Von den Sinnen und darüber hinaus

Von den Sinnen und darüber hinaus

Christian Müller


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 72
ISBN: 978-3-99064-955-8
Erscheinungsdatum: 22.12.2020
Zahlreiche Gedichte sowie ein bündiges Sammelsurium von Aphorismen und besinnlichen Texten laden zum Nachdenken und Überdenken der eigenen Lebensphilosophie ein. Beleuchtet werden u. a. weltanschauliche, erkenntnistheoretische und philosophische Themen.
Vorwort

Wir leben schneller, lieben praktischer, bedauern und vergessen schneller. Wir fühlen alles, doch nichts berührt. Ein berauschendes und betäubendes Gefühl der Hilflosigkeit und Unverantwortlichkeit, das aus dem Maß an Fülle und Übersättigung hebt, welches uns mit unserer Zeit im Gleichgewicht hält. Ein gewaltiger, sich von seinem kulturellen Erbe lösender Strom sinkender Gegenwärtigkeit und steigenden Nachdrucks einer zerfließenden, unnahbar gewordenen Welt und Wirklichkeit.
Ungebremst strömt das Leben durch die Fenster unserer Seelen: Maßlos und voll von Bedeutung. Geballt, groß, zweckentfremdet, vage, herzlos, haltlos und wahr; verdünnt gewinnt und erreicht bald ein Maß an Härte, Überdruss und Würdelosigkeit, welche die engen Grenzen der Körperlichkeit und Gefühlswelt sprengen. Nichtsdestotrotz sind Gefühle die einzige Möglichkeit im Leben aufzugehen.

Es liegt nun an der Oberfläche Mensch selbst, sich entweder fest im Wurzelwerk des neuen Erdreichs zu verankern oder im Zuge eines nostalgischen Misstrauens gegenüber dem Morgen zu widersetzen.
Sehnen wir uns infolge verschiedener Gefühle der Entfremdung und Entfernung also nicht gerade jetzt nach einer Dimension der Ruhe und Reflexion, nach einem wehrhaften Register an Fiktion und Imagination gegen das sich andrängende Tageslicht der neuen Welt.



Das wiedergefundene Lächeln

An alle Herzen,
Gesichter ohne Namen.
Nebenrechnungen im großen Plan,
Einzelschicksale und der Evolution
bizarrer Humor Samen.

Verwelkt wie die Götter,
selbstverliebt wie wir.
Propheten des Zweckes und Willen.
Auf ewig verdammt
des Lebens Hunger und Durst zu stillen.

Entmutigt, gebrochen und resigniert.
Eingebunden im Kausalrausch
des rastlosen Strebens.
Immun der Schönheit des Lebens.

Unermüdlich überreizt und getrieben,
scheint ein Lachen ein ferner,
gar unerreichbarer Klang.
Doch solange ein Herz schlägt,
ein notwendiger, fast kompulsiver Drang.

Ein verlorenes und wiedererkämpftes Recht,
das vor dem Gesicht der Welt besteht.
Mit kühner Gewohnheit
und Gleichmuts passiver Härte,
die entblößte Seele wiederbelebt.



Guter Rat ist billig

Du bist groß, stolz und mutig
und doch schon fast besiegt.
Du suchst das Glück
und willst das Leben fühlen,
und doch wagst es nicht zu berühren.

So tritt ein durch jenes Tor.
Atme ein des Lebens Beben.
Öffne dich den Klängen und Fängen,
die verstreut unter allzu tauglicher Nüchternheit
und verflossenen Stunden grauer Nichtigkeit.

Überwinde die selbstgewählten Ketten
die dich niederhalten.
Hefte dich an das Mögliche,
lese im Moment das Ferne.
Stehe bei Gewinn und Verlust
fest zu deinem Sterne.

Ruhe auf dem Gewissen,
stütze dich auf das Wissen,
wachse in und über die Welt.
Verwurzelt im Glauben an Mensch und Zukunft,
der dich am Boden hält.

Lass das allmächtige Werk
ungefiltert in dich strömen.
Eingereiht in den großen Strom der Ewigkeit.
Flimmernde Irrlichter unter dem Himmelszelt,
die Atome und Seelen der neuen Welt.



Der Gott in uns

Ich bin das Kleine, Große,
Herzliche und Beherzte,
Bestürzende und Tieftraurige.
Liebende, bisweilen Hassende,
Besitznehmende, Fesselnde und Besessene.
Die Vielfalt und Einfalt,
Schein und Scheinheiligkeit,
das Tragisch-Komische,
Seltsame und emotionslos Logische.

Ich bin der Boden, auf dem du stehst,
der Himmel, dem du entgegenstrebst.
Heimkehr und Flucht,
Fluch und Segen.
Das nahe Ende
und verzweifelte Flehen,
der lethargische Stachel
und Weigerung zu gehen.

Die Sanftheit, die im Schönen harrt.
Der fließende Strom und
willkürliche Ordnung,
die darin erstarrt.
Ich bin die Quelle, die nie versiegt.
Wurzel, Blüte und Lebenskraft.
Der wunde Punkt, dem alles entspringt,
und Kreis der sie umschlingt.

