Wenn Gutshäuser sprechen könnten

Wenn Gutshäuser sprechen könnten

Siegfried Langhein


EUR 24,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 354
ISBN: 978-3-95840-924-8
Erscheinungsdatum: 08.07.2020

Leseprobe:

An einem Sommertag anno 1825 fuhr der Gutsherr Ferdinand von Altenburg mit seiner Frau Felicitas, seinem Sohn Gustav und seiner Tochter Petricia die Lindenallee entlang in Richtung des schön gelegenen Gutshofes Panstorf. Ihn beeindruckte die abendliche Stimmung mit der untergehenden Sonne am wolkenarmen Himmel. Er lenkte die Aufmerksamkeit der Familie auf dieses Naturereignis. Aber keiner reagierte; seine Frau und die Kinder hingen scheinbar ihren eigenen Gedanken nach, so dass der Gutsherr sich zu wundern begann, als keiner außer ihm sein Gesicht gen Himmel hob. Dabei kam doch vom Himmel die Seligkeit auf die Erde. Die Arbeit auf dem Gutshof war zu verrichten und gelegentlich kam der Teufel von unten auf die Erde und trieb sein böses Spiel.
„Kann keiner von euch der herrlichen Abendstimmung etwas abgewinnen?“, rief der Gutsherr seiner Familie zu. Seine Frau erschrak und trennte sich von ihren Träumen. „Doch, doch, du hast uns soeben wachgerufen. Ich habe etwas geträumt und die Kinder sicher auch. Die Fahrt von der Stadt ist immer anstrengend, Ferdinand.“ „Ja, die Fahrt ist gleich zu Ende. Schaut nur die herrlichen Bäume, die Urgroßvater am Wegrand pflanzen ließ. Sie mögen jetzt schon mehr als 100 Jahre hinter sich gebracht haben. Sie sind sehr dicht gepflanzt und spenden der Kutsche so Schatten, wenn wir diesen Weg nehmen“, sprach der Gutsherr wieder versöhnlich, denn er war auch froh, bald in seinem Gutshaus zu sein.
Einmal in der Woche fuhr die Familie ohne Kutscher in die nahe gelegene Stadt. Solch eine Fahrt versprach den Familienangehörigen immer eine willkommene Abwechslung. Denn auf dem Gutshof gab es nur Arbeit und für die Kinder viel Einsamkeit sowohl beim Spiel als auch beim Lernen. Der Stadtbesuch versprach einen Einkaufsbummel und Gespräche mit der gehobenen Gesellschaft. Die Eltern wussten nicht, dass ihre Kinder, Gustav und Petricia, mit ihren vierzehn und zwölf Jahren schon heimliche Verabredungen und gut gehütete Geheimnisse hatten, von denen die Eltern nichts wissen sollten. Doch der Stadtbesuch war auf seine Art eben anstrengend, so dass solche abendlichen Hinweise des Vaters, wie zum Himmel zu schauen, mehr seiner Laune und Stimmung geschuldet waren. Seine Frau Felicitas hob ihre Augen und nahm jetzt mit allen Sinnen das Naturschauspiel wahr. Die Sonne lugte an diesem Abend zwischen den Bäumen auf den Fahrweg, während über den Bäumen schon der Mond als Vorbote der Nacht zu sehen war.
„Ich dachte schon wieder an die viele Arbeit, die die Knechte und Mägde zu verrichten haben, als du mich auf dieses abendliche Himmelsschauspiel hingewiesen hast, Ferdinand“, antwortete ihm endlich seine Frau. „Jaja, eigentlich müssen wir dem Herrgott Danke sagen, dass wir hier in Ruhe wohnen dürfen. Friedlich können wir unserer Arbeit nachgehen, während die Welt sich um uns herum verändert, sowohl durch Handel als leider auch durch kleine und große Kriege“, dachte er fast laut. Er wurde immer wieder durch die Stadtbesuche und die Besuche bei Gleichgesinnten seines Ranges angeregt, auch über das weltliche Geschehen nachzudenken. Keine Zeit war geeigneter als die Kutschfahrt, wo seine Pferde, die den Weg kannten, ihn zogen, so dass er über sich und die Welt nachdenken konnte. Die Welt war für ihn klein geworden, denn nichts, als das Wohl seiner Familie auf dem Gutshof zu sichern, trieb ihn an. Seinen Kindern sollte es gut gehen, sie sollten eine glückliche Kindheit haben und gebildet in das Leben eintreten. Ein Privatlehrer unterrichtete die Kinder täglich und ließ ihnen nicht viel Zeit zum Spielen. Der Vater schottete die Kinder von dem Dorfgesinde ab und verbot ihnen sogar, mit den Kindern der Knechte und Mägde etwas zu unternehmen oder gar rumzutoben. Er wusste, dass seine Frau diese Ansicht von Kindererziehung nicht teilte. Sie hatte sich als Frau ihrem Mann zwar unterworfen, hob aber die Verbote für ihre Kinder heimlich immer wieder mal auf.
Der Weg zum Gutshof war nicht mehr lang, aber holprig, weil der Sommerweg durch die Erntewagen gelitten hatte. Trotzdem erschien das kleine Gutshofareal dem Gutsherrn groß, denn so weit das Auge reichte, gehörten ihm die Wiesen, Äcker und Wälder. Bis zum Flüsschen Recknitz, das die letzte Eiszeit geschaffen hatte und das sich mäandernd durch die Wiesen schlängelte, um die Ostsee zu erreichen, reichte sein Besitztum. Die Ernten waren Jahr für Jahr üppig und von guter Qualität. Die Mühlen, Brennereien, Mostereien und Bäckereien in der Gegend kauften gerne seine Ernten. Die anderen Gutshöfe lagen so weit entfernt, dass er auch die Preise bestimmen konnte. Vor seinen Untertanen, den Knechten und Mägden, trat er herrisch, aber auch gutmütig gesinnt auf, so dass sie ihn wiederum als einen guten Gutsherrn achteten. Leibeigenschaft gab es auf dem Papier nicht mehr, aber landauf, landab war sie immer noch allgegenwärtig, doch er hatte seine eigene Art, die Menschen zu führen und an sich zu binden.
