Tassilo - Die Launen des Lebens

Tassilo - Die Launen des Lebens

Andreas Finke


EUR 17,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 214
ISBN: 978-3-99107-420-5
Erscheinungsdatum: 24.03.2021
Gerade ist das Glück vollkommen, doch im nächsten Augenblick beginnt der Schmerz. Sehnsuchtsorte in Frankreich, Kanada und Österreich begleiten die Geschichte der lebensfrohen Familie Tassilo bis zu einem Unglück, das den Zusammenhalt der Familie herausfordert.
Ein Tag im Herbst

Es waren unzählige kleine Boote, die harmonisch im Wasser beieinanderlagen und sich leicht schaukelnd berührten. Die einen in leuchtenden Farben, andere in dezenteren Tönen.
Bei manchen waren die Farben schon alt und spröde, aber man konnte noch gut ihre vergangene Pracht erahnen, wieder andere waren zum wiederholten Male überstrichen worden.

Jedes dieser Boote hatte seine eigene Geschichte, zum Teil noch frisch und jung, wahrscheinlich gut gerüstet für die zukünftigen Aufgaben. Die älteren, erprobt und zuverlässig, zum Teil aber auch bereits vernachlässigt und nur noch selten benutzt.

Es war ein wunderschöner Moment, das Leben in seiner gesamten Vielfalt im Licht der untergehenden Sonne, in all seinen Farben und Schattierungen, nochmal vorbeiziehen zu sehen.

Danke, trotz allem



Dezember 2006

Die Nachricht erschütterte Ferdinand bis ins Mark.

Es war unfassbar, aber alles deutete darauf hin, dass in dem Brief, den er gerade erhalten hatte, die Wahrheit stand!

Nicht nur die Wahrheit über das unglaubliche Verbrechen, sondern auch die unbegreifliche Erkenntnis über den Absender. Er kannte die Schrift!

Er musste jetzt sofort handeln, und zwar allein.



August 1966

Ferdinand wartete auf die Fähre zur Île de Ré. Es war ein wunderschöner Sommertag und die im Hafen liegenden Segelschiffe vermittelten tatsächlich erste Urlaubsgefühle.

Dass es ihn hierher an die französische Atlantikküste verschlagen hatte, war schon paradox. Er konnte kein Französisch und mit Englisch kam man auch kaum weiter. Gilbert, sein Vater, hatte ihn gebeten für die Firma nach La Rochelle zu fahren. Von München aus eine Weltreise, so dass er beschlossen hatte, ein paar Tage dranzuhängen und sich ein bisschen Entspannung in dieser herrlichen Umgebung zu gönnen. Gustav Rozier, ein Freund seines Vaters, hatte ihm empfohlen auf die Île de Ré zu fahren. Dann also Urlaub auf einer kleinen französischen Insel im Atlantik, auf der man ihn nicht verstehen würde. Fast ein Abenteuer!

Als er auf dem Außendeck einen Platz direkt an der Reling gefunden hatte und im Fahrtwind die leichte salzige Brise genoss, dachte er noch an die letzten Tage und die Gespräche mit Gustav.
Die Firma – Rozier, La Rochelle – war einer der führenden Tresor-Hersteller in Frankreich und damit auch schon immer das große Vorbild seines Vaters gewesen, für die eigene – Geldschrankfabrik Tassilo – in München. Rozier hatte in den letzten Jahren sein Sortiment ausgeweitet, auf Sicherheitssysteme und elektrische Alarmanlagen. Und genau das wollte man jetzt auch in München durchführen. Zuerst durch Zukauf, z. B. von Rozier, und später bei Erfolg auch durch die Produktion eigener Systeme.

Ferdinand war stolz auf das Unternehmen seines Vaters, der schon 1950 den Schritt gewagt hatte, auf einem Ruinengrundstück in München eine kleine Geldschrank-Produktion zu errichten.

Die in Gold gerahmten Schwarz-Weiß Fotos im Büro seines Vaters erinnerten immer wieder an diese Pionierleistung. Geldschrankfabrik Tassilo – war etwas hochgestapelt. Noch produzierte man jährlich eine überschaubare Anzahl, meistens Spezialanfertigungen. Durch die Ausweitung des Sortiments könnte man den Umsatz steigern und auch die Produktion zukünftig auf mehrere Beine stellen.

