Zurück auf Null

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Ralle Tik


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 216
ISBN: 978-3-99107-317-8
Erscheinungsdatum: 16.12.2020

Leseprobe:

ImAugust 2017 begann für mich ein neuer Lebensabschnitt … Neuer Wohnort, neues Zuhause, neue Arbeitskollegen – ich war bereit diesen zu gehen, mit dir!
Ich war angespannt, aufgeregt und gleichzeitig freute ich mich darauf. Da zu wohnen, wo wir so oft Urlaub machten!
Doch dann kam der Tag, der alles veränderte, der einem den Boden unter den Füßen wegzog, an dem auf einmal nichts mehr war wie früher!
Der Tag, der mir Angst und Sorge brachte, die Diagnose Burkitt Lymphom – KREBS.
Alles fühlte sich so fremd an. Es lief wie ein Film ab und ich stand daneben und schaute zu.
Ich funktionierte, erledigte das Alltägliche, arbeitete mich in meinem neuen Job ein, den ich exakt am letzten Tag startete, als mein Mann die abschließende Voruntersuchung hatte. Ich fand mich im U-Bahn-Netz in München zurecht, kümmerte mich um die Restarbeiten in unserer Wohnung, bangte fast täglich auf Ergebnisse neuer Befunde … und fühlte mich unendlich allein. Abends, wenn ich von der Klinik nach Hause kam, telefonierte ich mit der Familie und Freunden und weinte mich in
den Schlaf.
So verging Tag um Tag …
Dein Körper veränderte sich, langsam zeichneten dich die vielen Chemos. Vor allem deine Haut fühlte sich irgendwie fremd an, du rochst nach Chemie und konntest oft vor Schmerzen nicht essen. Und ich konnte dir nicht helfen. Das war das Schlimmste – die Hilflosigkeit!
Ich musste zuschauen und war machtlos. Gepaart mit der ständigen Angst um dich!
Zukunftspläne zu machen traute ich mich nicht und wenn sich ein Gedanke eingeschlichen hatte, der nicht an dich glaubte, habe ich mich gezwungen positiv zu denken.
Dir eine Stütze zu sein und gemeinsam mit dir zu kämpfen, das war mein Auftrag.
Und so tat ich das … für dich, für mich, für uns!
Ich liebe dich, deine Wendy!



Vorwort

„Sie haben Krebs! Diesen Krebs nennt man Das-Burkitt-Lymphom!“
Diese Nachricht ist eine schlimme Nachricht, niederschmetternd. Es ist, als stündest du vor einem schwarzen Loch, ein Loch, hinter dem ein Vakuum existiert, welches dich unaufhaltsam ansaugt. Dein Rechenzentrum im Kopf ist gelähmt, geschockt, beginnt sich im Kreis zu drehen. Als würde es just in diesem Moment, wo es am dringendsten benötigt wird, eine Party veranstalten. Einfach mal abfeiern, egal, wie diese Party ausgeht. Dein Verstand lässt dir keine Zeit, die eigenen Gedanken zu sortieren. Krebs, das fühlt sich so final an und so hilflos. Hilflos ist das richtige Wort. Für jeden Betroffenen, aber auch für jeden Angehörigen gilt das gleichermaßen. Mit einer solchen Nachricht umzugehen ist nicht leicht, manchmal sogar unmöglich. Nicht selten schließen in diesen Situationen Betroffene mit ihrem Leben ab, zumindest gedanklich. Sie bedauern sich zutiefst, weil es eine tödliche Krankheit ist, der Krebs.
Angehörige, Freunde wissen in diesen Situationen nicht, wie sie sich verhalten sollen. „Sollte ich nun anrufen? Störe ich vielleicht?“ Und insbesondere engste Angehörige sind oft überfordert, stärker unter Druck als Betroffene selbst. Sie können nur zuschauen und hoffen. Dennoch sind sie wichtiger, als es ihre Wahrnehmung spiegelt. Das habe ich während meiner knapp 10-monatigen Tortur mit 99 Chemotherapien gelernt.
Mit diesem Buch möchte ich Betroffenen zum einen aufzeigen, dass positives Denken, Nach-vorne-Schauen und Aktivität helfen können Dinge abzufedern. Zum anderen soll dieses Buch Mut machen an sich zu glauben, zu kämpfen, jeder einzelne Tag ist dies wert.
Eine solide körperliche Fitness und abseits der Schulmedizin etwas die Natur nutzen, auch das kann helfen. Nicht dass ich an dieser Stelle missverstanden werde. Ich bin kein Verfechter von Aussagen: „Alles geht auf natürlichem Weg, der Krebs lässt sich durch spezielle Diäten, Superfood-Essen bekämpfen.“ NEIN! Lassen Sie sich nicht Ihr Geld aus der Tasche ziehen. In meinem Falle wäre ich schon lange tot, Unsinn. Wenn das so einfach wäre, würde unser Gesundheitssystem sehr viel Geld sparen können und, da bin ich mir ganz sicher, es auch tun. Die Schulmedizin ist aus meiner Sicht der entscheidende Faktor. Natürlich minimiert eine ausgewogene und gesunde Ernährung, gepaart mit einem starken Immunsystem und körperlicher Fitness präventiv das Krebsrisiko und fördert mit hoher Wahrscheinlichkeit den Heilungsverlauf. Fast-Food, immense Mengen an Kohlehydraten und Zucker sind für einen gesunden Menschen nicht förderlich, für einen kranken Menschen schon gar nicht. Diese Lebensmittel regelmäßig genommen sind ebenso wie Dauer-Stress und andere, negative Einflüsse keine gute Basis für eine solide Gesundheit. Wenn man dieses Wissen nicht ignoriert, tut jeder bereits für sich etwas Gutes. Unsere Omas wussten das auch schon: „Alles was mit Zu anfängt, ist nichts“, habe ich stets gehört. „Zu viel ist nichts, zu wenig aber auch nicht!“ Ist es nicht so?
Insofern habe ich dieses Buch für Betroffene, indirekt Betroffene und auch für interessierte Leser geschrieben. Leser, die an einer wirklichen großen Geschichte teilhaben möchten. Leser, die einmal wissen möchten, wie es ist „Zurück auf Null“ zu kommen!