Plötzlich hörten sie lautes Geschrei aus der Richtung des Gutshofes. Auf der Kutsche waren plötzlich alle hellwach. Sie schauten sich an und fragten sich: „Was ist dort los?“ Als Erster nahm der Gutsherr den Geruch von brennendem Holz wahr und er schrie: „Auf dem Gutshof brennt es!“ „Nein, das kann nicht sein! Das ist nicht möglich!“, riefen seine Frau und die Kinder im gleichen Augenblick. Der Gutsherr schlug jetzt mit der Peitsche auf die beiden Pferde ein, ohne Rücksicht auf Mensch und Tier zu nehmen, der Wagen raste auf dem Sommerweg durch die Baumallee. Am Ende derselben sahen alle das Gutshaus an der Westseite brennen. Flammen schlugen aus den oberen Fenstern. Menschen liefen aufgeregt mit Wassereimern umher, der Verwalter organisierte offensichtlich mit allen Leuten das Löschen des Brandes. Dem Gutsherrn schoss durch den Kopf, dass er – Gott sei Dank – vor ein paar Jahren eine Wasserleitung mit Handpumpe bis ans Gutshaus hatte legen lassen, die sich nun bewähren sollte. Er sprang von der Kutsche, spannte die Pferde noch aus und band sie an den Baum vor dem Kuhstall. Die anderen Gebäude des Gutshofes wie Schafstall, Schweinestall, Geflügelhof, Schmiede und Scheunen waren in gebührendem Abstand vom Gutshaus gebaut worden. Der Lindenbaum an der Westseite des Gutshauses hatte auch schon Feuer gefangen, seine Flammen ließen die Fenster bersten und der mäßig wehende Westwind trug die Flammen ostwärts in die anderen sich anschließenden Räume im Obergeschoss. Der Flur im Gutshaus war groß und schützte zunächst die an der Ostseite liegenden Räume. Der Gutsherr erkannte sehr schnell die Situation, lief zum Verwalter und befahl ihm, einige Leute in dem Flur so zu postieren, dass auch von innen gelöscht werden konnte. Er sah, dass alle Bewohner des danebenliegenden Dorfes und auch Bewohner des Nachbardorfes halfen, den Brand zu löschen und einzudämmen. Über einen Weg, der ostwärts über die Recknitz führt, mussten sie gekommen sein. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: „Wie haben diese Menschen das Feuer so schnell bemerkt?“ Die Frage konnte er sich erst einmal nicht beantworten, er fand auch keine Zeit zum Nachdenken. Der nahegelegene Teich war immer mit Wasser gefüllt. Er wurde von einer nicht weit entfernten Quelle gespeist. Im Frühjahr konnte jeder das üppig laufende Bachwasser beobachten. Die Vorfahren des Gutshofes hatten wohl bedacht und den Bach durch den Teich geführt, bevor er weiter zur Recknitz floss. Die mutigen Feuerlöscher hatten schnell einen Weg vom Teich zum Gutshaus getrampelt.
Die ganze Nacht und den halben nächsten Tag schufteten die Menschen, um wenigstens einen Teil des Gutshauses vor den Flammen zu retten. Obwohl viel Holz im Gutshaus verbaut worden war, waren andererseits erstaunlich viele Steine und Ziegel zusätzlich verarbeitet worden.
Das Gutshaus soll im 13. Jahrhundert schon einmal abgebrannt sein, wobei es damals völlig aus Holz und die Dachabdeckung aus Reed bestanden hatte, umliegende Gutshofanlagen zeigten immer noch diesen Baustil.
Die Menschen, die den Brand allmählich unter Kontrolle brachten und nur noch einige Brandnester beobachten mussten, waren völlig erschöpft und lagen verstreut umher, um sich auszuruhen. Die Frauen hatten im Keller Essen und Trinken vorbereitet, während über ihnen das Feuer tobte, wobei die meisten von ihnen sogar beim Brandlöschen mit Hand angelegt hatten. Warum die Frauen nach der schweren Arbeit noch dazu in der Lage waren, zu kochen und Essen zuzubereiten, während die Männer umfielen, ist wohl auch der Tapferkeit der Frauen zuzuschreiben. Wie so häufig standen die Frauen ohne zu murren schweigsam an der Seite der Männer, wenn ihre Hilfe gebraucht wurde.
Die Frau des Gutsherrn, Felicitas, hatte noch keine Zeit gefunden, um über diese Situation zu heulen und zu weinen. Das würde später vielleicht in einer noch erhaltenen Kammer, die für provisorisches Wohnen nutzbar war, passieren. Der Gutsherr war nach dem Löschen des Brandes auch völlig erschöpft und fiel, nachdem alle nicht mehr stehen konnten, entkräftet um.
Der obere Westteil und das Dachgestühl waren niedergebrannt. Der untere Teil des Gutshauses war nicht beschädigt, aber völlig durchnässt vom Löschwasser. Der Kellerteil war mit Wasser gefüllt, weil dieses nicht ablaufen konnte. Die Steinmauern des Kellers waren etwa einen Meter dick und standen auf leichtem Sand, wobei darunter Lehm war. Nach einer gewissen Zeit würde das Wasser über den Sandboden versickern.
Der Schaden war enorm und noch nicht in seiner Gänze abzuschätzen. Dem Gutsherrn ging schon jetzt immer und immer wieder der Wiederaufbau des Gutshauses durch den Kopf. „Wie konnte das passieren? Was ist eigentlich passiert? Wie soll der Neubau aussehen?“
Endlich meldete die Brandwache dem Gutsherrn und dem Verwalter, dass der Löschvorgang beendet war. Der Verwalter suchte den Gutsherren, der sich in eine Ecke der Schmiede zurückgezogen hatte. „Mein Herr, der Brand ist gelöscht. Ich schicke alle Helfer nachhause“, sprach der Verwalter traurig und niedergeschlagen. „Ja, gut so“, schluchzte der Gutsherr, der nicht mehr wie ein Herr aussah. Zusammengesunken saß der Mann auf einem Balken in der Schmiede. Kein Wort brachte er mehr hervor. Der Verwalter, auch völlig erschöpft, hörte nur leise die gemurmelten Worte seines Herrn: „Wie konnte das nur passieren?“ So muss der Gutsherr wohl etliche Stunden wie ein Haufen Unglück dort gesessen haben, denn die Knechte trieben die Kühe von der Weide wieder in den Kuhstall. Für alle musste das Leben ja weitergehen. Zunächst bemerkten die Kuhtreiber den Gutsherrn nicht, dann erschraken sie, als sie ihren Herrn so zusammengekauert erkannten. Wortlos gingen sie ihrer Arbeit nach, obwohl ihnen die Brandlöscharbeit auch noch in den Knochen steckte. Endlich erhob sich der Gutsherr.
