eines Heiligtums und von Lagerräumen flankiert; und ein großer Hof davor. Dies würde durchaus mit den Umrissen des Tempels der XII. Dynastie Abdju übereinstimmen; und in Ermangelung von Bauplänen in diesem Alter gibt es zumindest eine Vorstellung von der Art, die dann folgte. Es scheint eine Fortsetzung zu sein des primitiven Schreins und Hofes, wie gezeigt auf der Palette von Mena.“

Wenn sich also Petrie nicht irrte, so waren auch bei dem Vorgängerbau keine Säulenhallen vorhanden, sodass er zwei Säulenhallen in Richtung des „gedachten Ostens“ davorsetzen und ungestört seinen südlichen Anbau vollenden konnte. Damit versetzte er den Tempel in das „moderne“ Niveau eines Tempeltyps im Neuen Reich. Der erweiterte Tempel des Osiris selbst ist gegen einen großen Hang gebaut, doch durch den südlichen Anbau ist der ursprüngliche Hang von der Vorderfront des Tempels nicht mehr zu erkennen und erinnert eher an eine Sanddüne. Selbst Auguste Mariette war ursprünglich der Meinung, dass rund um den Tempel ein Graben gezogen werden muss, damit der angewehte Wüstensand nicht wieder das Gebäude unter sich begraben soll. So wie es der Name für den Platz durch die Einheimischen schon andeutete, war durch die eingestürzten Dächer der Magazine links vom Hauptgebäude der Eindruck des „Versunkenseins“ entstanden. Er war umso mehr erstaunt, als er erkannte, dass die Architekten bewusst das Objekt in den Hang gebaut hatten, als wäre er der „Einstieg in die Unterwelt“. Warum gerade dieser konkrete Platz ausgesucht wurde, ist m. E. einerseits ein Hinweis auf den nahen Friedhof der alten Könige. Dieses Bauwerk hätte der ursprüngliche Erbauer näher zum Fruchtland errichten können, doch spielte die erhöhte Lage des Baugrunds eine wichtige Rolle, da durch diese Lage von 4,20 Meter über dem durchschnittlichen Nilstand in alten Zeiten die Überschwemmungen normalerweise keinen Schaden anrichten konnten. Beim Betrachten der Lageskizze und des Tempelinneren vor Ort sehe ich die Anbaugrenze zwischen dem Altbau und dem südlichen Anbau deutlich. Die Wanddicke bezeugt die ehemaligen Umfassungsmauern und m. E. kann der alte Vorgängerbau sogar nur die sieben Kammern umfasst haben, sodass alle Räume hinter ihnen (Osirishallen und Schreine) ein Neubau der Rekonstruktion waren.

Obwohl altägyptische Orte fast ausschließlich am Nil oder an seinen Hauptkanälen errichtet wurden, wie beispielsweise Luxor und Theben, zeigen die Orte Abydos und Dendera ganz deutlich, dass hier der Schwerpunkt in der Sicherung der Nekropolen vor Wassereinbrüchen und Hochwasserständen bestand.
Offensichtlich fühlte sich der große König dazu berufen, nach dem Wirrwarr, welches durch Echn-Aton ca. vier Jahrzehnte zuvor verursacht worden war, den alten Göttern Hochachtung zu zollen und sich bei den hochverehrten Ahnen zu entschuldigen. Dieser Vorgang entsprach nicht einer noblen Geste, sondern die Könige waren historisch verpflichtet, die Ahnen ohne Ausnahme zu ehren.
Ich will auf die ausufernde Bezeichnung: „Das Haus von Millionen von Jahren des Königs von Ober- und Unterägypten Men-Ma’at-Re, dessen Herz in Abydos zufrieden ist“ in der weiteren Beschreibung verzichten, will jedoch darauf verweisen, dass die Bezeichnung „Totentempel“ von Experten in dem Zusammenhang nicht gern gesehen wird. Also werde ich als Kompromiss vom sogenannten „Jahrmillionen-Haus“ sprechen. Aus welchem Grund der Vorgängerbau errichtet wurde, kann nur durch Erkundung der Lage im freien Feld eruiert werden. Dabei ist uns Ramses II. als liebender Sohn auch wenig hilfreich, da er, und das werden wir im nächsten Absatz sehen, hinter seinem Vater nicht nachstehen wollte. Allerdings geschah das Gleiche wie beim Chonstempel in Karnak, dass die Nachfolger von Seti I. ihren Aufgaben nicht mit absoluter Leidenschaft nachgingen und die Restarbeiten zogen sich über Ramses II., Meren-Ptah und Ramses III. bis Ramses IV. ewig hin. Gottesfürchtig und prahlerisch wollten sie das Vermächtnis der Ahnen ehren, doch irgendwann wich die Begeisterung der Pflichterfüllung und schlief schließlich ein. Eines konnten sie aber alle: Sie nutzten die Jahrmillionen-Häuser für ihre eigene Popularität. Die Hinweise von Strabon gestatten sogar die Vermutung, dass der Tempel irgendwann aufgegeben wurde und er bereits ein verlassenes Bauwerk vorfand.
Heute liegt der Tempel am westlichen Ortsrand von Abydos. Ein geräumiger Parkplatz bietet Parkmöglichkeiten für viele Touristenbusse und Privatfahrzeuge, doch die Hochzeiten des Tourismus sind vorüber und nur wenige Fahrzeuge bringen Besucher auf die Anlagen des ruhenden Verkehrs. Rund 240 Meter Fußweg bis zum kleinen Ticket-Shop, dann führt der Weg über eine Rampe zum ehemaligen ersten Pylonen, von dem kaum mehr als die mit Gravuren übersäten Kalksteinfundamente zu sehen sind. Rechts verläuft eine Wand, die den Tempel von der moderneren Wohnbebauung trennt, was darunter verborgen ist, bleibt bis auf Weiteres ein Geheimnis. Offensichtlich gab es zur Zeit des Tempelbetriebs dahinter Versorgungseinrichtungen und Magazine, wie beispielsweise im Ramesseum bei Theben West. Auf der Südseite kann man die alte Trennmauer erkennen, in der sich fast auf Höhe des Pylons eine kleine Pforte befand, heute ohne jede Bedeutung. Historisch begründet, kommt der Besucher vom Ersten Hof über eine weitere Rampe mit Treppen zu einer Trennwand, an die sich schließlich der Zweite Hof anschließt. Auf die beiden Flanken sind kolossale Figuren von Ramses II. eingraviert, leider fehlen die oberen Teile, sodass man nur die unteren Szenen erkennen kann. Ich liebe altägyptische Tempelbauten und deren Informationen für die Nachwelt. Wenn auch stark ramponiert, kann ich aber hier doch die teilweise erhaltenen Bilder und Namen von 119 Kindern, davon 59 Söhne und 60 Töchter auf der Südseite erkennen. Es hätte nicht viel mehr Raubbau bedurft, und alles wäre für immer verschwunden. Über diesen Tempel hat Strabon geschrieben:

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