Swiss Girl

Swiss Girl

S.W. Grisair


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 188
ISBN: 978-3-99107-339-0
Erscheinungsdatum: 26.01.2021
Viktoria mag ihr Leben in Zürich. Doch als Scheidungskind muss sie mit einigen Problemen kämpfen, weshalb das Austauschjahr in L.A. gerade zur rechten Zeit kommt: Ein Leben voller Luxus in den Hollywood Hills, welches aber auch Intrigen mit sich bringt.
Kapitel 1

Wir fahren die Allee zum Anwesen meiner Tante hinauf. Von der Fahrt habe ich so gut wie nichts mitbekommen, denn die Tränen haben meinen Blick verschleiert. Der Schmerz übermannt mich, als hätte jemand mein Herz in tausend Teile zerrissen. Ich möchte laut aufschreien, damit dieses Leid irgendwie gelindert wird. Doch alles, was meine Lippen verlässt, sind leise Schluchzer. Auch Chris hat die ganze Fahrt keinen Ton gesagt. Seine Miene ist total versteinert. „Ich ruf dich an“, sage ich zu Chris. „Mhm. Ich fahre zu Kay und komme dann später wieder her“, murmelt er, ohne mich wirklich zu sehen. Ich nicke. „Es wird doch alles gut?“, stammle ich. Jetzt sieht Chris mich an. Eine Träne läuft ihm über sein Gesicht. „Wie kann jetzt noch alles gut werden?“ Ich habe keine Antwort darauf und steige aus. Chris fährt los und ich laufe in Richtung der Eingangstür. Ich bewege mich seltsam ferngesteuert, wie eine Marionette. Wie konnte das nur passieren? Die ganze Situation erscheint mir unwirklich. Ich erwarte jeden Moment ein Team mit der versteckten Kamera, das an der Türe klingelt. „Viki, Sie wurden Opfer unserer Sendung Prank. Das ist alles gar nicht real!“ Es klingelt aber leider nicht an der Tür. So habe ich mir das Leben in Kalifornien nicht vorgestellt. Knackige Surferboys, schöne und gleichzeitig giftige Blondinen mit heißen Körpern, die wunderbaren Anwesen und die Freiheit. Ja, so stelle ich mir Kalifornien vor. Aber das? Ich trotte den Korridor des Eingangsbereiches entlang und biege um die Ecke, um in den Trakt der Gästezimmer zu kommen. Ich bin so in meine Gedanken vertieft, dass ich fast in Magda pralle, die gerade die Skulpturen im Korridor vom Staub befreit. „Heiliges Kanonenrohr, was ist denn mit dir passiert?“ Ich antworte ihr nicht. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre vermutlich kein Ton über meine Lippen gekommen. Ich schüttle nur den Kopf und mache einen Bogen um sie, um schnellstmöglich in mein Zimmer zu kommen. Ich lasse meine Tasche in die Ecke fallen, ziehe meine teure Chanel-Lederjacke aus und werfe mich kopfüber aufs Bett. Wer hätte vor einigen Wochen gedacht, dass alles einmal so eskalieren würde …

Ich sitze im Auto neben meinem kleinen Bruder. Der kleine Stinker nervt schon wieder. Die mehr als 10 Jahre Altersunterschied sind schwierig zu verkraften. „Maxi, mein kleiner Schatz, wir sind gleich da“, versucht ihn meine Stiefmutter zu beruhigen. Doch mit ihren knapp 30 Jahren und ihrer lieblich säuselnden Stimme schafft sie sich bei dem kleinen Fratz kein Gehör. Sie scheint unfähig zu sein, ihren Sohn auch nur im Geringsten unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sie wenig Zeit mit ihm verbringt. Die besten Beweise dafür sind die perfekt manikürten Fingernägel und ihre immer topgestylten Frisuren. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir bei ihr nie einen Regungszustand in ihrem Gesicht erkennen können. Zu viel Schaden hat das Botox schon angerichtet. Ich frage mich sowieso, wie sich mein Dad das alles überhaupt leisten kann. Klar, er hat eine eigene kleine Firma, die in der Holzindustriebranche Fuß gefasst hat, aber mit einer kleinen Schreinerei kann man doch keine solche Frau bezahlen. Ob er sich deswegen abends immer ein Glas Whisky gönnt? Ich vermisse meine Mum. Seit ihrer Scheidung vor besagten 10 Jahren hat sie das Lebensglück nicht wirklich wiedergefunden. Es scheint, als ob der Schmerz des Verlassenwerdens immer noch an ihr klebt. Ihr schönes Lachen, ihre wohlwollende, aber doch sehr taffe Art und ihre Liebe allen anderen gegenüber hat sie durch die Scheidung verloren und sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wenigstens haben die Heulkrämpfe und Wutausbrüche nachgelassen. An ihrer Stelle kommen nun nur noch sarkastische Sprüche und noch mehr Wein, der sie immer wieder betäubt. „Viel Spaß, mein Schatz, und pass auf deinen Vater auf. Wir wollen doch nicht, dass er nochmals eine jüngere Frau schwängert. Sonst kannst du ihm gleich deine Freundinnen vorstellen!“