Mit verstohlenem Blick sahen die Knechte zu ihm, sahen seine niedergedrückte Haltung. So kannten sie ihn nicht, sie kannten ihn nur aufrecht und stolz gehend. Ferdinand von Altenburg war über Nacht ein gebrochener Mann geworden, aber so ganz langsam stieg Wut in ihm auf. Irgendetwas quälte ihn, lähmte ihn, bis er merkte, dass ein Gedanke ihn nicht mehr losließ, nämlich dass hier Brandlegung im Spiel gewesen sein musste. Er konnte aber noch nicht klar und logisch denken, jedenfalls im Moment noch nicht. Er taumelte im Westflügel mehr umher, als mit festem Schritt den Brandherd in Augenschein zu nehmen. Seine Augen suchten nach etwas, er wusste aber nicht genau wonach. Er nahm ein Stück Holz und stocherte überall zwischen verbrannten und halb verbrannten Holzteilen umher. Einstürzen konnte nichts mehr. Er bemerkte, dass hier und da immer noch etwas Glut schwelte, die er mit den Schuhen richtig austrat, als ihm beim Herumstochern plötzlich ein Geruch in die Nase stieg, der ihn erschauern ließ. Er schreckte auf, als er unter einem Dachbalken einen noch nicht völlig verbrannten Stab mit Pech vor sich liegen sah, der teilweise noch Tuch zeigte, das um den Stab gewickelt war. Er erschrak heftig, wollte losschreien, hielt sich aber die Hand vor den Mund, um es nicht wirklich zu tun. „Hier hab ich dich, du Brandstifter. Hab ich es doch geahnt“, sprach er leise vor sich hin und fletschte die Zähne. „Ich krieg dich. Ich ahne auch, wer es war. Nein, das kann nicht sein!“, war seine vernunftgeführte zweite Überlegung. „So etwas kann kein Mensch tun, so schlecht sind die Menschen nicht“, war sein nächster Gedanke. Also ging er nach wenigen Schritten zur Fundstelle zurück, um sich den Ort näher anzuschauen. Jetzt wollte er wissen: „Wie wurde der Brand gelegt und warum gerade an dieser Stelle?“ Dort hatte es ursprünglich einen überstehenden Balkon aus dickem Eichenholz gegeben. Gerne war der Gutsherr mit seiner Frau Felicitas auf diesen gegangen und hatte von dort westwärts in die Abendsonne geschaut. Nach getaner Arbeit versprach ihnen dieser Ausblick in den Abend und in den nächsten Tag eine erholsame Stunde. Schaffende Menschen suchen so einen Ausblick, um noch einmal die Tagesruhe zu genießen. Vielen Menschen geht es ebenso, ob sie arm oder reich an Vermögen sind. Sie brauchen solche Stunde für die Seele und das Herz.
Der Gedankenhusch über den verlorenen Balkon überraschte ihn. Er war in Not, in seelischer Not, und suchte einen neuen Weg. Vielleicht fand er hier den Anfang aus dem Jammer der letzten Stunden. „Wie war die Brandstelle hier beschaffen, um doch einem Verbrechen auf die Spur zu kommen? Auf den Balkon zu klettern war nicht besonders schwierig. Die Pechfackel auf den Balkon legen konnte der Verbrecher, wenn es denn einen gab, nicht. Er musste dazu die Tür oder die Scheibe einschlagen, um nach innen zu gelangen.“ Tatsächlich lag dort zerborstenes Fensterglas, das natürlich auch durch den Brand zu Bruch gegangen hatte sein können. Er suchte weiter, auch an Stellen, wo der Boden durch den Brand doch einsturzgefährdet war. Aber irgendeinen Hinweis auf Brandlegung wollte er finden, einen eindeutigen. „Ja, hier hab ich dich“, sagte er jetzt etwas lauter. Es war ein Metallstück, das unter Asche dicht neben der Fackelfundstelle lag und offensichtlich an der Fackel befestigt gewesen war. Es zeigten sich, für ihn gut erkennbar, die eingeschlagenen Initialen des Gutsherrn von Eichendorf, die er natürlich kannte, weil er auch den Gutsherren kannte. Er sah sich um, vergewisserte sich, dass ihn kein Mensch beim Suchen beobachtet hatte, auch der Verwalter nicht, der schon wieder, wie abgesprochen, den Knechten ihre Aufgaben erklärte. „Was ist nun zu tun?“, dachte er. Das Leben musste für ihn und seine Familie irgendwie weitergehen. Die Gedanken überschlugen sich schon wieder. Sollte er schnell das Gutshaus wiederaufbauen oder erst einen Prozess gegen den Gutsherrn von Eichendorf anstrengen, der für ihn ein Brandstifter und Feind geworden war? Aber vorschnell wollte er keine Vermutung aussprechen, auch seiner Frau gegenüber nicht. Das, was hier geschehen war, musste er erst einmal allein verarbeiten.


Zwischen den Gutsherren von Eichendorf aus Wansdorf im Westteil des Landes und von Altenburg aus Panstorf im Ostteil und nahe Pommern schwelte eine seit Jahrhunderten bestehende Feindschaft. Ferdinand wollte diese Geschichte nie aufarbeiten, er pflegte keine Feindschaft und keine Freundschaft zum Gutsherrn von Eichendorf. Aber Ferdinands Frau Felicitas kam aus dem Landadel von Wansdorf, das in der Nähe des Gutshofes von Eichendorf lag. Der Gutshof von Felicitas’ Eltern und Urahnen hatte einen relativ guten Boden, so dass das Geschlecht über die Jahrhunderte immer gute Ernten hatte einfahren und verkaufen können. Das Gutsgeschlecht von Eichendorf hatte es nicht so gut getroffen, beneidete das Geschlecht von Wansdorf und nutzte jede Chance, dem Gutshof Schaden zuzufügen. Ferdinand von Altenburg heiratete mit Felicitas in das Geschlecht von Wansdorf hinein und kümmerte sich dabei wenig um die Vergangenheit und die Streitereien der Gutshöfe Wansdorf und Eichendorf. Doch böse Ereignisse wie Morde und andere Verbrechen, die nie hatten aufgeklärt werden können, belasteten auch Ferdinand. Jetzt loderte die Feindschaft wieder auf und Ferdinand fragte sich, warum dieser Brand gelegt worden war, denn beiden Landadel-Geschlechtern, denen von Wansdorf und denen von Eichendorf, ging es wirtschaftlich gut. Herr von Eichendorf und seine Vorfahren hatten große Ländereien und erzielten mit viel Aufwand trotz der mäßigen Bodenqualität immer gute Erträge.
Der letzte Besuch auf dem Stadtmarkt gab Ferdinand jetzt auch zu denken. Doch er konnte sich noch nicht konzentrieren. Die Gedanken wanderten hin und her, vom Brand zum notwendigen Wiederaufbau und zurück zur Brandursache, dann wieder weiter zu dem möglichen Brandleger.
Die Tage nach dem Brand waren für alle nicht einfach. Die Verschmutzung, das Löschwasser und der Brandgeruch in allen Ecken des Gutshauses belasteten die Gutshausfamilie. Dazu ein Gutsherr, der sich erst wiederfinden musste, was für seine Frau und die beiden Kinder schwer zu ertragen war.