Kapitel 1

Die großen braunen und ledernen Sessel sind bei diesen heißen Außentemperaturen von über 30 Grad keine angenehme Unterlage. Die Wärme staut sich unter den Beinen. Endlich kommen sie, der Exportdirektor und der Europachef der LOK AG, eine Nobelmarke, nein, meine Nobelmarke aus der Schweiz. Ich brenne für diese Marke.
Es ist der 22. Juni 2016, ein wunderschöner und sehr warmer Tag. Ich bin am Frankfurter Flughafen im Empfangsbereich des Hilton-Hotels. Es bestehen einige Meinungsverschiedenheiten bezüglich Strategie zwischen dem Exportdirektor und mir, basierend auf unnötigen Differenzen. Zusätzlich angestachelt von Dritten, vielleicht von Neidern?
Unsere Entwicklung in meinem Zuständigkeitsbereich ist sehr gut. Das Gespräch führt ausschließlich Adalbert der Exportdirektor, Urs als Europachef ist lediglich als Zeuge mit angereist. Nach ein paar Floskeln zu Beginn des Gesprächs und deutlich sichtbarer Anspannung kommt Adalbert schnell auf den Punkt. Er möchte das Thema nicht länger hinauszögern. „Also wir wollen es kurz machen. Wir wollen die Zusammenarbeit mit dir beenden. Du wirst freigestellt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und bekommst dein Gehalt und Fahrzeug weiter bezahlt. Hast du irgendwelche Fragen?“ Zack! Nun war es raus. So zumindest wirkt sein Gesichtsausdruck, als er mir seine Botschaft vor die Füße schmeißt. Er ist froh, dass er es hinter sich hat. Seine Augen kreisen fragend hin und her, wartend auf eine Reaktion. Seine Schweißperlen auf der Stirn sind nicht nur dem warmen Wetter geschuldet.
Doch mit welcher Reaktion rechnet Adalbert? Für mich ist der Sachverhalt völlig klar und längst überfällig. Schließlich hatte ich aufgrund der vorhandenen Querelen bereits zweimal um meine Freistellung gebeten. Ganz sachlich und aufgeräumt antworte ich deshalb: „Fragen bezüglich der Kündigung? Nein, die habe ich nicht. Dass irgendwann eine Kündigung kommen würde, stand doch längst im Raum oder nicht? Ich bin froh, dass wir uns unterhalten, wenn ich auch gern meine Arbeit mit dieser tollen Marke weitergeführt hätte. Von mir liegt viel Herzblut und Jahre der Arbeit in dieser Marke. Aber nun ist das so, gut. Wie habt ihr euch die Trennung vorgestellt? Diese Details sollten wir noch besprechen.“
„Wie vorgestellt? Du bist freigestellt, wir haben fristgerecht gekündigt, was meinst du denn genau?“ Natürlich weiß er exakt, wohin meine Frage zielt, aber aussprechen möchte er es nicht. Urs mimt weiterhin den Beobachter. Entweder traut er sich nicht oder er darf nichts sagen. „Was ich damit meine, kann ich kurz erklären“, fahre ich fort. „Wir haben einen neuen Mitarbeiter für das Gebiet Bayern eingestellt. Ich benötige keine lange Freistellung und würde dem Mitarbeiter gerne den Einstieg so hilfreich als möglich bereiten. Und meine Unterlagen und mein Wissen bezüglich Key Accounts, unseren Schlüsselkunden, wären mir ebenfalls wichtig. Das hat unsere Marke verdient.“ Ich erwarte eine Reaktion des konstruktiven Miteinanders, des professionellen Abschließens, doch meine Rechnung geht nicht auf. Adalbert schaut völlig unsicher durch seine braunen Augen, konzentriert seiner Strategie zu folgen, den Nichtsahnenden zu spielen. Anstatt eine einvernehmliche Lösung zu erzielen und mein Angebot anzunehmen, schwenkt Adalbert auf Konfrontation. „Nein, das brauchen wir alles nicht. Die Unterlagen kannst du vernichten, eine Einarbeitung ist nicht vonnöten. Der neue Kollege kann allein zu den Kunden fahren! Und über Geld kann ich eh nicht sprechen, das ist Sache der Anwälte. Geh doch zum Anwalt, dann sehen wir weiter.“ Für einen kurzen Augenblick schießt mir der Schrecken über solche Unvernunft in die Glieder. Wie kann Adalbert ein solches Angebot eines Konsenses mit Füßen treten? Schnell sammele ich mich. „Ihr schickt mich zum Anwalt, wo ich euch nicht nur eine Hand, sondern beide Hände reiche? Ich verstehe das ganze Spiel hier gerade nicht. Wenn wir kein Gespräch führen wollen, dann können wir das Ganze hier auch beenden.“ Ich nehme die Kündigung entgegen, wir verabschieden uns. Noch immer kopfschüttelnd über solche Unvernunft komme ich nach wenigen Minuten in meinem Fahrzeug an. Ich überprüfe das Smartphone und stelle fest, dass mein E-Mailkonto bereits blockiert ist.