„Ich hab dich was gefragt, Viktoria“, schreit Maxi von der Seite und zwickt mir schmerzhaft in den Arm. „Au, spinnst du, du kleiner Satansbraten? Du bist doch nicht ganz dicht!“, schnauze ich ihn an. „Viktoria, bitte halte dich im Zaum“, sagt mein Vater scharf. „Er ist doch noch ein Kind!“
Und was für eins! Maxi fühlt sich durch die misslungene Maßregelung meines Vaters bestärkt und streckt mir die Zunge entgegen, als niemand zusieht. Wie ich diesen kleinen Bengel verabscheue. Er ist das Sinnbild für die Trennung meiner Eltern und der Verrat meines Vaters an unserer heilen Familie. Wir sind schon knapp drei Stunden unterwegs und obwohl mein Vater einen sehr komfortablen SUV fährt, spüre ich meine Sitzbeinhöcker. Es wäre an der Zeit, endlich in St. Moritz anzukommen und vor allem aus diesem Irrenhaus auszusteigen. Schon wieder fliegt mir ein Playmobil-Spielzeug ins Gesicht. Nun reicht es mir aber! Ich lasse das Fenster nach unten gleiten und werfe das Spielzeug in hohem Bogen aus dem Wagen. Soll die kleine Nervensäge mal schauen, was er mir nun an den Kopf werfen kann. Zuerst ist Maxi sprachlos, was mir eine gewisse Genugtuung verschafft. Doch dann holt er tief Luft und kreischt aus vollem Rohr. Ein kleiner, wütender Tornado versucht, über das Gepäck hinweg auf mich loszugehen. Die Gurte halten ihn aber zurück. ‚Karma is a bitch‘, denke ich und strecke ihm die Zunge raus. Dies lässt ihn nur noch mehr toben. „Mein Gott, Denise! Schau zu, dass der Kleine endlich Ruhe gibt. Ich muss mich konzentrieren!“, versucht mein Vater, das Kreischkonzert zu übertönen. „Was soll ich denn bloß machen? Der Kleine hat einfach so viel Temperament. Er kommt wahrscheinlich genau nach seiner Mutter.“ Während nun auch Dad und Denise streiten, sehe ich das Ortsschild unseres Ziels: Sankt Moritz. Ein Lichtblick am Ende des Tunnels. Gleich werden wir beim Schlosshotel vorfahren und der Concierge wird mir die Türe öffnen. Nur noch einige Sekunden! Wir fahren an der Trofino-Bar vorbei, die gleich neben unserem Hotel in einem Chalet beherbergt ist. Der Concierge steht schon bereit. Kaum hat mein Dad das Auto abgestellt, springe ich aus dem Wagen. „Guten Abend, Familie Kirchner. Willkommen zurück im Schlosshotel!“, der Concierge gibt sich bekannt höflich. Ich packe meine Handtasche und steige aus. Der Luxus dieses Hotels lässt mich jedes Mal aufs Neue erblassen. Man muss sich weder um die Koffer noch um die Skimaterialien selbst kümmern. Alles wird einem aufs Zimmer und in den Skiraum gebracht. Das ist das einzig Gute, seit mein Vater mit Denise verheiratet ist. Ferien werden nur in den besten Hotels gemacht, in denen einem alle Wünsche von den Augen abgelesen werden. Eine willkommene Ablenkung von meinem Alltag. Ich betrete den Eingangsbereich und setze mich links an die Bar, während mein Dad für uns alle eincheckt. Der junge Bartender kommt lässig zu mir rüber und fragt mit einem Zwinkern, was ich denn gerne wolle. „Einen Vodka-Redbull, wenn es geht. Den könnte ich nun echt gut vertragen.“ Er mustert mich von oben bis unten und meint dann cool: „Einer so jungen, hübschen Lady wie dir würde ich ein alkoholfreies Getränk vorschlagen.“ Mist! Er hat wohl erkannt, dass ich noch keine 18 Jahre alt bin, obwohl es nur noch ein paar Monate dauern würde, bis ich diese magische Zahl knacken würde. „Na gut, dann bitte ein stilles Wasser mit Zitrone.“ Meiner Bestellung füge ich noch ein Lächeln hinzu.
