Tränen der Gefallenen

Tränen der Gefallenen

Das Sanktuarium

Tom Miller


EUR 19,90
EUR 15,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 382
ISBN: 978-3-99131-502-5
Erscheinungsdatum: 10.08.2023
2045. Ein Bakterium verwandelt alle von ihm Befallenen in blutrünstige Bestien. Mittendrin im brutalen Überlebenskampf: die schwangere Gina, die das Heilmittel in sich trägt und zum Spielball unterschiedlicher Interessen wird. Wem kann sie noch trauen?
Prolog


2045. Frankfurt am Main

„Die Stadt ist unter ihrer eisernen Hand. Das kannst du unmöglich ernst meinen, Lennard“, sagte Emilia. Er schwieg. „Ich glaube es nicht. Mit der Rettung der Kinder hast du unseren ganzen Plan gefährdet.“ Sie starrte ihn an. „Was ist nur los mit dir?!“ Er schaute sie verärgert an. „Diese Bastarde müssen sterben“, gab Emilia von sich. „Mann, Emilia. Da draußen ist die Welt zusammengebrochen, überall rennen Mutanten herum, und ihr wollt immer noch alle töten. Unsere Kampftruppe hat jegliches Maß verloren!“ Lennard blickte zu einer Aufschrift an der Wand: „Der Erste Weg formt die Zukunft!“ „Hörst du dir eigentlich zu?! Was ist nur in dich gefahren?“ Emilia umschloss ihre Pistole. „Was? Willst du mich jetzt erschießen?“, fragte er sie. Er erkannte seine Partnerin nicht wieder. Sie hatten so viele Dinge gemeinsam durchgestanden. Zusammen hatten sie Menschen aus der Stadt geschmuggelt und Attentate verübt.
„Wann hast du dich gegen uns gestellt, Lennard?“ Sie hob die Augenbrauen und richtete die Waffe auf ihn. „Das kannst du nicht tun! Nach alldem, was wir zusammen durchgemacht haben!“ Lennard hob seine Waffe.
Die Frau schaute zu der Aufschrift. „Jetzt gehörst du also zu denen!“ Mit einer Kopfbewegung zeigte sie zur Wand. Ihre Augen waren glasig.
„Nein! Ich gehöre zu niemandem. Und ich will auch zu keinem mehr gehören!“, rief er.
„Und deswegen hast du uns verraten?!“ Emilia wurde lauter. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug.
„Du wirst mich nicht erschießen. Nicht nach all den Jahren“, sagte Lennard, drehte sich um und entfernte sich langsam. Emilia kniff die Augen zusammen und kämpfte dagegen an. Sie wollte auf ihn schießen, aber irgendetwas in ihr weigerte sich. Deshalb streckte sie ihren Arm seitlich in die Luft und schoss. „Bleib stehen!“ Ihre Stimme hallte von den engen Wänden wider.
Lennard blieb stehen. Er wagte sich nicht umzudrehen.
Irgendwie fasste er Mut und ging weiter. Emilia schoss ein zweites Mal.
„Du erschießt mich nicht“, sagte er abermals.
Plötzlich traf ihn die Kugel in den Rücken. Lennard stürzte. Blut quoll aus seinem Mund. „Was? Ahhh!“, stöhnte er.
„Was ist nur aus dir geworden?!“, während er das sagte, sprudelte das Blut nur so heraus.
„Ich musste es tun. Du hättest uns sonst verraten.“ Mit diesen Worten schoss Emilia ihm in den Kopf.
Die Pistole verstaute sie zwischen ihrer Jeans und dem Top. Dann zog sie ihre Jacke darüber und machte sich auf den Rückweg.