Auf der Heimfahrt informiere ich aus erster Hand meine Mitarbeiter, das bin ich ihnen schuldig. Viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Die Mitarbeiter und die Kunden, die Einkaufsgesellschaften mit ihren organisierten Strukturen, sie alle wären es wert gewesen weiterzumachen. Gegen siebzehn Uhr treffe ich endlich zu Hause ein und bespreche die Situation ausgiebig mit meiner Frau. Wendy ist über die Vorgehensweise von Adalbert und Urs ziemlich sauer.
Und völlig aus der Situation heraus ruft sie meinen Namen. Laut, eindringlich, ängstlich dringt ihre Stimme durch: „Max? Maaax!“ Aber …
… ich gleite just in diesem Moment durch einen Nebel zurück ins Bewusstsein. Meine Wendy ruft erneut meinen Namen und beugt sich über mich. „Max? Max, hörst du mich?“ Ich öffne meine Augen: „Was ist denn los? Was machst du hier?“ Ich schaue mich zaghaft, etwas verwirrt um. Schweißgebadet, nur mit einer Unterhose bekleidet, liege ich auf kalten Fliesen in unserer Mietwohnung in Hohenbrunn. Und das mitten in der Nacht vom 15. auf den 16. September 2017. Wendy hat das Telefon in der Hand. „Ja, habe ich gemacht“, höre ich. „Ja, er ist wieder ansprechbar!“
„Wendy, was ist denn los? Warum habe ich lauter Blumenerde auf meiner Brust?“
„Schatz, geht’s dir gut?“, fragt sie besorgt. Dann erklärt sie dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung, dass ich, wenn überhaupt, ins Klinikum rechts der Isar in München müsse. Innerhalb weniger Momente steht mir mein Gedächtnis wieder zur Verfügung. Am 18. habe ich in diesem Klinikum einen OP Termin. „Schatz, Schatz! Mir geht es gut!“, rufe ich ihr und dem Teilnehmer am anderen Ende des Telefonhörers beruhigend zu. „Alles ist gut.“ Ein typischer und nicht immer angebrachter Männersatz. Mir geht es nicht gut, das wird mir gerade wieder bewusst. Sie drückt die rote Taste am Telefon und legt auf. Ich halte die Hand meiner Frau ganz fest und schaue ihr in die Augen. „Danke mein Schatz. Es tut mir leid, das wollte ich nicht.“
„Du spinnst doch“, kommt postwendend zurück. Sie schüttelt ihren Kopf, weil sie meine Aussage kaum glauben kann. „Geht es dir wirklich gut? Wie ist das denn passiert?“
„Ich könnte mich so über mich selbst ärgern, irgendwie habe ich es kommen sehen“, antworte ich immer noch am Boden liegend. „Ich konnte vor Kopfschmerzen nicht mehr schlafen oder liegen bleiben. Da es kaum noch auszuhalten war, entschloss ich mich in die Küche zu gehen und eine weitere Schmerztablette einzunehmen. Während der Einnahme des Wassers wurde mir schlecht. Die Schmerzen waren so stark, ich wollte schnell auf Toilette und anschließend sofort wieder ins Bett. Als ich auf der Toilette saß, bereute ich die Einnahme des Wassers. Mir wurde übler und übler. Und schließlich machte sich mein Kreislauf bemerkbar. Ich spürte sofort, dass ich mich hinlegen müsste, wenn ich keinen Unfall riskieren wollte. Folglich legte ich mich auf den Boden. Und als ich auf dem Fußboden lag und meine Beine etwas hochstreckte, schossen mir andere Gedanken durch den Kopf. Was würdest du dir für Sorgen machen, falls du mich hier liegend entdeckst? Also bin ich wieder aufgestanden. Das Letzte, was ich dann noch weiß, ist, wie ich an den Türgriff fasse.“ „Warum rufst du mich denn nicht? Ich hätte dir doch geholfen? Ich habe einen lauten Knall gehört und finde dich hier liegend auf dem Boden, völlig bewusstlos.“ Und Wendy sagt das nicht nur so. In ihren Augen sehe ich mehr Angst als Vorwurf. Aber sollte ich in tiefer Nacht meine Frau wecken und ihr erzählen, dass ich Schmerzen habe und mir eine Tablette holen möchte? Ich bin froh, dass wir das Krankenhaus abwenden konnten. Ich denke, dass es nicht notwendig war, dass mein Zusammenbruch ein Kreislaufproblem, dem Schmerz geschuldet, war. Mein Gefühl hat mich die letzten Wochen nie getäuscht.
Und morgen werde ich meinen Sohn Maximilian sehen. Wir sind zum Fußball in der Allianz Arena verabredet. Er kommt mit Bekannten aus der Heimat, das Treffen ist mir sehr wichtig. Unser Verhältnis ist sehr innig und voller Liebe und wer weiß, was ab nächster Woche Montag sein wird? Die bevorstehende Operation birgt vielleicht noch viele Unsicherheiten und Hiobsbotschaften. Meine Frau hilft mir die Erde einer herabgefallenen Orchidee von Brust und Bauch zu entfernen, schiebt das entrückte Handtuch-Regal auf seinen Platz zurück und bringt mich ins Bett. Anschließend wischt sie den Fußboden trocken. Die Fliesen sind so nass, als hätte ich geduscht und die alte, verkalkte Schiebetür der Duschwanne hätte offen gestanden. Die Tablette wirkt langsam. Wenn ich liege, bekomme ich super Luft, beinahe so, als wäre nichts. Das hilft, ich schlafe kurz danach ein.