„Nach einem stillen Wasser siehst du aber nicht aus, Süße“, sagt eine unbekannte Stimme. Der amerikanische Akzent wäre mir beinahe nicht aufgefallen. Ich drehe mich um und schaue in Richtung Kamin. Lässig sitzt er da mit einem verschmitzten Lächeln. Er ist unglaublich heiß. Seine olivgrünen Augen funkeln voller Neugier, während er mich von oben bis unten mustert. An meinen Brüsten verweilt sein Blick für einen Moment. Er benetzt sich kurz die Lippen, bevor er sich durch sein braunes Haar fährt und sich die Strähne aus dem Gesicht wischt. Na toll, wieder ein liebeshungriger Macho! „Stille Wasser sind eben tief!“, antworte ich scharf. Mein Ton scheint ihn in keiner Weise zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil. Es scheint sogar, als würde ihn das nur noch mehr herausfordern. „Das klingt doch gut. Je tiefer desto besser!“, meint er mit einem anzüglichen Grinsen. Ich hätte gerne mein verdutztes Gesicht gesehen. Jedenfalls bin ich echt sprachlos. Er nutzt das sofort aus und fügt hinzu: „Wenn du willst, beweise ich dir jetzt gleich, wie tief ich forschen kann.“ Das ist zu viel! Ich speie mein Wasser aus und versuche erfolglos, meinen Würgereflex zu unterdrücken. Er lacht belustigt. „Wenn das Wasser so schlecht schmeckt, kann ich dir in meinem Zimmer gerne ein anderes Getränk anbieten.“ Ich glotze ihn immer noch völlig empört an. Wie kann er es wagen, so mit mir zu sprechen? Ich bin doch keine Straßendirne. Was glaubt der, wer er ist? Die Empörung und Wut scheinen sich in meinen Augen widerzuspiegeln. „Hey Chris, lass uns los! Ich brauche heute Abend etwas weibliche Gesellschaft. Unsere heißen Ladies von der Piste warten auf uns in der Champagnerbar.“ Nun steht noch ein zweiter, verboten scharfer Typ im Eingangsbereich des Schlosshotels. Er ist aber blond und hat blaue Augen. Das perfekte Pendant zu dem Typen auf der Couch. Chris steht auf und kommt langsam auf mich zu. „Also, Baby, wenn du Bock hast, kommst du später einfach auch dazu“, sagt er und legt seine kräftigen Hände auf meine Knie, bevor er mir einen Kuss auf die Wange drückt. Mein Verstand sagt mir, dass ich ihn hätte ohrfeigen sollen, aber mein Körper spricht eine andere Sprache. Die Stellen, die er berührt hat, kribbeln und ein seltsam warmes Gefühl flackert in meiner Magengrube. ‚Reiß dich zusammen, Viki‘, sage ich zu mir selbst. So einem Typen kann man nicht trauen und vor allem sollte man unbedingt die Hände von ihm lassen. Die sind doch alle gleich! Aber seine unglaublich olivgrünen Augen haben mich soeben in ihren Bann gezogen und in mir etwas ausgelöst, das ich nicht beschreiben kann.