„Sie hat ihn einfach erschossen!“ Gina schaute zu Jana herüber. „Wir müssen schleunigst nach draußen“, erwiderte diese. „Aus Sicherheitsgründen wird die Stadt jetzt abgeriegelt! Begeben Sie sich unverzüglich in Ihre Häuser! Sicherheitsstufe eins!“ Der ganze Bereich rund um die Hauptwache wurde abgeriegelt. Heliosolex hatte den Eisernen Steg gesprengt, um zu verhindern, dass man über ihn den Bezirk verlassen konnte. Die Firma besaß fünf Distrikte, die sie streng kontrollierte, in denen die Menschen lebten. Der erste Distrikt reichte vom alten Hauptbahnhof bis zur Hauptwache.
Die anderen vier grenzten dicht an Distrikt eins. Die Residenz der Firma war eines der großen Hochhäuser, die sich zum Himmel streckten. Panzerwagen der Forsaken fuhren vor. Die Elitesoldaten schwärmten aus. „Findet sie! Sucht die Flüchtigen!“, kam das Kommando von einem Truppführer. Die Männer begannen mit ihrer Suche. In Dreierformation suchten sie langsam Winkel für Winkel ab. Gina und Jana schwangen sich über die Brüstung, um unter die Hauptwache zu gelangen.
„Sie müssen hier irgendwo sein! Vorwärts!“ Die Soldaten würden sie bald finden.
Die beiden Frauen eilten weiter unter die Erde. Durch die alten S-Bahn-Tunnel bewegten sie sich vorwärts. Jana ging voraus. Ihr Rucksack war schwer, denn sie hatte ihre wichtigsten Utensilien und ihre Ausrüstung darin verstaut. Sie hielt ihre Pistole in der Hand, wodurch sie jederzeit auf einen Kampf vorbereitet war, während sie versuchten, schnell weiterzukommen. „Bald kommen die überfluteten Bereiche. Da halten sich gerne die Streuner auf!“, rief Gina von hinten. „Ich weiß. Aber das ist nun mal der einzige Weg aus der Stadt, ohne von denen erschossen zu werden“, entgegnete Jana. „Wissen die eigentlich, dass du hier bist?!“ Gina schaute sie fragend an. „Nein! Das soll auch so bleiben. Je weniger Aufmerksamkeit wir erregen, desto besser.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du Leo erschießt!“, sagte Gina von hinten. „Es war erschreckend leicht“, antwortete sie. „Bereust du es?“, wollte Gina wissen. „Ich bereue vieles. Aber nicht das, was ich tun musste“, erwiderte Jana.
Die beiden Frauen setzten ihren Weg fort. Sie näherten sich den überfluteten Bereichen. Schon von hier konnten sie das Kreischen der Slims hören.
Jana nahm ihr Jagdgewehr von der Schulter und verstaute ihre Neunmillimeterpistole. An ihrem großen Camouflage-Rucksack hing eine Axt, die sie für Nahkämpfe verwendete. Ein militärisches Jagdmesser zierte ihren Gürtel, und wie Gina sie einschätzte, hatte sie auch in ihren Stiefeln, die sie immer trug, ein Messer versteckt. Jana war mit vielen Waffen ausgerüstet, was einfach an der Zeit lag, als sie noch Felicitas’ Kampftruppe angehörte. Sie nannte sich der Zweite Weg. Eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Heliosolex zu vernichten. Vor einiger Zeit hatte Jana noch zu ihr gehört. Dann begegnete Jana Gina. Und dann geschah etwas Schlimmes. Etwas, was sie ausführte. Diese Tat löste eine Kettenreaktion aus, weshalb sie heute hier in dieser stinkenden Brühe hinter einem Zugwaggon knieten. Jana sah Gina an und nickte. „Los, gehen wir“, stimmte Gina zu. Schnell und leise setzten sich die beiden Frauen in Bewegung. Sie ließen die überfluteten Tunnel hinter sich und kamen in die äußeren Bezirke der Stadt. Sie mussten Emilia finden.