Kapitel 2

Es ist der 16. September 08.15 Uhr. So langsam erwache ich wieder, meine Augen öffnen sich behutsam. Ich fühle mich total ruhig und ausgeschlafen. Von der Nacht, vom Kreislaufzusammenbruch oder von meiner Krankheit ist nichts zu spüren. Meine Frau beobachtet mich prüfend, wer weiß, wie lange schon. „Na, wie hast du geschlafen?“
„Gut!“, sage ich spontan.
„Wenn ich liege, ist es, als wäre alles in Ordnung. Ist doch komisch oder?“ „Ich habe bestimmt 3–4 mal nachgeschaut, ob du noch atmest“, ist Wendy besorgt. Ich sehe ihr an, dass sie versucht ihre Sorgen unter Kontrolle zu halten. „Man hört dich beinahe nicht, wenn du liegst und schläfst. Ich musste jedes Mal nachsehen, ob du auch wirklich Luft holst. Ich habe solche Angst um dich mein Schatz.“ Ich nehme sie beruhigend in meine Arme und drücke sie ganz fest. Ich spüre ihre Sorgen und möchte ihr gerne etwas von ihrer Last nehmen. Dann schau ich mich noch kurz im Schlafzimmer um. Der tolle Rotbuche-Schrank sieht mit seinen Nussbaumapplikationen selbst nach 10 Jahren noch wie neu aus. Die alte Biedermeier-Kommode bildet einen Kontrast im Zimmer und die warmen Orangetöne der Bettwäsche schmiegen sich harmonisch hinzu. Während ich mich umsehe, kommen Ruhe und Zufriedenheit in mir auf. Als ich aufstehe und ins Bad gehe, bewegt sich mein großes Geschwür im Hals wieder Richtung Luft- und Speiseröhre. Das Atmen wird schwerfälliger und mein Rasseln beim Luftholen erinnert mich an Darth Vader. Die Hauptrolle der Star Wars Trilogie wäre mir in meinem jetzigen Zustand sicher gewesen. Nach der Rasur und dem Waschen des Gesichts trage ich Rasierwasser auf und schaue dabei unbewusst meinen Hals im Spiegel an. Ja, es ist deutlich zu erkennen. Die etwa 11 cm Länge und 8 cm Breite meines „Fleischpflanzerl’s“, wie ich es nenne, sind nicht zu kaschieren. Ich gehe die Treppe hinunter zum Frühstücken. Es ist alles etwas langsamer als sonst, aber ich fühle mich wohl. Lediglich, wenn ich an meine Frau und meine Kinder denke, dann ist mir nicht wohl. Komisch, an mich selbst denke ich am wenigsten, bin sogar positiv gestimmt. Die, die einem am Herzen liegen, um die sorgt man sich tausend Mal mehr als um sich selbst. Wenn nur die Schmerzen vom Nacken zum Kopf hoch nicht so stark wären. Diese waren auch der Grund meiner Nachtwanderung. In der Küche angekommen erzähle ich Wendy, dass ich in den paar Sekunden heute Nacht im Bad liegend den ganzen Ablauf meines Kündigungsgesprächs am Frankfurter Flughafen geträumt hatte.
„Es lief ab wie im Film. Jedes Wort hatte ich im Kopf. Bis du dann meinen Namen riefst!“
„Es ist verrückt, dass dich das nach einem Jahr noch so stresst und mitnimmt. Jetzt arbeitest du seit deiner Kündigung bereits ein Jahr bei Bosch, wir sind nach Hohenbrunn gezogen, ich habe einen neuen Job und du träumst mit Kreislaufkollaps in Ohnmacht deine Entlassung nochmal durch. Das ist doch irre“, bemerkt Wendy. Es ist offensichtlich, dass sie sich heute noch sehr über diese unfaire Behandlung vom letzten Jahr ärgert. Erst so kam ich ja zum neuen Job und schließlich zum Umzug von Hessen nach Bayern. Dieser seelische Stress, der über einen längeren Zeitraum bestand, trug dazu bei, dass ich diesen Januar das erste Mal seit zig Jahren krank wurde und für eine Woche ausfiel. Zumindest sieht das Wendy so. „Ja, das hat dein Immunsystem heruntergezogen. Du warst sonst nie krank …“, etwa so klang sie. Und dann träume ich auch noch davon, verrückt.
Während des Frühstücks fragt sie mich, ob ich mir denn ganz sicher bin, heute mit unserem Sohn in die Allianz Arena zu gehen. Ob das nicht ein bisschen viel für mich sei? „Nein, wirklich mein Schatz. Ich freue mich riesig auf Maximilian und wir haben doch auch bereits die Karten. Und was soll ich zu Hause auf die Operation am Montag warten? Was ändert sich an unserer Situation, wenn ich anstatt im Stadion zu Hause sitze? Ich bin doch nicht bettlägerig?“