Der Herr des Hauses trug fortan ein Geheimnis mit sich herum, nach dem ihn auch keiner fragen durfte, aber jeder sah ihm an, dass er mehr wusste, als er sagen wollte. Sein Verwalter bemerkte wohl als Erster die Veränderung seines Herrn, stellte sich aber darauf ein. Da wie jedes Jahr die Ernte zu verkaufen war, hatte er genug zu tun. Er merkte beim Verkauf der geernteten Ackerwaren nur, dass die Händler bei den Preisverhandlungen anders als früher reagierten. Er konnte sich zunächst keine Erklärung dafür zusammenreimen. Er bemerkte aber, dass der Gutsherr von Eichendorf aktiver und fast aggressiv auftrat und alles, was das Gut von Altenburg auf dem Markt anbot, schlechtredete. Das machte den Verwalter stutzig und er nahm allen Mut zusammen, um seinem Herrn von Altenburg davon zu berichten. „Mein Herr, schon seit Tagen beobachte ich auf dem Getreidemarkt und in den Preisverhandlungen etwas Eigenartiges, das ich mir nicht recht erklären kann“, eröffnete der Verwalter das Gespräch. „Nun, berichten Sie“, forderte der Gutsherr den Verwalter auf. „Beim Verkauf unserer Ernte auf unserem Markt musste ich feststellen, dass eine mir zunächst unerklärliche Zurückhaltung vorhanden war, bis ich mitbekam, dass Herr von Eichendorf mit Vorzügen an die Händler verkaufen durfte.“ „Das ist unglaublich! Wir müssen sofort zur Stadt und mit dem Bürgermeister sprechen“, reagierte der Gutsherr. Gesagt, getan.
Am nächsten Tag wurden die Pferde eingespannt und der Gutsherr fuhr mit seinem Verwalter in der Kutsche in die Stadt. Dort herrschte reges Treiben, denn die Markttage im Herbst zogen Händler und Neugierige aus allen Regionen magisch an.
Der Gutsherr suchte sofort den Bürgermeister auf, der wohl schon auf Herrn von Altenburg gewartet hatte. Das Bürgermeisteramt war im Rathaus untergebracht und zeigte eine Bescheidenheit in seiner Ausstattung, die auf die finanzielle Situation der Stadt schließen ließ. So nahm der Gutsherr von Altenburg das Amtshaus wahr. Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen, der Stadt mehr als bisher unter die Arme zu greifen. Doch die Wiederherstellung des Glanzes seines Gutshauses würde finanzielle Mittel brauchen. Die Region um das Recknitztal gehörte mit der Grenze zu Vorpommern allerdings zu den weniger begehrten Regionen im Land Mecklenburg. Das adlige Dasein und der Glanz wurden nach preußischem Vorbild in den Schlössern von West-Mecklenburg gelebt und gezeigt.
Der Gutsherr von Altenburg hatte sich nach dem Brand innerlich auf ein hartes Vorgehen gegen seinen Feind eingestellt. Gleichzeitig hatte der Brand ihm aber auch die Augen dafür geöffnet, dass es für ihn jetzt nur gemeinsam mit dem aufkommenden Bürgertum eine neue Chance geben konnte. Diese Einsicht wurde zu einem Schwur, und den hatte er mit sich selbst nach dem Brand abgeschlossen. Er suchte nun Verbündete, um diesen Schwur mit Leben zu erfüllen, wohl wissend, dass seine Frau und sein Verwalter Steiner die ersten und besten Verbündeten waren. Doch noch war keiner in seine Überlegungen einbezogen und eingebunden worden. Er wollte zunächst wissen, wie die Stadt, die ihm bisher immer wohlgesonnen war, sich ihm gegenüber nach dem Brand verhielt.
„Guten Tag, Herr Bürgermeister!“, schmetterte Herr von Altenburg seinen Gruß dem Bürgermeister entgegen, als er dessen Amtszimmer betrat. Der Bürgermeister war überrascht, weil er nach dem Brand einen geknickten Gutsherrn erwartet hatte. „Einen ebenso willkommenen guten Tag, Herr von Altenburg“, erwiderte der Bürgermeister etwas erschrocken. „Bitte nehmen Sie mit Ihrem Verwalter, den ich auch begrüße, Platz. Was führt Sie zu mir nach so viel Elend? Der Brand steckt Ihnen doch immer noch in den Gliedern.“ „Ja, da haben Sie eine rechte Meinung. Doch ein von Altenburg lässt sich nicht so einfach unterkriegen. Ich bin gekommen, um mit Ihnen eine Abmachung zu beraten“, sprach der Gutsherr. „Sie wissen, dass wir in der Stadt immer gut mit Ihnen ausgekommen sind und wir es auch weiterhin so pflegen wollen“, antwortete der Bürgermeister. „Ja, und deshalb will ich gleich offen mit Ihnen sprechen, Herr Bürgermeister. Mit den Handwerkern und Händlern beabsichtige ich, mehr als bisher zusammenzuarbeiten. Bei dem Brand des Gutshauses und bei der Hilfe durch das Bürgertum ist mir bewusst geworden, dass ich zu sehr für mich allein auf dem Gutshof gelebt habe. Das soll anders werden. Das Gutshaus soll mit den Handwerkern der Stadt wiederaufgebaut und schöner als vorher werden. Umgekehrt helfe ich Ihnen beim Bau des Theaters, das Sie geplant haben und für das Sie sich nach finanzkräftigen Gutsherren umschauen. Sie brauchen nicht so weit zu schauen. Sie helfen mir und ich helfe Ihnen“, erklärte der Gutsherr in einer Art und Weise, wie er noch nie mit dem Bürgermeister gesprochen hatte. „Das ist ja großartig und kommt für mich völlig überraschend.“ „Sie sollen wissen, dass ich auf das Handwerk und das Bürgertum setze, denn denen gehört die Zukunft“, sprach der Gutsherr von Altenburg großspurig weiter, dass selbst sein Verwalter sein Erstaunen über diese Aussagen kaum verbergen konnte. „Ich lade Sie, alle Handwerksmeister und den Vorsteher der Bank für heute Abend zu einem gemütlichen Schmaus ein. Auch wenn ich mit dem Brand meine Probleme habe, soll es der Anfang für ein gutes Werk mit der Stadt sein, Herr Bürgermeister.“ Mit dieser Einladung beendete der Gutsherr das Gespräch. „Ja, ich hole die Bürgerschaft zusammen und wir werden sofort die Leute für heute Abend einladen“, rief ihm der Bürgermeister erfreut nach. Der Gutsherr hatte kaum das Rathaus verlassen, da trommelte der Bürgermeister alle Amtsleute und Bediensteten zusammen und leitete die Vorbereitungen für das geplante Vorhaben an diesem Abend.
Jetzt ging der Gutsherr mit seinem Verwalter zum Bankvorsteher, zumal dieser nicht zuerst vom Bürgermeister die gerade ausgesprochenen Neuigkeiten erfahren sollte. Die erwirtschafteten finanziellen Guthaben auf der Bank machten den Gutsherrn sicher, dass er sich den Aufbau des Gutshauses und die Hilfen für die Stadt leisten konnte.