„Ich hätte nicht gedacht, dich jemals wiederzusehen, Jana!“, tönte es auf einmal hinter ihnen. Jana wirbelte herum und zielte mit ihrer Pistole auf Emilia. So standen sich die beiden Frauen gegenüber auf einem alten Parkplatz, dessen Boden rissig geworden war. Gina stand hinter ihr. „Du hast dich vor einiger Zeit abgewandt. Was willst du also hier?“, fragte Emilia unwirsch. „Ich brauche eure Hilfe.“ „Mhmm!“ brummte sie, „es liegt nicht in meiner Hand, das zu entscheiden.“ Emilia senkte ihre Waffe. „Immer noch die treue Kämpferin!“, Jana schüttelte den Kopf. „Du warst auch einmal so. Schon vergessen?!“, Emilia drehte ihren Kopf. „So etwas vergesse ich nicht“, raunte Jana. Gina folgte ihrer Freundin.
Sie erreichten eine alte Wohnsiedlung mit mehreren aneinandergereihten Häusern. Die Fassade war aus rotem oder grauem Stein. Der obere Teil war aus Holz.
Hier schlenderten Menschen durch die Gassen. Die meisten von ihnen waren Überlebende, die sich mit dem, was sie hatten, irgendwie ein neues Leben aufzubauen versuchten. Jana und Gina folgten Emilia zu einem Haus. Sie öffnete die Tür und trat ein.
Das alte Wohnzimmer war umgeräumt worden und wurde jetzt anscheinend für Besprechungen verwendet. Gerade fand eine solche statt, als die drei Frauen eintraten. Georg erhob sich, hatte jedoch seine Waffe in der Hand. Er war ein älterer Mann und stützte sich auf eine Krücke. „Sie hat ihn erschossen. Jetzt braucht sie unsere Hilfe“, brachte Emilia das Anliegen ihrer Begleiterinnen vor.
„Du kehrst uns den Rücken und verlangst unsere Hilfe?!“, ungläubig fuchtelte er mit der Waffe in der Luft.
Jana schwieg.
„Na gut. Wobei sollen wir dir helfen?“, wollte Carolin wissen.
„Wir müssen irgendwie aus der Stadt kommen“, antwortete Gina für sie.
„Ah ja. Aus der Stadt? Die Forsaken haben alles abgeriegelt. Die Routen aus der Stadt sind zu.“ „Die alten nicht.“ Sie sah in die Runde. „Warum ist es so wichtig, aus der Stadt zu kommen?“, wollte der Alte wissen. „Es ist dringend, Georg.“ Jana schaute wieder in die Runde.
„Die alten Routen sind verdammt gefährlich.“ Luisa sah sie lange an. Wieder schwieg sie.
„In Ordnung. Einen letzten Gefallen erweisen wir dir“, sagte Felicitas. Mürrisch wandte sich Georg ab. „Noel, Fero! Ihr bringt sie durch die alten Routen.“ Ein großer Mann mit kastanienbraunem Haar trat ein. Der Bart, den Noel trug, musste nun schon mehrere Wochen alt sein. Fero stammte ursprünglich aus Albanien, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sein rabenschwarzes Haar war lang und ungepflegt. Er trug einen Vollbart, der ein wenig über sein Kinn hinausreichte.
„Bringen wir es hinter uns“, sagte Jana und strich ihren grauen Anorak glatt. Fero zog sich seine gefütterte Jeansjacke über, während Noel seinen dunkelblauen Anorak überstreifte.