Die kraftvollen Krümmungen wüster Begierden
eines endlosen Traums.
Das hohe Moment der Erleuchtung,
sanctum sanctorum des spirituellen Raums.
Ich bin der verhüllte Wunsch auf deinen Lippen,
der fiebrige Geist trunkener Nüchternheit
und lüsternes Fleisch auf deinen Rippen.

Das Wort auf deiner Zungenspitze,
das vielleicht noch nie erklungen,
doch wohlgeformt,
das mächtigste Feuer,
das auf Erden je besungen.
Ich bin das Gesicht der Rache,
Heimkehr der Reinheit,
Meister und Knecht.
Das Tor zur Freiheit
und eiserne Gesetz.

Ich bin Streiter wissenschaftlichen Glaubens,
Henker, Kläger und Moral.
Die im höchsten Kampf
erlittene Qual.
Die fortgesetzte Reihe im großen Streben
und blinder Phantasmen Beben.
Der sich durchsetzende Fluss an
Tauglichkeit und Güte
und Irrtum im Glanz des Stolzes Blüte.
Das ewig brennende Feuer und Licht,
in der Erfüllung der täglichen Pflicht.

Ich bin ganz Körper und doch unnahbar.
Der Atem der Welt.
Die Menge an Knoten und Knochen im Weltgerüst.
Magisches Band und Sehne
die sie zusammenhält.
Ich bin die Hilfe, die erbeten und entsandt.
Nehmt Krone und Schwert aus meiner Hand!
Eine sakrale Verlegung,
die Aussaat und Ernte des prophezeiten Land.

Hier zu zeugen und Wort ergreifend,
habe viel zu lehren,
doch nichts zu beweisen.
Denn ich bin der Gerechteste
und Weiseste unter euch Lehrern
und glühendsten Verehrern.
Ich bin in dir und Gegenüber,
die warme Haut und kalte Welt darüber.
Entdecke dich und leugne nicht,
Auge in Auge mit dem Horizont,
Angesicht zu Angesicht.



Der Kreuzzug des Propheten

Er sucht den Sinn, den er nicht verstand,
die Sinne, die er nicht gekannt.
Die erste Wahrheit und des Wunders Macht,
jene, in welche der Himmel und Erde,
und das Leben in sich gebracht.

Ein Zeichen und Symbol größer als er,
ein Kreuzzug wider der schönen Welt.
Ein aussichtsloser Kampf,
indem das eigene Ich besiegt oder fällt.
Der Geist der Zeit hat ihn ergriffen,
die große Aufgabe gestellt.

Er steht fern und fremd unter dem Mensch,
eine einsame Höhe selbstgewählter Verdammnis.
Eine Insel kalter Überschau
und selbstentflammter Wacht.
Ohne Halt und festen Boden,
einsam probend durch die unerhellte Nacht.

In unzeitgemäß beklemmender Fremde,
dort, wo noch kein Pfad sichtbar,
folgend der Legende.
Hier, wo nur der aufrichtige Glaube
an den Wert des Menschen trug.
Eine naive Gesinnung,
die in Ernüchterung und wüster Verbitterung entlud.

Er fühlt mit Schmerz den Verlust und Glanz,
der ganz dahingeschwunden.
Jahre der Einbuße und Rastlosigkeit.
Die Ideale verworfen,
die Menschheit verdammt.
Willenlos entkräftet, gealtert und leer,
passt die alte Haut nicht mehr.

Gleichwohl den Glauben verloren,
reicht er voll des Trotzes
noch einmal nach dem Morgen.
Doch sein Schicksal war besiegelt.
Er stand der Welt firm,
doch hoffnungslos gegenüber.
Nie verstanden und doch gänzlich durchdrungen
und letztlich von ihr bezwungen.



Sturmwinde

Das Temperament der Erkenntnis schallt in mir,
waltet durch das stille Dunkel
mit katalytischer Macht.
Indes das Urgestein finsterer Verwerfung
mahnt zur Vorsicht und Bedacht.

Eine hybride Seite blinder Wut durchwühlt die Sinne,
durchteilt die Stimme der Vernunft.
In sinnhafter Lust
und sinisterer Lüsternheit gefangen,
befeuert eine sehnsüchtige List das Verlangen.

Es regt und bebt
im Stile eines großen Wunders.
Ein verbildeter und unbeugsamer Glaube
an Fortschritt und hoher Sittlichkeit.
Im Zyklus des Wandels Saat,
ein Orkan, tief und abgründiger
Zersetzung naht.

Ich fühle die Sinne entgleiten,
mich von allen Seiten bedrängt.
Ich kenne keine Ruhe,
gewähre keine Gnade.
Schnell haschen die Visionen,
Gedanken, die wie Schatten vorübertoben.

Ich verbrauche mich fortwährend,
erneuere mich fortwährend.
Sterbe fortwährend,
damit ich leben kann.
Ein würdeloses Leiden und Reiben
auf dem Weg zu einer besseren Welt.
Ein Sieg ohne Ruhm,
doch ich heile nun!

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