An einem Sommertag anno 1825 fuhr der Gutsherr Ferdinand von Altenburg mit seiner Frau Felicitas, seinem Sohn Gustav und seiner Tochter Petricia die Lindenallee entlang in Richtung des schön gelegenen Gutshofes Panstorf. Ihn beeindruckte die abendliche Stimmung mit der untergehenden Sonne am wolkenarmen Himmel. Er lenkte die Aufmerksamkeit der Familie auf dieses Naturereignis. Aber keiner reagierte; seine Frau und die Kinder hingen scheinbar ihren eigenen Gedanken nach, so dass der Gutsherr sich zu wundern begann, als keiner außer ihm sein Gesicht gen Himmel hob. Dabei kam doch vom Himmel die Seligkeit auf die Erde. Die Arbeit auf dem Gutshof war zu verrichten und gelegentlich kam der Teufel von unten auf die Erde und trieb sein böses Spiel.
„Kann keiner von euch der herrlichen Abendstimmung etwas abgewinnen?“, rief der Gutsherr seiner Familie zu. Seine Frau erschrak und trennte sich von ihren Träumen. „Doch, doch, du hast uns soeben wachgerufen. Ich habe etwas geträumt und die Kinder sicher auch. Die Fahrt von der Stadt ist immer anstrengend, Ferdinand.“ „Ja, die Fahrt ist gleich zu Ende. Schaut nur die herrlichen Bäume, die Urgroßvater am Wegrand pflanzen ließ. Sie mögen jetzt schon mehr als 100 Jahre hinter sich gebracht haben. Sie sind sehr dicht gepflanzt und spenden der Kutsche so Schatten, wenn wir diesen Weg nehmen“, sprach der Gutsherr wieder versöhnlich, denn er war auch froh, bald in seinem Gutshaus zu sein.
Einmal in der Woche fuhr die Familie ohne Kutscher in die nahe gelegene Stadt. Solch eine Fahrt versprach den Familienangehörigen immer eine willkommene Abwechslung. Denn auf dem Gutshof gab es nur Arbeit und für die Kinder viel Einsamkeit sowohl beim Spiel als auch beim Lernen. Der Stadtbesuch versprach einen Einkaufsbummel und Gespräche mit der gehobenen Gesellschaft. Die Eltern wussten nicht, dass ihre Kinder, Gustav und Petricia, mit ihren vierzehn und zwölf Jahren schon heimliche Verabredungen und gut gehütete Geheimnisse hatten, von denen die Eltern nichts wissen sollten. Doch der Stadtbesuch war auf seine Art eben anstrengend, so dass solche abendlichen Hinweise des Vaters, wie zum Himmel zu schauen, mehr seiner Laune und Stimmung geschuldet waren. Seine Frau Felicitas hob ihre Augen und nahm jetzt mit allen Sinnen das Naturschauspiel wahr. Die Sonne lugte an diesem Abend zwischen den Bäumen auf den Fahrweg, während über den Bäumen schon der Mond als Vorbote der Nacht zu sehen war.
„Ich dachte schon wieder an die viele Arbeit, die die Knechte und Mägde zu verrichten haben, als du mich auf dieses abendliche Himmelsschauspiel hingewiesen hast, Ferdinand“, antwortete ihm endlich seine Frau. „Jaja, eigentlich müssen wir dem Herrgott Danke sagen, dass wir hier in Ruhe wohnen dürfen. Friedlich können wir unserer Arbeit nachgehen, während die Welt sich um uns herum verändert, sowohl durch Handel als leider auch durch kleine und große Kriege“, dachte er fast laut. Er wurde immer wieder durch die Stadtbesuche und die Besuche bei Gleichgesinnten seines Ranges angeregt, auch über das weltliche Geschehen nachzudenken. Keine Zeit war geeigneter als die Kutschfahrt, wo seine Pferde, die den Weg kannten, ihn zogen, so dass er über sich und die Welt nachdenken konnte. Die Welt war für ihn klein geworden, denn nichts, als das Wohl seiner Familie auf dem Gutshof zu sichern, trieb ihn an. Seinen Kindern sollte es gut gehen, sie sollten eine glückliche Kindheit haben und gebildet in das Leben eintreten. Ein Privatlehrer unterrichtete die Kinder täglich und ließ ihnen nicht viel Zeit zum Spielen. Der Vater schottete die Kinder von dem Dorfgesinde ab und verbot ihnen sogar, mit den Kindern der Knechte und Mägde etwas zu unternehmen oder gar rumzutoben. Er wusste, dass seine Frau diese Ansicht von Kindererziehung nicht teilte. Sie hatte sich als Frau ihrem Mann zwar unterworfen, hob aber die Verbote für ihre Kinder heimlich immer wieder mal auf.
Der Weg zum Gutshof war nicht mehr lang, aber holprig, weil der Sommerweg durch die Erntewagen gelitten hatte. Trotzdem erschien das kleine Gutshofareal dem Gutsherrn groß, denn so weit das Auge reichte, gehörten ihm die Wiesen, Äcker und Wälder. Bis zum Flüsschen Recknitz, das die letzte Eiszeit geschaffen hatte und das sich mäandernd durch die Wiesen schlängelte, um die Ostsee zu erreichen, reichte sein Besitztum. Die Ernten waren Jahr für Jahr üppig und von guter Qualität. Die Mühlen, Brennereien, Mostereien und Bäckereien in der Gegend kauften gerne seine Ernten. Die anderen Gutshöfe lagen so weit entfernt, dass er auch die Preise bestimmen konnte. Vor seinen Untertanen, den Knechten und Mägden, trat er herrisch, aber auch gutmütig gesinnt auf, so dass sie ihn wiederum als einen guten Gutsherrn achteten. Leibeigenschaft gab es auf dem Papier nicht mehr, aber landauf, landab war sie immer noch allgegenwärtig, doch er hatte seine eigene Art, die Menschen zu führen und an sich zu binden.