Die alten Routen führten durch die Häuser hinab unter die Erde zu den verlassenen Zugtunneln und von dort durch die zerstörten Stadtteile bis nach draußen. Diese Routen wurden nur von den Streunern genutzt. Sie kamen immer bei Neumond und hielten sich darüber hinaus vermehrt auch in den Tunneln oder in den zerstörten Häusern auf. Diese Routen waren keine Wege, die man freiwillig einschlagen würde. Doch Jana und Gina mussten. Sie hatten keine Wahl. Sie mussten schnellstens aus der Stadt kommen.


2045. Flughafen Frankfurt.
Ein paar Monate zuvor.

„Pass auf! Es ist ganz einfach! Du sagst uns, an welchem Ort er sich versteckt hält, und wir lassen dich laufen!“ Leo ging vor dem Mann, der an einen Stuhl gefesselt war, in die Hocke. Sie hatten ihn stundenlang gefoltert, und er war von Blut überströmt.
Als er nicht antwortete, erhob sich Leo genervt.
„Hör mir zu!“, sagte Tristan und setzte sich auf den Stuhl, der vor dem Gefangenen stand.
„Er wird gleich die Nerven verlieren, und das willst du nicht. Du weißt, wie es ist, wenn ihn die Geduld verlässt.“ Er schaute ihn an. Der Mann röchelte. „Wir wissen, dass du zu seiner Gruppe gehörst. Wo versteckt er sich?“ Tristan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Leo, der weiter hinten an einem Tisch lehnte, schaute an die Decke.
„Okay! Du willst nicht reden!“ Er stieß sich von dem Tisch ab.
„Bitte, bitte! Ich rede!“, Panisch versuchte der Mann zu entkommen.
„Dann rede!“ Leo trat eine Schüssel, die in dem heruntergekommenen Büro stand, zur Seite. „Er hat die Stadt verlassen. Er will nach Köln.“ Der Mann zuckte zusammen, als Leo sich näherte. „Welchen Weg hat er genommen?“, fragte Tristan. „Erst die Autobahn und dann durch die Wälder“, stammelte er.
Ohne länger Zeit zu verschwenden, erschoss Leo den Mann. Die beiden Forsaken schulterten ihre Rucksäcke. „Dann begeben wir uns mal auf die Suche!“, meinte Tristan. Sie erreichten ein altes Parkhaus, das früher einmal voll von Autos gewesen sein musste. Heute waren es lediglich eine Handvoll. Leo und Tristan stiegen in den Wagen ein und verließen das Parkhaus. Sie entschieden sich, für ein Stück des Weges die Autobahn zu nutzen, auch wenn diese perfekt für Hinterhalte war. Doch nach kurzer Zeit verließen sie die Schnellstraße bereits und fuhren in den Taunus. Durch dieses Gebirge bewegte er sich wahrscheinlich. Sie mussten ihn finden, bevor er nach Köln gelangen konnte.
Tristan schaute aus dem Fenster. Am Straßenrand lag ein zerfleddertes Reh. Darüber hatten sich Streuner hergemacht, keine Frage. Es war tot.
Sie passierten ein paar verlassene Häuser. Die Menschen, die einst hier gelebt hatten, waren heute mit großer Wahrscheinlichkeit selbst zu Streunern geworden. Sie hatten eine Infektion mit dem gefährlichen Bakterium nicht verhindern können. Das Impfserum war ursprünglich von Heliosolex zur Bekämpfung des Robigo-Virus entwickelt worden. Nach einiger Zeit hatte sich jedoch herausgestellt, dass die Geimpften von einem Fäulnisbakterium mit dem Namen Putor befallen wurden, der bei ihnen Mutationen hervorrief. Diese Impfmutanten wurden binnen weniger Stunden zu wilden Bestien, die mit einem Biss das Putorbakterium übertragen konnten. Da sie höchst aggressiv und von Rastlosigkeit geprägt waren, nannten die Menschen sie Streuner. Sie erschienen jeweils zu Neumond in Scharen und hielten sich primär in Tunneln, dunklen Gebäuden oder auch im Wald auf. Die Mutation verlief in vier Phasen. Slims befanden sich in der ersten Phase und waren durch großen Gewichtsverlust stark abgemagert und ihre Haut hing schlaff herab. Das zweite Stadium ließ die Slims zu Melos werden, aufgedunsene Wesen, deren Gliedmaßen sich stark verformten und am Ende kaum noch zu erkennen waren. In der dritten Mutationsphase wurden die Impfmutanten zu Flüsterern, die sich auf allen Vieren bewegten und in der Lage waren, Stimmen und Geräusche perfekt nachzuahmen und auf diese Weise Menschen in ihre Nähe zu locken, um dann über sie herzufallen. Das vierte und letzte Stadium, das ein Streuner durchlief, war das Putor-Endstadium. Die sogenannten Veitzer konnten ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren und waren durch extreme Aggressivität gekennzeichnet.

Es gab jedoch viele Menschen, die sich nicht haben impfen lassen und daraufhin mit dem Robigo-Virus infiziert wurden. Im Verlauf der Erkrankung durchlitten sie massive Magen-Darm-Beschwerden mit rostfarbenen Ausscheidungen sowie Blutungen, Schwindel und Schweißausbrüche. Weiterhin bildeten sich rostfarbene Flechten auf der Hautoberfläche.

Bei zahlreichen Robigo-Patienten führte die Erkrankung zu massiven Organschädigungen und alsbald zum Tod.