ImAugust 2017 begann für mich ein neuer Lebensabschnitt … Neuer Wohnort, neues Zuhause, neue Arbeitskollegen – ich war bereit diesen zu gehen, mit dir!
Ich war angespannt, aufgeregt und gleichzeitig freute ich mich darauf. Da zu wohnen, wo wir so oft Urlaub machten!
Doch dann kam der Tag, der alles veränderte, der einem den Boden unter den Füßen wegzog, an dem auf einmal nichts mehr war wie früher!
Der Tag, der mir Angst und Sorge brachte, die Diagnose Burkitt Lymphom – KREBS.
Alles fühlte sich so fremd an. Es lief wie ein Film ab und ich stand daneben und schaute zu.
Ich funktionierte, erledigte das Alltägliche, arbeitete mich in meinem neuen Job ein, den ich exakt am letzten Tag startete, als mein Mann die abschließende Voruntersuchung hatte. Ich fand mich im U-Bahn-Netz in München zurecht, kümmerte mich um die Restarbeiten in unserer Wohnung, bangte fast täglich auf Ergebnisse neuer Befunde … und fühlte mich unendlich allein. Abends, wenn ich von der Klinik nach Hause kam, telefonierte ich mit der Familie und Freunden und weinte mich in
den Schlaf.
So verging Tag um Tag …
Dein Körper veränderte sich, langsam zeichneten dich die vielen Chemos. Vor allem deine Haut fühlte sich irgendwie fremd an, du rochst nach Chemie und konntest oft vor Schmerzen nicht essen. Und ich konnte dir nicht helfen. Das war das Schlimmste – die Hilflosigkeit!
Ich musste zuschauen und war machtlos. Gepaart mit der ständigen Angst um dich!
Zukunftspläne zu machen traute ich mich nicht und wenn sich ein Gedanke eingeschlichen hatte, der nicht an dich glaubte, habe ich mich gezwungen positiv zu denken.
Dir eine Stütze zu sein und gemeinsam mit dir zu kämpfen, das war mein Auftrag.
Und so tat ich das … für dich, für mich, für uns!
Ich liebe dich, deine Wendy!



Vorwort

„Sie haben Krebs! Diesen Krebs nennt man Das-Burkitt-Lymphom!“
Diese Nachricht ist eine schlimme Nachricht, niederschmetternd. Es ist, als stündest du vor einem schwarzen Loch, ein Loch, hinter dem ein Vakuum existiert, welches dich unaufhaltsam ansaugt. Dein Rechenzentrum im Kopf ist gelähmt, geschockt, beginnt sich im Kreis zu drehen. Als würde es just in diesem Moment, wo es am dringendsten benötigt wird, eine Party veranstalten. Einfach mal abfeiern, egal, wie diese Party ausgeht. Dein Verstand lässt dir keine Zeit, die eigenen Gedanken zu sortieren. Krebs, das fühlt sich so final an und so hilflos. Hilflos ist das richtige Wort. Für jeden Betroffenen, aber auch für jeden Angehörigen gilt das gleichermaßen. Mit einer solchen Nachricht umzugehen ist nicht leicht, manchmal sogar unmöglich. Nicht selten schließen in diesen Situationen Betroffene mit ihrem Leben ab, zumindest gedanklich. Sie bedauern sich zutiefst, weil es eine tödliche Krankheit ist, der Krebs.
Angehörige, Freunde wissen in diesen Situationen nicht, wie sie sich verhalten sollen. „Sollte ich nun anrufen? Störe ich vielleicht?“ Und insbesondere engste Angehörige sind oft überfordert, stärker unter Druck als Betroffene selbst. Sie können nur zuschauen und hoffen. Dennoch sind sie wichtiger, als es ihre Wahrnehmung spiegelt. Das habe ich während meiner knapp 10-monatigen Tortur mit 99 Chemotherapien gelernt.
Mit diesem Buch möchte ich Betroffenen zum einen aufzeigen, dass positives Denken, Nach-vorne-Schauen und Aktivität helfen können Dinge abzufedern. Zum anderen soll dieses Buch Mut machen an sich zu glauben, zu kämpfen, jeder einzelne Tag ist dies wert.
Eine solide körperliche Fitness und abseits der Schulmedizin etwas die Natur nutzen, auch das kann helfen. Nicht dass ich an dieser Stelle missverstanden werde. Ich bin kein Verfechter von Aussagen: „Alles geht auf natürlichem Weg, der Krebs lässt sich durch spezielle Diäten, Superfood-Essen bekämpfen.“ NEIN! Lassen Sie sich nicht Ihr Geld aus der Tasche ziehen. In meinem Falle wäre ich schon lange tot, Unsinn. Wenn das so einfach wäre, würde unser Gesundheitssystem sehr viel Geld sparen können und, da bin ich mir ganz sicher, es auch tun. Die Schulmedizin ist aus meiner Sicht der entscheidende Faktor. Natürlich minimiert eine ausgewogene und gesunde Ernährung, gepaart mit einem starken Immunsystem und körperlicher Fitness präventiv das Krebsrisiko und fördert mit hoher Wahrscheinlichkeit den Heilungsverlauf. Fast-Food, immense Mengen an Kohlehydraten und Zucker sind für einen gesunden Menschen nicht förderlich, für einen kranken Menschen schon gar nicht. Diese Lebensmittel regelmäßig genommen sind ebenso wie Dauer-Stress und andere, negative Einflüsse keine gute Basis für eine solide Gesundheit. Wenn man dieses Wissen nicht ignoriert, tut jeder bereits für sich etwas Gutes. Unsere Omas wussten das auch schon: „Alles was mit Zu anfängt, ist nichts“, habe ich stets gehört. „Zu viel ist nichts, zu wenig aber auch nicht!“ Ist es nicht so?
Insofern habe ich dieses Buch für Betroffene, indirekt Betroffene und auch für interessierte Leser geschrieben. Leser, die an einer wirklichen großen Geschichte teilhaben möchten. Leser, die einmal wissen möchten, wie es ist „Zurück auf Null“ zu kommen!