Plötzlich hörten sie lautes Geschrei aus der Richtung des Gutshofes. Auf der Kutsche waren plötzlich alle hellwach. Sie schauten sich an und fragten sich: „Was ist dort los?“ Als Erster nahm der Gutsherr den Geruch von brennendem Holz wahr und er schrie: „Auf dem Gutshof brennt es!“ „Nein, das kann nicht sein! Das ist nicht möglich!“, riefen seine Frau und die Kinder im gleichen Augenblick. Der Gutsherr schlug jetzt mit der Peitsche auf die beiden Pferde ein, ohne Rücksicht auf Mensch und Tier zu nehmen, der Wagen raste auf dem Sommerweg durch die Baumallee. Am Ende derselben sahen alle das Gutshaus an der Westseite brennen. Flammen schlugen aus den oberen Fenstern. Menschen liefen aufgeregt mit Wassereimern umher, der Verwalter organisierte offensichtlich mit allen Leuten das Löschen des Brandes. Dem Gutsherrn schoss durch den Kopf, dass er – Gott sei Dank – vor ein paar Jahren eine Wasserleitung mit Handpumpe bis ans Gutshaus hatte legen lassen, die sich nun bewähren sollte. Er sprang von der Kutsche, spannte die Pferde noch aus und band sie an den Baum vor dem Kuhstall. Die anderen Gebäude des Gutshofes wie Schafstall, Schweinestall, Geflügelhof, Schmiede und Scheunen waren in gebührendem Abstand vom Gutshaus gebaut worden. Der Lindenbaum an der Westseite des Gutshauses hatte auch schon Feuer gefangen, seine Flammen ließen die Fenster bersten und der mäßig wehende Westwind trug die Flammen ostwärts in die anderen sich anschließenden Räume im Obergeschoss. Der Flur im Gutshaus war groß und schützte zunächst die an der Ostseite liegenden Räume. Der Gutsherr erkannte sehr schnell die Situation, lief zum Verwalter und befahl ihm, einige Leute in dem Flur so zu postieren, dass auch von innen gelöscht werden konnte. Er sah, dass alle Bewohner des danebenliegenden Dorfes und auch Bewohner des Nachbardorfes halfen, den Brand zu löschen und einzudämmen. Über einen Weg, der ostwärts über die Recknitz führt, mussten sie gekommen sein. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: „Wie haben diese Menschen das Feuer so schnell bemerkt?“ Die Frage konnte er sich erst einmal nicht beantworten, er fand auch keine Zeit zum Nachdenken. Der nahegelegene Teich war immer mit Wasser gefüllt. Er wurde von einer nicht weit entfernten Quelle gespeist. Im Frühjahr konnte jeder das üppig laufende Bachwasser beobachten. Die Vorfahren des Gutshofes hatten wohl bedacht und den Bach durch den Teich geführt, bevor er weiter zur Recknitz floss. Die mutigen Feuerlöscher hatten schnell einen Weg vom Teich zum Gutshaus getrampelt.
Die ganze Nacht und den halben nächsten Tag schufteten die Menschen, um wenigstens einen Teil des Gutshauses vor den Flammen zu retten. Obwohl viel Holz im Gutshaus verbaut worden war, waren andererseits erstaunlich viele Steine und Ziegel zusätzlich verarbeitet worden.
Das Gutshaus soll im 13. Jahrhundert schon einmal abgebrannt sein, wobei es damals völlig aus Holz und die Dachabdeckung aus Reed bestanden hatte, umliegende Gutshofanlagen zeigten immer noch diesen Baustil.
Die Menschen, die den Brand allmählich unter Kontrolle brachten und nur noch einige Brandnester beobachten mussten, waren völlig erschöpft und lagen verstreut umher, um sich auszuruhen. Die Frauen hatten im Keller Essen und Trinken vorbereitet, während über ihnen das Feuer tobte, wobei die meisten von ihnen sogar beim Brandlöschen mit Hand angelegt hatten. Warum die Frauen nach der schweren Arbeit noch dazu in der Lage waren, zu kochen und Essen zuzubereiten, während die Männer umfielen, ist wohl auch der Tapferkeit der Frauen zuzuschreiben. Wie so häufig standen die Frauen ohne zu murren schweigsam an der Seite der Männer, wenn ihre Hilfe gebraucht wurde.
Die Frau des Gutsherrn, Felicitas, hatte noch keine Zeit gefunden, um über diese Situation zu heulen und zu weinen. Das würde später vielleicht in einer noch erhaltenen Kammer, die für provisorisches Wohnen nutzbar war, passieren. Der Gutsherr war nach dem Löschen des Brandes auch völlig erschöpft und fiel, nachdem alle nicht mehr stehen konnten, entkräftet um.
Der obere Westteil und das Dachgestühl waren niedergebrannt. Der untere Teil des Gutshauses war nicht beschädigt, aber völlig durchnässt vom Löschwasser. Der Kellerteil war mit Wasser gefüllt, weil dieses nicht ablaufen konnte. Die Steinmauern des Kellers waren etwa einen Meter dick und standen auf leichtem Sand, wobei darunter Lehm war. Nach einer gewissen Zeit würde das Wasser über den Sandboden versickern.
Der Schaden war enorm und noch nicht in seiner Gänze abzuschätzen. Dem Gutsherrn ging schon jetzt immer und immer wieder der Wiederaufbau des Gutshauses durch den Kopf. „Wie konnte das passieren? Was ist eigentlich passiert? Wie soll der Neubau aussehen?“
Endlich meldete die Brandwache dem Gutsherrn und dem Verwalter, dass der Löschvorgang beendet war. Der Verwalter suchte den Gutsherren, der sich in eine Ecke der Schmiede zurückgezogen hatte. „Mein Herr, der Brand ist gelöscht. Ich schicke alle Helfer nachhause“, sprach der Verwalter traurig und niedergeschlagen. „Ja, gut so“, schluchzte der Gutsherr, der nicht mehr wie ein Herr aussah. Zusammengesunken saß der Mann auf einem Balken in der Schmiede. Kein Wort brachte er mehr hervor. Der Verwalter, auch völlig erschöpft, hörte nur leise die gemurmelten Worte seines Herrn: „Wie konnte das nur passieren?“ So muss der Gutsherr wohl etliche Stunden wie ein Haufen Unglück dort gesessen haben, denn die Knechte trieben die Kühe von der Weide wieder in den Kuhstall. Für alle musste das Leben ja weitergehen. Zunächst bemerkten die Kuhtreiber den Gutsherrn nicht, dann erschraken sie, als sie ihren Herrn so zusammengekauert erkannten. Wortlos gingen sie ihrer Arbeit nach, obwohl ihnen die Brandlöscharbeit auch noch in den Knochen steckte. Endlich erhob sich der Gutsherr.