„Mädchen, ich gebe dir einen guten Rat. Lass die Finger von Chris und Kay. Das sind echte Schürzenjäger aus Amerika. Ihre Eltern sind stinkreich und sie kommen jedes Jahr hierher, um sich einmal richtig auszutoben. Ich habe schon einige Mädchen hier am Tresen gehabt, die sich darüber beklagt haben.“ Ich weiß, dass es der Bartender nur zu gut meint, aber auf seinen Ratschlag, kann ich gerne verzichten. Ich bin schließlich schon 17 Jahre alt. Klar, ich bin immer noch Jungfrau, aber habe doch schon die ein oder andere Erfahrung gemacht. So unschuldig und hilfsbedürftig bin ich also sicher nicht. „Danke, wie großzügig von dir!“, sage ich spöttisch. „Na ja, sah so aus, als hättest du ein bisschen Hilfe nötig. Du hast dagesessen wie ein stummer Fisch, der mit der Situation völlig überfordert war“, kontert der Bartender. „Ist ja klar, dass eine junge Frau wie du überall Anklang findet. Du bist viel zu hübsch, als dass du alleine an der Bar bleiben würdest. Aber hey, das musst du selbst wissen, pass einfach auf dich auf“, meint er achselzuckend. Es stimmt, was er sagt. Wenn ich mit meinen Freundinnen unterwegs bin, bleibe ich nie lange alleine. Meine Freundinnen haben sich bereits darüber beklagt, dass ich ihnen die meisten Männer wegschnappe. Aber heute lege ich es mit meinen Boyfriend-Jeans und meinem schwarzen Rollkragenpullover wohl nicht darauf an.
„Viktoria, kommst du bitte“, fordert mein Vater nun bereits ungeduldig. Ich stehe auf, bedanke mich beim Bartender und folge meinem Vater zu den Liften. „Du wirst dir das Zimmer mit Maxi teilen“, meint Denise bestimmend. „Wie bitte? Habt ihr nicht die Suite gebucht? Wieso soll ich den Satansbraten bei mir im Zimmer aufnehmen?“, frage ich schockiert. „Damit du dich mit Maxi endlich einmal etwas verbrüderst. Es wird an der Zeit, dass ihr euch aneinander gewöhnt und du deine schwesterlichen Pflichten anerkennst“, meint mein Vater gleichgültig. Es ist also nicht seine Idee, dass Maxi in meinem Zimmer weilt, sondern die seiner ach so bezaubernden Frau. Wahrscheinlich will sie wieder mal etwas Zeit mit Dad verbringen, so angespannt wie die beiden sind. Meine Mutter sagt jedenfalls immer, dass zickige Frauen und Männer sich öfter lieben sollten. Wir werden wohl morgen das Ergebnis sehen. Heute darf ich jedenfalls den Babysitter spielen. Auf der 3. Etage bleibt der Lift stehen. Mein Vater drückt mir zwei Zimmerkarten in die Hand und schiebt mich und meinen Bruder aus dem Lift. Sie fahren noch ganz nach oben zu den Suiten. „Na toll! Danke, Dad“, knirsche ich zwischen den Zähnen hervor und ziehe den kleinen Maxi wie einen Kartoffelsack hinter mir her. Ich öffne die Türe zu unserem Zimmer. Die Koffer sind schon da. „Ich genehmige mir noch kurz eine Dusche, bevor wir zum Abendessen runterfahren“, teile ich meinem Bruder mit. „Und was soll ich machen?“, fragt er trotzig. Ich stelle den Fernseher für ihn ein und mache mich auf den Weg ins Bad. „Wenn du dich nicht benehmen kannst, stelle ich dich ohne Jacke auf den Balkon. Dann erfrierst du!“, rufe ich ihm noch zu. Aber Maxi ist völlig auf den Bildschirm fokussiert. Drohungen braucht es wohl nicht.