Zwei namhaften pharmazeutischen Labors, Heliosolex und F.A.U.N.A., gelang es innerhalb kurzer Zeit einen Impfstoff für eine Lebendimpfung zu entwickeln. Bei der Entwicklung eines weiteren Impfstoffes, eines MRNA-Impfstoffs gab es jedoch einen Zwischenfall, bei dem ein Bakterium namens Putor in das Impfserum gelangte. Die auf diese Weise zunächst unbemerkt kontaminierten Impfseren gelangten versehentlich in Umlauf.

Manche Patienten konnten noch kurz nach der Infektion mit einer Lebendimpfung von Heliosolex oder F.A.U.N.A. versorgt werden, die sie vor dem Schlimmsten bewahrte. Da die abgeschwächte Variante des Robigo-Virus sich bei diesen Patienten nach erfolgter Impfung noch für eine Weile im Organismus befindet und als Nebeneffekt auch eindringende Bakterien bekämpft, sind Geimpfte teilimmun gegen verschiedene Bakterien, darunter das Putor-Bakterium, geworden.

Im Vorbeifahren sahen sie in einem Waldstück ein paar Slims, die kreischten, da sie ein Tier rochen.

Leo überfuhr einen von ihnen, der auf der Straße stand. Wieder fuhren sie an ein paar verlassenen Häusern vorbei.
Je weiter sie der Straße folgten, desto höher kamen sie in den Taunus.
„Dort ist sein Wagen!“ Tristan wies auf einen weißen Jeep.
Die beiden stoppten und verließen ihr Auto.
„Sprit war alle“, sagte Leo, nachdem er in den Jeep geschaut hatte.
„Finden wir ihn!“ Tristan entsicherte sein Gewehr.
Gemeinsam begaben sie sich auf die Suche. In diesen Gebieten musste man auf Streuner und Putors aufpassen. Diese liebten es, sich in den dichten Wäldern aufzuhalten. Die Melos hasste Leo wie die Pest. Sie quollen auf wie ein Schwamm, nahmen an Gewicht zu, und man erkannte kaum, dass sie einmal Menschen gewesen waren. Vor allem hatten sie eine ungeheuerliche Kraft.
„Pst! Flüsterer!“, raunte Tristan. Aus einiger Entfernung klang eine flüsternde Stimme, die sich anhörte, als würde sich dort ein Mensch aufhalten. Immer wieder verstummte das Flüstern. Dieser Mutant war ein Jäger. Er konnte sehr gut hören und lockte mit dem Flüstern seine Opfer. Sie waren vor allem schnell. Die beiden Forsaken setzten ihren Weg fort. Gott alleine wusste, wie viele Streuner-Mutationen es noch gab.
Weit konnte er nicht mehr sein. Leo suchte die Umgebung ab. Nichts. „Er muss tiefer in die Wälder gegangen sein“, meinte Tristan und sah den Pfad entlang. „Es wird dunkel. Suchen wir uns einen Unterschlupf“, schlug er vor. „Gute Idee“, erwiderte sein Kamerad. Sie fanden eine alte verlassene Scheune, in die sie für die Nacht einzogen. Sie verschlossen die Tür fest, um zu verhindern, dass Streuner oder Putors eindrangen.
„Strom gibt es auch nicht mehr! So eine Scheiße!“, fluchte Tristan.
„Dann musst du dich eben wärmer zudecken“, entgegnete Leo. Sein Kamerad brummte. „Ich übernehme die erste Wache.“ Er stand auf, ging nach oben. Leo ruhte ein wenig.
Mitten in der Nacht erwachte er, da er einen entfernten Schrei gehört hatte. Tristan kam von oben herunter. „Da draußen versammelt sich ein Haufen Slims. Irgendwas zieht sie an.“ „Na hoffentlich nicht Aaron“, Leo stand auf und warf sich seine Militärjacke über. Sie traten aus der Scheune. „Mach zu!“, forderte Leo. Tristan schob die Scheunentür zu. Mit dem Gewehr im Anschlag machten sich die beiden Forsaken auf den Weg. Sie redeten nicht. Worte konnten sie in dieser Nacht ihr Leben kosten.
Leise gingen sie den Pfad hinab. Fünf Slims kreuzten in einiger Entfernung den Weg. Sie knurrten, zogen jedoch weiter. „Was machen die da unten?!“ Ungläubig schauten sie einander an. „Finden wir es heraus.“ Leo rückte lautlos vor.
Der Pfad schlängelte sich mehrere steile Hügel hinab und führte durch dicht bewaldetes Gebiet. Die beiden begannen den Abstieg. Bald vernahmen sie das Rauschen eines Wildwasserbaches.
Ohne Worte benutzen zu müssen, entschieden sie sich, den Weg zu verlassen und querfeldein zu laufen. Der rauschende Wildwasserbach stürzte von dem nächsten Hügel in die Tiefe. Von dem Hügel aus konnten sie immer noch nicht nach unten schauen. Gerade torkelte ein Putor nach unten.
Die beiden Forsaken rutschten den Hügel hinab. Es waren nichts weiter als drei große Wildschweine. Die beiden schüttelten den Kopf und machten sich auf den Rückweg.