Mit verstohlenem Blick sahen die Knechte zu ihm, sahen seine niedergedrückte Haltung. So kannten sie ihn nicht, sie kannten ihn nur aufrecht und stolz gehend. Ferdinand von Altenburg war über Nacht ein gebrochener Mann geworden, aber so ganz langsam stieg Wut in ihm auf. Irgendetwas quälte ihn, lähmte ihn, bis er merkte, dass ein Gedanke ihn nicht mehr losließ, nämlich dass hier Brandlegung im Spiel gewesen sein musste. Er konnte aber noch nicht klar und logisch denken, jedenfalls im Moment noch nicht. Er taumelte im Westflügel mehr umher, als mit festem Schritt den Brandherd in Augenschein zu nehmen. Seine Augen suchten nach etwas, er wusste aber nicht genau wonach. Er nahm ein Stück Holz und stocherte überall zwischen verbrannten und halb verbrannten Holzteilen umher. Einstürzen konnte nichts mehr. Er bemerkte, dass hier und da immer noch etwas Glut schwelte, die er mit den Schuhen richtig austrat, als ihm beim Herumstochern plötzlich ein Geruch in die Nase stieg, der ihn erschauern ließ. Er schreckte auf, als er unter einem Dachbalken einen noch nicht völlig verbrannten Stab mit Pech vor sich liegen sah, der teilweise noch Tuch zeigte, das um den Stab gewickelt war. Er erschrak heftig, wollte losschreien, hielt sich aber die Hand vor den Mund, um es nicht wirklich zu tun. „Hier hab ich dich, du Brandstifter. Hab ich es doch geahnt“, sprach er leise vor sich hin und fletschte die Zähne. „Ich krieg dich. Ich ahne auch, wer es war. Nein, das kann nicht sein!“, war seine vernunftgeführte zweite Überlegung. „So etwas kann kein Mensch tun, so schlecht sind die Menschen nicht“, war sein nächster Gedanke. Also ging er nach wenigen Schritten zur Fundstelle zurück, um sich den Ort näher anzuschauen. Jetzt wollte er wissen: „Wie wurde der Brand gelegt und warum gerade an dieser Stelle?“ Dort hatte es ursprünglich einen überstehenden Balkon aus dickem Eichenholz gegeben. Gerne war der Gutsherr mit seiner Frau Felicitas auf diesen gegangen und hatte von dort westwärts in die Abendsonne geschaut. Nach getaner Arbeit versprach ihnen dieser Ausblick in den Abend und in den nächsten Tag eine erholsame Stunde. Schaffende Menschen suchen so einen Ausblick, um noch einmal die Tagesruhe zu genießen. Vielen Menschen geht es ebenso, ob sie arm oder reich an Vermögen sind. Sie brauchen solche Stunde für die Seele und das Herz.
Der Gedankenhusch über den verlorenen Balkon überraschte ihn. Er war in Not, in seelischer Not, und suchte einen neuen Weg. Vielleicht fand er hier den Anfang aus dem Jammer der letzten Stunden. „Wie war die Brandstelle hier beschaffen, um doch einem Verbrechen auf die Spur zu kommen? Auf den Balkon zu klettern war nicht besonders schwierig. Die Pechfackel auf den Balkon legen konnte der Verbrecher, wenn es denn einen gab, nicht. Er musste dazu die Tür oder die Scheibe einschlagen, um nach innen zu gelangen.“ Tatsächlich lag dort zerborstenes Fensterglas, das natürlich auch durch den Brand zu Bruch gegangen hatte sein können. Er suchte weiter, auch an Stellen, wo der Boden durch den Brand doch einsturzgefährdet war. Aber irgendeinen Hinweis auf Brandlegung wollte er finden, einen eindeutigen. „Ja, hier hab ich dich“, sagte er jetzt etwas lauter. Es war ein Metallstück, das unter Asche dicht neben der Fackelfundstelle lag und offensichtlich an der Fackel befestigt gewesen war. Es zeigten sich, für ihn gut erkennbar, die eingeschlagenen Initialen des Gutsherrn von Eichendorf, die er natürlich kannte, weil er auch den Gutsherren kannte. Er sah sich um, vergewisserte sich, dass ihn kein Mensch beim Suchen beobachtet hatte, auch der Verwalter nicht, der schon wieder, wie abgesprochen, den Knechten ihre Aufgaben erklärte. „Was ist nun zu tun?“, dachte er. Das Leben musste für ihn und seine Familie irgendwie weitergehen. Die Gedanken überschlugen sich schon wieder. Sollte er schnell das Gutshaus wiederaufbauen oder erst einen Prozess gegen den Gutsherrn von Eichendorf anstrengen, der für ihn ein Brandstifter und Feind geworden war? Aber vorschnell wollte er keine Vermutung aussprechen, auch seiner Frau gegenüber nicht. Das, was hier geschehen war, musste er erst einmal allein verarbeiten.


Zwischen den Gutsherren von Eichendorf aus Wansdorf im Westteil des Landes und von Altenburg aus Panstorf im Ostteil und nahe Pommern schwelte eine seit Jahrhunderten bestehende Feindschaft. Ferdinand wollte diese Geschichte nie aufarbeiten, er pflegte keine Feindschaft und keine Freundschaft zum Gutsherrn von Eichendorf. Aber Ferdinands Frau Felicitas kam aus dem Landadel von Wansdorf, das in der Nähe des Gutshofes von Eichendorf lag. Der Gutshof von Felicitas’ Eltern und Urahnen hatte einen relativ guten Boden, so dass das Geschlecht über die Jahrhunderte immer gute Ernten hatte einfahren und verkaufen können. Das Gutsgeschlecht von Eichendorf hatte es nicht so gut getroffen, beneidete das Geschlecht von Wansdorf und nutzte jede Chance, dem Gutshof Schaden zuzufügen. Ferdinand von Altenburg heiratete mit Felicitas in das Geschlecht von Wansdorf hinein und kümmerte sich dabei wenig um die Vergangenheit und die Streitereien der Gutshöfe Wansdorf und Eichendorf. Doch böse Ereignisse wie Morde und andere Verbrechen, die nie hatten aufgeklärt werden können, belasteten auch Ferdinand. Jetzt loderte die Feindschaft wieder auf und Ferdinand fragte sich, warum dieser Brand gelegt worden war, denn beiden Landadel-Geschlechtern, denen von Wansdorf und denen von Eichendorf, ging es wirtschaftlich gut. Herr von Eichendorf und seine Vorfahren hatten große Ländereien und erzielten mit viel Aufwand trotz der mäßigen Bodenqualität immer gute Erträge.
Der letzte Besuch auf dem Stadtmarkt gab Ferdinand jetzt auch zu denken. Doch er konnte sich noch nicht konzentrieren. Die Gedanken wanderten hin und her, vom Brand zum notwendigen Wiederaufbau und zurück zur Brandursache, dann wieder weiter zu dem möglichen Brandleger.
Die Tage nach dem Brand waren für alle nicht einfach. Die Verschmutzung, das Löschwasser und der Brandgeruch in allen Ecken des Gutshauses belasteten die Gutshausfamilie. Dazu ein Gutsherr, der sich erst wiederfinden musste, was für seine Frau und die beiden Kinder schwer zu ertragen war.