Ich entledige mich meiner Kleidung und stelle die Dusche ein. Das heiße Wasser prasselt an meinem Körper herunter. Ich genieße die Ruhe und atme tief ein. Wasser beruhigt mich auf eine Art und Weise, die ich nicht verstehen kann. Als ich fertig bin, steige ich aus der Dusche und stelle mich vor den riesigen Spiegel. Die Haare trockne ich mir nur kurz an und binde mir dann einen Zopf, den ich morgen für die Skipiste brauche. Ich versuche, ihn aber möglichst voluminös zurecht zu zupfen. Dann tusche ich mir meine Wimpern, damit meine kristallblauen Augen noch besser zur Geltung kommen. Mit dem Puder mattiere ich leicht meine Haut. Der Lipbalm ersetzt heute meinen roten Lippenstift. Schließlich bin ich nur mit Dad und seiner neuen Brut hier. Da mich Denise zu einem ans Hotel angepassten Outfit für das Abendessen gedrängt hat, schlüpfe ich in meine schwarzen Röhrenjeans und streife mir den weißen Kaschmirpullover über. Eine Schulter lasse ich aber gekonnt frei und stopfe mir vorne einen Teil des Pullovers in die Hose. Schöne schwarze UGGs runden das Outfit ab. Auf Schmuck verzichte ich heute. Wahrscheinlich hätte ich sowieso keinen passenden Vorzeigeschmuck für dieses Hotel. Ich schaue auf die Uhr, es ist bereits eine Stunde vergangen. Aber das Abendessen lässt noch eine weitere auf sich warten. Also beschließe ich, mein Handy in die Finger zu nehmen und einige Instastories zu drehen. Instagram versuche ich wirklich auf dem Laufenden zu halten, auch wenn es meinen Eltern nicht gefällt. Aber es ist auch eine Art Kommunikation zwischen den Jugendlichen. Ich kann so all meinen Freunden zeigen, was ich tue und wo ich bin, ohne jedem einzelnen eine Nachricht zu schreiben. Jedenfalls ist diese Mission nicht so einfach, wie gedacht. Es ist doch schwierig, wenn man den kleinen Satansbraten nicht im Bild haben möchte. Ein Paar Fotos und Videos glücken mir aber und ich habe dann doch zwei gute Stories zum Bearbeiten. Ich wähle die richtige Musik und einen guten Filter. Was man eben alles für eine gute Story braucht. Die Stunde verfliegt im Nu und wir machen uns auf den Weg in den Diamantsaal. Mein Magen knurrt auch gewaltig, denn ich habe heute noch nichts gegessen. Im Lift kann ich bereits das Menü studieren. Thunfisch und eine Kokosschaumsuppe stehen als Vorspeise auf dem Papier. Salat würde als nächstes folgen. Anschließend kann man zwischen 3 Hauptgerichten entscheiden. Ich wähle gedanklich schon mal das Tempura Gemüse. Es stehen noch weiter Gänge auf dem Menü, aber der Lift öffnet sich und wir steigen aus. Die Wendeltreppe führt uns anschließend in den Essenssaal. Die Dame am Empfang geleitet uns zu unserem Tisch. Dad und Denise sind bereits dort und kichern verliebt. Die Zweisamkeit tut den beiden anscheinend gut, was mich in zweierlei Hinsicht beunruhigt. Erstens mag ich es nicht, dass Denise meine Mutter ersetzt hat und zweitens habe ich keine Lust, den Satansbraten noch länger in meinem Zimmer zu haben. Ich setze mich und knalle dabei mit der Handfläche leicht auf den Tisch. „Mein Schatzi“, fiept Denise und nimmt ihren kleinen Maxi in die Arme. Ich könnte kotzen. „Hat sich Viktoria auch gut um dich gekümmert?“ Ich sehe Maxi fordernd an und ziehe meine Brauen als Drohung hoch. Wenn er jetzt eine falsche Antwort gibt, schwöre ich, ihn doch auf dem Balkon erfrieren zu lassen. Maxi richtet seinen Blick auf mich. Ich funkle ihn an und forme das Wort TV mit meinen Lippen. Er scheint blitzschnell zu begreifen. „Ja, Viktoria war ganz lieb“, säuselt er. Die einzig richtige Antwort, sonst wäre es ihm schlecht ergangen.