Die Zahlen von Rozier waren beeindruckend gewesen. Gustav war auch gerne bereit eigene Produkte zu günstigen Konditionen seinem Freund Gilbert zum Start in die neue Zukunft zur Verfügung zu stellen. Er scherzte zwar noch, dass er sich mit dem dynamischen Gespann, Gilbert und Ferdinand, hoffentlich keine zu große Konkurrenz heranzüchten möge. Aber beide wussten, dass der Markt groß genug war. Zumal Tassilo sich bis jetzt auf Süddeutschland konzentrierte.

Die Weichen waren also gestellt, aber wenn Ferdinand an die Zukunft dachte, wurde ihm fast schwindelig. Sein Vater hatte ihm kurz vor der Reise gesagt, dass er sich mit 60 langsam aus der Geschäftsführung zurückziehen möchte. Er glaube, dass Ferdinand die Verantwortung für das Unternehmen in 3–4 Jahren sicher schon alleine tragen könne:

„Ferdinand, ich möchte mit Francine einfach noch andere Dinge erleben, reisen und vielleicht auch das halbe Jahr in Pürgg verbringen. Du weißt, wie sehr deine Mutter an dem alten Bauernhaus in Österreich hängt. Ich habe 1939, auch mit 30 Jahren, die Schlosserei meines Vaters übernommen und eigentlich bis heute nur gearbeitet. Es hat aber auch viel Spaß gemacht. Vor allem in den letzten Jahren, in denen wir beide zusammen doch recht erfolgreich waren. Francine und ich haben lange über diesen Schritt nachgedacht. Als du jetzt mit der Idee kamst, neben Geldschränken auch noch andere Produkte in die Firma aufzunehmen, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern, haben wir für uns entschieden: Du sollst spätestens 1970 übernehmen. Ferdinand, schau nicht so erstaunt, doch erst in 4 Jahren! Also ab mit dir nach Frankreich und schau dir die Zukunft unseres Unternehmens, also deine Zukunft, bei Rozier genau an! Gute Reise und grüß mir Gustav.“

Ferdinand stieg in seinen geliebten blauen Käfer, öffnete das Dach und fuhr langsam von der Fähre auf die so sehr angepriesene Île de Ré. Gustav Rozier hatte von den herrlichen Austern geschwärmt, die man an der Nord-Ostküste der Insel direkt bei den Züchtern genießen könne. Vom Weinanbau und den Salzgärten. Nicht zu vergessen der Cognac, den man auf der Insel selbst brannte und den Ferdinand unbedingt seinem Vater mit nach Hause bringen sollte. Das alles begünstigt durch das wunderbare Klima, beeinflusst vom Golfstrom und den angeblichen 2.800 Sonnenstunden im Jahr.

Die schmale Küstenstraße war gesäumt von Kiefern- und Pinienwäldern, die einen intensiven Duft verbreiteten. Dazu die leicht salzige Atlantikluft. Die Sonne, der blaue Himmel und der erfrischende Fahrtwind machten den Genuss vollkommen.
Das erste Fischerdorf „La Flott“ hatte enge Gassen. Rechts und links niedrige weiß getünchte Steinhäuser, geschmückt mit einer unendlichen Blumenpracht. Im kleinen geschützten Hafen lagen ein paar Fischerboote.
Am liebsten wäre er gleich hier geblieben. Aber Gustav hatte ihm ein Zimmer im La Paix in St. Martin de Ré gebucht. Bei seiner Lieblingswirtin.

Die Insel schien ihn gleich zu Beginn verzaubern zu wollen! Auch St. Martin begrüßte ihn mit einzigartigen Bildern. Die Straße führte durch eine anscheinend den ganzen Ort umgebende Festungsanlage und erreichte schliesslich ein zweigeteiltes Hafenbecken. Auf der einen Seite Segelboote, auf der anderen etliche Fischkutter. Rund um den Hafen Gebäude mit Bistros und Geschäften.
Er parkte direkt vor dem La Paix, das mit den kleinen roten Marquisen vor jedem Fenster sehr einladend aussah.