Der Herr des Hauses trug fortan ein Geheimnis mit sich herum, nach dem ihn auch keiner fragen durfte, aber jeder sah ihm an, dass er mehr wusste, als er sagen wollte. Sein Verwalter bemerkte wohl als Erster die Veränderung seines Herrn, stellte sich aber darauf ein. Da wie jedes Jahr die Ernte zu verkaufen war, hatte er genug zu tun. Er merkte beim Verkauf der geernteten Ackerwaren nur, dass die Händler bei den Preisverhandlungen anders als früher reagierten. Er konnte sich zunächst keine Erklärung dafür zusammenreimen. Er bemerkte aber, dass der Gutsherr von Eichendorf aktiver und fast aggressiv auftrat und alles, was das Gut von Altenburg auf dem Markt anbot, schlechtredete. Das machte den Verwalter stutzig und er nahm allen Mut zusammen, um seinem Herrn von Altenburg davon zu berichten. „Mein Herr, schon seit Tagen beobachte ich auf dem Getreidemarkt und in den Preisverhandlungen etwas Eigenartiges, das ich mir nicht recht erklären kann“, eröffnete der Verwalter das Gespräch. „Nun, berichten Sie“, forderte der Gutsherr den Verwalter auf. „Beim Verkauf unserer Ernte auf unserem Markt musste ich feststellen, dass eine mir zunächst unerklärliche Zurückhaltung vorhanden war, bis ich mitbekam, dass Herr von Eichendorf mit Vorzügen an die Händler verkaufen durfte.“ „Das ist unglaublich! Wir müssen sofort zur Stadt und mit dem Bürgermeister sprechen“, reagierte der Gutsherr. Gesagt, getan.
Am nächsten Tag wurden die Pferde eingespannt und der Gutsherr fuhr mit seinem Verwalter in der Kutsche in die Stadt. Dort herrschte reges Treiben, denn die Markttage im Herbst zogen Händler und Neugierige aus allen Regionen magisch an.
Der Gutsherr suchte sofort den Bürgermeister auf, der wohl schon auf Herrn von Altenburg gewartet hatte. Das Bürgermeisteramt war im Rathaus untergebracht und zeigte eine Bescheidenheit in seiner Ausstattung, die auf die finanzielle Situation der Stadt schließen ließ. So nahm der Gutsherr von Altenburg das Amtshaus wahr. Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen, der Stadt mehr als bisher unter die Arme zu greifen. Doch die Wiederherstellung des Glanzes seines Gutshauses würde finanzielle Mittel brauchen. Die Region um das Recknitztal gehörte mit der Grenze zu Vorpommern allerdings zu den weniger begehrten Regionen im Land Mecklenburg. Das adlige Dasein und der Glanz wurden nach preußischem Vorbild in den Schlössern von West-Mecklenburg gelebt und gezeigt.
Der Gutsherr von Altenburg hatte sich nach dem Brand innerlich auf ein hartes Vorgehen gegen seinen Feind eingestellt. Gleichzeitig hatte der Brand ihm aber auch die Augen dafür geöffnet, dass es für ihn jetzt nur gemeinsam mit dem aufkommenden Bürgertum eine neue Chance geben konnte. Diese Einsicht wurde zu einem Schwur, und den hatte er mit sich selbst nach dem Brand abgeschlossen. Er suchte nun Verbündete, um diesen Schwur mit Leben zu erfüllen, wohl wissend, dass seine Frau und sein Verwalter Steiner die ersten und besten Verbündeten waren. Doch noch war keiner in seine Überlegungen einbezogen und eingebunden worden. Er wollte zunächst wissen, wie die Stadt, die ihm bisher immer wohlgesonnen war, sich ihm gegenüber nach dem Brand verhielt.
„Guten Tag, Herr Bürgermeister!“, schmetterte Herr von Altenburg seinen Gruß dem Bürgermeister entgegen, als er dessen Amtszimmer betrat. Der Bürgermeister war überrascht, weil er nach dem Brand einen geknickten Gutsherrn erwartet hatte. „Einen ebenso willkommenen guten Tag, Herr von Altenburg“, erwiderte der Bürgermeister etwas erschrocken. „Bitte nehmen Sie mit Ihrem Verwalter, den ich auch begrüße, Platz. Was führt Sie zu mir nach so viel Elend? Der Brand steckt Ihnen doch immer noch in den Gliedern.“ „Ja, da haben Sie eine rechte Meinung. Doch ein von Altenburg lässt sich nicht so einfach unterkriegen. Ich bin gekommen, um mit Ihnen eine Abmachung zu beraten“, sprach der Gutsherr. „Sie wissen, dass wir in der Stadt immer gut mit Ihnen ausgekommen sind und wir es auch weiterhin so pflegen wollen“, antwortete der Bürgermeister. „Ja, und deshalb will ich gleich offen mit Ihnen sprechen, Herr Bürgermeister. Mit den Handwerkern und Händlern beabsichtige ich, mehr als bisher zusammenzuarbeiten. Bei dem Brand des Gutshauses und bei der Hilfe durch das Bürgertum ist mir bewusst geworden, dass ich zu sehr für mich allein auf dem Gutshof gelebt habe. Das soll anders werden. Das Gutshaus soll mit den Handwerkern der Stadt wiederaufgebaut und schöner als vorher werden. Umgekehrt helfe ich Ihnen beim Bau des Theaters, das Sie geplant haben und für das Sie sich nach finanzkräftigen Gutsherren umschauen. Sie brauchen nicht so weit zu schauen. Sie helfen mir und ich helfe Ihnen“, erklärte der Gutsherr in einer Art und Weise, wie er noch nie mit dem Bürgermeister gesprochen hatte. „Das ist ja großartig und kommt für mich völlig überraschend.“ „Sie sollen wissen, dass ich auf das Handwerk und das Bürgertum setze, denn denen gehört die Zukunft“, sprach der Gutsherr von Altenburg großspurig weiter, dass selbst sein Verwalter sein Erstaunen über diese Aussagen kaum verbergen konnte. „Ich lade Sie, alle Handwerksmeister und den Vorsteher der Bank für heute Abend zu einem gemütlichen Schmaus ein. Auch wenn ich mit dem Brand meine Probleme habe, soll es der Anfang für ein gutes Werk mit der Stadt sein, Herr Bürgermeister.“ Mit dieser Einladung beendete der Gutsherr das Gespräch. „Ja, ich hole die Bürgerschaft zusammen und wir werden sofort die Leute für heute Abend einladen“, rief ihm der Bürgermeister erfreut nach. Der Gutsherr hatte kaum das Rathaus verlassen, da trommelte der Bürgermeister alle Amtsleute und Bediensteten zusammen und leitete die Vorbereitungen für das geplante Vorhaben an diesem Abend.
Jetzt ging der Gutsherr mit seinem Verwalter zum Bankvorsteher, zumal dieser nicht zuerst vom Bürgermeister die gerade ausgesprochenen Neuigkeiten erfahren sollte. Die erwirtschafteten finanziellen Guthaben auf der Bank machten den Gutsherrn sicher, dass er sich den Aufbau des Gutshauses und die Hilfen für die Stadt leisten konnte.

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