Kapitel 1

Die großen braunen und ledernen Sessel sind bei diesen heißen Außentemperaturen von über 30 Grad keine angenehme Unterlage. Die Wärme staut sich unter den Beinen. Endlich kommen sie, der Exportdirektor und der Europachef der LOK AG, eine Nobelmarke, nein, meine Nobelmarke aus der Schweiz. Ich brenne für diese Marke.
Es ist der 22. Juni 2016, ein wunderschöner und sehr warmer Tag. Ich bin am Frankfurter Flughafen im Empfangsbereich des Hilton-Hotels. Es bestehen einige Meinungsverschiedenheiten bezüglich Strategie zwischen dem Exportdirektor und mir, basierend auf unnötigen Differenzen. Zusätzlich angestachelt von Dritten, vielleicht von Neidern?
Unsere Entwicklung in meinem Zuständigkeitsbereich ist sehr gut. Das Gespräch führt ausschließlich Adalbert der Exportdirektor, Urs als Europachef ist lediglich als Zeuge mit angereist. Nach ein paar Floskeln zu Beginn des Gesprächs und deutlich sichtbarer Anspannung kommt Adalbert schnell auf den Punkt. Er möchte das Thema nicht länger hinauszögern. „Also wir wollen es kurz machen. Wir wollen die Zusammenarbeit mit dir beenden. Du wirst freigestellt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und bekommst dein Gehalt und Fahrzeug weiter bezahlt. Hast du irgendwelche Fragen?“ Zack! Nun war es raus. So zumindest wirkt sein Gesichtsausdruck, als er mir seine Botschaft vor die Füße schmeißt. Er ist froh, dass er es hinter sich hat. Seine Augen kreisen fragend hin und her, wartend auf eine Reaktion. Seine Schweißperlen auf der Stirn sind nicht nur dem warmen Wetter geschuldet.
Doch mit welcher Reaktion rechnet Adalbert? Für mich ist der Sachverhalt völlig klar und längst überfällig. Schließlich hatte ich aufgrund der vorhandenen Querelen bereits zweimal um meine Freistellung gebeten. Ganz sachlich und aufgeräumt antworte ich deshalb: „Fragen bezüglich der Kündigung? Nein, die habe ich nicht. Dass irgendwann eine Kündigung kommen würde, stand doch längst im Raum oder nicht? Ich bin froh, dass wir uns unterhalten, wenn ich auch gern meine Arbeit mit dieser tollen Marke weitergeführt hätte. Von mir liegt viel Herzblut und Jahre der Arbeit in dieser Marke. Aber nun ist das so, gut. Wie habt ihr euch die Trennung vorgestellt? Diese Details sollten wir noch besprechen.“
„Wie vorgestellt? Du bist freigestellt, wir haben fristgerecht gekündigt, was meinst du denn genau?“ Natürlich weiß er exakt, wohin meine Frage zielt, aber aussprechen möchte er es nicht. Urs mimt weiterhin den Beobachter. Entweder traut er sich nicht oder er darf nichts sagen. „Was ich damit meine, kann ich kurz erklären“, fahre ich fort. „Wir haben einen neuen Mitarbeiter für das Gebiet Bayern eingestellt. Ich benötige keine lange Freistellung und würde dem Mitarbeiter gerne den Einstieg so hilfreich als möglich bereiten. Und meine Unterlagen und mein Wissen bezüglich Key Accounts, unseren Schlüsselkunden, wären mir ebenfalls wichtig. Das hat unsere Marke verdient.“ Ich erwarte eine Reaktion des konstruktiven Miteinanders, des professionellen Abschließens, doch meine Rechnung geht nicht auf. Adalbert schaut völlig unsicher durch seine braunen Augen, konzentriert seiner Strategie zu folgen, den Nichtsahnenden zu spielen. Anstatt eine einvernehmliche Lösung zu erzielen und mein Angebot anzunehmen, schwenkt Adalbert auf Konfrontation. „Nein, das brauchen wir alles nicht. Die Unterlagen kannst du vernichten, eine Einarbeitung ist nicht vonnöten. Der neue Kollege kann allein zu den Kunden fahren! Und über Geld kann ich eh nicht sprechen, das ist Sache der Anwälte. Geh doch zum Anwalt, dann sehen wir weiter.“ Für einen kurzen Augenblick schießt mir der Schrecken über solche Unvernunft in die Glieder. Wie kann Adalbert ein solches Angebot eines Konsenses mit Füßen treten? Schnell sammele ich mich. „Ihr schickt mich zum Anwalt, wo ich euch nicht nur eine Hand, sondern beide Hände reiche? Ich verstehe das ganze Spiel hier gerade nicht. Wenn wir kein Gespräch führen wollen, dann können wir das Ganze hier auch beenden.“ Ich nehme die Kündigung entgegen, wir verabschieden uns. Noch immer kopfschüttelnd über solche Unvernunft komme ich nach wenigen Minuten in meinem Fahrzeug an. Ich überprüfe das Smartphone und stelle fest, dass mein E-Mailkonto bereits blockiert ist.