„Sie haben ihn nicht erwischt. Was ein Glück“, sagte Tristan, nachdem sie die Scheune erreicht hatten. „Die sind über das Wild hergefallen“, fügte Leo hinzu. „Dann müssen wir ihn wohl weitersuchen“, meinte Tristan. „Ja“, sein Kamerad nickte. „Jetzt leg du dich hin.“ Leo stand auf und ging nach oben. Tristan legte sich zur Ruhe.
Am nächsten Morgen gingen sie wieder zu dem Ort, an dem die Mutanten über das Wild hergefallen waren. Die Streuner und Putors waren schon längst weitergezogen.
Sie folgten anschließend dem Wildbach, der von dort aus weiterfloss. „Was meinst du? Wie weit ist er gekommen?“ „Keine Ahnung.“ Der Pfad führte von hier aus hinter einem großen massiven Stein entlang und dann gerade nach oben auf einen Hügel. Die beiden Männer stiegen hinauf. Oben angekommen sahen sie in der Mitte des Hügels einen kaputten Strommast, der in der Hälfte gebrochen war. Die abgebrochene Hälfte lag auf der Wiese, die sich hier oben erstreckte.
Der Pfad stieg weiter an. „Es wird Zeit, dass wir ihn finden“, murrte Tristan. Leo nickte. Sie setzten ihren Weg fort und stiegen weiter auf.
Plötzlich blieb Leo stehen und sah durch das Zielfernrohr seines Gewehrs. „Wir haben ihn! Da oben ist er!“ Er deutete mit seinem Finger den steilen Hang hinauf. Auch Tristan sah ihn. Er kämpfte sich auf allen vieren nach oben. Die beiden Forsaken eilten hinter ihm her.
Oben an einem alten Wartungshäuschen, das neben einem rostigen alten Strommast stand, lehnte er. Aaron zitterte. Eine große Bisswunde klaffte an seiner Schulter. Die Mutanten hatten sein T-Shirt zerrissen und ihn gebissen.
„Ahh!“, stöhnte er. Leo hob die Waffe. „Bitte! Ich werde sowieso sterben. Lasst mich noch etwas sagen“, brachte er hervor.
„Was willst du sagen?“, fragte Tristan.
„Ihr müsst sie retten. Heliosolex wird sie sonst töten.“ Er atmete schwer.
„Wen sollen wir retten?“ Leo starrte ihn an. „Gina“, stammelte er. „Wir müssen ihn erschießen, bevor er dich anfällt!“ Tristan hob die Waffe. „Warte!“, mahnte Leo. „Wieso tötet Heliosolex sie?“, hakte er nach. „Sie ist im Sanktuarium. Dort sterben alle.“ Blut quoll aus seinem Mund. Tristan schoss. Sein Kamerad drehte sich um und sah ihn an. „Er hätte sich verwandelt“, verteidigte er sich. „Schon gut“, antwortete Leo. Die beiden machten sich auf den Rückweg. Doch auf dem ganzen Weg war Leo nachdenklich. „Du glaubst doch nicht ernsthaft diesen Schwachsinn, oder?!“ Sein Kamerad sah ihn an. „Was ist, wenn er die Wahrheit sagt?“, stellte Leo die Gegenfrage.

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