Begleitet von einer älteren Dame, die ihn tatsächlich auch schon erwartet hatte, brachte er seinen Koffer in ein gemütliches Zimmer im zweiten Stock. Natürlich mit Blick auf den Hafen. Gustav sei Dank. Das Fenster öffnend, genoss er den einmaligen Blick auf das bunte Treiben im Hafen und am Horizont, auf die Weite des Atlantiks. Er machte sich schnell frisch, zog andere Klamotten an und beschloss als Erstes die Insel mit dem Auto zu erforschen.

Ferdinand fuhr langsam wieder aus St. Martin heraus. Schon nach kurzer Fahrt zweigte er ab nach Loix, einem kleinen Ort mit einer alten Kirche, auf deren Vorplatz Männer aller Altersklassen Boule spielten. Wieder umgeben von diesen weißen Steinhäusern. Neben dem Bouleplatz und direkt an der Kirche sah er ein kleines Bistro, dessen Außenbereich gut besucht war.

Ein guter Platz, um den Hunger zu stillen, dachte Ferdinand, dem erst jetzt bewusst wurde, wie lange er schon nichts mehr gegessen hatte. Er parkte den Käfer direkt am Platz im Schatten der Bäume und fand einen Zweier-Tisch am Rand, mit Blick auf die Boule spielenden Einheimischen. Zwei hatten sogar Baskenmützen auf, was er total französisch fand. Er hörte die permanenten Dialoge über die jeweiligen Spielstrategien, von denen er leider kein Wort verstand.
Ein Älterer, den alle Pappi nannten, der stets begann und wohl vorlegen musste, soweit er das Spiel begriffen hatte, ging immer wieder, wenn er nicht dran war, zu einer Bank und genehmigte sich einen kleinen Pastis. Ferdinand fühlte sich in Frankreich angekommen. Es war einfach herrlich.

Eine junge Bedienung reichte ihm lächelnd die Speisekarte, natürlich auf Französisch. Er versuchte die beschriebenen Speisen zu begreifen und war glücklich das Wort Crevettes zu entdecken. Darunter konnte er sich etwas vorstellen. Er zeigte auf das Wort und bestellte noch einen Vin Blanc, das hatte er schon gelernt.
„Un Pichet?“

Er nickte und war gespannt, was es bedeuten würde. Kurz darauf servierte man ihm knuspriges Baguette, einen Teller mit 12 frischen Crevetten sowie einer Kräutermayonnaise und einen Krug kalten Weißweins. Ferdinand war begeistert und genoss das Essen und die Atmosphäre in vollen Zügen. Nach einem abschließenden Kaffee bezahlte er und verließ diesen himmlischen Platz, um seine Entdeckungsreise fortzusetzen.

Die Straße führte weiter, vorbei an Salzfeldern, auf denen Männer mit langen Stangen kleine weiße Salzpyramiden aufschichteten, dann durch Weinanbaugebiete und bald auch entlang der niedrig bewachsenen weißsandigen Dünen. Schließlich erreichte er die Nordwestspitze der Insel, die mit einem beeindruckend aussehenden Leuchtturm geschmückt war.

Der Leuchtturm „Phare de la Baleine“ war bezwungen. Man hatte von hier oben einen wunderschönen Blick über die ganze Insel. Kleine Orte, Salzgärten und Austernbänke sowie der unendlich lange und breite Sandstrand im Süd-Westen. Davor die Ile de Oleron, eine weitere, ähnlich große Insel. Dazwischen, von hier oben aber leider nicht erkennbar, musste das Fort Boyard liegen. Eine zu seiner Zeit wohl uneinnehmbare Festungsanlage, die man als langgezogenen Rundbau einfach mitten ins Meer gebaut hatte. Er hatte unten im Andenkenladen schon Postkarten davon gesehen und beschloss die Geschichte dieses Bauwerkes unbedingt lesen zu müssen.
Nach einem ausgiebigen Rundgang wollte er gerade die Plattform wieder verlassen, als er von der Treppe her Frauenstimmen in Deutsch hörte:

„Ich bin kaputt, wieso gibt es hier eigentlich keinen Fahrstuhl?“ „Klappe, sonst verzähle ich mich, 240, 241 …“
Jetzt konnte er sie sehen, eine blonde junge Frau nahm die letzten Stufen und eine dunkelhaarige stöhnte hinter ihr her.