Auf der Heimfahrt informiere ich aus erster Hand meine Mitarbeiter, das bin ich ihnen schuldig. Viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Die Mitarbeiter und die Kunden, die Einkaufsgesellschaften mit ihren organisierten Strukturen, sie alle wären es wert gewesen weiterzumachen. Gegen siebzehn Uhr treffe ich endlich zu Hause ein und bespreche die Situation ausgiebig mit meiner Frau. Wendy ist über die Vorgehensweise von Adalbert und Urs ziemlich sauer.
Und völlig aus der Situation heraus ruft sie meinen Namen. Laut, eindringlich, ängstlich dringt ihre Stimme durch: „Max? Maaax!“ Aber …
… ich gleite just in diesem Moment durch einen Nebel zurück ins Bewusstsein. Meine Wendy ruft erneut meinen Namen und beugt sich über mich. „Max? Max, hörst du mich?“ Ich öffne meine Augen: „Was ist denn los? Was machst du hier?“ Ich schaue mich zaghaft, etwas verwirrt um. Schweißgebadet, nur mit einer Unterhose bekleidet, liege ich auf kalten Fliesen in unserer Mietwohnung in Hohenbrunn. Und das mitten in der Nacht vom 15. auf den 16. September 2017. Wendy hat das Telefon in der Hand. „Ja, habe ich gemacht“, höre ich. „Ja, er ist wieder ansprechbar!“
„Wendy, was ist denn los? Warum habe ich lauter Blumenerde auf meiner Brust?“
„Schatz, geht’s dir gut?“, fragt sie besorgt. Dann erklärt sie dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung, dass ich, wenn überhaupt, ins Klinikum rechts der Isar in München müsse. Innerhalb weniger Momente steht mir mein Gedächtnis wieder zur Verfügung. Am 18. habe ich in diesem Klinikum einen OP Termin. „Schatz, Schatz! Mir geht es gut!“, rufe ich ihr und dem Teilnehmer am anderen Ende des Telefonhörers beruhigend zu. „Alles ist gut.“ Ein typischer und nicht immer angebrachter Männersatz. Mir geht es nicht gut, das wird mir gerade wieder bewusst. Sie drückt die rote Taste am Telefon und legt auf. Ich halte die Hand meiner Frau ganz fest und schaue ihr in die Augen. „Danke mein Schatz. Es tut mir leid, das wollte ich nicht.“
„Du spinnst doch“, kommt postwendend zurück. Sie schüttelt ihren Kopf, weil sie meine Aussage kaum glauben kann. „Geht es dir wirklich gut? Wie ist das denn passiert?“
„Ich könnte mich so über mich selbst ärgern, irgendwie habe ich es kommen sehen“, antworte ich immer noch am Boden liegend. „Ich konnte vor Kopfschmerzen nicht mehr schlafen oder liegen bleiben. Da es kaum noch auszuhalten war, entschloss ich mich in die Küche zu gehen und eine weitere Schmerztablette einzunehmen. Während der Einnahme des Wassers wurde mir schlecht. Die Schmerzen waren so stark, ich wollte schnell auf Toilette und anschließend sofort wieder ins Bett. Als ich auf der Toilette saß, bereute ich die Einnahme des Wassers. Mir wurde übler und übler. Und schließlich machte sich mein Kreislauf bemerkbar. Ich spürte sofort, dass ich mich hinlegen müsste, wenn ich keinen Unfall riskieren wollte. Folglich legte ich mich auf den Boden. Und als ich auf dem Fußboden lag und meine Beine etwas hochstreckte, schossen mir andere Gedanken durch den Kopf. Was würdest du dir für Sorgen machen, falls du mich hier liegend entdeckst? Also bin ich wieder aufgestanden. Das Letzte, was ich dann noch weiß, ist, wie ich an den Türgriff fasse.“ „Warum rufst du mich denn nicht? Ich hätte dir doch geholfen? Ich habe einen lauten Knall gehört und finde dich hier liegend auf dem Boden, völlig bewusstlos.“ Und Wendy sagt das nicht nur so. In ihren Augen sehe ich mehr Angst als Vorwurf. Aber sollte ich in tiefer Nacht meine Frau wecken und ihr erzählen, dass ich Schmerzen habe und mir eine Tablette holen möchte? Ich bin froh, dass wir das Krankenhaus abwenden konnten. Ich denke, dass es nicht notwendig war, dass mein Zusammenbruch ein Kreislaufproblem, dem Schmerz geschuldet, war. Mein Gefühl hat mich die letzten Wochen nie getäuscht.
Und morgen werde ich meinen Sohn Maximilian sehen. Wir sind zum Fußball in der Allianz Arena verabredet. Er kommt mit Bekannten aus der Heimat, das Treffen ist mir sehr wichtig. Unser Verhältnis ist sehr innig und voller Liebe und wer weiß, was ab nächster Woche Montag sein wird? Die bevorstehende Operation birgt vielleicht noch viele Unsicherheiten und Hiobsbotschaften. Meine Frau hilft mir die Erde einer herabgefallenen Orchidee von Brust und Bauch zu entfernen, schiebt das entrückte Handtuch-Regal auf seinen Platz zurück und bringt mich ins Bett. Anschließend wischt sie den Fußboden trocken. Die Fliesen sind so nass, als hätte ich geduscht und die alte, verkalkte Schiebetür der Duschwanne hätte offen gestanden. Die Tablette wirkt langsam. Wenn ich liege, bekomme ich super Luft, beinahe so, als wäre nichts. Das hilft, ich schlafe kurz danach ein.