Während wir essen, unterhalten sich Denise und Dad bereits über die neuen Ferien in Punta Cana. Dann wechseln sie zu den Schönheits-OPs, welche Denise unbedingt noch machen möchte. Die Themen langweilen mich doch sehr. Als wir unsere Salate am Buffet schöpfen können, kommt mir dies sehr entgegen. Ich stehe auf und gehe durch den Saal. Da sehe ich ihn wieder. Er hat mich bereits fixiert und seinen Kopf leicht schief gelegt. Sein Blick sieht schon wieder lüstern aus. Schockierend finde ich, dass mich das irgendwie anmacht. Schnell breche ich den Blickkontakt ab, bevor mein Körper wieder zu kribbeln beginnt. Was löst dieser Typ bloß in mir aus? So gelassen wie möglich, gehe ich zum Buffet, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Als ich mit meinem Salatteller vor dem Brotkorb stehe, spüre ich seinen heißen Atem in meinem Rücken. „Darf ich mal?“, flüstert er in mein Ohr. Ich bleibe bewegungslos. „Tu, was du nicht lassen kannst, Chris!“, sage ich. Dabei drehe ich mich zu ihm um und schaue ihm in die Augen. Obwohl er sehr nah bei mir steht, gehe ich noch einen Schritt auf ihn zu. Mein Herz klopft bis zum Hals, aber nachgeben werde ich nicht! Seine Augen leuchten und mir wird wieder heiß und kalt zur selben Zeit. Dieses Mal scheint Chris sprachlos zu sein. „Kommt jetzt nicht noch ein flotter Spruch? Oder hat es dir Sprache verschlagen?“, sage ich herausfordernd. Das Spielchen kann ich auch. Chris bleibt immer noch stumm. Sein Blick ist aber nicht mehr lüstern, sondern eine Funke Respekt blitzt auf. Doch in der gleichen Sekunde hat er sich gefangen und greift hinter mir in den Brotkorb. „Meine Priorität liegt momentan beim Essen nicht bei dir.“ Er dreht sich um und geht leichtfüßig zu seinem Tisch. Von hinten kann man seine breiten Schultern unter dem schwarzen Shirt erkennen. Er ist wirklich sehr muskulös und hat einen sehr guten Körperbau. ‚Oh mein Gott, ich habe ihm auf den Po geschaut‘, denke ich und laufe nun doch etwas rot an. Leider kaschiert mein No-Make-up-Look dies nicht gerade vorteilhaft. Und genau in diesem Moment dreht er sich um und sieht die roten Wangen. Er beginnt, zu grinsen. Ich versuche, erhobenen Hauptes zu meinem Tisch zurückzukehren. Es gelingt mir ganz gut, denn ich werfe Chris keinen einzigen Blick mehr zu. Der Rest des Dinners verläuft ohne Probleme und ich verschwinde, so schnell ich nur kann, in mein Zimmer.



Kapitel 2

Der Morgen startet erstaunlicherweise sehr gut. Als ich den Frühstücksraum betrete, sitzt Dad bereits an unserem Tisch. „Wo ist Denise?“, frage ich hoffnungsvoll. „Ihr geht es nicht gut und sie kämpft wieder einmal mit Übelkeit“, sagt mein Dad beiläufig. Maxi mischt sich ins Gespräch ein und verlangt, ins Zimmer seiner Mutter zu gehen. Dad gibt ihm die Zimmerkarte und schon ist der kleine Knirps verschwunden. Ich freue mich darüber und hoffe, dass es an diesem Morgen auch so bleiben wird. Zum Unmut seiner Mutter, verlässt Maxi das Zimmer seiner Eltern wirklich nicht mehr. Er möchte seiner Mutter Gesellschaft leisten und auf sie aufpassen. Er scheint doch ein Herz zu haben, dieser kleine Racker! Das ist der Startschuss für einen Maxi- und Denise-freien Morgen. Einen kleinen Freudensprung kann ich mir nicht verkneifen. Ich gehe in mein Zimmer und bereite mich für den kommenden Skitag vor. In einer halben Stunde werde ich Dad im Skiraum des Hotels treffen und auf die Piste dackeln. Mein Zopf braucht nochmals eine Überholung und wird zurecht gezupft. Es ist eine perfekte Frisur für unter den Helm, aber anständig sitzen muss doch jedes Haar. Ich ziehe meinen Liedstrich fein säuberlich und trage die wasserfeste Mascara auf. Die getönte Sonnencreme darf nicht fehlen, schließlich will man ja auch auf der Piste etwas hermachen. Der Lipbalm verleiht meinem Gesicht den letzten Glanz. Anschließend schlüpfe ich in meine hautengen, schwarzen Skihosen, die ich mir extra neu gekauft habe. Unter dem grauen Hoodie sind die vielen Lagen an Thermowäsche kaum erkennbar. Genau nach meinem Geschmack. Ich bin warm eingepackt, mache aber immer noch eine gute Figur. Bevor ich aus dem Zimmer husche, schmeiße ich mir meine Camouflage-Jacke über den Kopf und befestige die orange Skibrille an meinem schwarzen Helm. Mein Outfit gefällt mir außerordentlich gut.

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