„255!“

„Es sind 257!“, rutschte es Ferdinand heraus.

„Ach wirklich? Ich dachte, wir sind hier in Frankreich“, sagte die Blonde zur Dunkelhaarigen und verschwand kichernd mit ihr hinter der Rundung des Leuchtturms.

Ganz schön frech, dachte Ferdinand belustigt und stieg die 257 Stufen wieder hinab.

***

Morgens unter den kleinen Schirmen vor dem La Paix zu sitzen, einen Café crème und ein Butter-Croissant zu genießen, war einfach großartig. Die Segelschiffe und auch die alten Fischerboote waren nur ein paar Meter von ihm entfernt, auch weil z. Zt. Flut herrschte und die Fischer so ihre Waren direkt vom Boot aus an der Kaimauer anbieten konnten. Die Unterschiede zwischen Ebbe und Flut betrugen hier innerhalb von 6 Stunden bis zu 5 m; immer wieder ein beeindruckendes Naturschauspiel.

„Hallo 257! Haben wir dich neulich auf dem Leuchtturm in die Flucht geschlagen?“

Ferdinand war kurz aufgeschreckt, verfiel dann aber sofort in ein leichtes Lachen, als er die junge blonde Frau vom Leuchtturm wiedererkannte, die sich jetzt auf den freien Stuhl an seinen Tisch setzte.

„Ich bin dauernd auf der Flucht.“

„Wer hat dich denn geärgert?“

„Wissbegierige hübsche blonde Mädchen stellen mir dauernd nach und ich dachte, hier auf der Insel bin ich endlich vor ihnen sicher!“

„Hat der Angeber auch einen Namen?“
Ihre grünen Augen leuchteten mit einer solchen Intensität, dass er vollkommen abgelenkt wurde und es verpasste, eine weitere spontane Antwort geben zu
können.

„Keinen Namen? Schade, dann müssen wir wohl bei 257 bleiben, ich heiße Elena.“

„Man nennt mich Ferry.“

„Man nennt dich so, oder heißt du auch so?“

„Ferdinand!“

Sie legte sich im Stuhl zurück und blinzelte in die Sonne.
5 Sterne
Tassilo die Launen des lebens - 21.07.2021
inga selenz

spannend !

5 Sterne
TASSILO Die Launen des Lebens - 17.06.2021
Manfred Wermelskirchen

Die Story har mich gefesselt bis zum Schluss…weiter so…

5 Sterne
Tassilo-Die Launen des Lebens - 14.06.2021
Gudrun von Pelchrzim

In fortgeschrittenen Jahren erinnert man sich gerne an schöne Zeiten und wie es früher war! Viele Bilder erscheinen vor dem geistigen Auge und so entsteht bei Andi Finke eine Geschichte des Lebens in herrlichen Landschaften mit Liebe, Abenteuer, Leid und Schmerz , die aber alle zur Reifung der Persönlichkeit beitragen.Viel Freude und Spaß beim Lesen und vielleicht kommen hierbei dem Einen oder Anderem selbst eigene Erinnerungen zurück!

5 Sterne
Tassilo Die Launen des Lebens - 09.05.2021
Dietrich Ziegler

Eine spannende Geschichte mit viel Lokalkolorit. Mir hat das Buch besonders gefallen, da ich den örtlichen Hintergrund sehr gut kenne und die Tassilolinde liebe, nach der das Buch benannt ist. Weiter so Andreas Finke.

5 Sterne
Tassilo - Die Launen des Lebens - 03.05.2021
Sabine M

Eine fesselnde Geschichte - einmal angefangen kann man nicht aufhören!Super gut geschrieben !! Bin begeistert und hoffe auf weitere Geschichten !!

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