Kapitel 2

Es ist der 16. September 08.15 Uhr. So langsam erwache ich wieder, meine Augen öffnen sich behutsam. Ich fühle mich total ruhig und ausgeschlafen. Von der Nacht, vom Kreislaufzusammenbruch oder von meiner Krankheit ist nichts zu spüren. Meine Frau beobachtet mich prüfend, wer weiß, wie lange schon. „Na, wie hast du geschlafen?“
„Gut!“, sage ich spontan.
„Wenn ich liege, ist es, als wäre alles in Ordnung. Ist doch komisch oder?“ „Ich habe bestimmt 3–4 mal nachgeschaut, ob du noch atmest“, ist Wendy besorgt. Ich sehe ihr an, dass sie versucht ihre Sorgen unter Kontrolle zu halten. „Man hört dich beinahe nicht, wenn du liegst und schläfst. Ich musste jedes Mal nachsehen, ob du auch wirklich Luft holst. Ich habe solche Angst um dich mein Schatz.“ Ich nehme sie beruhigend in meine Arme und drücke sie ganz fest. Ich spüre ihre Sorgen und möchte ihr gerne etwas von ihrer Last nehmen. Dann schau ich mich noch kurz im Schlafzimmer um. Der tolle Rotbuche-Schrank sieht mit seinen Nussbaumapplikationen selbst nach 10 Jahren noch wie neu aus. Die alte Biedermeier-Kommode bildet einen Kontrast im Zimmer und die warmen Orangetöne der Bettwäsche schmiegen sich harmonisch hinzu. Während ich mich umsehe, kommen Ruhe und Zufriedenheit in mir auf. Als ich aufstehe und ins Bad gehe, bewegt sich mein großes Geschwür im Hals wieder Richtung Luft- und Speiseröhre. Das Atmen wird schwerfälliger und mein Rasseln beim Luftholen erinnert mich an Darth Vader. Die Hauptrolle der Star Wars Trilogie wäre mir in meinem jetzigen Zustand sicher gewesen. Nach der Rasur und dem Waschen des Gesichts trage ich Rasierwasser auf und schaue dabei unbewusst meinen Hals im Spiegel an. Ja, es ist deutlich zu erkennen. Die etwa 11 cm Länge und 8 cm Breite meines „Fleischpflanzerl’s“, wie ich es nenne, sind nicht zu kaschieren. Ich gehe die Treppe hinunter zum Frühstücken. Es ist alles etwas langsamer als sonst, aber ich fühle mich wohl. Lediglich, wenn ich an meine Frau und meine Kinder denke, dann ist mir nicht wohl. Komisch, an mich selbst denke ich am wenigsten, bin sogar positiv gestimmt. Die, die einem am Herzen liegen, um die sorgt man sich tausend Mal mehr als um sich selbst. Wenn nur die Schmerzen vom Nacken zum Kopf hoch nicht so stark wären. Diese waren auch der Grund meiner Nachtwanderung. In der Küche angekommen erzähle ich Wendy, dass ich in den paar Sekunden heute Nacht im Bad liegend den ganzen Ablauf meines Kündigungsgesprächs am Frankfurter Flughafen geträumt hatte.
„Es lief ab wie im Film. Jedes Wort hatte ich im Kopf. Bis du dann meinen Namen riefst!“
„Es ist verrückt, dass dich das nach einem Jahr noch so stresst und mitnimmt. Jetzt arbeitest du seit deiner Kündigung bereits ein Jahr bei Bosch, wir sind nach Hohenbrunn gezogen, ich habe einen neuen Job und du träumst mit Kreislaufkollaps in Ohnmacht deine Entlassung nochmal durch. Das ist doch irre“, bemerkt Wendy. Es ist offensichtlich, dass sie sich heute noch sehr über diese unfaire Behandlung vom letzten Jahr ärgert. Erst so kam ich ja zum neuen Job und schließlich zum Umzug von Hessen nach Bayern. Dieser seelische Stress, der über einen längeren Zeitraum bestand, trug dazu bei, dass ich diesen Januar das erste Mal seit zig Jahren krank wurde und für eine Woche ausfiel. Zumindest sieht das Wendy so. „Ja, das hat dein Immunsystem heruntergezogen. Du warst sonst nie krank …“, etwa so klang sie. Und dann träume ich auch noch davon, verrückt.
Während des Frühstücks fragt sie mich, ob ich mir denn ganz sicher bin, heute mit unserem Sohn in die Allianz Arena zu gehen. Ob das nicht ein bisschen viel für mich sei? „Nein, wirklich mein Schatz. Ich freue mich riesig auf Maximilian und wir haben doch auch bereits die Karten. Und was soll ich zu Hause auf die Operation am Montag warten? Was ändert sich an unserer Situation, wenn ich anstatt im Stadion zu Hause sitze? Ich bin doch nicht bettlägerig?“
5 Sterne
Zurück auf Null  - 16.03.2021
Pauline

Das Buch ist einfach nur der Hammer. Ich habe jetzt noch Gänsehaut. Es war kaum möglich das Buch aus der Hand zu nehmen...

5 Sterne
Wow! - 30.01.2021
Yvonne

Wow, ich bin wirklich sehr sehr ergriffen davon.Von Seite 8 bis Seite 20 habe ich viele Tränen vergossen. Deinen Mut, deine absolut positive Denkweise und deine Art zu schreiben: fantastisch!!!"Es ist das Lächeln, das mir schon oft im Leben half. Es ist das Lächeln, das von innen kommt und mein wahres Ich nach außen bringt"Und genauso ist es.Ich bin sehr dankbar dich und deine liebe Frau zu kennen, und ich vermisse euch. Wirklich.Und nun habt einen feinen Abend (ich hab wieder Tränchen in den Augen, aber vor Freude über diese Rezension

5 Sterne
Einfach sehr berührend! - 27.01.2021
Hans-Günther

Mich hat das Buch sehr berührt, ich konnte nicht aufhören zu lesen. So sehr hat mich der Autor mitgenommen und in einer wahnsinnigen Geschichte gefesselt! Sehr empfehlenswert...

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